Es gibt unzählige Labels für elektronische Musik, die im weltweiten Musikgeschäft wie Pilze aus dem Boden schießen und genauso schnell wieder verschwinden, wenn sie abgeerntet sind oder das Geld der Macher aufgebraucht ist. Denn nur die Wenigsten schaffen es, mit ihrem Label Geld zu verdienen; und so viel Geld zu verdienen, um davon leben zu können, ist total unwahrscheinlich in den heutigen Streaming-, MP3- und WAV-Zeiten. Einigen Musikliebhabern geht es aber erst in dritter oder vierter Linie um den schnöden Mammon. In unserer in vielen Bereichen nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten optimierten Welt lauten ihre Antriebsfedern Selbstverwirklichung und Liebe zur Musik. Die Macher des Labels Colour Series gehören zu dieser Spezies. Der Londoner Jem Haynes und der Schweizer Michael Halter aka SOAME haben sich durch ihre gemeinsame Liebe zur Musik gefunden und diese Liebe propagieren sie durch jedes neue Release ihres Labels. Wir haben die beiden anlässlich ihres ersten großen Hits „Mountain Road“ auf der Street Parade in Zürich getroffen und mit ihnen über Colour Series gesprochen.
Ein Schweizer und ein Brite machen zusammen ein Label. Wie habt ihr euch kennengelernt und wieso der Name Colour Series? Wie würdet ihr den Sound von Colour Series beschreiben?
Jem Haynes: Wir haben uns durch einen gemeinsamen Freund in London kennengelernt. An diesem Abend habe ich einen Gig im Londoner Club White House gespielt. Wir haben uns gut unterhalten, dann nach kurzer Zeit auf Ibiza wieder getroffen und schon bald danach haben wir angefangen, zusammen Musik zu machen. Ich habe eine Veranlagung, die man Synästhesie nennt. Dabei sieht man eine bestimmte Farbe, wenn man Töne oder Musik hört. Dies hat mich dazu bewegt, das Label Colour Series zu nennen. SOAME ist seit dem Start mit dabei und neben den gemeinsamen EPs und seinen eigenen Solo-Releases auch im Hintergrund stets aktiv. Unser Credo lautet, dass Colour Series auf jeden Fall versucht, Dancefloor-Musik zu machen, aber dabei immer mit einem Schuss Melodie und Atmosphäre agiert. Dabei entstehen unserer Meinung nach genreübergreifende Tracks, die von House bis Tech-House oder sogar Techno gehen.
Es gibt kalte Farben wie Blau und Grün und warme Farben wie Rot und Orange. Ihr seid mit eurem Label mittlerweile bei Katalognummer #14 angekommen. Inwiefern orientiert sich eure Artwork-Farbgebung an der Musik oder umgekehrt?
Jem Haynes: Am Anfang entsteht immer die Musik. Dann geben wir dem entsprechenden Cover für das Release genau die Farbe, die wir mit dem Sound der Veröffentlichung verbinden. Katalognummer 14 ist meine Solo-EP. Ende des Monats erscheint dann auch schon die neue EP von uns beiden.
Wie bereits angerissen, wohnt ihr in unterschiedlichen Ländern. Auch wenn die Flugzeit recht kurz ist, werdet ihr nicht ständig hin und her fliegen. Wie produziert ihr gemeinsam Tracks und wie ist die Rollenverteilung innerhalb des Teams Jem Haynes/SOAME?
SOAME: Wir versuchen, einander regelmäßig zu besuchen. Manchmal fliege ich nach London und manchmal kommt Jem zu mir in die Schweiz. Meistens sind wir dann eine Woche zusammen im Studio und spielen – wenn möglich – noch ein paar Gigs gemeinsam. Im Studio übernehme ich ein bisschen den Techniker-Teil. Wir produzieren jeden Track gemeinsam, sitzen von Anfang bis Ende zusammen und einigen uns immer auf etwas, das uns beiden gefällt. Am Ende mache ich dann zu Hause den Mixdown für das Premastering.
Neben euch beiden gibt es auch weitere renommierte Künstler, die bereits auf Colour Series veröffentlicht haben, wie z. B. David Keno, Ian Blevins oder Sabb. Was benötigt ein Act, um für Colour Series interessant zu sein?
SOAME: Auf dem Label veröffentlichen nur Künstler, zu denen wir beide eine persönliche Verbindung haben oder sogar eine Freundschaft pflegen. So stimmt auch das Zwischenmenschliche und wir sind wie eine kleine Familie innerhalb des Labels. Einige Artists sind schon sehr lange mit uns befreundet. Wir bewegen uns ja auch schon einige Zeit in der Welt der elektronischen Musik. Und dann haben wir auch viele neue Artists im Rahmen des Arosa Electronica Festivals kennengelernt, wodurch ebenfalls gute Bekanntschaften und weitere Musikprojekte entstanden sind.
