Events trotz Corona-Krise? Wiener Start-up will mit Testkit Kulturbranche retten

Eigentlich führen wir mit Hennes Weiß (im Bild rechts) alljährlich einen Talk über sein bevorstehendes Lighthouse Festival in Kroatien. Doch diesmal hat der renommierte Event-Veranstalter aus Wien ein anderes Gesprächsthema auf Lager. Der 43-Jährige steht kurz davor, die Event- und Kulturbranche wieder zum Leben zu erwecken. Zusammen mit Partner Veit-Ander Aichbichler gründete er im Sommer letzten Jahres das Start-up „testFRWD“. In Kooperation mit unter anderem Österreichs führendem Virologen Prof. Dr. Steininger von der Medizinischen Universität Wien bietet Hennes mit seinem Partner Veit-Ander einen Gurgeltest an, der die Eintrittskarte für Festivals und Clubs ist – negatives Testergebnis vorausgesetzt natürlich. Das absolute Pro des Tests: Er ist schmerzfrei, man kann ihn selbst zuhause durchführen, es bedarf keines Personals und keiner Teststraße. Das Interesse ist riesig: Vereine aus der Bundesliga (u. a. FC Bayern München und der 1. FC Köln) sowie große internationale Event- und Konzertagenturen haben bereits an die Tür geklopft. Wie es zur „Reinkarnation“ der gesamten Branche kommen könnte, lest ihr im Interview.

Hennes, schön dass wir telefonieren. Lass uns doch direkt in die Vollen gehen. Wie kam es zu eurem Start-up?
Ich hatte im ersten Lockdown den Grundgedanken „Wie kann ich mein Lighthouse Festival im Mai retten?“. Das war kurz nach dem ausverkauften Lighthouse Festival in Südafrika, im März 2020. Von 100 auf 0: alles zu. Somit hatte ich den Ansporn, rauszufinden, wie man die Kulturbranche wieder öffnen könnte. Ohne damals zu wissen, dass es so schlimm und lange werden wird, war ich wohl einer der ersten weltweit, der diesem Gedanken nachging und trat in Kontakt mit besagtem Prof. Dr. Steiniger von der Med-Uni Wien. Er war der Kopf einer Gurgeltest-Entwicklung, die mittlerweile in Österreich zugelassen ist und z. B. laufend bei Schultestungen angwandt wird. Wir haben eng zusammengearbeitet, sind mittlerweile international aktiv und stehen kurz vor den Roll-out in Deutschland, Spanien, Portugal und Ägypten. Gleichzeitig stehen wir bereits in Kontakt mit großen Playern aus der Sportindustrie, Kultur- und Musikszene sowie mehreren Airlines.


Wo steht ihr diesbezüglich in Österreich?
Erst kürzlich, am 14.01.2021 wurde nicht zuletzt auch aufgrund unseres politischen Lobbyings eine neue Gesetzesnovelle im Parlament verabschiedet, die sogenannte „Eintrittstest“ definiert und verankert. Da sind wir (Österreich) euch (Deutschland) einen Schritt voraus. Das ermöglicht es uns nun rechtlich, sogenannte Safe-Space-Events (jeder ist getested) schrittweise zu ermöglichen, sogar mit höherer Kapazität, bis hin zu ohne Masken und Abstand, angelehnt natürlich immer an die Ampelfarbe bzw. den Pandemie-Status. Wir bewerten das als riesen Durchbruch in die richtige Richtung und Österreich ist diesbezüglich neben Spanien (wo es erst kürzlich ein ähnliches Pilotprojekt gab) das erste Land, welches Bereitschaft zeigt, unter sicheren Rahmenbedingungen diverse Lockdownregeln auszuhebeln bzw. früher zu öffnen. Mit diesem Ansatz haben wir die volle Aufmerksamkeit der Medien, Politiker und Wissenschaftler bekommen und starten jetzt den selben politischen Prozess in Deutschland.

