Moonbootica – Kampfansage XXL

Wären KoweSix und tobitob nicht auch in den vergangenen Jahren immer wieder an den Wochenenden gemeinsam unterwegs gewesen, man hätte meinen können, ihr seit mehr als eine Dekade unterhaltenes Projekt Moonbootica läge auf Eis. Immerhin liegt die Veröffentlichung ihres zweiten und vorerst letzten Albums „Moonlight Welfare“ fast fünf Jahre zurück. Fünf Jahre, die dennoch vollgepackt waren mit der Produktion zweier Kinder wie auch mit Projekten musikalischer Natur. Und eben immer wieder gespickt mit gemeinsamen Gigs im In- und Ausland. 2012 melden sich Moonbootica nun an der hart umkämpften Albumfront zurück und unterbreiten uns mit „Our Disco Is Louder Than Yours“ eine Kampfansage in Richtung Dancefloor. Längst haben Kowe und Tobi bewiesen, dass sie mehr können, als nur straighten Sound auf die Tanzfläche zu schmeißen. Und doch ist genau das, was sie am liebsten tun. So bringen die Hamburger jetzt ein Album voll funktionaler, tanzflurorientierter Tracks auf den Markt, das seine Käufer finden wird. Da es ein eher schwieriges Unterfangen ist, Oliver Kowalski und Tobias Schmidt außerhalb der üblichen, im zeitlichen Umfang stark eingeschränkten Pressetermine gemeinsam zu erwischen, musste ich an einem Donnerstag Anfang Mai mit Herrn Kowalski via Skype vorlieb nehmen. Aber wer die beiden Hamburger kennt, der weiß, dass es am Ende ohnehin er ist, der das Reden übernimmt, so dass das Ergebnis dieses Gesprächs durchaus ergiebig war.

„Wir hatten diese lange Phase so nicht geplant, die Zeit ist einfach wahnsinnig schnell vergangen“, so Kowes Erklärungsversuch für die fünfjährige Albumpause. „Ich selbst habe noch das Projekt Black Van nebenbei gemacht, das nur auf Herzblut angelegt war, am Ende aber doch beachtliche Erfolge erzielen konnte. DFA- und Permanent Vacation-Releases inklusive. Tobi hat mit einem Kumpel ein paar Sachen unter Dirty Deal releast, auch ein eher klein gehaltenes Thema. Bei allem, was wir mit Moonbootica machen, bleibt einfach wenig Zeit für andere Dinge. Jedes Wochenende unterwegs zu sein, ist eben sehr intensiv. Eine Mix-Compilation gab es noch, immer wieder Remixes, wenn auch nicht mehr so viele wie früher. Und es gab einige Releases, z.B. Sachen, die nun auch auf dem Album vertreten sind. Aber bei einem Act wie Moonbootica ist die Aufmerksamkeit halt besonders groß, wenn ein Longplayer kommt.“ Die Entscheidung, dass die Zeit nun aber wirklich mal wieder reif für einen solchen ist, könnte damit also einer durchweg praktischen Überlegung entsprungen sein. Allerdings ist die Präsenz Moonbooticas angesichts des ständigen Tourens auch ohne dies gegeben. Also stellte man irgendwann schlicht fest, dass fünf Jahre ins Land gegangen waren und damit viel mehr Zeit als eigentlich geplant. Grund genug … „Drei Jahre ist immer eine gute Zeit. Aber ein Album ist ja nicht so planbar wie ein Urlaub oder so. Und Tobi ist in diesen fünf Jahren ja gleich zwei Mal Vater geworden. 2009 wurde seine Tochter geboren, und dieses Jahr war dann in Sachen Studioarbeit praktisch nicht vorhanden. Zwar haben wir weiter aufgelegt, aber da war Tobi wirklich mal raus. In dem Jahr habe ich relativ viel mit Black Van gemacht. Anfang 2010 waren wir dann so weit, die ersten Layouts zu bauen. Wenn du dein Material dann für Features etc. abgibst, dauert das erfahrungsgemäß ja auch noch mal eine Weile. Das Album war quasi vor einem Jahr schon fertig, aber der Wechsel zu Four Music ist dann dazwischen gekommen und hat es noch einmal weiter nach hinten verschoben.“

