Indoor Life – immer noch elektrisierend

Die frühen 80er-Jahre in New York – das war eine in vielerlei Hinsicht aufregende Zeit. Die Musik-, Literatur- und Kunstszene der Stadt brodelte gewaltig, besonders im Underground. Sie brachte immer neue spannende Künstler und verblüffende Werke hervor. Es herrschte eine äußerst inspirierte Stimmung, nicht nur im Nachtleben. Mittendrin in all dem Trubel tummelte sich auch Indoor Life, die Band um Sänger Jorge Socarras. Von der Westküste hatte es die Musiker ziemlich schnell nach Gründung in den Big Apple gezogen. Dort sorgten sie bald gehörig für Begeisterung auf den Bühnen der Clubs. Die Musik von Indoor Life darf man sich als eine hypnotische wie innovative Mischung aus Zutaten von New Wave, Disco und Post-Punk vorstellen. Klänge, die live on stage wie auch von Platte sofort mitrissen. Schon anno 1980 kam die erste EP heraus. Als Produzenten dafür hatte die Gruppe den großen, leider viel zu früh gestorbenen Patrick Cowley gewinnen können. Im gleichen Jahr lobte auch schon Andy Warhols
Interview Magazin in den höchsten Tönen: „Indoor Life is one of the few modern practitioners of beautiful music.“ In den Folgejahren erschienen bis zum Ende der Band weitere Singles und zwei Alben. Auch in Deutschland war man auf Indoor Life durch deren Europatour und natürlich die Releases aufmerksam geworden. Michael Reinboth und Thomas Elsner etwa, die von 1980 bis 1985 in ihrer Heimatstadt Hannover das Elaste Magazin herausgaben und darin schon die erste Platte der Band besprochen hatten. Reinboth faszinierte am Indoor Life-Sound besonders „die repetitiven Momente, der Loop-Aspekt“, wie er es in den Linernotes zur am 15.02. über Compost Records und Elaste Records erstmals veröffentlichten kompletten Zusammenstellung aller Stücke von Indoor Life erzählt. Der Katalog wurde dafür „digitalisiert, komplett re-mastered und von alten Bändern oder auch von rarem Vinyl restauriert“. Komplettiert wird die Doppel-CD von zwei Bonustracks sowie Remixen von Discodromo, Softrocks, Mathias Schaffhäuser, Quaid und weiteren. Ein beiliegendes Poster, das – wie auch das Coverartwork – von Thomas Elsner designt wurde, enthält erwähnte ausführliche Linernotes. Neben Reinboth kommen hier weitere Experten und Weggefährten der Band zu Wort – von Bruce Geduldig, Jon Hassel und Mike Thorne bis zu Thomas Meinecke und Finn Johannsen. Wir blicken mit Sänger Jorge Socarras ein wenig
auf die Indoor Life Geschichte zurück:

Wann und wo habt ihr euch zum ersten Mal getroffen? Was war der Hauptgrund für die Gründung von Indoor Life?
Jorge Socarras: 1979 traf ich den Bassisten Bob Hoffnar in San Francisco. Er wollte zusammen mit einer Reihe anderer Musiker eine Band starten. Ich schloss mich ihnen dann als Sänger an. Joe Sabella war unser Drummer, und das vierte Mitglied war ein Gitarrist. Diese Gruppierung blieb aber noch nicht die endgültige Indoor Life-Besetzung, wir waren mit dem konventionellen Sound einer Gitarrenband unzufrieden. Und so gingen der Gitarrist und wir schon bald wieder getrennte Wege. Joe brachte dafür J.A. Deane aka Dino mit in die Band. Der spiele eine elektronische Posaune sowie Keyboard und erzeugte damit fabelhafte Klänge – wie ein Elefant vom Mars. Wir wussten sofort: Das war unser Sound, mit dem wir eine andere Art von Musik aufbauen konnten. Und so wurde 1980 Indoor Life geboren.

Anfang der 80er-Jahre seid ihr in der New Yorker Szene musikalisch aktiv gewesen. Wie können wir uns jene, sicherlich spannende Zeit vorstellen?
Wir sind 1980 nach New York gezogen, als dort gerade die neue Underground Music und Clubszene explodierte. Unseren Debütgig spielten wir im Danceteria, und von da an traten wir in nahezu jeder Location auf: Mudd Club, Hurrah, CBGB, Rock Lounge, Webster Hall und so weiter. Es herrschte ein aufregender Zeitgeist in der Stadt. Und in der Szene gab es viele kreative Pioniere – nicht nur bei der Musik, sondern auch in allen anderen Künsten. Für dieses Avantgarde-Publikum war unser Sound perfekt.

