Kraftwerk – Halb Wesen und halb Ding

Schon immer ging es der einflussreichsten deutschen Band aller Zeiten um die Symbiose zwischen Mensch und Maschine. Sei es beim Fahren auf der Autobahn, beim Sitzen vor dem Heimcomputer oder beim aktiven Radsport: Der Mensch soll eine Einheit mit einer Maschine bilden. Jetzt präsentiert Kraftwerk sein musikalisches Vermächtnis als Konzertreihe mit aufwendigen 3D-Animationsfilmen in seiner Heimatstadt Düsseldorf.

Angefangen hat alles 1968, als sich die Musikstudenten Ralf Hütter und Florian Schneider an der Düsseldorfer Kunstakademie trafen. Beide hatten Interesse an experimenteller Musik. Also weniger im Sinne von herkömmlicher Musik, sondern eher als Geräuscherzeugung und Klangforschung. Als ihr erstes jazzinspiriertes Album „Tone Float“ unter dem Bandnamen Organisation in England erschien, konnte niemand erahnen, wie sehr sie die Musikwelt später prägen sollten. 1970 folgte eine weitere LP, jetzt unter dem Namen Kraftwerk. Mit akustischen Instrumenten wie Flöte, Violine und Schlagzeug produzierten die beiden seltsame Instrumentalwerke, die auch aus heutiger Sicht nicht wirklich leicht hörbar sind.

Erst mit dem vierten Kraftwerk-Album „Autobahn“ läuteten die Düsseldorfer eine neue Ära ein. Inzwischen verstärkt durch Wolfgang Flür und Karl Bartos leisteten sie sich einen Mini-Moog-Synthesizer, ein elektronisches Klanginstrument, das in etwa soviel wie ein Kleinwagen kostete. „Autobahn“ war gänzlich anders als alle andere Musik zu dieser Zeit: Das Titelstück des Albums war über zwanzig Minuten lang, die Musik war rein elektronisch und die Texte bewegten sich zwischen der Prägnanz von Telegrammen und der Naivität von Kinderreimen. Und doch war bereits hier klar, Kraftwerk hatten eine Vision von einer Welt aus Technik und Fortschritt. Wobei Kraftwerk ihren Technikfetischismus stets eher nüchtern als mystifizierend präsentierten: „Für dich und mich im All entsteht / Radioaktivität / strahlt Wellen zum Empfangsgerät / Radioaktivität / wenn’s um unsere Zukunft geht.“ oder „wir laden unsere Batterie / jetzt sind wir voller Energie / wir sind die Roboter.”

Anfangs war Kraftwerks Konzept noch sehr fremd, ihre Musik wurde wenn überhaupt, dann nur in Nischensendungen im Radio gespielt, die rockorientierten Medien verstanden die Band nicht. Doch Mastermind Ralf Hütter glaubte unbeirrbar an seine Vision. So wurde er 1975, also nach den ersten Achtungserfolgen mit „Autobahn“, in der Teenie-Zeitung Bravo mit dem Satz zitiert: „Eines Tages werden sie unsere Musik nachahmen.“ Tatsächlich eroberte „Autobahn“ vor allem die USA und Japan, Stars wie David Bowie verkündeten öffentlich ihre Begeisterung. In den USA schwärmten vor allem schwarze Musiker und DJs für die Maschinenmusik aus Deutschland, so verband der visionäre Radio DJ Electrifying Mojo Kraftwerks Stücke mit Funk, Soul und Disco, eine Kombination, die in Detroit Pioniere wie Juan Atkins dazu inspirierte, die Grundlagen heutiger Techno-Musik zu produzieren. HipHop-Legenden wie Afrika Bambaataa bedienten sich z.B. bei „Trans Europa Express“ für Electro-Klassiker wie „Planet Rock“. Was später, Anfang der Neunziger im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Techno-Sounds, wie wir ihn heute kennen, oft als „Achse Berlin-Detroit“ bezeichnet wurde, sehen Kraftwerk als „Geistesverwandschaft zwischen Düsseldorf und Detroit“. Ralf Hütter: „Wir kennen die kreativen Köpfe Detroits wie Derrick May, Mike Banks und Kevin Saunderson. Und das ist unserem Verständnis nach eine wirkliche Inspiration, wechselweitig. Wir sind nicht alleine. Vieles, was von uns inspiriert wurde, gibt uns neue Ideen zurück.“

