Necmi – Dirty Prog in Town

 

 

Wir haben Necmi Serefoglu aka Necmi, Labelchef von iDirty Records und Erfinder des Genres Dirty Prog, zum Interview gebeten – und die Zeit nahm er sich gern, obwohl er mit Studioproduktionen, Label-Arbeit und seinem Job als Integrationscoach durchaus sehr beschäftigt ist. Mit seinen energetischen Live-Auftritten und durch die intensive Interaktion mit dem Floor während seiner Sets hat er die Crowd schon unzählige Male begeistert und bewegt. Nun lässt er uns ein wenig hinter die iDirty-Kulissen schauen und verrät, was es mit Dirty Prog auf sich hat.
necmi bild

 

Wie bist du zur Musik gekommen, wo fing das alles an?

Ein richtiger Musiker war ich nie. Ich hatte zwar als Kind eine Orgel und als Jugendlicher habe ich zwei Jahre lang einen Gitarrenkurs besucht, aber das war es auch erst einmal. Meine Leidenschaft war schon immer der Tanz. Ich war mal als 5- oder 6-Jähriger mit meinen Eltern in einem Laden, in dem es auch eine kleine Disco-Ecke gab, danach war es um mich geschehen. Disco musste her, mit 10 hatte ich mich mal in eine Kinderdisco geschmuggelt, die ab 12 war, und habe mir sogar von Thomas Gottschalk, der da den DJ machte, mein einziges Autogramm geben lassen. Ich denke, ich habe mir in meinen jungen Jahren so ziemlich alles gegeben, was man bekommen konnte, ob Breakdance in der Einkaufspassage oder türkische Folklore. Ich war mal Kölner Karnevalstanzoffizier, machte einen Standard-Latein-Tanzkurs und Jazz-Dance – das war Standard, in den Achtzigern sowieso. Aber so richtig schlug mein junges Herz für Disco. Jahre später hat mich der Techno gepackt und es war noch mal eine völlig neue Erfahrung, den Sound nicht als Einheit zu erleben, sondern aufzuschlüsseln und auf die verschiedenen Körperregionen zu verteilen – die tiefen Bass-Töne auf die Beine, die höheren weiter oben. Jetzt weiß ich, dass es Chakren sind, die ich wohl so angeregt hatte.

Ein Kumpel hatte Equipment, ich saß oft dabei und beobachtete, wie der Sound sich zusammensetzt. Irgendwann habe ich mich auch mal an seine 808 getraut und habe es geliebt, im Schneidersitz Sequenzen zu programmieren und mir den Wolf zu wackeln. Später habe ich mir einen eigenen Drum-Computer gekauft. Anfangs habe ich die gebauten Beats in meine Arbeit als Erzieher im Kindergarten einfließen lassen und Bewegungsreisen kreiert. Meine erste Goa-Party hat mich dann so richtig verzaubert, den Sound wollte ich auch machen.

Du hast tatsächlich das Genre Dirty Prog erfunden. Erzähl uns davon!

„Erfinden“ klingt so ergebnisorientiert, aber mir fällt da gerade auch kein treffenderes Wort ein. Meinen Style hatte ich schon vor dem Begriff. Ich hatte mal wieder meinen Label-Head und Master-Engineer, Mirko Schellenberger, gelöchert, wie ich den einen oder anderen Sound schön sauber und klarer bekomme, und er meinte nur: „Ey, Diggi, dein Sound ist dirty, eigen und funktioniert auf dem Floor. Wieso groß verändern? Geh deinen Weg!“ Das hat einiges bei mir ausgelöst und mich auch ein wenig befreit. Ich meine, du bist doch der Chef deines Tracks und wenn es der Floor annimmt, ist alles gut, egal, welche Regel du mal wieder gebrochen hast. Je mehr, desto besser und innovativer.

Ich habe meinen Sound dann Dirty Prog genannt, wenn ich danach gefragt wurde. Später durfte ich im Label mithelfen und als A&R entscheiden, was bei PSR Music releast wurde. Das war halt „proggy“ – ein Sound, der strammer, schneller, rotziger und vor allen Dingen überraschender, genreübergreifender war, der mich persönlich angemacht und die Fan-Zone gekickt hat. Es wurde dann frech alles Dirty Prog genannt. Ich meine, wer das Genre „erfindet“, darf auch das Spektrum definieren – klare Sache, oder? Ende 2016 habe ich dann den Sprung gewagt und iDirty Records gegründet. Dabei ist es mir insbesondere wichtig, ein breites Spektrum an Dirty Prog zu repräsentieren, und ich habe den Anspruch, dass jedes Projekt seinen eigenen, unverkennbaren Sound hat, wie zum Beispiel Jawgrinder mit seinen absolut rockigen, rotzigen, gitarrenlastigen Sounds. Oder Kleysky mit seinen dynamischen und treibenden Basslinien, seiner Detailverliebtheit und einer abnormalen Verspieltheit. Parra Nebula ist frech, bricht alle Regeln und ist einfach nicht bereit, sich anzupassen! Nitro & Glycerine geht klar als Dirty Psy durch, insbesondere was die neuen Sachen angeht. Binary Function deckt für mich Dirty Psyprog und Gaiazentrix und Dual Chaos fangen alles sanft auf.