Bisher releasten Moonbootica ihr Zeug auf dem eigenen Label Moonbootique und ließen es von den ebenfalls in Hamburg ansässigen Kontor-Leuten vertreiben. Mit Four Music ist nun ein neuer Partner dazugestoßen, der Moonbootique und Kontor ersetzt. „Wenn du selbst ein Label machst, musst du wahnsinnig viel Zeit investieren, die haben wir so nie gehabt. Oder du hast eine Struktur um dich herum, die das wuppt, das hatten wir so auch nie. In Kontor hatten wir zwar einen guten Vertriebspartner, mussten jedoch feststellen, dass das inhaltlich nicht harmonierte. Zwischenmenschlich war immer alles super, aber die haben dann doch eine ganz andere Vorstellung von den Dingen, leben in einer völlig anderen Welt als wir. Trotz aller Sympathien ist das ab einem bestimmten Punkt kontraproduktiv. Wir wollten keine Kompromisse mehr machen.“ Der daraus resultierende Plan war, das neue Album komplett selbst zu machen, denn der Schritt zu einem Major Label kam für Kowe und Tobi nie in Frage. „Dann gibst du die Kontrolle aus der Hand, das wollten wir nicht. Doch dann meldeten sich u.a. auch Four Music bei uns, neben diversen Majors. Dort war man so begeistert von dem Album, dass man es unbedingt machen wollte. Auch ohne konkreten Erfolgsdruck.“ Überzeugt durch die plausible Darstellung aller Pläne erteilten sie Four Music schließlich den Zuschlag. Ein Plus fürs Label, aber auch für Moonbootica als verantwortliche Künstler mit der ständig schwelenden Gefahr, aus Zeitgründen dem eigenen Anspruch in Sachen Labelarbeit gar nicht gerecht werden zu können. „Ich kann nicht den ganzen Kleinscheiß erledigen, mit dem Vertrieb telefonieren etc. Nicht, weil ich mir dazu zu fein wäre, sondern weil ich mich auf andere Dinge konzentrieren muss. Wenn man dann so sehr involviert ist, tut man sich mit seinem Hang zur 100-Prozentigkeit keinen Gefallen. Wir können und wollen nur das machen, was wir gut finden. Ich möchte kein Produkt herstellen, bei dem ich denke ‘Scheiße Alter, du kannst nicht du selber sein.’ Dein Publikum nimmt dir das doch auch gar nicht ab.“ Und so präsentiert „Our Disco Is Louder Than Yours“ das, was Moonbootica seit Jahren verkörpern: Puren Clubsound für die Primetime – und das über die gesamte Spiellänge. „Wir finden unser zweites Album nach wie vor gut, auch wenn hier ganz klar Ecken und Kanten drin waren – mit langsameren, nicht tanzbaren Stücken. Wir wollten diesmal die gesamte Bandbreite unserer Musik, also alles was wir gut finden, präsentieren, doch mit dem Anspruch, von vorne bis hinten tanzbar zu sein. Auch die ruhigeren Stücke sollten einen gewissen Groove für den Dancefloor haben.“ Der Club, der Tanzflur, das ist nun mal das Zuhause von Moonbootica, und so ist es unumgänglich, dass sämtliche hier gesammelten Erfahrungen und Eindrücke in ihren Produktionen Verwendung finden. „Alles fließt mit ein. Das Wochenende ist ein essenzieller Teil unserer Arbeit. Aber auch die Musik, die wir privat hören, was wir gut finden, spielt eine Rolle. Wir haben einen extrem breiten musikalischen Horizont. Ich höre am Montagnachmittag daheim keinen Clubrave – sondern eher von Reggae über HipHop bis zu obskurem, iranischem Funk aus den 70ern alles. Diese ganzen kleinen Einflüsse spielen alle in die Produktionen hinein. Aber ein Hauptaspekt ist ganz klar, was im Club passiert. Es muss immer fett sein, es muss immer drücken, es muss immer klar sein und funktionieren können. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass ‘Our Disco Is Louder Than Yours’ ein reines Dancealbum ist, dafür sind die Stücke dann doch alle zu unterschiedlich.“ Etwas, das den Moonbootica-Kenner nicht überrascht, denn noch nie haben die Hamburger auf reine Tools gesetzt, sondern stets auf hohen Abwechslungsreichtum und die eine oder andere musikalische Überraschung geachtet.

