Novys Welt – Digital Detox

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Novys Welt – Digital Detox

Digital Detox

Oh ja, ich glaube, es wird Zeit, dass sich euer Lieblingskolumnist wieder zurückmeldet.
Es liegt ja so viel im Argen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Clubkultur, was ist nur los mit dir in Deutschland? Ist der Krieg ausgebrochen? Ist dir langweilig?
Wo sind die Clubkids? Wo sind die neuen Trends und Ideen? Wo ist die gute Musik?
In der letzten Zeit habe ich den Spirit echt vermisst beim Ausgehen. Kann doch nicht sein, dass die neue Generation tatsächlich drauf steht, im Club WhatsApp-Nachrichten zu schreiben oder Selfies zu machen, und auf Festivals lieber durch die Linse ihres Smartphones alles erlebt als in echt! Snapchat, Insta-Stories, Facebook-Mentions – das Erlebte muss geteilt werden und am besten muss sich jeder Vollpfosten-Vorprogramm-DJ live zuschalten mit seinen nicht vorhandenen Skills und seiner erbärmlichen Musikauswahl. Ich dachte immer, Snapchat wäre die App, um Bilder von meinem Gerät an fremde Frauen zu schicken. Das Erlebte? Aber was genau erlebt ihr da eigentlich? Eine Düse schießt CO2 in einen Raum? Eine Konfettikanone bläst eine Tonne Papier in die Luft? Eine Kickdrum setzt ein? Ekstase?
Echt jetzt? Oder aber ihr steht in einem Kellerabteil, das aussieht wie aus einem billigen Madmax-Endzeit-Remake und es schimmelt. Entweder ist es der Typ neben dir an der Bar aus Bierkisten, der schon seit drei Wochen da ist, oder der Keller ist längst kontaminiert – und das ist gerade das Coole, weil man danach eine Atemwegserkrankung hat. Auf jeden Fall ist es hip und total urban. Oder aber ihr habt fünf billige Ostblockschlampen zum VIP-Schampuswettsaufen und um die Wette Koksen eingeladen und den halben Club für euch. Das Einzige, was ihr da erlebt, ist am nächsten Morgen eure Kontosperrung und die Chlamydien von deinem neuen Flaschen-Freund. Oder heißt das hier falscher Freund?
Oder aber ihr steht mit ’nem schalen Bier in der einen Hand und eurem Handy in der anderen auf dem siebten Baggersee-Open-Air und pieselt euch in Hose, weil es gerade so emotional ist, wie der DJ ein Herz macht zu seinen fünf treuen Fans. Ja, das sind die großen Ausgehoptionen heutzutage.
Mal ganz ehrlich: In letzter Zeit drängt sich mir der Gedanke auf, als würden wir unseren eigenen Untergang feiern. Und zwar mit Vollgas auf der Überholspur. In den Neunzigern war elektronische Musik gleich Peace, Love, Unity. Es war eine Energie, die Leute zusammenbrachte und zusammen feiern ließ. Tanzen, um seiner Welt zu entfliehen – nicht, um sich dabei zu filmen und dann die Welt damit zuzuspammen.
Wo sind all die Emotionen hin? Wo ist die Echtheit? Das wahre Leben? Unity gibt es schon lange nicht mehr in unseren Reihen. Jeder lästert über jeden und versucht, sich so gut es geht zu positionieren. Egal ob DJs, Promoter, Clubbesitzer oder einfach nur Leser hier. Ich weiß jetzt schon, dass ich viele böse Kommentare ernten werde, aber ich habe zum Glück ein dickes Fell und es tröstet mich der Gedanke, dass es eben echt ist, die Wahrheit zu sagen und einmal aufzuschreiben, was ganz viele schon längst denken.
Ist es das wirklich, worum es gehen soll im Leben eines Einzelnen? Ist der digitale Irrsinn so weit, dass wir vergessen haben, wer wir eigentlich wirklich sind? Die Manipulation aus dem Netz gegen das Heil der Gesellschaft.
Hier ist der Gedanke der Clubkultur längst getrübt. Es geht darum, seine Sorgen zu vergessen und zusammen Spaß zu haben. Tanzen, trinken, ausgelassen sein. Sich von Musik verzaubern und entführen lassen. Träumen, lachen, rumalbern, flirten, küssen und noch mehr tanzen.
Ich würde mir so sehr eine digitale Detox-Kur wünschen für die arme, kranke Clubkultur.
Ein Wochenende ohne all das gefakte Multimedia-Desaster. Lasst eure Handys zu Hause! Oder einen Hackerangriff auf die weltweite Telekommunikation. Vielleicht braucht es auch neue, echte Aufgaben für den Einzelnen, damit er sich tatsächlich wieder entdecken kann. Ein neues digitales Bewusstsein. Ich kann euch da nur mich als kleines Beispiel nennen. Ich bin seit einem halben Jahr alleinerziehender Papa und habe gar keine Zeit mehr für all diesen Quatsch. Mein Leben hat sich komplett verändert. Zwischen Pausenbrot und Wäschewaschen kommen Studio und Auflegen. Housefrau halt. Da setzt man schnell seine Prioritäten. Liebe ist nur dann echt, wenn man sie gibt. Das gilt für alles in unserem Leben. Narzissmus ist die Geisel, die all die kleinen Mädchen zu Models und all die kleinen Jungs zu Superstar-DJs machen will – oder umgekehrt.
Zum Glück ist im März ja Fastenzeit, also viel Spaß beim Handy- und Internet-Fasten!
Kauft euch einfach weniger gefakte Instagram-Follower und Spotify-Plays und gebt das Geld für was Sinnvolleres aus. Ich bin mir sicher, ihr kommt allein drauf.

Also, bis zum April, ihr Luschen.
Euer Novy

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