Egbert – „Auflegen? Das kann ich gar nicht!“

 

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Die Geschichte rund um den niederländischen Künstler Egbert ist wahrlich besonders. Innerhalb kürzester Zeit wurde er, nicht zuletzt dank Secret Cinema und Sven Väth, zu einem der gefragtesten Techno-Acts seiner Nation. Schon lange vor dem ersten Release hat er eine Masse an Tracks produziert. Auch ist er einer der wenigen Künstler, die sich von Anfang an der Live-Performance verschrieben haben. Während unseres Interviews zeigt er sich locker, entspannt, ausgeruht und erklärt, wie es dazu kam und auch, warum er nie DJ werden wollte.

Egbert, deine Biografie beschreibt dich als „gewöhnlichen Jungen“. Bist du denn so gewöhnlich?

Das ist lustig, denn eigentlich war ich nie ein gewöhnlicher Junge. Als ich noch zur Schule ging, gab es ja immer diese Zeremonien. Alle haben sich dann festlich gekleidet – außer mir. Ich habe noch Fotos, wo alle in Anzügen und Abendkleidern standen, ich nicht. Aber wenn ich mich mit anderen Künstlern vergleiche, würde ich mich schon als sehr gewöhnlich bezeichnen, ja.

Oder eher bodenständig?

Auch. Ich gehöre nicht zu diesen polierten Typen. Ich bin ein sehr kontaktfreudiger Mensch und für mich steht kein Mensch über dem anderen. Natürlich bin ich bei manchen Partys bekannt, aber ich mag auch diesen Kontrast. Wenn ich auf einer Party spiele, bin ich der Typ, den jeder kennt. Das fühlt sich für ein paar Stunden cool an und ist etwas Besonderes. Aber wenn ich in den Supermarkt gehe, kennt mich kein Mensch.

Wann hattest du die erste Begegnung mit der Clubszene und wie bist du da reingerutscht?

Ich glaube, da war ich 15. Die Party endete zwar um Mitternacht, aber für mich fühlte es sich an, als ob ich die ganze Nacht unterwegs gewesen wäre. Mit 18 habe ich dann angefangen, auf „normale“ Partys zu gehen. Allerdings wusste ich da noch nicht, was Techno überhaupt ist. Aber wenn ich etwas aus dem elektronischen Bereich hörte, fühlte ich mich sofort angezogen. Erst ein Freund brachte mich ungewollt darauf. Er hatte eine Maxi-CD von Mauro Picottos „Komodo“, die ich total super fand. Eigentlich ist das gar kein Techno, aber dann kam Picottos Album und 90 % davon war richtig guter Techno. Die CD habe ich rauf und runter gehört und mich auch damit beschäftigt, wie diese Tracks zusammengesetzt worden sind.

War das auch der Moment, in dem du wusstest, dass du auch Techno produzieren willst? Denn produziert hast du ja davor schon, richtig?

Ich habe lange davor angefangen, das ist richtig. Mit acht Jahren habe ich meine ersten Tracks gebaut. Das waren zwar nur Melodien, die ich zusammengesetzt habe, aber das Coole ist, dass ich diese ganzen Tracks von damals immer noch besitze.

Was haben denn deine Eltern davon gehalten, dass ihr Achtjähriger schon vor dem Computer sitzt? Das war damals ja noch nicht gang und gäbe.

Ich glaube, die wussten das gar nicht, da ich meinen eigenen Computer hatte. Das war damals tatsächlich eine Seltenheit. Meine Eltern gehörten sicher zu den Ersten, die sich einen Computer geleistet haben, und als sie sich einen neuen gekauft haben, bekam ich den alten. Mein Neffe hatte da dann auch schon einen und so ein cooles Programm, das selbstgeschriebene Codes in Musik verwandelte. Irgendwann bekam ich davon auch eine Diskette und so habe ich dann sechs Jahre lang Musik gemacht.

Wie fühlt sich das an, wenn du deine alten Tracks heute anhörst?

Das ist komisch zu beschreiben, aber es hört sich sehr nach mir selbst an. Damals wurde ich kaum beeinflusst von äußeren Faktoren. Wenn ich heute etwas produziere, denke ich automatisch darüber nach, wie es sich wohl im Club anhört. Mein Zeug von damals ist quasi die reinste Form meiner Musik.

