Oliver Schories – Zehn Jahre, fünf Langspieler, eine Entwicklung

Seit seinem Debütalbum „Herzensangelegenheit“ im Jahr 2012 ist beim aus Bremen stammenden DJ, Produzenten und Live-Act einiges passiert. Zahlreiche Produktionen, Longplayer, gepaart mit unzähligen Welt-Tourneen. Am 2. März erscheint auf seinem eigenen Label SOSO sein fünftes Studio-Album. Auf „Blitzbahn“ finden sich 13 Stücke zwischen Deep House und Tech-House, die ein eher schweres und dunkleres Gewand tragen, vergleicht man sie mit seinem Sound vom vorherigen Werk „Relatively Definitely“ aus 2016. Ein Interview.

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Glückwunsch zum neuen Album – es ist mittlerweile dein fünftes. Welche Idee hattest du bei „Blitzbahn“?

Danke schön! Es war weniger eine Idee, das Album entstand aus dem Produktionsprozess selbst. Der Sound formte sich so aus dem Bauch heraus im Laufe des letzten Jahres. Da ich mich seit ein paar Jahren mit EP- und Remix-Veröffentlichungen eher zurückhalte, bin ich nun schon beim fünften Album angekommen. Ein Longplayer ist eine feine Sache zum Austoben und man ist an keine Grenzen gebunden wie bei EPs oder Remixen, das gefällt mir besonders daran.

Wie würdest du deine musikalische Entwicklung seit deinem Debüt-Album im Jahr 2012 sehen?

Ich mag und mache Musik, die im Kopf und im Herzen funktioniert und nicht unbedingt im Club. Als alles vor ziemlich genau zehn Jahren losging, war das noch etwas anders, zu der Zeit war das Tempo nicht so hoch und Acts wie Kollektiv Turmstrasse waren für mich die Helden der Stunde, weil sie es schafften, mit ruhigen, atmosphärischen Tracks eine Gänsehautstimmung im Club aufzubauen und das Geschehen zu entschleunigen. Meine ersten Releases gingen auch alle in diese musikalische Richtung, sei es „One More Dance Jules“, „Innenrotation“ oder „Wildfang“. Melodien und Emotionen standen zu Beginn der 2010er-Jahre für mich ganz weit oben. So wie in allen Bereichen im Leben gibt es jedoch Entwicklungen, die man ganz bewusst anstrebt, und auch solche, die sich einschleichen, ohne dass man es richtig bemerkt oder wollte. So sagt man mir in meinem musikalischen Werdegang seit dem ersten Album nach, dass mein Sound über die Jahre erwachsener und härter geworden ist. Ich selbst tue mich recht schwer mit solchen Pauschalaussagen, habe aber auch selbst kein besseres Statement dazu parat. Fakt ist, dass sich in den letzten zehn Jahren musikalisch sowohl bei mir als auch in der „Szene“ viel verändert und entwickelt hat und das wohl eher zu den schleichenden Prozessen gehört, die ich bewusst erst viel später wahrnehme.

Macht es überhaupt Sinn, Musik von früher mit heutiger zu vergleichen?

Mitnichten. Vielmehr vertrete ich den Ansatz, dass jedes Musikstück zu seiner Zeit seine Daseinsberechtigung hatte. Aber persönliche Vorlieben ändern sich. Einflüsse ändern sich. Und so würde ich heute auch keinen Jamie-Woon-Edit mehr machen und auch keinen Beinahe-Popsong wie „I’m Not“. Aber „damals“ war das für mich okay. Als es 2016 wieder vermehrt mit Techno losging, habe ich mein bis dato ruhigstes Album „Relatively Definitely“ veröffentlicht; als 2017 jeder zweite Deep-House-Track nur so gerappelt und geklappert hat, als würden zwei Sambagruppen die Percussion spielen, und Beatport mit Afro-House sogar ein neues Genre dafür anlegen musste, wirkte mein sehr reduzierter Remix für „Just Her” dazwischen wie ein Exot. Bei beiden Dingen war das natürlich nicht geplant, sondern ist recht zufällig passiert – und trotzdem oder gerade deswegen hat es ganz gut funktioniert. Daher glaube ich, dass eine gewisse Kontinuität in der Arbeit wichtiger ist, als Trends zu folgen und auf sie aufzuspringen. Als ich im Jahr 2001 Abitur machte, war unser Abschluss-Spruch „Geh deinen Weg und lass die Leute reden”. Ich fand den damals nicht sonderlich gut, aber im Laufe der Jahre musste ich meine erste Meinung dazu mehr und mehr revidieren und heute, 17 Jahre später, würde ich sagen, dass dieser Spruch wie nichts anderes meinen Werdegang und meine Maxime widerspiegelt.

