Chymera – Ein langer und schwieriger Weg


Das Format Album bröckelt, aber es hält sich wacker. Auch im Bereich der elektronischen Musik gibt es viele Produzenten, die sich wirklich Mühe geben, um einen stimmigen Longplayer abzuliefern und nicht nur eine lieblos zusammengeschusterte Ansammlung von Dancefloortracks. Bren Gregoriy, aus Cork/Irland stammend, gehört zur Kategorie „stimmig“, hat sich das Ganze aber am Anfang seiner Reise wahrscheinlich auch etwas anders bzw. leichter vorgestellt. Es war eine Reise mit Höhen und Tiefen, die ihn von Barcelona nach Berlin geführt hat, spannend bis zum Schluss und mit einem erfreulichen Zieldurchlauf: „Death By Misadventure“, so lautet der Titel des Werkes, das Bren, besser bekannt als Chymera, am 1. Juni auf Connaisseur veröffentlicht.

Seiner Heimat hat der fast 31-jährige Ire – im Juni feiert er seinen Geburtstag – schon im Jahre 2006 verlassen, es zog ihn ein Jobangebot seines damaligen Arbeitgebers nach Costa Rica, wo er dann ein Jahr blieb. Gegen Ende des Aufenthaltes kündigte er allerdings seine Stelle, machte die letzten zwei Monate Musik und ging dann zurück nach Europa, wo der recht bald in Barcelona landete. Die katalanische Metropole lockt viele, vor allem junge Menschen an. Ein pulsierende Großstadt mit Strand vor der Tür, einer lebendigen Clubszene, historischer Substanz in Kombination mit futuristischer Architektur, aber an einigen Ecken auch nicht ungefährlich. Ein intensives Abenteuer. Fluch und Segen, denn die Zerstreuung kann fatal sein, die Sonne lockt nur allzu gern, die Atmosphäre wirkt hin und wieder sehr drückend und eng. Es gab einige Faktoren, wegen derer Bren die Stadt nach knapp drei Jahren wieder verlassen hat. „Ich liebe Barcelona und bin auch zwei bis drei Mal im Jahr dort, weil dort viele gute Freunde leben. Aber vor allem im letzten Jahr meines Aufenthaltes ergriffen mich immer mehr Langeweile und Frust. Nichts passierte, und ich hatte ein große Enttäuschung zu verkraften, als ein recht bekanntes Label mein Album in letzter Minute ablehnte und doch nicht veröffentlichte. Wenn ich aus heutiger Sicht zurückschaue, kann ich das auch verstehen, ich bin selbst nicht zufrieden mit dem Ergebnis.“ Von Selbstzweifeln geplagt und durch die sprachliche Barriere in einer Art Isolation gefangen – er konnte sich im Alltag verständigen, aber für intensive Gespräche reichte es nicht – lehnte er Gigs ab und war frustriert über seine erste Welle an Releases (2007-2008), die ihm nun langweilig und recht ähnlich erschienen. Er dachte viel darüber nach, eine andere Richtung einzuschlagen, aber je mehr er darüber nachdachte, umso mehr verlor er sich in diesen Gedanken und trat auf der Stelle. „Unmittelbar vor meinem Umzug nach Berlin im Jahre 2010 hat es schließlich ‚Klick‘ gemacht in meinem Kopf. Dazu kam dann die neue, ganz andere Szenerie um mich herum, und somit hatte ich eine Art Reset-Taste gedrückt. Ich dachte einfach nicht mehr darüber nach, in welche Richtung meine Musik gehen sollte, sondern machte einfach Musik. Und das mache ich bis heute so, weil es der beste Weg für mich war und ist.“
