Marco Piangiamore & Mike Väth – „Es war Liebe auf den ersten Blick!“

Dass elektronische Musik über Generationen Menschen begeistert hat, ist bekannt. Zwei alte Hasen, die bereits seit Jahrzehnten mit der Szene in Verbindung stehen, hat die Liebe zu diesem Genre vor einigen Jahren zusammengeführt. Mike Väth und der in Sizilien beheimatete Marco Piangiamore beschlossen, zusammen zu musizieren und Releases zu schaffen. „Halogen“ war das erste, im Jahr 2016 veröffentlicht auf Marcos eigenem Label Skynet. In kürzester Zeit folgten „Terminator“, „Thea“ und „Prisma“. Nun erschien ihr zweites Vinyl-Release „Impactauf AFU Limited. Wir trafen uns mit beiden, um über ihr gemeinsames Schaffen zu sprechen.

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Marco, du hast bereits mit 14 Jahren angefangen, Musik selbst zu produzieren. Das ist nun stolze 20 Jahre her. Erinnerst du dich noch an die Anfangstage und daran, wie du als Kind mit der Musikszene in Berührung gekommen bist?

Marco: Oh, ja! Die Person, die mich eigentlich zur Musik geführt hat, war mein Vater, und das auch gleich nach meiner Geburt. Ich erinnere mich noch gut, wie ich ihm beim Spielen seiner schwarzen Fender Stratocaster zugehört habe. Ich war auch ständig mit ihm im Proberaum, wo er mit seiner Rockband zu Gange war, oder mit ihm auf seinen Konzerten. Als wir in ein neues Haus gezogen sind, hatte er einen Proberaum direkt in der Garage. Weißt du, was ich da plötzlich in meinen Händen hatte? Synthesizer, Drums, Gitarren, diverse Effektgeräte, digitale Rekorder … Das war wie ein Freizeitpark für mich. Ich durfte alles benutzen und so kam es, dass ich 1997, mit 14 Jahren, meinen ersten elektronischen Track produzierte. Ich weiß noch, wie ich mit meinem Vater zum Radio ging und fragte, ob sie ihn spielen würden, und sie haben zugesagt. 1997 hörte ich also zum ersten Mal meinen eigenen Track im Radio.

Trotzdem bist du, zumindest in Deutschland, weitestgehend unbekannt geblieben.

Marco: Na ja, das waren die späten Neunziger. Kein Internet, keine Connections – und ich lebte auf einer Insel, dem schönen, aber abgelegenen Sardinien. Ich hatte schöne Strände vor der Tür, aber nun mal keine Berührungspunkte mit der eigentlichen elektronischen Musikszene. Wäre ich in einer Stadt wie Milan, London oder Frankfurt aufgewachsen, sähe das vielleicht anders aus.

Mike, so ungefähr zur gleichen Zeit hast du auch angefangen. Ihr seid also beide schon sehr lange unterwegs. Gab es für dich denn jemals einen Punkt, an dem du daran dachtest, aufzuhören?

Mike: Das stimmt. 1999 war das mit der „Mike Väth Project Live Tour“, als Live-Act mit René Wallitschek und Paul Schulte am D-Drum. Aber erst 2007 begann dann meine eigentliche Karriere als DJ. Ich war 15 Jahre lang als Art und Creative Director in sehr großen Werbeagenturen tätig und habe mich eigentlich erst nach diesem Job dazu entschlossen, nur von der Musik leben zu wollen. Ein Glück, dass das für mich auch aufging.

Du betonst in Interviews immer, dass man nicht sagen könne, dass es damals besser gewesen wäre. Viele Entwicklungen, zum Beispiel die digitale, die auch kleinere Künstler ins große Licht gebracht hat, hatten ihre Vorteile. Auch wenn du von dir sagst, du lebest im Hier und Jetzt, lass uns doch mal in die andere Richtung gehen und die Glaskugel rausholen: Wie wird denn deiner Meinung nach die musikalische Zukunft aussehen? Welche Richtungen bzw. Veränderungen siehst du gerade in der Szene, die in naher Zukunft eine Rolle spielen könnten?

