Christian Burkhardt – „Underground ist heute nur noch ein romantisches Wort”

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Christian Burkhardt kann man als Phänomen bezeichnen. Ohne große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hat er es geschafft, dass sein Name und vor allem seine Musik in der heutigen Szene allgegenwärtig sind. Starallüren oder PR-Kampagnen – weder nötig noch vorhanden. So kommt es auch, dass Interviews mit ihm eher eine Seltenheit sind. Für uns macht er eine Ausnahme: Ein Gespräch auf Augenhöhe.

Deine ersten Rave-Erfahrungen hast du ja bereits in den Neunzigern gesammelt. Wie war das damals so, als du das erste Mal Kontakt zu der Szene hattest, und wie kam der überhaupt zustande?

Als Teenager war ich sehr umtriebig und habe ständig neue Leute kennengelernt. Ein Freund hatte einen PA-Verleih. Wir sind oft einfach mit Anlage und Stromaggregat in den Wald oder unter eine Autobahnbrücke gefahren und haben Privatpartys gemacht.
Damals war alles noch etwas freier und undefiniert, es liefen oft verschiedene Styles in einem Set – nicht wie heute, wo alles konsequent unterteilt ist.

Die Clubkultur hat sich in deinen Augen also sehr verändert?

Ja. Damals in den Neunzigern dachte man, dass Techno nur ein Trend sei, und jeder wartete gespannt, was als Nächstes kommen würde. Techno wurde von den Leuten ständig totgeredet, aber wir sind immer noch hier – und das größer und vor allem verrückter, als wir es uns jemals erträumt hatten. Heute ist alles sehr professionell geworden und auch international. Techno ist bis in die letzte Ecke der Welt vorgedrungen.
Wann wurde das Interesse zur Leidenschaft bzw. wie geschah es, dass du selbst in Kontakt mit dem DJ-Pult gekommen bist?

Ich habe sehr früh angefangen, Platten zu kaufen, und auch mal bei einem DJ-Contest mitgemacht. Aber als ich das erste Mal einen Freund im Studio besuchte, war die Sache für mich klar: das ist mein Ding. Ich besorgte mir also einen Atari St und eine Digital Workstation. Auf der waren dann nur Pop- und Worldmusic-Sounds, aber ich versuchte damit dann trotzdem, Techno zu produzieren. Leider habe ich keine Aufnahmen mehr aus dieser Zeit. Es wäre bestimmt sehr lustig, das heute zu hören. Als ich mir dann ein 808, 909, 303 Board kaufte, kam die Sache in Schwung. Ich habe nie an eine professionelle Karriere gedacht und habe Musik immer nur zum Spaß produziert. Das war für mich auch ein Ausgleich zum Alltag. 2003 habe ich dann das erste Mal etwas veröffentlicht. Das war beim Hessischen Rundfunk in einer Night-Flow-Sendung. 2007 habe ich das erste Vinyl rausgebracht, „Kreiskollaps“ auf Oslo.

Wie sieht dein Live-Setup aus, welche Gerätschaften sind für dich essenziell und was benötigst du für deine Performance?

Das Zentrum meines Setups ist ein MacBook mit Ableton. Gesteuert wird es von einem modifizierten Faderfox-Controller für das Basis-Arrangement. Dann die Maschine von Native Instruments, die vollgepackt ist mit Sounds zum Jammen. Dann steht da noch ein 303-Klon, der die meiste Zeit dazu zwitschert. Bei größeren Veranstaltungen kommt noch der eine oder andere Synth oder Drumcomputer mit. Meine Performance besteht aus Live-Arrangements. In Ableton befinden sich Loops, Phrasen und Ideen aus den letzten zehn Jahren, alles aufgeteilt in Kick, Bass, Hats, Snare usw. Dazu programmiere ich auf der Machine und auf der 303 kommen dann vorprogrammierte Sequenzen. Dann ab und an mal winken und am Schampus nippen – und fertig ist die Burkhardt-Live-Show.

Du hast dich auch sehr stark – und soweit ich weiß auch sehr früh – auf das Produzieren fokussiert. Dein Studio scheint, soweit ich es sehen konnte, sehr imposant und umfangreich zu sein. Führ uns doch mal durch dein Studio: Welche Geräte sind dort vorhanden und welche werden hauptsächlich genutzt?

Da hat sich einiges angesammelt in den letzten 20 Jahren. Ich halte es aber überschaubar und verkaufe Geräte wieder, wenn ich sie nicht regelmäßig nutze. Außerdem falle ich heutzutage nicht mehr auf diese „plastik-clone-unbedingt-haben-muss“-Produkte der Industrie rein und kaufe mir lieber hochwertige Analogkisten bzw. Module von kleinen Her- stellern. Die Zentrale meines Studios bildet ein SSL-X-Desk für Monitoring und Summierung, da hängen alle Kompressoren und Equilizer dran. Für die Drum-Gruppe gibt es noch einen Dangerous-Summierer. So laufen alle Signale zusammen. 16 Kanäle aus dem Computer und die ganzen Synths, Modular- und Drum- computer. Als Lautsprecher verwende ich alte Tannoy DMT 15, Ns 10 und Dynaudio BM15, alle passiv und angefeuert von einer Bryston-Endstufe. Als Klangerzeuger kommt zuerst das Modular-System, daran verbringe ich die meiste Zeit. In Verbindung mit Analog Rytm, Prophet 6 und Jomox 888 ist das mein Basic- Setup, das ich immer benutze. Dann, abhängig von der Produktion, kann ich noch auf TB303, Juno106, Futureretro, Vermona Syncussion, Waldorf Pulse und alte Electribes zurückgreifen. Ich habe keine Vorlage, sondern fange immer bei Null an. Geräte an und los geht’s.