Sechs Jahre nach deinem ersten Album klingt „Blitzbahn“ für viele so, als wäre es dein „komplettestes“ Album. Wie siehst du das persönlich?

Mit halbwegs objektiven Beurteilungen eigener Tracks, Alben oder auch Auftritte tue ich mich immer sehr schwer, was in der Natur der Sache liegt. Mit ehrlichem Feedback kann ich viel besser arbeiten als mit meiner eigenen Einschätzung – von daher überlasse ich das gern anderen. Das neue Album entstammt keinem Konzept, sondern einer Sammlung von Produktionen des letzten Jahres. Es ist sicherlich keine bunte Tüte, sondern die Stücke sind geprägt von einigen wenigen Hauptinstrumenten, die öfter auftauchen. Dass also die Stücke augenscheinlich gut zusammenpassen, ist daher wahrscheinlich eher diesem Umstand geschuldet. Das Album ist insgesamt etwas düsterer, es kommen aber auch an verschiedenen Stellen die Sonnenstrahlen durch. Mir ist immer wichtig gewesen, dass sich ein Album von vorn bis hinten am Stück durchhören lässt und dabei der Flow nicht zu stark gestört wird. Das ist nie einfach. Wenn ich in die finale Track-Auswahl gehe, mache ich mir immer eine Playlist mit allen Tracks und höre diese wochenlang im Auto, beim Sport, beim Einkaufen – nur so kann ich die Titel identifizieren, die für meine Ohren nicht zum Gesamtkonstrukt passen, und schauen, wo ich im düsteren Soundwald eine Lichtung zulassen kann.

Das ist ein interessanter Ansatz. Wie hat sich der Prozess im Studio für dich entwickelt? Bist du so etwas wie abgeklärter, routinierter oder wie gestaltet sich die fokussierte Album-Produktion bei dir?

Mehrere Jahre Studioarbeit machen sich irgendwann in den Abläufen schon bemerkbar. Zum einen wird die Frustrationsgrenze nicht mehr so schnell erreicht wie früher, wenn mal was nicht so klappt wie geplant, zum anderen weiß man grundsätzlich, wie alles funktioniert und welche Tools man braucht, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Das bedeutet aber nicht, dass alles von allein geht, sondern vielmehr, dass sich die großen Herausforderungen des Produzierens über die Zeit verändern. Waren früher Harmonien und Arrangement die Dinge, die die meiste Zeit bei mir in Anspruch genommen haben, sind das heute hauptsächlich technische Aspekte und Details. Ich kann mich in Details völlig verlieren und damit Stunden und Tage zubringen. Sidechaining, EQing und die Auswahl des richtigen Kickdrum-Samples. Ich komme immer wieder vom Hundertstel ins Tausendstel bei vielen Elementen eines Tracks. Das ist im Laufe der Zeit eher schlimmer als besser geworden, wenn ich darüber nachdenke, aber auch befeuert durch die immer besseren und vielschichtigeren Möglichkeiten der Sound-Manipulation.

Für unsere Technik-Freunde: Was sind aktuell deine favorisierten Tools und Dinge, die deinen Sound deiner Meinung nach ausmachen und die du gerne benutzt?

Mein Favorit seit einiger Zeit ist der UAD BX Subsynth. Ursprünglich hatte ich das Tool zum Abrunden von Bassläufen gekauft, aber im Praxisbetrieb hat es sich wirklich als ein großartiger Allrounder herausgestellt, den ich viel und gerne einsetze, um den nötigen Bass-Bauch an – fast alle – Sounds zu bekommen. Auf dem aktuellen Album kommt es in jedem Track zum Einsatz.

Lass uns noch mal über früher sprechen. Du bist seit zehn Jahren dabei. Wie hat sich die Szene in diesem Jahrzehnt für dich verändert? Professionalisierung oder Sell-out?