Kannst du den Test kurz erklären?
Du bestellst dir für das Event XYZ beim Online-Ticketprovider deine Eintrittskarte, plus das Testkit. Das Kit kommt drei bis fünf Tage vor der Veranstaltung per Post (oder Selbstabholung) zu dir. Du öffnest das Paket, scannst den QR-Code und lädst dir die App runter. Weiter gibst du in der App deine persönlichen Daten zur Personen-Identifikation an. Danach stellst du das Handy in eine spezielle Halterung im Packaging, die im Kit enthalten ist. Die App fotografiert dich mit deinem Ausweis, danach startest du in der App die Kamera und dann geht’s los. Es startet eine 60-sekündige Timeline, die dich live filmt, während du die beiliegende Mundspülung – sprich den Gurgeltest – machst. Anschließend spuckst du die völlig ungefährliche Salzlösung in das beigefügte Tube, versiegelst es und schickst es zum vordefinierten Testlabor (Hin- & Rückversand im Preis inklusive). Eine Künstliche-Intelligenz-Software (dieselbe, die übrigens von der Deutschen Polizei bei Grenzkontrollen benutzt wird) kontrolliert das Bild und Namen vom Ausweis bzw. Video und erkennt, ob du den Prozess richtig gemacht hast. Das klingt jetzt alles kompliziert, in Wirklichkeit dauert der ganze Prozess nicht länger als drei Minuten und kann easy zu Hause oder wo auch immer gemacht werden. Im Video ist es genau erklärt:

 

Und wann bekomme ich mein Ergebnis?
Der ganze Prozess ist so optimiert, dass du innerhalb von zwölf bis 24 Stunden dein Ergebnis auf die App bekommst. Wenn du negativ bist, bekommst du einen QR-Code, welcher gleichzeitig deine Eintrittskarte für das Event ist. Bist du positiv, gibt der Veranstalter dir das Geld für das Ticket zurück und es geht eine Meldung an die Gesundheitsbehörde bzw. je nach Vorgabe musst du in die Quarantäne. Alle Daten sind anonym (auch gegenüber des Veranstalters, der die Ticketkontrolle macht) und werden nach 14 Tagen gelöscht.

 

Gibt es denn genügend Labore, die das so schnell testen können?
Ja, wir greifen dabei auf Partnerlabore in ganz Deutschland verteilt zu. Angenommen du willst auf ein großes Festival gehen, zu dem 30.000 Leute erwartet werden. Egal wo du wohnst, du schickst den Test ab oder orderst dir ein UPS Pick-up über unsere App. Dieser geht automatisch in das nächstgelegene Labor. Unsere Partner-Labore sind alle untereinander digital miteinander vernetzt. Da wir anhand der Partner-Events genau wissen, wann und wo wir die Kapazität benötigen, können wir diese entsprechend vorreservieren. Durch den Ticketkauf und die Angabe der persönlichen Adresse wissen wir sofort, welches nächste Labor mit welcher Tageskapazität kurz vor dem Festival zur Verfügung steht. Durch die großen Mengen können wir ganz anders verhandeln.

Und welchen Preis zahlt im Endeffekt der Festivalbesucher?
Wir liegen durch diesen Scale-up-Prozess derzeit in Absprache mit unseren Partnern sowohl in Österreich als auch in Deutschland bei ca 25 bis 30 Euro pro PCR-Test, inkl. Testkit, App und Laborergebnis. Im Vergleich: Am Flughafen kostet er aktuell 80 bis 120 Euro. Ein Kostensplit kann zusätzlich individuell aufgesetzt werden: Wir streben eine Drittel-Aufteilung mit Veranstalter, Förderung von Seiten Bund/Land/Stadt sowie ein Drittel Selbstkostenbeitrag an. Das heißt: Ein hochwertiger PCR-Test würde den Gast dann nur ca. zehn bis 15 Euro kosten, und man bekommt Zutritt auf die gelisteten Partnerevents für drei bis vier Tage.

Warum so viele Tage bzw. ist auch dieser Test doch nur eine Momentaufnahme, richtig?
Richtig, allerdings ist PCR der anerkannte Goldstandard, und wir verwenden somit die sicherste Lösung auf dem derzeitigen Markt mit einer 99-prozentigen Accuracy/Sensitivity. Im Vergleich dazu gibt es noch die Schnelltests, die zwar billiger sind und schneller gehen, brauchen aber viel Personal vor Ort. Und am Ende ist jedes vierte Ergebnis falsch (false negative / false positive). Heißt: Wenn du jetzt gurgelst, kannst du dich eine Minute später natürlich anstecken. Doch jetzt kommt die Fünf-Tages-Inkubationszeit ins Spiel. Bedeutet: Ab der Sekunde, in der du dich angesteckt hast, braucht das Virus durchschnittlich 5,1 Tage, bis es in deinem Körper ausbrichst bzw. bis du für andere Menschen infektiös bist. Somit ergibt sich ein Non-Infectious-Window – ein Zeitfenster, in dem du niemanden anstecken bzw. somit Events besuchen kannst. Wir beziehen uns dabei übrigens auf dieselbe Zeit, für welche sich alle Regierungen dieser Welt für Grenzüberschreitungen (PCR-Test darf nicht älter als 72 Stunden sein) geeinigt haben. Es ist wissenschaftlich und statistisch erwiesen, dass es sicherer ist, wenn du als negativ getestete Person auf ein Event gehst, als mit Maske einkaufen. Da stellt sich einem doch die Frage: Warum darf ich in den Supermarkt, aber nicht auf ein Safe Space-Event?