Du bist auch sehr fokussiert, wenn du produzierst. Gibt es Phasen bei dir, in denen du händeringend um Inspiration kämpfst? Und wenn ja, was hilft dir dabei, sie zu finden?

Ja, den berühmten „Writers Block“ kennen wir doch alle. Man kommt ins Studio, fängt an und irgendwie passiert nichts Richtiges. Dann fahre ich entweder direkt nach Hause oder mache erst mal einen Tee und plappere mit den Studionachbarn. Bei einem zweiten Anlauf klappt es dann oft. Es gibt aber viele Tricks, um die Spannung im Studio aufrechtzuerhal- ten. Ein iPhone mit YouTube an das Modular anschließen beispielsweise oder einen Track mit Microphone und Sampler beginnen. Oder ich fange mit einem Gerät an, das ich schon lange nicht mehr benutzt habe.

Wenn ich es richtig verstanden habe, birgt dein neues Album „Nonstop“ nun acht Tracks, die du schon vor längerer Zeit produziert hast und eigentlich nicht geplant hattest, zu veröffentlichen. Wie kam es dann dazu, dass du sie doch der Öffentlichkeit präsentieren wolltest?

Ich mache sehr viel Musik und veröffentliche davon ca. 10–20 Prozent, der Rest geht ins Live-Set oder schlummert auf der Festplatte. Für das Album habe ich meine Festplatten komplett durchwühlt und viel interessantes Material gefunden. Ich habe eine Auswahl von Songs neu gemixt und arrangiert. Am Ende haben es dann acht Tracks auf das Album geschafft.

Bleiben wir mal beim Stichwort Öffentlichkeit. Du bist schon jemand, der eigentlich nicht so viel von sich preisgibt und sich auch gern mal zurückhält, was die Außendarstellung angeht. Wie kommt das?

Das hängt wohl mit meinem Charakter zusammen, zumindest ist es nicht wie bei Kraftwerk oder Underground Resistance absichtlich herbeigeführt. Ich konzentriere mich lieber auf die Musik und die Gigs. Die „Star-DJs“ heute haben ja eigene „PR-Manager“ und bestimmt auch flinke Fingerchen im Büro, die ihre Interviews abtippen. Vielleicht investiere ich demnächst ja auch eher in einen PR-Manager statt in mein Modular-System?

Obwohl du nun seit einiger Zeit bei Cocoon bist, wird mit dir immer wieder der Begriff „Underground“ in Verbindung gebracht. Ist das ein Begriff, mit dem du dich selbst identifizieren kannst, oder stößt es dir mittlerweile eher bitter auf, wenn du ihn hörst?

Underground ist heute nur noch ein romantisches Wort. Der Gegenpart zur Popmusik funktioniert heute genau wie diese. Im musikalischen Kontext gibt es aber noch Verwendung für diesen Begriff: Klassische, zeitlose Tunes ohne Gitarre, Trompete oder EDM-artiges Sounddesign, die nicht in den Top-Charts stattfinden, kann man doch als „Underground“ bezeichnen, oder? Wenn man als Künstler heutzutage „Underground“ ist, ist das gleichbedeutend damit, keinen Erfolg zu haben.

Was änderte sich bei dir durch das Signing bei Cocoon eigentlich privat und beruflich?

„Stopover Goa“ auf Cocoon war auf jeden Fall die nächste Stufe auf der Karriereleiter. Ich konnte „Cocoon Amnesia“ und viele andere tolle Partys spielen. Persönlich habe ich mich nicht verändert, aber mein Live-Set musste ich auf ein anderes Energielevel bringen.

Im Jahr 2014, also nachdem du bereits auf Cocoon gelandet warst, hast du auch noch ein eigenes Imprint gestartet: CB Sessions. Was ist das Konzept dahinter?

Ich lade verschiedene befreundete Produzenten zu mir ins Studio zum Jammen ein und das Ergebnis wird auf Platte gepresst. Ursprünglich war das Labelkonzept ein Albumkonzept, aber die Musik war zu unterschiedlich, also habe ich CB Sessions gegründet.

Darf man sich das dann wie bei einer klassischen Band vorstellen, die im Kellerstudio ein bisschen am Equipment spielt?

Jein, der Unterschied ist, dass man nicht allein ist. Allein bin ich voll auf die Musik fokussiert. Zu zweit klimpert man etwas rum, recordet, plappert, trinkt ein Schlückchen Vino und klimpert wieder. Ist auf Dauer nicht so gut für die Leber, macht aber Spaß.

Würdest du behaupten, dass deine besseren Ideen beim Jammen entstehen, oder sind eher die die besseren, die quasi geplant und sauber ausgearbeitet sind?

Da gibt es keine Regel. Auf beide Weisen kann gute Musik entstehen, aber sauber und ausgearbeitet sind die Sessions meist nicht. Oft gibt es auch kein Ergebnis, aber wenn man einen Heidenspaß hatte, ist das auch okay.

Die Frage kann ich mir dank eines Tracks auf dem Album nicht verkneifen: Wovon hast du persön- lich manchmal „Enough“?

„Enough“ habe ich, wenn ich die Nachrichten schaue. Weltweit so viele Krisen und schräge politische Ereignisse. Da zweifelt man am gesunden Menschenverstand. Es wäre gut, wenn sich einige Protagonisten etwas Toleranz, wie sie in unserer Szene vorzufinden ist, abschauen würden. Lasst uns weitermachen.

„Nonstop“ ist auf CB Sessions erschienen.

Aus dem FAZEmag 059/01.2017
Text: Janosch Gebauer
Foto: Stefan Höning