Auf einen Kaffee mit … Tyree Cooper

Dass ein Nachmittag mit Kaffee bei Tyree Cooper supadupa ist, hätte man schon im Vorfeld ahnen können. Der sympathische wie legendäre Künstler aus Chicago wohnt seit mittlerweile zwölf Jahren in Berlin und verbreitet hier nicht nur hinter den Decks gute Laune. Das funktioniert frei nach der Methode „I don’t play vinyl, but I use Serato with vinyl“, wie er später lachend erklärt. Obwohl er nie aufgehört hat zu produzieren und auch gerade wieder an einem Album arbeitet, kehrte er vor allem durch die Lizenzierung seiner 95er Dance Mania-Nummer „Nuthin Wrong“ für Ben Klocks „Berghain 04“-Mix-CD in 2010 und das Re-Release auf Mojuba Underground ein Jahr später schlagartig ins allgemeine Bewusstsein von Jung und Alt zurück.

Einer deiner Hits trägt den schönen Titel „House Music Is My Life“. Wann wurde House zum wichtigen Bestandteil deines Lebens?

Typree: „House Music Is My Life“ war ja der zweite Titel. Denn zuerst hieß der Track „Acid Is My Life“. Den musste ich aber wegen der englischen Plattenfirma abändern, da in England die Kids auf den illegalen Raves Acid nahmen und eine Platte mit einem solchen Titel daher dort nicht veröffentlicht werden konnte. Ich dachte dann über einen neuen Namen nach. Zu der Zeit spielte ich gerne ein Stück von Pattie LaBelle namens „Music Is My Way Of Life“. Und ich dachte: Music? House Music! Und schon hatte ich „House Music Is My Life“ (lacht). Von dem Moment an lebte ich diesen Satz. Denn House Music war mein Leben. Ich verbrachte mehr Zeit im Studio als bei meinem 9 to 5 Job und arbeitete mehr im Studio, als dass ich auflegte.

Welchen Einfluss hatte denn der kommerzielle Erfolg von House in den 80er -und 90er-Jahren auf die Entwicklung des Genres?

House war schon seit 1986 kommerzieller in Europa und besonders in UK. Aber als es  kommerzieller wurde, wurde es natürlich auch more cheasy. Zur selben Zeit kam mit Techno ein neuer Sound, mit dem House dann in Wettbewerb stand. Doch meiner Meinung nach war das damals nicht wirklich Techno, sondern einfach House mit seltsameren Klängen (lacht). Aber es war das neue Ding. Gerade in den UK war war man übersättigt von den ganzen Sängern in Tracks und wollte weniger Vocals und mehr samplebasierte Sachen und mehr Instrumentals. House verlor also seinen Vorsprung als Undergroundsound. Von der kommerziellen Seite her hatten größere Künstler wie Simply Red riesige Hits, oder auch Acts wie The Shamen. Aber das wurde nicht zwingend als House bezeichnet.

Der Peak an cheesy Vocals im US-House war aber dann in der zweiten Hälfte der 90er erreicht …

Der cheesy Stuff kam durch die 90er. Es gab ein paar gute Songs, aber eben auch viel Käse. Der hat es in die Charts geschafft. Deswegen wurde aus dem Begriff House auch Dance Music. Dieser Wandel hat das Klima verändert. Es war nicht länger House, denn House war nicht länger cool. Dadurch, dass sich die Atmosphäre änderte, änderte sich auch das gesamte Spiel. House wurde mehr und mehr kommerziell. Mitte der 90er gab es aber eine Wiederauferstehung von Underground House Music. Zu der Zeit dominierten in dem Bereich zwei Labels, so wie zuvor in den 80ern Trax Records und D.J. International. Dance Mania war damals zwar auch schon da, aber die frühen Sachen konnten nicht mit den anderen beiden mithalten. Mitte der 90er entstand dann ein neuer, roher Housesound, eine neue Generation. Das wurde dann als Ghetto Music bezeichnet, da die Musik von dort kam. Leute wie DJ Slugo, DJ Milton, DJ Funk, Wax Master und so weiter. Die brachten unglaubliche Tracks heraus, die so simpel wie großartig waren.

Also hat dieser Sound House zurück in die schmutzigen Keller gebracht?

Was passierte war, dass Chicago durch diese Releases wieder was mehr Beachtung fand. Dort nannte man das auch Ghetto House, und so kam House zurück in den Mix. Relief, Cajual und Dance Mania hatten an dieser Wiederauferstehung großen Anteil. Es gab natürlich noch andere Labels, aber die genannten waren die Main Player.

