Conforce – Auf der Flucht


Der niederländische DJ und Produzent Boris Brunnik aka Conforce tauchte 2007 erstmals mit einem Release auf Rush Hour recordings auf. Es folgten weitere EPs auf Curle, Delsin oder Clone und im Jahre 2010 schließlich sein Debütalbum „Machine Conspiracy“. Ende 2011 erschien sein zweiter Longplayer „Escapism“ …

„Escapism“ ist der Titel Deines neuen Albums. Wofür steht er? Ist da irgendetwas vor dem Du flüchten willst? Ist Deine Musik eine Art Flucht?
„Du triffst es auf den Punkt. Es ist ein sehr persönlicher Titel, etwas mit dem ich mich wirklich identifizieren kann. Musik ist für mich in vielen Angelegenheiten sehr unterbewusst. Dabei ist da eine Einheit in Sound und Atmosphäre. Ich wollte nicht nur ein rein funktionales Technoalbum machen; es sollte ein Trip sein. Ich habe eine sehr offene und facettenreiche Einstellung, wenn es um Musik geht. Es ist eine persönliche Flucht vor der Realität und einfach ein Moment der Zeit, es ist eine Reflektion dieses Moments. Ich habe den Titel außerdem ausgesucht, da dies auch ein Thema ist, welches mich generell in der Gesellschaft interessiert. Wenn du reist, dann siehst du wie unterschiedlich Kulturen agieren, um die Gesellschaft unter Druck zu setzen und Wege finden, um ihnen das Leben bequem zu machen. Es ist etwas, das vorgegeben ist zu dieser Zeit.“

Wie würdest Du die Musik deines Albums in 1-2 Sätzen beschreiben? Wann hast du angefangen und warum? Gibt es irgendwelche Inspirationen, die Dich in irgendeiner Art darstellen?
„Also die Inspiration kommt hauptsächlich von den Sounds, die ich kreiere und von denen ich finde, dass sie mit dem Flow gehen und eine tiefe Atmosphäre kreieren und anfangen dem Ganzen Antrieb zu verleihen. Da waren ein paar alte FM-Synthesizer, die mich faszinierten und diese sind das Herz jeden Tracks. Für dieses Album machte ich wirklich eine Art Recherche durch Sounds und letztlich kam ich zu dieser Auswahl. Die Gestaltung der Klänge war sehr wichtig, ich liebe meine eigenen Sounds, wenn ich sie untereinander kombiniere.“

Und wie gestaltete sich der Prozess der Album-Produktion?
„Sehr unterbewusst, aber das überzeugt euch ja nicht wirklich. Die Idee ist sich selber einzusperren und nicht so viele Einflüsse zu bekommen in dieser Phase. Natürlich ist das in gewisser Weise unmöglich, wenn du dir die Technik- und Internetwelt anguckst, aber wenn man sich konzentriert, ist es möglich. Die meisten Tracks sind in kurzer Zeit fertig, sagen wie vier Stunden, aber danach machst du das Arrangement fertig und ein letztes Equalizing plus sanfte Komprimierungen.“

Du produzierst nicht nur Techno, sondern auch Dub, Ambient oder House. Ist es eine Frage der Stimmung was hinterher im Studio entsteht? 
„Ich weiß nicht, ich bin die Art Mensch, die nicht an eine Identität glaubt und meiner Arbeit irgendwelche Einschränkungen macht. Ich fühle, dass es mehr zu entdecken und auszudrücken gibt.
Vielleicht denken die Leute, dass es konzeptionell ist, aber wie du sagtest, es entsteht einfach. Wenn ich gelangweilt bin von dem Conforce-Zeug, dann mache ich ein Off-Beat Projekt oder starte ein Ambient-Set. Vielleicht ist das so, weil ich einige Beschränkungen habe bei meinem Conforce Projekt, wenn es um Atmosphäre und Sound-Details geht. Es ist einfach sehr intuitiv. Ich könnte alles unter einem Namen machen, aber ich denke, dass würde gegen einen arbeiten und ich will mehr Musik veröffentlichen, denn es macht so viel Spaß.
Manchmal können Einschränkungen gut sein, manchmal aber auch nicht. Es ist ein variabler Prozess. Es ist kein Schwarz-Weiß-Ding. Wenn die Tracks fertig sind, schaue ich was zusammen passt und was eine gute Kombination ergibt.“