Es war nicht nur die Musik, die ihn in unsere Hauptstadt geführt hat, im Gegenteil. Lange Zeit hat ihn der Gedanke an eine Stadt mit unzähligen konkurrierenden Produzenten angeschreckt. Aber es lockten ihn Freunde damit, dass es hier vor allem außerhalb der ganzen Musikszenerie sehr schön sei. Und nach einer halbjährigen Eingewöhnungszeit hatte er sich geöffnet und war begeistert vom dortigen Leben. „Berlin ist eine sehr schöne Stadt, die ich sehr genieße. Es ist in einer bestimmten Art und Weise viel entspannter als in Barcelona. Weniger stressig, nicht so eng, breite Straßen, Freiflächen, und es ist nicht so heiß wie in Spanien. Hier gibt es richtige Jahreszeiten, das kommt mir und meiner Arbeit sehr entgegen, denn man kann sich darauf einstellen. In Barcelona war es oft und lang zu heiß und in Irland regnete es viel zu viel.“
Dennoch, trotz der günstigen Umstände fingen die Probleme in Sachen Album erst an. Noch in Barcelona hatte er während des Sónar-Festivals zufällig Alex Flitsch vom Label Connaisseur getroffen. Man kam ins Gespräch, was schließlich dazu führte, dass Chymera 2008 seine erste EP auf dem Offenbacher Label veröffentlichte und zwei Jahre später eine weitere erschien, worauf hin man ihm anbot, ein Album zu produzieren.
Gesagt, aber noch lange nicht getan. Bren startete das Unternehmen Debütalbum und hatte auch hier hatte er wieder mehr als ein Mal Zweifel, ob diese Aufgabe zu bewältigen sei oder ob er nicht einfach nur EPs und Singles releasen sollte. Anfangs musste er noch mit einer Deadline kämpfen, die dann jedoch glücklicherweise gelockert wurde. „Sowas hatte ich vorher noch nie gemacht. Ich habe ständig an das Datum gedacht und mir dadurch einen Druck aufgebaut, unter dem dann meine Kreativität litt.“ Frust baute sich auf. Es gab Tage, an denen kam nichts Zählbares herum, und mit dem Label wurde auch das eine oder andere Mal um Tracks gerungen. Auf halber Strecke lernte er seine jetzige Freundin kennen, die sich zu einer großen Hilfe und Unterstützerin entwickelte. Hörte er von befreundeten DJs und Produzenten hin und wieder ein zu diplomatischen Urteil, so war sie, die sie zwar elektronische Musik sehr mochte, aber nicht beruflich in irgendeiner Weise damit zu tun hatte, offen und ehrlich mit ihrer Meinung und „sagte es frei heraus, wenn ein Track in ihren Augen einfach Scheiße war.“ Erstmals spielte Bren auch Vocal-Tracks ein. Zum einen mit Emilie Harsongkram, die ihm ein Freund empfahl, und zum anderen mit zwei englischen Sängerinnen namens Emma Greenfield und Moss Beynon Juckes, die er zufällig in einer Bar entdeckte, als sie Balkan Folk-Songs schmetterten. Einen Tag vor dem Mastering ging er mit den beiden noch rasch ins Studio uns nahm die Vocals auf, bei denen er sich von Dead Can Dance und den Cocteau Twins inspirieren ließ.

Es war ein langer und harter Weg, den Chymera beschritten hat, um sein Ziel zu erreichen. Aber es war auch ein äußerst lehrreicher und erfolgreicher Weg, denn „Death By Misadventure“ ist ein feines, organisches Album geworden, inspiriert und stimmig. „Jedes Mal, wenn ich meine Heimat besuche, höre ich mehr und mehr Geschichten und Klagen über die Krise und ihre Auswirkungen, aber gleichzeitig gibt es dort einen Sinn für Optimismus, den die Iren in sich haben. ‚Es ist alles ziemlich schlimm, aber es könnte doch auch schlimmer sein.’“ Eine Einstellung, die Bren Gregoriy auch nie verloren hat, während seiner teilweise recht zähen Berg- und Talfahrt durch Barcelona, Berlin und viele verschiedenartige Gemütszustände. So kommt es dann auch nicht von ungefähr, dass er schon erste Gedanken an ein neues Album hegt, mit dem er nach dem Sommer beginnen möchte. Allerdings hätte Bren auch nichts dagegen, wenn es dieses Mal etwas glatter laufen würde.

www.chymera.org
www.connaisseur-recordings.com