Ihr habt regelmäßigen Output und schon diverse Clubhits feiern können, aber so richtig aufmerksam wurde die Szene dank Richie Hawtin auf euer Label. Der Minus-Macher hat euren Track „Mountain Road“ regelmäßig gespielt und heavy supportet. Wie macht sich so etwas im Label-Alltag bemerkbar? Bekommt ihr jetzt vermehrt Demos zugeschickt, die in die „Mountain Road“-Richtung gehen, will Richie Hawtin euch adoptieren oder was ist passiert?
Jem Haynes: Wir wären überglücklich, von Richie Hawtin adoptiert zu werden (lacht). Wir waren auf jeden Fall superhappy, als wir vom Support von Richie Hawtin gehört haben und er auf der Time Warp oder im Rahmen des Off Sonars unseren Track „Mountain Road” gespielt hat. Auch Pete Tong, Claude Von Stroke und Anja Schneider haben schon Tracks von uns gespielt. Auf jeden Fall hilft solch ein Support, ein breiteres Publikum zu erreichen, und dies ist sicherlich das Ziel von jedem Artist oder Label. Die Arbeit ist trotzdem nicht einfacher geworden und wir arbeiten immer daran, weiter gute Musik zu produzieren und neue Liebhaber für diese zu finden.
Ein Undergroundlabel zu führen, reicht nicht aus, um ein geordnetes Leben zu führen – weder in der Schweiz noch im Vereinigten Königreich UK. Wie verbringt ihr eure Zeit, wenn ihr keine Musik produziert?
Jem Haynes: Ich bin voll und ganz in der Musikwelt. Wenn ich keine Musik produziere, dann versuche ich, viele Gigs zu spielen oder arbeite für das Label. Daneben mache ich auch Mixdowns oder Masterings für andere Artists.
SOAME: Ich arbeite auch Vollzeit für die Musik und alles drum herum. Ich organisiere selbst ja noch diverse Events wie das Arosa Electronica Festival oder eben auch die „Colour Series“-Label-Nights. Daneben versuche ich, so viele Gigs wie möglich zu spielen und regelmäßig selbst oder mit diversen Freunden Musik zu produzieren.
Was wird in Bälde auf Colour Series passieren?
Jem Haynes: Wir hoffen natürlich, bald auf der ganzen Welt auf Tour zu gehen – bereit dafür sind wir auf jeden Fall (lacht). Ansonsten sind wir weiterhin dabei, viel Zeit im Studio zu verbringen und hart an uns und neuen Releases zu arbeiten. Auf Colour Series erscheinen Ende dieses Monats auf jeden Fall meine neue Solo-EP sowie eine weitere EP von mir und SOAME mit einem Smalltown-Collective-Remix. Ende Oktober wird es noch eine SOAME-Solo-EP mit einem Smash-TV-Remix geben.
SOAME, du bist ja auch oft in Deutschland und hier besonders in Berlin unterwegs. Zum Beispiel hast du gerade erst im Kater Blau und im Sisyphos gespielt. In welcher Hinsicht unterscheidet sich Berlin von Zürich?
SOAME: Berlin ist sicherlich noch viel offener als Zürich in Bezug auf die Musik. In Berlin spiele ich fast breiter und kann viel mehr genreübergreifend spielen als in Zürich, wo die Szene meist je nach Club eine gewisse Erwartungshaltung hat. Grundsätzlich spiele ich aber an beiden Orten sehr gerne und die Partyleute sind in beiden Städten absolut top.
Genau wie in Berlin gibt es ja auch in Zürich viele coole Clubs. Welche Clubs sind hier deine Favoriten und wieso?
SOAME: Große Highlights sind für mich immer meine Gigs im Hive Club. Der Club ist mein absoluter Lieblingsclub und mein zweites Wohnzimmer. Ich spiele aber auch sehr gerne im Klaus oder auch überall sonst. Die Schweiz hat ja auch mehr als nur Zürich zu bieten. Wie beispielsweise den ROK Club in Luzern, das Bonsoir in Bern oder die Kiste in Baden. Aber auch der Hangar 11 in Winterthur ist ein super Laden. Ich spiele einfach wahnsinnig gerne, wo auch immer ich gebucht werde.
In London hat die Clubszene nicht nur wegen der Fabric momentan etwas Schwierigkeiten. Wie siehst du die weitere Entwicklung und wo geht man in London noch aus?
