Neelix on Tour – die Kolumne: Bin ich echt? Was lasse ich zurück?

 

Neelix 15

Neelix on Tour – die Kolumne: Bin ich echt? Was lasse ich zurück?

Als die Hippie-Bewegung in Amerika begann, wurde diese stark durch die Musik dieser Generation gestützt und geprägt. Eine klare Anti-Kriegs-Message mit vielen wundervoll kreativen Ideen und Aktionen war geboren. Diese Bewegung hat den Verlauf der Geschichte für immer verändert! Menschen wurden bewusster darüber, was auf der Welt geschieht, und dass sie selbst die Welt sind. Auch der Hip-Hop hat seine Anfänge im Kampf für Gerechtigkeit und Gleichheit. Durch brutale und rassistische Übergriffe, wie zum Beispiel im Fall Rodney King, war es auch nötig, dieses Sprachrohr zu nutzen. Es war ein Aufschrei und somit unglaublich wichtig. Diese Beweggründe sind echt und inspirierend, sie bearbeiten und verarbeiten wichtige Inhalte. Die Kunst wird als Plattform zum Ausdrücken der Gedanken und Gefühle genutzt. Damit kann ich mich identifizieren, darüber kann ich reden.

Die Entwicklung der Sozialen Medien.
Was ist ein Instagram-Like-Bot? Ein Like-Bot ist ein Programm, das millionenfach pro Tag Bilder für den Nutzer liket und kommentiert, ganz ohne Aufwand. Diese Kommentare sind oft nur drei Emoticons oder ähnliches, damit es auch gut auf alle möglichen Bilder passt. Bloß keine echten Aussagen, denn die würden ja auch in den meisten Fällen nicht passen. Es ist ein leichter Weg, ohne Aufwand mehr Follower zu bekommen. Denn unter Millionen von Bildern steht nun der Name dieses DJs oder dieses Nutzers, der diesen Bot benutzt. Bei Millionen von Posts pro Tag wird so der eine oder andere auf den Namen dieses DJs aufmerksam und wird ihm im besten Fall dann auch folgen.

Wenn ich mir jetzt auch so ein Bot installieren würde, hätte ich auch ganz schnell mehr Follower. Wahllos würde nun auch mein Like-Bot die Bilder aller anderen Bot Nutzer liken und mit unechten Kommentaren versehen. Jetzt wird es deutlich. Bots liken andere Bots, unechte Kommenare werden nun auch noch unecht kommentiert. Das ist die Social-Media-Welt im Moment. Und das nicht nur bei Instagram. Aber das ist leider noch nicht alles.

Viele Künstler posten gar keinen Content mehr von sich, weil das zu aufwändig wäre, und auch einfach zu langweilig. Sie suchen sich lieber schnell viral starke Bilder und Videos von Fun-Seiten, auf denen echt kreative und lustige Menschen zu sehen sind und posten dann einfach diesen Fremd-Content auf ihrer Seite. Die Musik ist jetzt tatsächlich nicht mehr wichtig. Nur noch viral muss alles werden. Nun ist der Fake komplett, geklaute Bilder und Videos von Anderen, die mit der Kunst des Künstlers überhaupt nichts mehr zu tun haben. Geliket von Leuten und Programmen, die sich nicht für die Musik interessieren. Was will uns dieser Künstler damit sagen? Vielleicht sowas wie: „Es ist mir scheiß egal, was ich anrichte, Hauptsache ich habe Erfolg!“? Die Definition von Erfolg habe ich ja in einer vorherigen Kolumne schon beleuchtet.

Ich habe in der Vergangenheit auch mal Videos aus YouTube geladen und sie für meine Zwecke umgeschnitten. Diese Videos gehören jetzt zu den erfolgreichsten Posts meiner Seite. Weil sie einfach und klar verständlich sind. Es sind Menschen zu sehen, die unglaubliche Sachen vollbringen können. Nach dem Konzept „people are awesome“. Ich weiß daher, wie leicht es ist, sich einfach an dem Content anderer zu bedienen. In meinem Fall habe ich tatsächlich noch viele Tage Arbeit hineingesteckt. Das wäre gar nicht nötig gewesen. Ein einfaches Bild eines sehr gut gemachten Tattoos oder ein lustiges Tanzvideo hätten es auch getan.

Wenn ich jetzt ständig solchen Fun-Content poste, bringt es schnellen Wachstum für das Projekt, das Projekt, welches jetzt keinen echten Inhalt mehr hat. Es ist schon Inhalt irgendwie, nur ist es jetzt eigentlich eine Comedy-Seite geworden und damit total austauschbar. Da ist ja soweit nichts Schlimmes dabei, könnte man jetzt denken. Es ist ja keiner zu Schaden gekommen, oder?

Mein Freund Hannes (Spintwist Label-Chef), hat mir mal ein Problem aufgezeigt. Wenn die Gäste auf einer kleinen Veranstaltung ausbleiben, weil der DJ eigentlich gar nicht so angesagt ist, sondern nur eine gut laufende Fun-Seite pflegt, wird es deutlich. Seine Follower fanden ja eigentlich nur seine Posts witzig. Der arme Veranstalter der geblendet wurde, hat jetzt viel Geld verloren. Dem DJ ist das egal, der bekommt ja seine Gage. Der Veranstalter ist jetzt pleite und macht keine kleinen, schönen Partys mehr.