Hattest du mal die Idee, diese alten Sounds in einen neuen Kontext zu setzen und zu veröffentlichen?

Das probiere ich tatsächlich gerade. Es ist ein bisschen schwierig, da sich alles in Codes abspielt und die Samples auch eine extrem schlechte Qualität haben. Aber ich habe da einen Weg gefunden, die MIDI-Spuren zu exportieren.

Es ist ja bekannt, dass Secret Cinema dich entdeckt hat. Wie kam es dazu?

Er hat mir damals eine Nachricht bei MySpace geschickt und geschrieben, ich solle zu seiner Party kommen, er würde meinen Track spielen. Das war verrückt. Zu der Zeit habe ich meine Tracks immer nur über meine Kopfhörer gehört und plötzlich etwas von dir über ein vernünftiges Soundsystem zu hören und knapp 2000 Menschen dazu tanzen zu sehen, war überwältigend! Dann haben wir meinen ersten Track auf Michel De Heys Label releast und kurze Zeit später sehe ich rein zufällig auf YouTube, wie Sven Väth ebendiesen Song spielt.

Und dein drittes Release war dann bereits auf Cocoon …

Ja, das war genauso verrückt! Weißt du, ich habe so lange produziert und an meinen eigenen Tracks gebastelt, aber ich habe nie etwas mit ihnen gemacht. Diese knapp 500 Tracks lagen einfach auf meiner Festplatte herum.

Was hättest du gemacht, wenn du niemals entdeckt worden wärst? Hast du darüber mal nachgedacht?

Ich habe Grafikdesign studiert, daher denke ich mal, dass ich Grafikdesigner geworden wäre. Aber selbst dann hätte ich nicht aufgehört, meinem Hobby, dem Produzieren, nachzugehen. Ich muss in diesem Zusammenhang auch zugeben, dass ich niemals gedacht hätte, dass ich mehr als nur ein One-Hit-Wonder werde.

Deine Karriere zeichnet sich generell durch einige Besonderheiten aus. Du spielst ausschließlich live und ebenso ausschließlich eigenproduzierte Tracks. Du spielst teilweise auch Live-Sets von sechs Stunden. Kam da nie die Angst, es könnte für die Gäste langweilig werden, sechs Stunden lang nur die Songs eines einzigen Künstlers zu hören? Die meisten Live-Sets überschreiten ja selten die Marke von zwei Stunden.

Interessante Frage. Klar, das könnte man meinen, da man ja immer in seiner eigenen Denkart feststeckt. Ich glaube, mein Vorteil ist, dass ich diese gewaltige Sammlung an selbst produzierten Tracks habe, die mir in den letzten 20 Jahren in den Sinn kamen. Und in diesen Jahren hatte ich natürlich auch ganz verschiedene Ideen, die ich immer wieder remastern kann. Ich glaube, das ist auch der einzige Weg. Wenn jemand erst vor Kurzem angefangen hat, zu produzieren, nutzt er wahrscheinlich auch immer dieselben Tricks und ich glaube, das könnte bei so einem Konzept dann tatsächlich langweilig werden.

Viele deiner Tracks sind um die 128 bpm angesiedelt, was dem Argument ein wenig in die Hände spielt.

Ja, das stimmt schon. Aber du musst auch wissen, dass viele Tracks, die ich gemacht habe, die jedoch nie als EP erschienen sind, langsamer sind. Von daher ist die Abwechslung gegeben. Jedoch produziere ich nie langsamer als 122 bpm. Ich weiß nicht, 128 fühlt sich für mich einfach gut an. Wenn ich einen Track auf 127 spiele, merke ich das sofort und denke mir: Den muss ich jetzt noch mal um einen bpm nach oben pitchen.

 

Da du selbst von dir behauptest, du hättest nie Tracks anderer Artists aufgelegt, erlaube ich mir die Frage: Kannst du überhaupt auflegen?