In einer eher trackorientierten Zeit wie heute ist die Veröffentlichung eines Albums in erster Linie ein Geschenk des Künstlers an sich selbst. Die Möglichkeit, sich in diversen Facetten zu präsentieren und sich selbst zu verwirklichen. „Wir haben die Möglichkeit, Alben zu machen, und deshalb machen wir sie auch. Sie sind eine Art Zeitdokument, ein bisschen wie diese Geburtstagskarten nach Jahreszahlen mit zehn Fakten zu besagtem Jahr. Nur, dass wir dabei mehr in die Tiefe gehen. Es ist gut, wenn ein Künstler mehr zeigen kann, als nur die eine spezielle Momentaufnahme in Form eines Clubtracks. Auf dem Album sind auch Sachen drauf, die als reiner Clubtrack gar keine Berechtigung hätten. Und heute, wo es keine B-Seiten mehr gibt, sondern alles bei Beatport und Co. heruntergeladen wird, würde niemand diese Nummern mehr hören. Diese Stücke sind aber da, die mussten ja irgendwie raus und auch sie brauchen Platz, und den bekommen sie auf dem Album.“ Unter jenen Clubtracks und nicht reinen Clubtracks finden sich auch einige Kollaborationen. Nach Zusammenarbeiten in der Vergangenheit mit IAMX, Phantom Black oder Jan Delay sind es diesmal Tomas Høfding von WhoMadeWho, Anthony Mills, Siri Svegler und der New Yorker Rapper Redman. Es wird nichts dem Zufall überlassen, doch gibt es auch keineswegs die großen Wunschkandidaten, die durch telefoniert werden. „So arbeiten wir nicht. Es gibt 100 Leute, mit denen ich gerne mal was machen würde, 1.000 mit denen ich es mir vorstellen könnte. Es ist aber so, dass wir die Tracks produzieren und ab einem gewissen Zeitpunkt überlegen, wer dazu passen würde. Bei Tomas Høfding war das direkt so und hat auch sofort geklappt. Bei Mills und Siri Svegler war es ähnlich. Das funktioniert meist nur, wenn es Independentkünstler sind. Je größer ein Künstler ist, desto sperriger wird es. Nur das mit Redman war ein glücklicher Zufall. Wir hatten auch erst noch Johnny Blake von Zoot Woman dabei. Er wollte das gerne machen, das lief alles schon, bis das Management wechselte und es dann doch ablehnte. Das braucht kein Mensch.“ Natürlich sind namhafte Kollaborationen oft nicht unerheblich für den Absatz eines Albums, und auch Moonbootica sind daran interessiert, ihre Musik zu verkaufen. Doch lässt die Digitalisierung hier ohnehin nichts anderes zu, als Abstriche bei den Erwartungen zu machen. „Wir haben unsere ersten beiden Album gut verkauft, aber das muss man immer in Relation sehen. Wir leben in einer Zeit, in der Alben aus diesem Genre teilweise nur 1.000 Mal verkauft werden. Dass man davon nicht großartig leben kann, schon gar nicht, wenn man zu zweit ist und noch andere Sänger dabei hat, ist klar. Selbst bei 20.000 oder 50.000 Alben bleibt nach Abzug von Mastering etc. zwar noch gutes Geld übrig, aber für einen Alterswohnsitz am Strand reicht das nicht. Es ist kein offenes Geheimnis, dass wenn du nicht spielst, du nicht lange davon leben kannst. Aber das ist ja auch okay. Nichts desto trotz finde ich, dass es besser ist, je öfter sich das Album verkauft, sonst könnte ich es auch umsonst ins Internet stellen.“ Mit Streamingdiensten wie Spotify und Co. stehen zumindest die beiden Vorgänger und so bald auch Longplayer Nr. 3 beinahe kostenlos im Internet. Eher eine Chance zur Erweiterung des Bekanntheitsgrades – auch auf internationaler Ebene – oder doch nur Betrug am Künstler? „Es gibt da mehr als eine Wahrheit. Wenn man sich die aktuelle Diskussion anguckt … auf der einen Seite die Piraten, die rumeiern, auf der anderen die Betonköpfe, die meinen, es müsste immer so weitergehen wie in den goldenen 70er-Jahren. Das sind alles Teilwahrheiten. Mich kotzt es an, dass niemand die