Ich kenne einen jungen Produzenten, der freute sich so doll über einen Kommentar eines bekannten DJs unter einem seiner Tracks, dass er es allen seinen Freunden erzählte. Er erhielt immer wieder positive Kommentare von seinem Idol, dass er sogar für einige Tage nicht mehr schlafen konnte, so aufgeregt war er. Für diesen jungen Musiker bedeutete diese Ehre alles. Irgendwann hat ihm dann jemand gesteckt, dass es ein Fake war, und dass er ein Idiot sei. Zuerst konnte der arme Junge aus Freude nicht schlafen, nun ist es ihm peinlich und er kann aus Schamgefühl wieder nicht schlafen.

Ich frage mich, wie sich diese Echtheit vermissenden Künstler dabei fühlen, denken sie gar nicht darüber nach?

Ich saß vor kurzem mit einigen Künstlern zusammen über Stunden in einem Bus, wir fuhren zu einem sehr großen Festival. Ich erzählte davon, dass ich einen Song gemacht habe, der dazu anregen soll, mehr Gemüse zu essen. Und gerade mache ich einen Song, in dem ich den Tod meines Bruders verarbeite. Ich habe sein Lachen und seine Stimme darin eingebaut. Das war eine schöne Art der Verarbeitung und eine Ehrung meines Bruders. Eigentlich hat jeder Song von mir eine private Komponente, und auch jedes Cover. Selbst der Song „1000 Sterne“, der wirklich etwas aus der Reihe fällt. Unter dem ganzen Lied liegen durchgehend die Geräusche der Planeten aus unserem Sonnensystem. Das ist jetzt nichts wirklich Emotionales, doch ich wollte schon immer mal einen Song mit diesen Geräuschen machen. Auf dem Cover von „1000 Sterne“ habe ich noch eine Danksagung an euch alle und ein Bild meiner Mutter, wie sie meinen schon verstorbenen Bruder umarmt, versteckt. Das habe ich mit allen Songs und bei jedem Coverdesign so gemacht – mal mehr und mal weniger, wie es gerade so passte.

Die Künstler in dem Bus sagten: „Wow, dass ist ja etwas ganz Neues, dass das eigene Leben mit in die Musik eingebracht wird“. Ich erwiderte, „Nein, dass ist etwas ganz Altes“. Nichts von sich in der Musik zu verpacken, dass ist eigentlich das Neue! Was ist echt? Es reicht nicht, ein Gandhi-Zitat zu posten und sich dann für weise zu halten und sogar zu denken, dass man es verstanden habe. Das Beschäftigen mit etwas und das Gelernte ins eigene Leben einzubringen, ist echt, dauert aber lange. Zwei Minuten Zitat suchen, posten und Lob einfordern, reicht hier leider nicht aus. Eine große Schwierigkeit ist hier, den Unterschied zu erkennen. Glauben doch viele, dass nur weil ihnen etwas gefällt, sie auch danach leben. Die Möglichkeit, sich dahingehend zu reflektieren, ob es echt ist oder nicht, braucht Kraft. Bin ich wirklich so oder wäre ich nur gerne so? Hierfür braucht es des Weiteren viele Gesprächsrunden mit interessierten Freunden und verschiedensten Individuen mit eigenen Meinungen. Das ist leider digital nicht möglich. Wenn aber jeder ständig nur aufs Handy schaut und postet und wiederholt, was ein Anderer mal gesagt hat, ohne sich damit wirklich beschäftigt zu haben, ist diese nötige Vielfalt der Menschen nicht mehr gegeben.

Echtheit und Tiefe der Aussagen geraten ins Wanken. Es wird schwer, sich als Individuum mit eigenen Ideologien zu finden. Wer bin ich eigentlich? Du hast Verantwortung! Musik hat auch Verantwortung, und hatte diese immer. Es werden Werte vergeben und Stellungen bezogen.

Seid ehrlich zu euch und nehmt euch die Zeit zur Formung eurer Werte. Die Gespräche mit Menschen, die sich wirklich mit etwas auseinander gesetzt haben, sind satt und schön. Sie besitzen Tiefe und bringen einen voran. Man wird in sich gestärkt. Jede Epoche hat etwas Schönes und Wertvolles vermittelt und zurückgelassen. Was lassen wir heute zurück, was lässt du zurück? Hoffentlich nicht nur lustige virale Videos und Zitate, die nur aus Like-Gründen gepostet wurden. Bitte lasst uns daran arbeiten, diese Epoche auch mit Schönheit und Echtheit zu füllen. Das sind wir, wir sind wach und wissensdurstig. Ich will leben und unsere Kinder sollen das auch noch können. Viel mehr hängt an diesem Thema, als vielleicht auf den ersten Blick zu erkennen ist. Es bedeutet, dass ich es mir wert sein muss, mich zu positionieren und mich für meine Welt zu interessieren und einzusetzen.

Danke liebes FAZEmag-Team, dass ihr mir diese Chance gebt, hier zu schreiben! Ich fühle mich gut, wenn ich schreibe, weil ich mich dadurch mit diesen Sachen noch tiefer beschäftige.

 

Das könnte dich auch interessieren:
Neelix on Tour – die Kolumne Pt. 1

Neelix on Tour – die Kolumne: Erfolg ist, wenn du ein netter, respektvoller Mensch bist
Neelix on Tour – die Kolumne: Kreative Blockaden
Neelix on Tour – die Kolumne: Teurer Studioschmuck und der Unterschied zwischen Songs und Tracks
Neelix on Tour – die Kolumne: Alles, was du nicht willst, wird schlimmer werden

Interview: Neelix – der riesige Baum
Unsere Lieblings-Goa-Festivals