Noch mal kurz zurück zur Förderung durch die Regierung, warum sollte sie da mitmachen?
Es geht um das frühere, schnellere Hochfahren der Branchen Kultur und Nachtgastronomie / Clubs unter sicheren – gemeinsam mit der Gesundheitsbehörde vordefinierten – Rahmenbedingungen. Immer angepasst natürlich an die Pandemiesituation. Das wiederum reaktiviert Jobs und bringt erheblich frühere Steuereinnahmen aus Gastronomie, Eintritte, Dienstleister etc.

Und ab wann könnte das Ganze so richtig spruchreif sein?
Ab jetzt! Da wir uns aber noch im Lockdown befinden, wird es schätzungsweise März / April sein, bis wir realistischerweise mit unseren Tests für kleine Events starten können.

Hennes Weiß

Bist du diesbezüglich in Deutschland schon an große Event-Agenturen herangetreten, um die Tests zu promoten und bekannt zu machen?
Klar, wir sind diesbezüglich schon mit vielen aus der Szene, aber auch großen Festival-Promotern in Kontakt, wobei die erste Nachfrage aus dem Sportsegment kam. Unser Bestreben ist es aber, uns nicht nur in Österreich und Deutschland zu positionieren, sondern weltweit. So sind wir in Spanien beispielsweise schon zwei Schritte weiter und haben uns dort auch als Ziel gesetzt, z. B. die Ibiza-Saison 2021 zu supporten. Mit dem Ushuaïa zum Beispiel sind wir sogar schon seit Herbst letzten Jahres in Kontakt, ob und in welcher Form unser Tool dafür benötigt wird, werden wir spätestens im April wissen. Das politische Lobbying läuft auf jeden Fall auch dort auf Hochtouren.

Da du selbst Festival-Veranstalter bist, wirst du sicher auf das Lighthouse Festival den Fokus gelegt haben.
Absolut. Wie letzte Woche veröffentlicht, planen wir mit unserem eigenen Lighthouse Festival Ende Mai in Kroatien das erste Festival weltweit – als Role Model sozusagen – zu sein, welches in dieser Größenordnung durch den beschriebenen Prozess eine Safety Bubble schafft. Das Feedback bis jetzt war sensationell, sofern aktuell niemand gerade daran glaubt, dass die Umsetzung eines Festivals im Sommer 2021 ansonsten möglich wäre. So geben wir uns selbst die notwendige Planungssicherheit und unseren Gästen den Schutz für ihre Gesundheit. Ohne Test-Lösungen sehe ich in diesem Sommer für Festivals kau eine Chance. Wie weit die Impfung wann greift, bleibt abzuwarten, erwarte ich leider frühestens ab Herbst / Winter.

Wird der Test bereits aktiv angewendet?
Wir haben mit dem Test das CE-Zertifikat und somit die sofortige Erlaubnis, in der EU zu vertreiben. Der Gurgelprozess an sich wird von der WHO empfohlen. Du kannst ihn über unseren Hersteller in nahezu jedem österreichischem Drogeriemarkt kaufen. Zudem sind wir in Gesprächen mit der Stadt Wien (Umsetzung einer Safe Space Kulturwoche), der berühmten Wiener Staatsoper, der Fußballbundes- und Eishockeyliga, und sogar das Innenministerium hat bereits Kits bestellt. In Deutschland launchen wir gemeinsam mit einem starken Partner in ca. vier bis fünf Wochen – zum gleichen Preisniveau wie in Österreich – und planen zusätzlich einen „Fast Track“ Service in Berlin, München und Hamburg per Fahrradboten, um die Turn-Around-Time zu verkürzen. Dieses Modell ist vor allem für das Hochfahren der Clubs im Sommer spannend. In Bezug auf Events liegt der Ball noch bei der Politik bzw. eurem Herrn Spahn. Ich bin aber sehr optimistisch, dass bald ein ähnlicher Gesetzesentwurf wie unsere „Eintrittstest“-Erlaubnis in Österreich auch zu euch kommt. Viele weiterführende Infos und Erklärungen findet ihr auch auf unserer Website www.testfrwd.me.