Was bedeutet eigentlich „Conforce“?
„Es ist nur eine Kombination von Wörtern, die ich vor langer Zeit mal gemacht habe. Von ‚convince‘ und ‚force‘. Jemanden conforcen zu … was auch immer. Später fand ich heraus, dass es ein Wort im urbanen Wörterbuch war. Es klang technisch für mich. Aber es gibt eine Stahl- und Betonproduktion, die den gleichen Namen trägt. Wie Techno ist das. Meiner Meinung nach klingt er gut. Es ist nur ein Name.“

Es ist nicht deine erste Veröffentlichung auf Delsin. Was ist das Besondere an diesem Label?
„Dass der Künstler die Ausdrucksfreiheit hat, die er wirklich haben will. Es ist eine facettenreiche Plattenfirma, die nicht das große Geld als Ziel hat, sondern Musik. Als junger Mann mochte ich schon Delsin, wegen der post-detroit träumerischen Tracks. Es ist fünf Jahre her, als ich mein erstes Demo versendete, und seit diesem Moment habe ich Kontakt mit Marsel. Es ist nicht nur ein Label sondern auch eine Art Familie für mich.“

Welche Bedeutung hat Musik zu produzieren für dich im Gegensatz zum DJing?
„Du musst keine Kompromisse eingehen, wenn es ums produzieren geht. Du startest mit einer klaren Ideenliste und alles ist gut. Nichts ist schlecht. Du kannst alles machen. Es ist ein faszinierender Prozess, denn du kannst in jede Richtung gehen.
Beim DJing geht es mehr ums Entertainment und um eine Ego-Sache in gewisser Weise. Ich liebe es wirklich, denn du kannst diverse Musik spielen und natürlich auch Geschichten erzählen. Ich glaube eventuell tut man es so viel für die Leute, wie man es auch für sich selbst tut. Man muss hier auch kaum Kompromisse eingehen, aber ich finde einen Weg dazwischen. Ich könnte alle rein abstrakten Technoplatten die ganze Nacht spielen, aber ich denke nicht, dass das in den meisten Fällen funktioniert. Besonders in den Niederlanden. Man muss eine gute Balance finden. Es macht Spaß eine Party aufzubauen und  als Künstler willst du Reaktionen auf die Musik schließlich sehen.“

Du hast audiovisuelles Design studiert. Hast du Zeit dafür neben der Musik? Welche Einflüsse hat es auf deine Musik?
„Ich habe vor ein paar Jahren meinen Abschluss absolviert und mein Hauptsache liegt jetzt auf der Musik. Ich habe vor kurzem ein Promotion-Video für eine Kunstschule gemacht, aber dies ist wahrscheinlich vorerst das letzte Videoprojekt für mich. Musik ist nun eine tagesfüllende Angelegenheit und es entwickelt sich zu einer Lebensmittelpunkt.
Das Foto für Album und EP entstand in Japan. Das inspirierte mich ebenfalls und hat eine starke Verbindung zu dem Konzept aufgebaut. Das Thema „Escapism“ durchfuhr dort meine Gedanken besonders, da in einer Stadt wie Tokyo, die so belebt, überfüllt und 24/7 im Aufbau ist, die Menschen dazu bringt sich zurückzuziehen und von dem Ganzen zu flüchten. Ich könnte es mir nicht vorstellen in so einer übertechnischen Umgebung zu leben. Ich denke, die Leute werden kreativ wenn es dort zur Flucht kommt und sie brauchen einen Moment der Ruhe. Es ist faszinierend. Es ist überall so, aber die Rolle der Technik ist dort so groß geworden, dass es manchmal schwer ist das menschliche Element zu sehen. Glücklicherweise sind dort Clubs/DJs und Formen der Unterhaltung, die den Menschen helfen vor der Irreführung des Tages zu flüchten.“

www.soundcloud.com/conforce