Fakten mal auf den Tisch legt. Natürlich ist es scheiße, wenn man irgendwas erschafft – egal ob Kulturgut, Brötchen oder ein Auto – und wenn dann die Leute kommen und es umsonst wollen. In diesem Land gibt es ganz wenige, die bereit sind, etwas für nichts zu machen. Ich glaube nicht, dass sich in der Piratenpartei viele Leute finden, die 30 Stunden Politikarbeit umsonst machen und dann noch mal 30 Stunden ins Callcenter gehen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Welt verändert sich, und man muss sich den Gegebenheiten anpassen. Und die Strukturen sind einfach verbesserungswürdig. Es kann nicht sein, dass eine CD 20 Euro kostet, und alle – vom Vertrieb über das Presswerk und das Label bis zum Grafiker – drei Euro daran verdienen, während der Künstler, der die ganze Scheiße gemacht hat, gerade einmal einen Euro bekommt. Und es kann auch nicht sein, dass Kids von ihrem kleinen Taschengeld eine CD für 20 Euro kaufen sollen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir haben in unserer Gesellschaft eine Geringschätzung von Kunst. Das kommt aber nicht von den Kids, sondern ist einfach ein großes gesamtgesellschaftliches Problem. Da spricht nur niemand drüber. Du kannst nicht davon ausgehen, dass ein Künstler Kunst macht, wenn er davon nicht leben kann. Dann muss er etwas anders tun, um seine Miete zu zahlen. Und niemand will doch, dass nur zehn Leute ein und den selben Film machen, ein und die selbe Platte aufnehmen und ein und das selbe Buch schreiben. Aber es kann auch nicht sein, dass die Leute 250 Euro für eine Karte für Madonna ausgeben, aber nicht bereit sind, einen Euro für einen anderen Künstler bei iTunes zu bezahlen. Es ist so wahnsinnig schwierig, da eine Position zu finden. Es gibt immer Nutznießer, Bands und DJs die finden, dass es super ist, alles umsonst rauszugeben, um sich so zu promoten. Sofort hast du einen Riss in der Valenz. Es kann doch nicht sein, dass es in unserer Gesellschaft nicht den Konsens gibt, dass geistiges Eigentum gleichgestellt ist mit materiellem. Es ist einfach eine Frage der Prioritäten. Es ist heute wichtiger, 500 SMS im Monat zu schreiben, als ins Kino zu gehen oder Musik zu kaufen. Warum werden die Kids nicht darüber aufgeklärt, dass das nicht in Ordnung ist?“ Das Album von Moonbootica ist jedenfalls am 24. Mai auf Four Music erschienen und kann als Download oder physikalischer Tonträger käuflich erworben werden. Und/oder ihr könnt Moonbootica im Rahmen diverser Gigs in den kommenden Monate besuchen. Zahlreiche Festivals stehen auf dem Plan, doch auch im Club sind die zwei wieder massiv vertreten. Noch, denn sollte die GEMA im nächsten Jahr tatsächlich dazu übergehen, die Tarife für Clubs neu zu berechnen, könnte diese Einnahmequelle für DJs zusätzlich wegfallen. „Grundsätzlich muss man sich heute über alles Gedanken machen. Wir leben in einer komplexen Welt und müssen uns immer mehr als nur über unseren persönlichen Spaß Gedanken machen. Die GEMA ist ein ähnlich wie Raubkopien etc. ein sehr komplexes Thema, mit dem viel Propaganda betrieben wird. Die GEMA argumentiert damit, dass es mit den neuen Tarifen für viele Lokalitäten besser wird. Ich stecke in dem Thema nicht genug drin, um das alles so genau nachzuvollziehen. Aber am Ende geht es immer um Kohle. Die GEMA repräsentiert die Künstler, doch wenn man sich die Strukturen der GEMA gerade hinsichtlich der neuen Medien betrachtet, fragt man sich, ob sie sich überhaupt mitbewegen. Wir als Konsumenten nutzen nicht die Macht, die wir haben, weil wir nicht bereit sind, auf etwas zu verzichten, wie z.B. YouTube zu boykottieren.“

www.moonbooticque.com
www.fourmusic.de

Fotos: Timmo Schreiber