Die ersten Jahre kann ich rückblickend nur schwer beurteilen. Zum einen, weil ich sehr mit mir selbst und dem Musikmachen beschäftigt war, zum anderen, da ich nicht übermäßig viel als DJ herumkam und mir kein wirkliches Bild machen konnte. Mit dem Sprung von einigen Dance-Tracks an die Spitze der Single-Charts ab 2012 ist elektronische Musik in jedem Jugendzimmer angekommen und hat für mein Gefühl in den Jahren 2013 bis 2015 sehr viele Leute erreicht und auf Events gezogen, die das neu für sich entdeckt haben. Teilweise konnte ich selbst kaum glauben, wie zahlreich und durchweg gut besucht die Festivals und Tages-Open-Airs in diesen Jahren waren. Ich musste mich als Künstler wirklich oft entscheiden, wo ich spielen sollte, da das Angebot so groß war, dass ich nicht alles bedienen konnte. Mich beschlich aber schon 2015 zunehmend das Gefühl, dass das so nicht weitergehen kann. Dauerhaft konnten so viele Events eigentlich nicht funktionieren – und so kam es dann auch. Es war ein echter Hype und nun sind wir in den letzten zwei Jahren wieder langsam zurück in der Realität angekommen.

Der Stellenwert einer guten alten „Clubnacht“ ist für viele gesunken – stattdessen ist das Publikum auf der Suche nach einer größeren Schlagzahl an Impulsen. Festivals sprießen aus dem Boden. Wie stehst du dazu?

Wie ein alter grauer Bär, der sich das aus der Ferne ansieht und für sich in sein Bärtchen analysiert. Der Fokus hat sich für mein Empfinden auch etwas verlagert. Es geht vielleicht vielen mehr um ein fettes Event an sich als speziell um die Musik und die Künstler. Das hat sicherlich Vor- und Nachteile. Du stehst als Künstler nicht so stark im Fokus, sondern gehst ein wenig mit dem ganzen Festival in einem großen Eventverbund „unter“. Das lässt aber auch viel Platz für Experimente. So spiele ich zum Beispiel beim Awakenings mit Format:B back-to-back. Aber natürlich gibt es auch immer noch genügend Leute, die Lust auf eine Clubnacht haben und auch wissen, was sie dort erwartet. So spiele ich sehr gern im Club und mag es, nah bei den Gästen zu sein und nicht auf einer meterweit entfernten Bühne. Die Leute mögen das eigentlich auch lieber. Dem DJ mal über die Schulter gucken, was er da eigentlich macht, mal anstoßen, mal einen Musikwunsch äußern. Das geht halt alles nur im Club.

Wahrscheinlich durch die Festival-Bewegung mitgeprägt, entwickelt sich die Musik gerade wieder gen Techno statt Deep House. Wie hält man in deinen Augen die Waage zwischen „Trends mitgehen“ und „sein Ding machen“?

Ich glaube nicht, dass Musikrichtungen oder deren Entwicklungen von den angebotenen Events abhängen, sondern eher umgekehrt. Techno war immer da und Deep House auch. Das Ganze bewegt sich immer in gewissem Maße auf und ab – so eine Art Sinuskurve. Nun sind gerade nach der großen Deep-House-Welle wieder Techno- und härtere Tech-House-Acts gehypt, aber das mag in zwei Jahren auch schon wieder anders sein. Ich denke, das macht die ganze Sache auch so interessant, denn es ist halt ständig etwas in Bewegung. Heute mehr denn je. Sicher gibt es viele Künstler, die momentan mit den Trends gehen und das auch ziemlich gut hinbekommen. Die Frage ist nur: Wie lang geht das gut? Wie oft kann man auf einen Trend-Zug aufspringen, bis man als Fähnchen im Wind endgültig verbrannt ist? Daher glaube ich, dass die Künstler, die ihr Ding machen und sich von den Trends nicht übermäßig beeinflussen lassen, langfristig erfolgreicher sind. Aber das ist auch ein sehr abgedroschener Satz, den ich mich kaum mehr zu sagen traue, denn wer würde schon von sich behaupten, nicht sein eigenes Ding zu machen?

Ein großes Thema passend dazu ist Social Media. Man muss nicht mehr nur guter DJ sein, sondern auch hervorragender Produzent, Model, Marketing-Guru. Wie siehst du diese Thematik? In einem Interview mit uns von 2016 sagtest du, dass du nicht wirklich aktiv in sozialen Kanälen bist und von der „Szene“ daher recht wenig mitbekommst.

