Das nicht ganz so geheime Tagebuch des Douglas Greed (Episode IV)

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Das nicht so geheime Tagebuch des Douglas Greed: Wie es wirklich ist, ein Album zu machen

Da draußen sitzen Tausende von Produzenten in ihren Kellern, an ihren Maschinen, bei ihren lauwarmen Bieren. Sie raufen sich die Haare, bis die Geheimratsecken Glatzen sind, sie strapazieren ihre Beziehungen, bis die Freundin Ableton von der Festplatte löscht, und sie schicken Bässe durch die Wände, bis die Nachbarn zum Fenstersprung ansetzen.
Doch wenn sie gefragt werden, wie es war, ein Album zu machen, sagen alle immer „war nett … “ oder „hat Spaß gemacht …“ Keiner erzählt davon, wie es ist, wenn man mehrere Monate permanent unter Strom steht und die Nerven so kratzig sind wie Blondinen auf Crystal Meth. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Basis unseres Milieus der Spaß ist. Bei Gothic, Indie und Metal gehören der hängende Kopf und die in der Badewanne geöffnete Ader ja zum guten Ton. Doch wer will schon einen DJ flennen sehen? Gute Laune muss meistbietend versteigert werden!

Nichtsdestotrotz möchte ich, schon alleine wegen des therapeutischen Effektes, meine Erfahrung aus dem letzten Jahr teilen. Schließlich wissen die wenigsten wie es ist, wenn man sich den eigenen Track 1.000 Mal anhört, um dann beim 1.001. Mal zu realisieren, dass die Bassline doch nicht so breit ist wie Abiturienten auf der Klassenfahrt.
Es ist, als wäre man Testperson für ein Medikament, das als Nebenwirkung bipolare Störungen erzeugt. Man befindet sich in einem permanenten Schwanken zwischen Freude und Verzweiflung, Manie und Depression, Sport und Bier. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, bei dem jemand vergessen hat den Stöpsel zu ziehen, und nun hinterfragt man in einer lauwarmen Brühe aus Wasser und Eigenurin sitzend jeden Beat und jede Melodie.
In diesem Zustand extremster Angespanntheit reichen die kleinsten Impulse, um dich zusammenbrechen zu lassen. Beim Treppenlauf fange ich an zu heulen, weil die Nachbarin drei Stufen vor mir mit gleicher Geschwindigkeit läuft und unser synchronisierter Klang an den Track erinnert, mit dem ich gerade nicht vorwärts komme. Vor dem Kühlschrank kollabiere ich, weil der Schraubverschluss der Milchverpackung die gleiche Griffigkeit hat wie der LFO meines Synthesizers. Ich versuche, mich mit Listen zu motivieren – den Faden nicht zu verlieren. Nach einer Weile sieht es in meinem Studio aus wie bei einem Serienmörder. Tausende vergilbte Zettel verdecken Wände und Fenster. Zwischen ihnen spannen sich verblichene Wollfäden, die lustlos im Raum hängen wie Texaner nach der Hinrichtung.
Eine Liste Beats.
Eine Liste Tracknamen.
Eine Liste Easylistening.
Neben all dem Wahnsinn, all dem Ying und Yang der eigenen Verfassung, kommt hinzu, dass Freunde anfangen, Ratschläge zu geben. „Mehr Dancefloor … Mehr Pop … Meersalz!!!“ Natürlich weiß ich zu schätzen, dass sie mich an ihren Erfahrungen teilhaben lassen möchten. Doch schon früher glaubte ich meiner Mutter nicht, dass Bügeleisen nicht zum Spielen sind. Man muss seine Erfahrungen selbst machen, auch wenn sie Abdrücke im Gesicht des Bruders hinterlassen. So versuchte ich, mich so weit wie möglich abzukapseln und gegen Ratschläge resistent zu machen. Monate der Unrast, der Schlaflosigkeit und der ledrigen Augenringe begannen.
Um nicht vollkommen durchzudrehen, dokumentierte ich diese Zeit und schrieb einen monatlichen Bericht, den ihr in insgesamt vier Episoden lesen könnt. Unkorrigiert, ungekürzt und unkorrigiert.

OKTOBER 2013
Mittlerweile befinde ich mich in einem seltsamen Zustand der Verzweiflung. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal ausgeschlafen oder ohne Kopfhörer gefrühstückt habe. Freunde schicken die Polizei bei mir zu Hause vorbei, da sie häusliche Gewalt vermuten. Ich muss den besorgten Beamten erklären, dass dies keine blauen Augen sondern Augenringe sind. Nichtsdestotrotz nehmen sie mich zum Schutz vor mir selbst mit auf die Wache, wo ich in einem der ausliegenden Magazine lese, dass Menschen mit Problemen oder Existenzangst, kreativer sind als glückliche Menschen. Und so fasse ich den Entschluss mir selbst Probleme zu machen, Existenzangst zu erzeugen, in ein tiefes schwarzes Loch zu stürzen. Doch es ist unglücklicherweise gar nicht so einfach in ein schwarzes Loch zu fallen. Leider bin ich nicht Bugs Bunny und kann arglos ein Loch an die Wand malen und danach einfach einsteigen. So ziehe ich mich vollständig in mein Studio zurück, schreibe diffamierende Kommentare in die Profile von Freunden, „vergesse“ Geburtstage und versaue es mir mit so ziemlich jedem Menschen, den ich kenne. Doch soziale Isolation hat noch niemanden so richtig kreativ gemacht.
Nein! Nein! Nein! Man muss die 42,195 km der Strecke schon komplett laufen! Man muss es wagen, eine Distanz zu sich selbst, eine Ablehnung, ja … einen gewissen Ekel entwickeln zu können. Nach Jahren der Abstinenz fange ich schließlich wieder an Cola zu trinken und Fast Food zu essen. Ich bin ganz unten angekommen. Geächtet, isoliert und auf dem Weg zum Übergewicht. Der Einzige der noch mit mir redet bin ich – doch mehr als Vorwürfe kommen da auch nicht. Kämpfend bewege ich mich nun gen Ende des Produktionsprozesses von einem Arrangement ins nächste. Doch immerhin rollt es endlich und die Things To Do Liste schrumpft dahin, während mir die Hüfte vom Colazucker schwammig wird.

