Oliver Deutschmann – Über Techno und Politik

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Oliver Deutschmann – Über Techno und Politik

Politik ist ein anstrengendes Thema, das auch gerne bei Familienfeiern für hitzige Diskussionen sorgt – wer kennt das nicht. Und doch ist es wichtig, sich darüber zu unterhalten, zu diskutieren, wenn nötig zu streiten, denn von den Konsequenzen guter und schlechter Politik sind wir letztendlich alle betroffen. Wir haben mit dem DJ, Produzenten und Labelbetreiber Oliver Deutschmann über den Zusammenhang zwischen Techno und Politik gesprochen.

Siehst du in Techno eine Gegenbewegung, eine Art musikalische Auflehnung wie bei anderen Genres?

Natürlich gibt es Parallelen zu Genres wie Punk, Hardcore oder Metal. Ich komme ja selbst mehr oder weniger aus diesen Szenen und viele, die ich kennenlernen durfte, haben dieselbe Sozialisation wie ich. Das liegt daran, dass Techno eine ähnlich starke Energie transportiert und etwas war, womit die meisten „normalen“ Musikhörer nichts anfangen konnten – also ganz klar eine Jugend- und Gegenbewegung. Der „Do it yourself“-Gedanke war in den Anfangsjahren ebenso ausgeprägt wie beispielsweise in der Punkszene. Dass Künstler und Crowd auf derselben Ebene kommunizieren, ist ein anderer schöner Gedanke aus der Anfangszeit und ein weiterer Vergleich mit Hardcore und Punk. Allerdings ist das überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Hype, den es heute um DJs und Produzenten gibt. Das ist mir ehrlich gesagt zuwider und ich finde es auch ein wenig lächerlich.

Wie viel politische Gesinnung steckte in der aufblühenden Technoszene der Neunziger?

Dadurch dass viele Menschen aus politikaffinen Richtungen wie der Punk- oder der Hardcoreszene kamen, wurden viele dieser Ideen auch in die Technoszene der 90er und in die darauf folgenden Jahre getragen. Dieser Gleichheitsgedanke – dass alle Menschen zusammen feiern können, obwohl sie manchmal, oberflächlich gesehen, nur wenig oder kaum etwas verbindet – ist genau das, was mich auch heute noch fasziniert und anzieht. Ich liebe die Vorstellung, dass Schwule, Reiche, Arme, Heteros, Frauen, Transen, Männer, Moslems, Atheisten usw. sich nachts in einem Club treffen und zusammen tanzen, trinken, reden und Spaß haben. In manchen Ländern ist es natürlich schwieriger, solch eine Mischung an Leuten für eine Party zusammen zu bekommen als in Berlin, London oder New York. Aber die Techno- und Houseszene schafft einfach genau das, woran sich ganze Gesellschaften die Zähne ausbeißen. Ich erlebe das wöchentlich, feiere in Beirut mit Schiiten, Christen und Sunniten, in Moskau mit Ukrainern, Kaukasiern und Russen, in Tel Aviv mit Juden, Moslems und weiß der Geier wem noch. Das mag für manche Leute wie eine romantische Spinnerei klingen, aber es funktioniert. Und all diese Menschen eint, dass alle, wirklich alle, keinen Bock auf Krieg, Gewalt, Hass und ähnliche Scheiße haben. Politischer geht es ja gar nicht.

Wie schätzt du die Situation heute ein: Können es sich Künstler, Produzenten und DJs überhaupt noch trauen, politisch Gesicht zu zeigen?

Natürlich kann man sich trauen, politisch Gesicht zu zeigen. Allerdings sollte es selbstverständlich sein, dass homophobe Äußerungen, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und andere ähnlich ekelhafte Gesinnungen in unseren Reihen absolut nichts zu suchen haben. Techno und House stehen für Offenheit und Zusammengehörigkeit und nicht für Elite und Abgrenzung. Natürlich sollte man als Künstler auch anecken können und dürfen, aber es gibt Grenzen für Meinungen. Und es gibt DJ Sneak.

Sollten Künstler politisch aktiv werden, Gesicht zeigen, Stellung nehmen? Gibt es die Vorbildfunktion des DJs?

Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Pflicht hat, so etwas zu tun. Die meisten Künstler erschaffen Musik, Bilder, Bücher erst mal aus Leidenschaft und nicht weil die politischen Umstände sie dazu zwingen. Wenn man Politik in der Kunst außen vor lassen möchte, ist das legitim. Niemand ist gezwungen, irgendeine Vorbildfunktion einzunehmen. Manche fühlen sich dazu vielleicht nicht befähigt, andere sind schlicht zu faul und manchen ist es scheißegal – finde ich auch in Ordnung. Auf der anderen Seite ist es fast unmöglich, unpolitisch zu sein. Man kann sich ja nicht wirklich allen Ernstes zurückziehen und sagen: Das geht mich alles nichts an, was hier gerade in Deutschland, in Europa und auf der Welt passiert. Dann bist du entweder ein Misanthrop oder schlicht dumm. Oder du trägst einen Aluhut.

Auch das Berghain hat zur vergangenen Wahl in Berlin aufgerufen. Hast du von deinem Wahlrecht Gebrauch gemacht?

Natürlich habe ich das. Gab ja auch genügend Auswahl an Parteien, die es zwar nie in irgendeine Regierungsverantwortung schaffen werden, aber trotzdem im Großen und Ganzen meiner politischen Meinung entsprechen. Leider hat es nicht gereicht, um inkompetente Sprücheklopfer und Flachpfeifen wie die AfD zu verhindern. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie die jüngeren Raver und Clubber zur aktuellen Politik stehen. Ist es ihnen weitgehend egal oder wächst da gerade eine Generation mit Verantwortungsbewusstsein heran? Ich hoffe doch sehr. Nachdem die Leute jahrelang eingelullt wurden von den schwarz-roten Schlaftabletten im Bund und hier in Berlin, scheint nun doch wieder ein stärkeres politisches Bewusstsein zu erwachen. Der Wille, sich nicht alles gefallen zu lassen, ist erstarkt. Leider macht die ekelhafte Seite dieser politischen Medaille lauter auf sich aufmerksam. Meiner Meinung nach wird es Zeit für eine stärkere Gegenbewegung, um rechten Bestrebungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Da spreche ich nicht von Gewalt. Die hat noch nie zu etwas geführt. Aber anscheinend reicht der politische Wille der Parteien, aus welchen Gründen auch immer, nicht aus. Also finde ich es gut, dass ein Club wie das Berghain dazu aufruft, wählen zu gehen, um zu verhindern, dass wir wieder in den 50er-Jahren landen. Die meisten machen es sich leider ein bisschen zu einfach, ziehen es vor, zu schweigen, oder denken, dass sowieso alles bleibt, wie es ist, wir also nichts zu befürchten hätten. Mit so einer Einstellung werden sich viele Dinge hier zum Schlechten wenden. Nicht nur sogenannte Minderheiten wie Schwule, Schwarze, Behinderte und Moslems sind betroffen, auch wir, die Hedonisten und Clubber, die einfach all die Freiheiten genießen, die wir hier haben und für die andere vor uns harte Kämpfe durchgestanden haben. Ich kann dieses „Wehret den Anfängen“ auch nicht mehr hören, aber genauso muss es wahrscheinlich sein.

Aus dem FAZEmag 057
Text: Gutkind