Neil Landstrumm – Abseits der Norm

Neil Landstrumm (7)5
Neil Landstrumm – Abseits der Norm

Seine musikalische Karriere hat der Schotte mit dem bürgerlichen Namen Neil Sutherland bereits 1994 initiiert. Darüber hinaus war er als Grafiker bei MTV, Rockstar Games und The Magnificents tätig. Ende der 90er zog es ihn für mehrere Jahre nach New York, wo er auch seine ersten Veröffentlichungen feierte. Seine Diskografie erstreckt sich über Imprints wie Tresor, Mosquito, Peacefrog und Planet Mu, welches zu der Zeit wohl als einflussreichstes Techno-Label Großbritanniens galt. Mit Scandinavia führt Landstrumm auch sein eigenes Techno- und Design-Label. Das wohl signifikanteste Merkmal des nun in Edinburgh lebenden Live-Acts war im Laufe seiner 20-jährigen Karriere die Vermischung von Hip-Hop, Dubstep und Reggae-Elementen mit elektronischer Musik. Auf Snork Enterprises liefert er nun Katalognummer 85.

Die 4-Track-EP trägt den Titel „Rock Steady“ und erklingt in gewohnter Manier dynamisch, rough und aufbrausend. Ein aus künstlerischer Sicht guter Start in das Jahr 2017, stand seine Gesundheit doch in den vergangenen Wochen unter weniger guten Sternen. „Ich habe es geschafft, mir auf spektakuläre Art und Weise meinen Knöchel zu brechen, als ich zum Geburtstag meiner Tochter Schlittschuhlaufen war (lacht). Aber alles Schlechte hat auch etwas Gutes. So hatte ich die Gelegenheit, mich wieder etwas auf meine Lebenskraft zu konzentrieren. Es war daher ein relativ schwieriger Start ins neue Jahr, aber mit meinem Cyborg-Knöchel bin ich jetzt ein vollkommen neuer Mann. Ich kann es kaum erwarten, wieder auf mein Trial-Bike zu steigen und die Hügel hinunter zu brettern. Trotz des Handicaps habe ich es geschafft, ein paar richtig gute Gigs zu spielen. In Paris war ich auf dem ,Rave or Die’ mit The Mover aka Mark Acardipane und bei der ,NonPuls Records’-Labelparty in der Fabric in London gemeinsam mit Boddika.“ Auf seine musikalischen Wurzeln angesprochen, führt der Schotte uns in die UK-Rave- und Acid-House-Explosion der späten 80er- und frühen 90er-Jahre – kombiniert mit dem Sound der Happy Mondays aus Manchester. „Die UK-Rave-Kultur hat schon immer viele verschiedene Stile in den Rave hineingebracht. Gerade deshalb sind die musikalischen Exporte aus dem Vereinigten Königreich auch immer so erfinderisch. Ich glaube, es tut Techno sehr gut, verschiedene andere Stile miteinzuschließen, sonst wird am Ende alles doch sehr trocken, langweilig und repetitiv.“

Ein Paradebeispiel seines Schaffens ist sein Album „Restaurant Of Assassins“ auf Planet Mu aus dem Jahr 2007. „Ich denke, dieses Album bündelt meine Styles am besten. Grime, Dark Garage und Dubstep der 90er hatten auf jeden Fall einen großen Einfluss auf mich und sind fast genauso sehr ein Teil von mir geworden wie die frühen Chicago-Acid-House-Platten. Es ist eben echter Underground von der Straße. Genau das gibt den Platten eine Echtheit, die schwer zu schlagen ist. Musik braucht Soul und Spirit. Ich neige dazu, gewisse Sounds oder Ideen in Tracks zu erforschen und sobald ich ein sinnvolles Ergebnis gefunden habe, mache ich weiter mit etwas Neuem. Natürlich gibt es typische Sounds, die ich gern nutze, aber das kommt vermutlich daher, dass ich gewisse Lieblingsgeräte habe wie den Roland Jupiter 6. Musik zu machen, fühlt sich für mich noch genauso an wie damals, als ich 18 war und meine erste 12Inch mit Cristian Vogel in Brighton gemacht habe.“ Und so erklingt auch „Rock Steady“ auf Snork Enterprises im für ihn typischen Gewand. Ein Resultat, welches aus mehreren Studio-Sessions über Jahre hinweg entstand. „Alle vier Produktionen sind sehr vom UK Grime und von Bass-Musik inspiriert, was man besonders an den Basslines und den Beat-Strukturen hören kann. ,Wiley’ ist übrigens ein Sample eines Interviews, das ich auf einem Radiosender gehört habe. Ein bisschen dreist, aber die Vocals passen wirklich super zum Bass und den Drums. Alle vier Tracks haben durch meinen OSCar-Synth ein relativ weites Arpeggio und eine ganze Menge Acid-Hiebe durch den Jupiter 6. Der letzte Track ,The Place’ hat durch die Sogwirkung der Kick-Drum und die Reichweite der Bassline weit aus den Lautsprechern heraus eher einen Garage-Vibe. Es hat wirklich Zeit gebraucht, diese Platte zusammenzustellen, vielleicht zwei Jahre.“ Christian Schachta, Label-Inhaber von Snork, hat ihm ohne jeglichen Druck die notwendige Zeit gegeben. „Wir sind seit Jahren befreundet. Christian war dem Technosound, den er mag und mit dem Label unterstützt, schon immer sehr treu. Es gibt heutzutage nicht mehr viel Loyalität in der Musikbranche. Christian ist sehr offen, was die kreative Richtung von Releases angeht, und lässt den Künstlern ihren Freiraum, das zu tun, was sie möchten. Wir haben auch schon auf vielen Partys zusammen gespielt und es macht immer einen großen Spaß mit ihm. Und darum geht’s doch eigentlich, oder? Das einzige andere deutsche Label, auf dem ich viel mache, ist Killekill aus Berlin. Ich mag beide Labels aus dem gleichen Grund: Sie sind bereit, aus der Norm herauszubrechen und ihren Kopf in abenteuerlichere und kreativere Releases zu stecken.“

In den kommenden Wochen werden weitere EPs von Neil Landstrumm erscheinen, darunter eine 12Inch auf Giallo Disco sowie eine EP auf dem niederländischen Label Moustache. Auch Kollaborationen mit Tobias Schmidt stehen an sowie unter Umständen ein neues Album. Am 11. März spielt er im Berghain.

Aus dem FAZEmag 061/03.2017