(lacht) Das kann ich dir ganz klar mit Nein beantworten! Ich weiß überhaupt nicht, wie man auflegt, und ich habe es auch nie getan. Es gibt auch eine witzige Geschichte dazu: In meiner Heimatstadt musste ich einmal eine Rede halten und dann war da ein weißes Tuch über einen großen Tisch gespannt. Als ich fertig mit meiner Rede war, wurde das Tuch weggezogen und es stand ein DJ-Set mit CDJs und Mixer bereit. Ich stand wie ein begossener Pudel da und hatte keinen blassen Schimmer, was ich damit anfangen sollte …

Hast du denn nie darüber nachgedacht, es zu lernen?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich habe mich mal mit ein paar Schallplatten an das Beatmatchen herangetastet, aber das war es auch. Ich bin ein Computer-Nerd, ich produziere einfach zu gerne und das ist wirklich meine Welt.

Was mich wundert, ist, dass du bisher nur ein Album veröffentlicht hast. Das, was du bisher von dir gibst, klingt, als könntest du praktisch jeden Monat ein Album herausbringen.

Ich könnte das tatsächlich. Aber es ist immer schwer zu sagen, dass ein Track fertig ist. Wenn ich eine EP mache und eine Deadline bekomme, dann gebe ich den Track zu dem Zeitpunkt ab. Aber bei einem eigenen Album versuche ich stets, das hinauszuzögern, und sehe die Tracks immer als unfertig an. Auch bei „Warm“ ist es noch so, dass ich ständig darüber nachdenke, wie die Tracks noch besser hätten sein können.

Du bist mit dir selbst ganz schön kritisch, kann das sein?

Ja, auf jeden Fall! Aber ich denke, das gehört auch dazu. Ich mag auch Kritik von anderen und kann damit umgehen, denke aber immer darüber nach. Ich muss auch ehrlich sagen, selbst wenn z. B. bei Facebook Kritik kommt, nehme ich mir die sehr zu Herzen. Selbst wenn hundert positive Kommentare kommen und nur einer etwas online kritisiert, bleibt mir diese eine Kritik mehr im Kopf als das positive Feedback.

Würdest du generell sagen, dass die sozialen Netzwerke ein wichtiges Tool für Musiker geworden sind?

Oh ja, ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass sie 80 % deiner Karriere ausmachen. Wenn ich etwas online schreibe oder ein Foto von mir poste, dann liest und sieht das eine große Anzahl von Menschen. Wenn ich Musik online stelle, interessiert das keinen. Das ist manchmal echt frustrierend, aber ich glaube, das Problem hat gerade jeder Künstler.

Lass uns noch mal zum Ausgangsthema zurückkehren. Wenn du deinen jetzigen Lebensstil analysierst, was schätzt du am meisten an ihm?

Ich fühle mich frei und das ist etwas, was ich täglich wertschätze! Schon in der Schule habe ich mich in diesem strukturierten System nicht wohlgefühlt. Jetzt kann ich praktisch machen, was ich will.

Ist es schwierig, sich nicht in dieser Freiheit zu verlieren und sich selbst zu motivieren?

Wenn ich für eine Zeit aufhöre, Musik zu machen, dann ist es das tatsächlich. Man darf einfach nicht aufhören. Selbst wenn ich nicht so motiviert bin, zwinge ich mich, zumindest eine Stunde ins Studio zu gehen. Meist komme ich dann nach mehreren Stunden wieder heraus.

Was darf man von dir in Zukunft erwarten?

Es wird ein neues Release mit Secret Cinema auf Drumcode geben. Außerdem möchte ich meine Musik etwas in zwei Richtungen lenken. Einmal soll es melodischer werden und die andere Seite soll den straighten Stil bewahren. Ob ich ein neues Album mache, weiß ich noch nicht. Wenn ja, dann wird es allerdings sehr experimentell, denke ich, da ich gerade viele Tracks mache, die keine Kick besitzen und richtig tief gehen. Ein bisschen wie Klaus Schulze. Wäre interessant, zu sehen, was die Leute darüber denken. Mal schauen, ob ich es umsetze.

Aus dem FAZEmag 060/02.2017

Text: Janosch Gebauer
Foto: Milan Goldbach
www.egbertlive.nl