Ob man wirklich muss, ist die Frage. Authentische Accounts funktionieren eigentlich auch. Wenn Künstler – ob nun Schauspieler, Autor oder Musiker – bei Instagram echte Bilder von sich und ihrem Leben ins Netz stellen, kommt das einfach gut an. Menschen interessieren sich nun mal für Menschen. Fans können ihren Lieblingen so jeden Tag nahe sein. An der Stelle muss man erst mal kein Marketing-Guru sein. Wenn man gern zusätzlich Geld mit Social Media verdienen möchte, ist das natürlich noch mal ein ganz anderes Thema. Dann ist es sehr wohl wichtig, zu wissen, wie man sich präsentiert. Unsere Zeit ist einfach der Wahnsinn, bezogen auf die schier unzählbaren Darstellungs- und Vermarktungsmöglichkeiten. Hinzu kommt die rasante Entwicklung, gestern Facebook, heute Instagram, gestern SoundCloud, heute Spotify. Was kommt als Nächstes? Es ist spannend, zu beobachten, und ich frage mich oft, ob der Generalist den Spezialisten nun wirklich langfristig ersetzt oder es irgendwann wieder die Rückentwicklung geben wird. Alles Fragen, die ich nicht beantworten kann, über die ich mich aber unheimlich gern bei einer Bolo und Rotwein mit Freunden unterhalte. Aktiv bin ich natürlich in den Netzwerken, aber auf einer Skala von 1 bis 10 würde ich sagen: eine langweilige 3. Früher gab es Telefon, Briefkasten und die Post, um erreicht zu werden und zu erreichen. Heute gibt es Smartphone, Instagram, Facebook, WhatsApp und bestimmt noch ganz viele andere tolle Sachen, von denen ich noch gar nichts weiß. Für Fans ist das gut, für Künstler auch. In welcher Form das jeder für sich nutzt, sei ihm selbst überlassen. Wenn ich unterwegs bin, schau ich mir gern zum Zeitvertreib ein paar Instagram-Accounts an, aber dass ich nun den richtigen Plan von der ganzen Materie habe, würde ich, wie so vieles, in Frage stellen.

Kommen wir noch mal zu dir und deinem eigenen Ding. Das Album erscheint auf deinem eigenen Imprint. Was ist auf SOSO in diesem Jahr außerdem geplant?

Nachdem ich in den letzten zwei Jahren über 40 Veröffentlichungen auf SOSO hatte, habe ich für dieses Jahr mal etwas Durchatmen mit dem Label geplant. Neben meinem Album wird es Richtung Sommer dann noch ein Remix-Album geben und dazu noch einige EPs von unseren Stammkünstlern, aber ich denke, dass wir dieses Jahr maximal acht Releases machen werden.

DJ vs. live: zwei Welten, die du schon länger vereinst – so auch am 2. März bei deinem Release-Abend. Nach welchen Parametern arbeitest du in beiden Welten, um dir beide auf lange Sicht so interessant wie möglich zu halten?

Für mich haben beide Welten wirklich ihren Reiz und ich glaube, nur eine von beiden würde mich dauerhaft nicht glücklich machen. Live zu spielen ist immer interessant, solange man genügend neues Material hat, mit dem man herumexperimentieren kann – wobei das Material sowohl musikalischer als auch technischer Natur sein kann. Ich habe jetzt einen Moog Minitaur mit dabei und 13 neue Albumtitel, damit sollte ich gut über das Jahr kommen. (lacht) Was das Auflegen angeht, so bin ich momentan ziemlich angetan von minimalistischen, groovigen House-Platten. Rico Martinez, James Dexter, David San …

Musik und Job beiseite: Was begeistert dich gerade abseits dieser Themen?

Zugegebenermaßen bin ich nicht derjenige, der mehrere große Hobbys oder Interessen vorweisen kann, vor allem zurzeit nicht, da das Album und das Touren wirklich viel Zeit in Anspruch genommen haben und das auch weiterhin tun. Ich versuche, so gut es geht alles über Politik und Wirtschaft mitzubekommen, und sitze morgens beim Kaffee mit einer gedruckten (!) Tageszeitung am Frühstückstisch. Grundsätzlich wäre es sicherlich gut, wenn ich mir mal bewusst mehr Zeit für andere Dinge nehmen würde als für die Musik, aber so richtig habe ich das bisher nicht geschafft. Aber so ist das eben, wenn das Hobby zum Beruf wird – dann hat man auf einmal kein Hobby mehr. Vielleicht ist aber auch gerade das der Grund, warum wir hier auf zehn Jahre zurückblicken können.

Aus dem FAZEmag 073/03.218
Text: Rafael Da Cruz

 

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