Mike: Puh, das ist eine Frage, die mich ehrlich gesagt an meine Grenzen bringt. Ich vermute mal, dass die reinen Techno-DJs und -Produzenten sich auf kleineren, dafür aber vielen Plattformen bewegen werden. Die technischen Innovationen werden natürlich nie enden, die werden weitergehen und dann auch den Sound selbst immer weiterentwickeln. Von der Musik zu leben, das wird wohl noch funktionieren, aber ich glaube, reich werden wird wohl keiner mehr damit.

Marco, wie sieht deine Vision von elektronischer Musik aus?

Marco: Eine kontinuierliche Evolution in der Qualität der Produktionen und damit auch in der Sound-Qualität. Heutzutage haben wir die Möglichkeiten, fast unbegrenzte Multitracks aufzunehmen. Alles mit digitaler Qualität. Glücklicherweise ist die Basis des Technos immer noch die Gleiche, wir haben nur unbegrenzte Möglichkeiten, Sounds zu kombinieren. Das ist auch der Grund, warum ich immer noch dabei bin; die Passion, die Liebe, das ist mein Leben.

Nun habt ihr eine total unterschiedliche Geschichte, seid euch über den Weg gelaufen und seit einiger Zeit auch als Duo unterwegs. Wie kam es dazu?

Mike: Marco hatte mich einmal angeschrieben und sich bei mir dafür bedankt, dass ich in meinen Sets sehr oft Tracks von ihm verbaut habe. Ich glaube, das war bereits 2012. 2016 bin ich mit meiner Familie in den Urlaub nach Sardinien gefahren und da kam mir Marco wieder in den Sinn. Ich schrieb ihm und wir trafen uns. Es war Liebe auf den ersten Blick! (lacht)

Marco: 2014 war das, um genau zu sein, und du hast in einem Interview mal erwähnt, dass einer deiner Top-3-Tracks von mir kam. Ich fühlte mich wirklich geehrt. Aber ja, eine tolle Freundschaft war geboren. Ich besuche Mike auch öfter mal in der Schweiz, um ein bisschen Zeit mit ihm und seiner Familie zu verbringen; er hingegen logiert auch oft bei mir auf Sardinien. Das letzte Mal habe ich ihn zu einem Showcase meines Labels eingeladen, das war im Oktober.

Ihr scheint perfekt miteinander zu harmonieren, ist das auch im Studio der Fall?

Mike: Ja, wir haben ein unglaublich gutes Level zusammen und die Produktionen fielen uns sehr leicht. In erster Linie sind wir an sich ja Vollprofis, was unser Handwerk angeht. Dazu kommen dann noch die passende Chemie und der dazugehörige Charme, da läuft das schon fast von allein.

Marco: Der Produktionsprozess ist relativ simpel zwischen uns beiden. Wir reden viel miteinander via FaceTime oder Facebook, tauschen uns aus mit Informationen, Sounds und Ideen. Wenn wir uns persönlich treffen, dann setzen wir uns gemeinsam ins Studio und meistens kümmere ich mich dann um das Finish, falls wir nicht zusammen fertig werden. Mike testet dann die Tracks, spielt sie bei seinen Gigs.

Nun erschien ja eure neueste Kollaboration „Impact“ auf AFU Limited.

Marco: Unser zweites Vinyl-Release! Der erste Track ist wie ein Thriller, den du dir im Kino anschaust, nur als Sound. So würde ich ihn beschreiben. Dann ist da noch „AZ620“, die Flugnummer des Fluges von Rom nach Los Angeles, eine Stadt, die ich so unglaublich liebe. Auch ein Intro-Tool musste drauf, manchmal braucht ein Vinyl-Release nun mal ein gutes Intro. Auch unsere erste Kollaboration „Halogen“ haben wir uns noch mal vorgeknöpft und eine neue Version herausgebracht. „Halogen 2.0“ repräsentiert quasi die kontinuierliche Evolution des Sounds, die ich angesprochen habe. Mit dem Ergebnis sind wir beide auch echt zufrieden!

Du scheinst allgemein ein Faible für die Staaten zu haben. Zumindest hast du dort auch 2012 auflegen dürfen, genauer gesagt in Las Vegas – einer Stadt, die nun nicht für eine florierende Techno-Szene bekannt ist. Es war auch einer deiner ersten Gigs im Ausland. Wie kam es dazu?