Du hast ja auch damals auf Dance Mania veröffentlicht …

Ja, aber ich war eher eine Art großer Bruder, der Spaß an der ganzen Sache hatte. Gleichzeitig gab es Leute wie DJ Sneak, Boo Williams, Glen Undergound und weitere, die die andere Seite der Chicago Szene bildeten. Es war also um 1995, zehn Jahre nach den Anfängen wieder eine ersthafte Wiederauferstehung von Chicago Music.

Und dieser Ghetto House setzte mit seinem dirty Charme etwas dem sauberen Kommerz-House entgegen …

Cajual war vielleicht etwas cleaner. Aber Dance Mania zum Beispiel scherte sich nicht darum, ob die Stücke jetzt clean waren. Da kamen dann auch Lyrics wie ‘hit it from the back’ und Worte wie Slut, Hole, Fuck vor. Relief haben das jetzt nicht so gemacht, aber trotzdem die selbe Art von Musik. Paul Johnson zum Beispiel veröffentlichte auf beiden Labels. Dieser neue Chicago Sound wurde von den jüngeren DJs in den Clubs gespielt. Als der Cajual-Stuff passierte, versuchte ich wirklich ein Teil davon zu werden, denn ich hatte noch reichlich Energie in meinem Körper. Ich hätte natürlich nicht all den Stuff machen können, der so auf Dance Mania erschienen ist. Aber ich habe Ray Barney (Macher von Dance Mania) sehr viel zu verdanken, was ich auch immer in Interviews betone. Er hat mir die Tür aufgehalten, als viele dachten, meine Karriere sei vorbei. Deshalb kamen auch Platten von mir auf Dance Mania, auch wenn sie anders waren als die von DJ Slugo oder DJ Milton.

Denkst du, dass heute wieder ein besseres Bewusstsein für die Geschichte von House vorhanden ist? Oldschool und Newschool harmonieren mittlerweile wieder prima miteinander. Vor ein paar Jahren hatte man manchmal das Gefühl, dass gerade die jüngeren Producer nur modernen House machen wollten und keine Ahnung von den Wurzeln der Musik hatten.

Ja. Ich möchte es mal auf die Szene in Berlin beziehen. Als ich 2000 hierher kam, konnte man nahezu alles spielen. House, Drum’n’Bass, Techno, Trance, HipHop … Es war wild. 2001 ging das nicht mehr. House klang ab. 2002 hatte es dann ein ganz kleines Comeback, aber danach konnte man nirgendwo mehr eine Houseplatte spielen. Das Klima änderte sich, die Einstellung der Menschen, die Welt – alles. 9/11 beeinflusste da wirklich viel. Es wurde keine Welt voller Liebe, wie sie etwa die Loveparade für viele Jahre dargestellt hat, sondern eine Welt voller Angst. In Deutschland passierte musikalisch dieser Electroclash-Sound. Das war House vermischt mit schlechtem Rock’n’Roll. Als die Musik hier in Berlin wie eine Rakete durchstartete, konnte man kein House mehr spielen.  Ein Jahr später konnte man noch nicht mal mehr House sagen. Man konnte gerade noch Techno sagen. Jeder fuhr auf diesen Electroclash ab. 2003, 2004 endete das dann so schnell, wie es gekommen war und wurde durch Minimal abgelöst. Beide Stile brachen hier in Europa die Geschwindigkeit der Musik herunter. Minimal war auch ein Sound, der die Stimmung der Menschen wiederspiegelte; kalt, ohne Gefühl. Gleichzeitig öffnete es für House ein klein wenig die Tür. Viele Internetradios entstanden zu der Zeit. Von 2004 bis 2005 gab es immer kleine Momente von Chicago House, Detroit House, New York House. 2005 bis 2006 wurde House etwas größer, auch wenn Minimal immer noch da war und es mehr Minimalpartys als Housepartys gab. In 2007 fuhr dann jeder in Berlin und ganz Europa plötzlich wieder auf Chicago House und generell Oldschool House ab. Seit 2005 wussten auch wieder alle, worum es ging, wenn man House Music sagte. Die Kids von heute hören nun Stories aus der Vergangenheit von House, oder dass Housepartys cool sind. Und sie genießen es. Denn House ist eine Kultur, die Leute von überall her an einem Ort zusammen bringt.