Der Weg zum Arbeitsplatz. Heute: DJ – die Kolumne von Marc DePulse

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Marc DePulse – aus dem Leben eines DJs: Der Weg zum Arbeitsplatz

Freitag früh halb zehn, mitten in der Nacht. Beinahe verpennt. Jetzt aber schnell. Schlüppi einpacken, Taxi bestellen und ab geht die Post. Wutbürger Klaus sitzt am Lenkrad. Klaus nervt. Kein Trinkgeld.
Flughafen. Den Abo-Boy der Süddeutschen mit abfälliger Handbewegung abblitzen lassen: „Keine Zeit!“ – ein paar Meter weiter zur Weinverkostung angesprochen werden. Natürlich habe ich Zeit. Nach dem dritten Glas Riesling zum Terminal trödeln. Laufband blockieren. Rechts stehen, links gehen? Haha, gilt natürlich nicht für mich. Leckeres Tröpfchen übrigens, jetzt kommt´s auch im Schädel an.
Security-Check-in. So tun als würde man jeden Tag fliegen, dabei vergessen den Gürtel abzumachen. Kann Profis ja mal passieren. Sprengstoffkontrolle. Die gleichen Witze zum 50. Mal bringen. Den Beamten am Rand ein bombiges Wochenende wünschen. Duty Free aufsuchen, zehn verschiedene Parfüm-Düfte auftragen, keins davon kaufen aber an der Kasse über 3,15 EUR für die Flasche Wasser aufregen. Grundsatzdiskussion mit der Kassiererin führen, ob die 3,00 EUR nicht schon genug wären, warum man da den Pfand noch draufschlagen muss?
Lounge betreten. Sich fragen, warum man eigentlich Wasser gekauft hat. Buffet plündern. Kleines Bierchen, hallöchen. Mütterliche Stimme im Ohr hören: „Wein auf Bier, das rat´ ich dir, Bier auf Wein, das lass … ?“ Ach, egal.
Durchsage. Flug hat 20 Minuten Verspätung. Zitronengesicht aufsetzen. Massagestuhl entdecken, 2 EUR einwerfen. Die 15 Cent Pfand jetzt einfach mal vergessen machen. Vollkommene Entspannung empfinden. Nach zehn Minuten wie ein neuer Mensch fühlen. Angeheitert geht’s zum Boarding: „Einen angenehmen Flug und ein schönes Wochenende.“ Hach, kurzen Moment der Glückseligkeit verspüren und den Rimowa-Koffer im Jetway einfach mal loslassen. Ups, dem Vordermann in die Hacken gefahren. Sich kopfschüttelnd für den Koffer entschuldigen. Flieger betreten: „Herzlich Willkommen an Bord“. Tiefste Stimme aufsetzen und die hübsche Lufthansa-Mieze charmant mit „Hello M’am“ begrüßen. Ab sofort nur noch englisch reden, kommt cooler.

Sitzplatz einnehmen, Rückenlehne zurückstellen, Augen schließen, tief durchatmen. Was für ein Stress?! Handy raus, Meilenkonto checken. Freuen. Cooles Startbahn-Foto auf Facebook posten, sieht international aus, auch wenn´s nur ein 30-Minuten-Inlandsflug ist. Departure. Handy nicht in den Flugmodus gestellt. Leben am Limit. Vom Sitznachbarn einen Kaugummi angeboten bekommen. Soll das was heißen?
Bei der Ankunft über stressige Reise beklagen, schwere Turbulenzen erfinden, um etwaige Sonderwünsche zu rechtfertigen. Erst mal ins Hotel. Minibar plündern, Pflegeprodukte einkassieren. Wow, schöne Handtücher haben die hier. Freien Platz im Koffer prüfen.

Beim Dinner die lustigsten Geschichten der letzten 15 Jahre auspacken, immer mit dem Hang zur Drama-Queen. Zurück ins Hotel. Weckruf bei der hübschen Blonden an der Rezeption bestellen.
1 Uhr aufwachen. So ein Mist, fast verpennt. Weltschmerz empfinden. Duschen. Kein Bock auf nichts. Neidisch auf alle, die jetzt schlafen dürfen. Egal, nützt ja nix. Schlüppi, Taxi, Club.
Hinweis auf Fotoverbot wahrnehmen. Gilt nicht für mich. Crowd-Pic. Gedanklich schon das Facebook-Posting für morgen zurechtlegen – einfach mal der ganzen Welt für diese unfassbare Nacht danken, auch wenn man nur in Bitterfeld gespielt hat. Mit geschickter Wühltechnik den USB-Stick im zugemüllten Jute-Beutel ertasten, selbigen am Player circa 10 Mal hin und her drehen, bis er endlich passt. Dem Player einen gestenreichen Mittelfinger zeigen, „Scheiß Technik“ vor sich hin brabbeln und völlig unbeeindruckt in die Menge grüßen als wären die besten Buddys in der ersten Reihe.
Huch, wer hat denn meine zwei Bier jetzt so schnell geleert? Ach, ich. Von der Hektik hinter dem Pult einfach mal überhaupt nicht anstecken lassen. Lieber erst mal einen Schnaps bestellen. Volle Blase. Dafür jetzt richtig Bock. Wo sind eigentlich meine Kopfhörer? Dienstbeginn.

Nächstes Monat:
Der Weg nach Hause.

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www.marc-depulse.com 
Grafik: www.facebook.com/ZOVVstoff