Was ist deine Motivation für die Label-Arbeit und welches Resümee ziehst du nach 18 Monaten iDirty Records?

Ich liebe es, ofenfrischen Sound von meinen Produzenten zu bekommen, manchmal mit offenem Mund dazusitzen oder direkt auf meinem Stuhl los zu hoppeln. Und ich liebe es, sie dann in meinen DJ-Sets anzutesten, zu feiern und diese Begeisterung mit den Menschen real und virtuell zu teilen. Marco Petri aka Slackjoint schafft es immer wieder aufs Neue, mich mit seinen Grafikarbeiten für Cover etc. umzuhauen. Mittlerweile bin ich schon ein richtiger Fanboy – diese Momente, wenn ich seine Mails öffne, zählen zu meinen persönlichen Highlights. Auch Beatport-Charts finde ich immer sehr spannend: Neun von zehn Releases waren in den Top 20 der Album-Charts, mehr als die Hälfte in den Top 10, die „uDirty?“-EP von Parra Nebula schaffte es auf Platz 4 – und die „Orianti“-EP von Chrisslix & Kleysky sogar auf Platz 2!

Was können wir in Zukunft von Necmi und iDirty Records erwarten?

Natürlich ist die „V.A. iDirty Labelnight Vol. 2“ schon in Planung – da werde ich erneut versuchen, den Flair von den Label-Partys einzufangen. Kleyskys „Rollercoster“-EP ist in der Pipeline genauso wie die „Lunar Eclipse“-EP von Parra Nebula, die „Soundwaves“-EP von Si-Moon, die Debüt-EP von Coalost sowie eine neue von Jilax. Nicht zuletzt arbeiten auch Nitro & Glycerine und Jawgrinder an einer neuen EP. Außerdem werde ich von meinem flotteren Side-Project Necman eine EP raushauen und eine Necmi-EP ist auch in Arbeit – eventuell sogar ein Album. Ganz besonders freue ich mich auf das Release „Happy Birthday“ von Klopfgeister & Necmi, das mit seinen 180 bpm schon einige Floors bei Testläufen auf links gedreht hat.

Wie ist allgemein deine Meinung zur Szene?

I love it, durch und durch. So unfassbar viele flauschige und friedfertige Menschen, und fast jeder grinst zurück. Ich wäre nicht so lange dabei, wenn es anders wäre. Wenn manche Leute kritisieren, dass Goa kommerziell wird, dann sage ich, Goa ist eine Bewegung. Mich persönlich wundert es eher, dass es so lange gedauert hat, bis die breite Masse merkte, was sie an tollem Sound und Setting erwartet. Und was kann eine Bewegung Schöneres zum Inhalt haben als Peace, Love, Unity & Respect? Je mehr Menschen das zelebrieren und ihre kollektiven und individuellen Erfahrungen vom Floor in ihren Alltag integrieren, umso gemütlicher kann es auf der Welt werden. Gerade in der heutigen Zeit, in der wieder alle gegeneinander aufgehetzt werden, baut Goa Brücken, verbindet und energetisiert Menschen aus aller Welt. Gemeinsam lachen, tanzen, aufeinander zugehen, die Sonne spüren, gute Energie tanken. In meinen Augen ist Goa für alle da, die bereit sind, sich anstecken zu lassen, und ein Lächeln mitbringen. Ich meine, jeder war am Anfang ein Tourist – und viele lassen sich gerne verzaubern, inspirieren und werden ein Teil des Ganzen.

Was war dein schönster Moment als Artist?

Sorry, da muss ich passen, den einen Moment habe ich nicht. Die tollsten Momente sind für mich die, wenn der Grad an energetischem Austausch mit dem Floor am höchsten ist, man sich gegenseitig die gute Stimmung zuwirft, sie steigert und kollektiv durchgedreht wird. Wenn man zu einer Einheit verschmilzt, so wie bei gutem Sex, da gehören auch immer zwei zu.

Gibt es noch etwas, was du denjenigen, die neu in der Goa-Szene sind, mit auf den Weg geben möchtest?

„Goa is not a place, it’s a state of mind“ – ein Zitat aus der Dokumentation „Last Hippie Standing“.

Aus dem FAZEmag 078/07.2018
Text: Jeanette Leiendecker
Foto: Natalie Streich

 

 

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