Welche Personen oder Orte haben euch in New York am meisten inspiriert?
Wir waren damals in der glücklichen Situation, mit Künstlern wie Jon Hassell, Philip Glass, Suicide und Diamanda Galas zu performen. Und jene Künstler, die zu unseren Konzerten kamen, waren ebenso inspirierend: Brian Eno, David Bowie, David Byrne, Robert Fripp. Die Clubs bildeten das Zentrum von NewYorks kreativer Szene, und jeder nahm daran teil.

Inwieweit wart ihr denn mit der berühmten New Yorker Kunstszene verbunden oder in kunstbezogene Projekte involviert?
Wir haben mit den Videokünstlern Nam June Pail und Joan Downey zusammengearbeitet, Musik für das New York City Contemporary Ballet produziert,
inklusive des ersten New-Wave-Ballets, das bei MTV auf Sendung ging. Dino schrieb zudem Musik für den Dramatiker Sam Shepard, und ich trat im Avantgarde
Theater unter der Regie von Peter Reed auf.

Was hat rückblickend Indoor Life so besonders für diese Zeit und darüber hinaus gemacht?
Besonders auffällig an unserer Musik war, dass sie experimentell und expressionistisch und mit einer leidenschaftlichen Romantik verknüpft war. Sie konnte nicht so einfach eingeordnet werden, da sie abseits der Konventionen vieler New Wave und Post-Punk-Bands stand. Dadurch ist die Musik nicht veraltet – wie vieles aus den Genres, die man eher kategorisieren konnte – und klingt heute vielleicht noch genauso abenteuerlich oder noch abenteuerlicher als damals.

Gab es einen Moment in eurer Karriere, den du von heute aus betrachtet als besonders oder sogar wegweisend bezeichnen würdest?
Wie schon eingangs erwähnt, war sicherlich Dinos Eintritt in die Band
musikalisch bahnbrechend für uns. Für mich selbst war es die Tatsache, einige meiner Helden wie Brian Eno im Publikum unserer Konzerte zu sehen, sehr besonders, denn das waren die Innovatoren, die den meisten Einfluss auf mich hatten, und nun hatten wir die Chance, ihnen hoffentlich etwas Neues zu präsentieren.

Wie war denn eigentlich eure Arbeitsteilung im Studio?
Wir gaben uns da sehr demokratisch. Jeder steuerte Ideen bei. Aber
dennoch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde das Schreiben der Lyrics mir als Sänger überlassen. Als wir uns dann weiterentwickelten schrieben Dino und ich einen guten Teil der Songs zusammen.

Welches Konzert, welcher Song oder welche Studiosession empfindest du im Nachhinein als besonders prägend?
Für mich war es eine langgehegter Wunsch, mit dem Produzenten Mike Thorne zu arbeiten. Ich schätze seine Arbeit für so viele sagenhafte Gruppen sehr. Er gab unseren Stücken eine epische, nahezu cinematische Größe. So hatte ich mir unseren Sound immer schon vorgestellt.

Eure erste EP wurde vom legendären Patrick Cowley produziert,
wie äußerte sich sein Einfluss auf die Platte konkret?

Patricks größte Einflussnahme auf unseren Sound bestand darin, dass er uns half, die verschiedenen musikalischen Teile und Dynamiken zu gliedern, so dass sie bei der Aufnahme viel klarer klangen. Wir neigten ja dazu, die Klänge zu verwaschen, die atmosphärisch dicht waren. Ohne Patricks Produktion hätten die Songs so nicht auf Vinyl erscheinen können.

Warum habt ihr die Band dann irgendwann aufgelöst?
Wir hatten uns, als es mit Indoor Life losging, darauf verständigt, mindestens sieben Jahre zusammen zu bleiben. Das war die Zeitspanne, die wir glaubten, dafür zu brauchen, um unsere Karriere aufzubauen. 1987 waren dann alle von uns von der sich verändernden Musikszene und dem Druck „kommerzieller“ sein zu müssen“ entmutigt. Wir sahen uns bereit dafür, weiterzuziehen.


Welche Projekte betreibt ihr heute?

Dino (J.A. Deane), Bob Hoffnar und Joe Sabella machen heute immer noch Musik und arbeiten mit anderen zusammen. Ich selbst bilde mit Mathias Schaffhäuser das Duo Fanatico, unser erstes Album ist auf Yellow Tail veröffentlicht worden. Ebenso kam kürzlich mein erster Roman „The Immortal’s Last Breath“ in den Handel. Die „Indoor Life“- Compilation auf Compost ist nun für alle von uns ein – nach mehr als 25 Jahren – wahr gewordener Traum.

www.compost-records.com