Jem Haynes: Die Szene in London hat schon bessere Tage gesehen, das stimmt. Viele Clubs haben ihre Lizenz verloren und mussten schließen. Vor allem die Clubs in guten Lagen verloren die Lizenz, da Investoren die Gebäude anders nutzen wollten. Aber sicherlich gibt es noch viele kleinere Clubs, in denen man eine tolle Party feiern kann. Und es gibt noch ein weiteres Licht am Horizont: Der neue Bürgermeister von London hat entschieden, rund 70 Millionen Pfund in das Nightlife zu investieren. Auch wenn dieser Plan wahrscheinlich bedeutet, dass die Nightlife-Szene Hand in Hand mit den Behörden arbeiten muss, so hoffe ich schon, dass dies gerade jetzt eine positive Entwicklung bringt.
Wir haben uns ja auf der Street Parade getroffen. Ein tolles Erlebnis mit knapp einer Million friedlicher Menschen. Es war sehr schön, zu sehen, dass die Zuschauer sehr dankbar für die Musik und die Stimmung waren, und dass keinerlei Aggressivität zu beobachten war. Wie würdest du das Schweizer Partyvolk beschreiben und wieso ist es kein Problem für die Schweizer, eine so große Parade seit 20 Jahren friedlich über die Bühne zu bringen?
SOAME: Die Schweizer sind halt ein gemütliches und friedliches Volk (lacht). Nein, im Ernst. Ich denke, die Street Parade hat halt wirklich eine top Ausgangslage. Es gibt da und dort sicher kleinere Zwischenfälle, das ist aber bei so vielen Menschen auch nicht auszuschließen. Zusammengefasst sorgen die Top-Location direkt am Zürichsee, das meist sehr gute Wetter, die gute Organisation von Veranstalter und Behörden und die Message, gemeinsam friedlich zu feiern, auf jeden Fall dafür, dass eine Million Menschen immer eine so tolle Party haben. Und das wissen die Schweizer auch zu schätzen und lassen sich das nicht wegnehmen.
Welche Künstler inspirieren euch neben euren befreundeten Acts, die auch auf Colour Series veröffentlichen?
Jem Haynes: Mein größtes Idol ist James Brown und es bedarf wohl keiner großen Erklärung, wieso das so ist. Massive Attack haben mich aufgrund ihrer hervorragenden Produktionstechniken auch immer fasziniert und in der heutigen elektronischen Musikszene sind sicherlich Martin Buttrich und Gorge für mich das Maß aller Dinge mit ihren exzellenten Dancefloor-Produktionen.
SOAME: Für mich war immer Prince der Allergrößte. Vor allem live – ich hatte das Glück, ihn viermal live sehen zu können und war immer hin und weg. Jamie Cullum gefällt mir auch wahnsinnig gut auf Platte wie auch live. In der elektronischen Musikszene gibt es einige Artists, die ich sehr schätze für ihre Produktionen und/oder als DJs oder Live-Acts. Dazu gehören unter anderem Paride Saraceni, Chaim, Butch, Mendo und Dixon.
Steckbrief Jem Haynes:
Alter: 40
Geboren in: London
Wohnhaft in: London
Erste gekaufte Platte: Michael Jackson – Off the Wall
Zuletzt gekaufter Song: Gorge – It’s Time
Track, den ich immer spiele: Ross Evana – Losing Consciousness
Studio-Setup: Laptop, Logic, Machine, Akai MPC, Akai 49 Keyboard
Lieblings-DJ: Nic Fancuilli
Lieblings-Club: Space, Ibiza
Hobbys neben der Musik: schlafen, Fußball, mit meinem Velo fahren
Aktuelle Top 3:
- Mihai Popoviciu – Rotate
- Jem Haynes & SOAME – Light
- Jem Haynes & SOAME – Innervation
Steckbrief SOAME:
Alter: 36
Geboren in: Zürich
Wohnhaft in: Zürich
Erste gekaufte Platte: Prince – Diamonds and Pearls
Zuletzt gekaufter Song: Chaim – Fly Influence
Track, den ich immer spiele: Jem Haynes & SOAME – Mountain Road
Studio-Setup: Laptop, Komplete, Machine, Arturia, Trillian etc.
Lieblings-DJ: Dixon
Lieblings-Club: Hive, Zürich
Hobbys neben der Musik: Motorsport, Fußball, reisen
Aktuelle Top 3:
- Cristoph – Genesis
- Dennis Cruz – Caminante No Hay Camino
- Jem Haynes & SOAME – Streets
Aus dem FAZEmag 055
Text: Sven Schäfer