In Deutschland wären zudem Großteile der Neuen Deutschen Welle ohne Kraftwerk nicht denkbar gewesen, auch das Gros der vornehmlich britischen Synthie-Pop-Bands wie Depeche Mode oder OMD sind wohl auf der Basis von Kraftwerk entstanden. 1986 gab es mit „Electric Café“ (heißt heute gemäß dem ursprünglichem Titel „Techno Pop“) das vorerst letzte reguläre Album, nur 1991gefolgt von „The Mix“ einer aufgepeppten Modernisierung ihrer Singles. Dann gab es lange Jahre kaum ein kreatives Lebenszeichen, Flür und Bartos verließen die Band, die beiden „Audio Operators“ Henning Schmitz und Fritz Hilpert kamen hinzu. Immer wieder gab es hier und da einzelne Konzerte wie zum Beispiel bei der „Expo 2000“ in Hannover, deren Erkennungsjingle die Band komponiert hatte, doch der große Erfolgsdruck schien die Band zu hemmen, ein neues Album aufzunehmen. Erst zum 100. Geburtstag der berühmtesten Radsportveranstaltung kam endlich „Tour de France Soundtracks“ heraus und überraschte als ein sehr zeitgemäßes Popalbum, stilsicher in der selbstgeschaffenen Klangästhetik.

Der Perfektionist Ralf Hütter widmete sich daraufhin der klanglichen Aufarbeitung des eigenen Gesamtwerks, die wichtigen acht Alben seit „Autobahn“ wurden aufwendig digital remastert. „Ein Großteil der Alben, die jetzt von uns überarbeitet worden sind, stammen bekanntlich aus den siebziger Jahren. Sie sind jetzt auf den neuesten Stand der heutigen Technik gebracht worden,“ konstatiert Hütter und ergänzt: „Wir haben uns selbst gewundert, wie zeitgemäß Kraftwerk nun klingt.“ Die überarbeiteten Alben wurden zudem grafisch frisiert. Bilder, Fotos und Layouts, die damals nicht genau so veröffentlicht wurden, wie die Band es konzipiert hatte, fügen sich nun erstmals zu einem Original-Artwork, wie es immer aussehen sollte. Das Projekt nennt sich ganz reduziert “12345678 Der Katalog“ und ist deutsch- oder englischsprachig, einzeln oder als Box erhältlich. Der Perfektionist äußert sich erleichtert: „Es geht auch um eine Klarheit und jetzt ist das erstmals alles so, wie es gedacht war.

2008 verließ Gründungsmitglied Florian Schneider Kraftwerk, die Band wurde fortan durch „Video-Operator“ Stefan Pfaffe ergänzt. Vermutlich ist es dessen Arbeit zu verdanken, dass Kraftwerk seine eindrucksvollen Animationsfilme, die schon seit einigen Jahren durch riesige Projektionen jedes Konzert zu einem memorablen Ereignis werden lassen, nun noch weiterentwickelt hat. 2009 gab es in Wolfsburg erstmalig drei Shows bei der 3D-Brillen ans Publikum ausgegeben wurden und entsprechende Videos gezeigt wurden. Ein Ergebnis der kontinuierlichen technologischen Entwicklung, wie Hütter feststellt. „Heutzutage können wir mit unseren Laptops sogar live die visuellen Projektionen synchron zur Musik editieren. Diese 3D-Technik passt sehr gut zu unserer Show.“

Nun also ist die Zeit reif, Kraftwerks Vermächtnis als Gesamtkunstwerk, als Einheit von Musik und Film, von Mensch und Maschine der Welt zu präsentieren. Nach binnen Minuten ausverkauften Konzerten zur großen Kraftwerk-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art kommen die Männer um Ralf Hütter zurück nach Hause: Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen präsentiert acht Konzerte mit den wegweisenden acht elektronischen Alben Kraftwerks, also pro Abend ein komplettes Album seit „Autobahn“ (jeweils ergänzt von einigen „greatest Hits“) mit den dazugehörigen 3D-Animationen. Das wird der erste Live-Auftritt Kraftwerks seit über zwanzig Jahren in Düsseldorf werden, genau genommen hat die Band in ihrer Heimatstadt überhaupt erst vier Konzerte gegeben (1991, zwei im Jahre 1981 und eins im Gründungsjahr 1970). Kreise schließen sich, unterschiedliche Medien fügen sich zusammen, Menschen und Maschinen in Symbiose. Nochmal Herr Hütter: „Wir sind interaktiv verbunden mit den Maschinen, das ist bis heute so geblieben, das ist eigentlich ein Synonym für Kraftwerk.“ / Hauke Schlichting

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