Nach allem kommt der Tag an dem ich denke, es geschafft zu haben.
Ich freue mich. Ganz allein.
Eine Dose Mandarinen in der Linken und ein Stück Konfetti in der Rechten.

NOVEMBER 2013
Nach all diesen anstrengenden Monaten erlaube ich mir einen kleinen Urlaub. Nichts Besonderes, nichts Aufregendes. Ein wenig Nebensaisonsonne für meinen Colakörper. Es ist zu kalt, um ins Wasser zu gehen, aber das ist egal. Schließlich macht mein orangefarbenes Plastikarmband das Bier kosten- und endlos. Dösen in der Herbstsonne. Nach dem Frühstück ein Efes. Eine Runde Joggen am Strand, das Bier in der Hand. Ich habe mir fest vorgenommen den Urlaub zum Entspannen zu nutzen. Mich herunterzufahren, die Seele locker baumeln zu lassen. Infolgedessen habe ich vor dem Antritt meines Ausflugs das Album von all meinen Geräten gelöscht. Ich möchte es in diesen bepalmten Tagen nicht hören. Nicht darüber nachdenken, es nicht einmal beim Namen erwähnen. Ich erkläre es zu meinem ganz persönlichen Lord Voldemort. Und so verbringe ich zufrieden einige vernebelte Tage im türkischen Herbstklima. Risikobereit verzichte ich auf Sonnencreme, schäle mir anschließend meine Haut in abstrakten Formen vom Leib und lese den Hotelangestellten daraus die Zukunft (Ein kleines Dankeschön dafür, dass sie mich stets diskret auf mein Zimmer trugen, wenn sie Efes und mich in der Hotelanlage herumliegend fanden).
Aber wie so oft im Leben hat diese Phase der Unbeschwertheit eine viel zu kurze Dauer, da ich auf dem USB-Stick, welcher freundlich an meinem Schlüsselbund klappert, dann doch, ungewollt und unverhofft, die Tracks meines Albums durch den türkischen Zoll hindurch und in meinen Urlaub hineinschmuggelte.
Ich habe keine Kopfhörer dabei und so bleibt mir nichts anderes übrig als mich zum Parasailing anzumelden. Von dem Boot aus, das den Fallschirm in die Luft schiebt, schreien seit Tagen die lokalen Dance-Charts über das Mittelmeer. Es hat also eine potente Soundanlage. Außer mir ist eine russische Hochzeitsgesellschaft auf dem kleinen Boot. Doch die Enge macht mir nichts aus. Die PA ist schön überdimensioniert und der Steuermann erlaubte mir mein Album Probe zu hören.
Gespannt lausche ich meinen Tracks, während die Gäste aus Novosibirsk einer nach dem anderen in den türkischen Mittelmeerhimmel hinaufsteigen und später holprig im Heck des Bootes niederkommen.
Sascha, ein sibirischer Handgranatensammler, nickte mir über seine Goldkette hinüber anerkennend zu.
Uns beiden gefällt das Album.

DEZEMBER 2013
Das Jahr ist vorbei.
Das Album ist fertig.
Mein Gemüt ist zerfasert und jahrelang aufgebaute Freundschaften sind dahin. Nachdem ich mich die letzten Monate zurückgezogen hatte und egoistisch Hihats, Hooks und Basslines vernaschte, gilt es nun alles daran zu setzen, das Leben neben der Musik wieder auf stabile Beine zu stellen und zu retten, was zu retten ist. Als Radikalkur beschließe ich die Festplatte meines Studiorechners komplett zu löschen, auf dem knapp 300 Skizzen liegen und mich in den nächsten Wochen ganz auf meine sozialen Kontakte zu konzentrieren. „Ach … dich gibt es auch noch?!?!“ ist das Motto dieser reumütigen Tage. Es wird mir zu Anfang eines jeden Telefonats, eines jeden Hausbesuchs kratzig ins Ohr gehustet. Ich bin demütig wie George Michael nach dem Toilettenbesuch. Die Verabredungen mit Freunden ersetzen die Tage im Studio. Ich backe diabetesfördernde „Es tut mir leid“-Kuchen und schaue lächelnd Kinderbilder an, während mir jeder der mittlerweile frisch gebackenen Väter erzählt, wie unfassbar weit sein Kind doch schon entwickelt ist. Wir müssen uns gar keine Sorgen um die Zukunft machen, scheinbar wächst da eine ganze Generation von Genies mit Doppelnamen heran.
Derweil habe ich Glück das die Weihnachtszeit und der mit ihr verwandte Glühwein, die Gemüter samtig macht und mir auf breiter Linie verziehen wird.
Und das ist auch dringend notwendig, fange ich doch bald an mit meinem Freund Mooryc an unserem „Eating Snow“ Album zu arbeiten.

Episode I: Januar–März 2013
Episode II: April–Juni 2013
Episode III: Juli–September 2013

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