Marco: Bis 2010 habe ich unter verschiedenen Pseudonymen produziert, teilweise waren diese sehr bekannt in Italien. Dann gab es einen Punkt, an dem es mir schlecht ging und ich mich neu erfinden musste. Ich entschloss mich dazu, mich selbst zu „internationalisieren“, und war dann 2011 in Mexiko und eben auch in Las Vegas, einfach so als Tourist und allein. Keine geplante Tour, ich musste einfach mal die Welt sehen. Eine tolle Erfahrung. Ein Jahr danach wiederum hatte ich meine erste Tour durch die USA und Mexiko als DJ, habe in Mexiko City, Baja California und Las Vegas gespielt. Ich fand hier einen sehr passionierten DJ und Promoter. Als ich dann für ihn spielen durfte, fühlte ich mich wie eine Art Pionier der Szene. Ich spielte vor knapp 100 Leuten, das war wirklich der pure „Underground“, von dem alle reden. Die anderen Clubs dort waren sehr kommerzialisiert, Sin City halt. Jetzt, im Jahr 2018, kann man da schon eine Szene entdecken. Tino Gomez hat die „MNTRA Techno Night“ ins Leben gerufen, bei der auch Namen wie Christian Smith, Hito, Hawtin und andere DJs regelmäßig auftauchen. Die Szene dort bzw. allgemein an der Westküste hat sich enorm verbessert.

Mike, warst du denn schon mal in Las Vegas?

Mike: Nein, da war ich noch nie, ich kann es mir auch nicht richtig vorstellen. Aber falls wir dort mal zusammen spielen sollten, werden wir das richtig rocken. Aber das Burning Man, das würde ich tatsächlich gerne einmal erleben.

Marco, kann man die Szene mit der hiesigen überhaupt vergleichen?

Marco: Die europäische Szene ist in meinen Augen viel erwachsener, aber auch viel versperrter für neue Namen oder unbekannte Talente. Die sind in den Staaten sehr willkommen, das war zumindest meine Erfahrung. Dort sind sie teilweise einfach offener, was die Bookings angeht.

Wie steht es denn mit der Szene in Italien?

Marco: Ich wäre so froh, wenn die Szene in Italien irgendwie vergleichbar wäre mit der bei euch in Deutschland. Ich habe das Gefühl, dass Techno bei euch als Kulturgut angesehen wird und auch die Regierung solchen Events gegenüber offener ist. In Italien hatten wir viele politische Repressionen, die ein Clubsterben zur Folge hatten. Auch im Fernsehen ist nie etwas über solche Events zu sehen, während in den Neunzigern noch die Loveparade übertragen wurde.

Mike: Was ich an der italienischen Szene allerdings liebe, ist, dass auf Technopartys wirklich alle Altersgruppen vertreten sind und dann auch alle zusammen den Floor richtig zum Beben bringen.

Auf dem Label Skynet, das ja dir gehört, Marco, releast ihr zusammen und auch Labelnächte werden immer öfter veranstaltet. Erzähl doch mal ein bisschen von deiner Vision, die hinter Skynet steht!

Marco: Ein Label zu haben, kann Fluch und Segen sein, je nachdem, wie du es anstellst, wie du es pflegst und wie du es präsentierst. Vor allem grafisch und auch besonders dann, wenn du nur digital releast. Leider haben die Vinyl-Verkäufe abgenommen, daher ist es einfach nicht möglich, jedes Release auch auf Platte zu veröffentlichen. Die Kosten sind zu hoch für die kleinen Verkäufe. Allerdings will ich nicht ausschließen, dass ich mit dem Label trotzdem noch in den Vinyl-Markt steuere. Aber meine hauptsächliche Vision ist es, die von dir angesprochenen Labelnächte überall in Europa und am besten auch noch auf der ganzen Welt zu etablieren. Expandieren, das ist die Vision. Einige sehr erfolgreiche Partys habe ich ja schon gemacht, auch mit Mike zusammen! Ich möchte mit meinem Label aber auch gerne mehr Frauen in ihrem musikalischen Schaffen unterstützen. Das letzte Release zum Beispiel war von Roberta Nicholls aus Malta. Sie habe ich auch zu einem Skynet-Showcase eingeladen und es endete damit, dass wir beide ein ziemlich steiles Back-to-back-Set mit vier Decks hingelegt haben.

Aus dem FAZEmag 075/05.2018

 

 

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