Oxia – Grenobles Goldene Generation

Oxia – Grenobles Goldene Generation

Die westlichen Ausläufer der Alpen in Frankreich. Zwischen dem Vercors-Massiv, den Gebirgszügen der Chartreuse sowie der Chaîne de Belledonne liegt Grenoble, Hauptstadt des Departements Isère. Aus dem auf 200 m hoch gelegenen weiten Talkessel, in dem sich die Flüsse Isère und Drac vereinen, geht es rasch und bis zu 3.000 m hoch zu den Gipfeln der Gebirgszüge, die sich dicht an dicht um die Alpenmetropole drängeln und somit für ein imposantes Panorama sorgen. Es gibt weitaus weniger schön gelegene Orte, wo sich Menschen kurz vor Christi Geburt niedergelassen haben – auch wenn die Stadt nicht gerade zu den europäischen Clubmetropolen zählt. Dennoch hat sich Grenoble seinen Platz in der Geschichte elektronischer Musik gesichert, schenkte sich uns doch drei durchaus interessante Künstler: Caroline Hervé, Michel Amato und Olivier Raymond, besser bekannt als Miss Kittin, The Hacker und Oxia. Die Werdegänge haben durchaus viele Berührungspunkte und starten gegen Mitte der 90er Jahre. Miss Kittin und The Hacker als Duo ist bestimmt jedem ein Begriff, die beiden Herren haben gemeinsam das Label GoodLife gegründetet und gerade frisch ist eine Kollaboration von Caroline und Raymond, die er auf sein neues Album „Tides Of Mind“ gepackt hat, dass Im Mai auf InFiné erscheinen wird.

Zu gerne hätte ich mir das Panorama in aller Ruhe vor Ort angeschaut, um das Interview mit Oxia mit Blick auf die Stadt zu führen, aber wie so oft im Leben: Man kann nicht alles haben und so bleibt es vorerst bei meiner flüchtigen Stadtdurchfahrt vor einigen Jahren auf dem Weg in die Alpen. Dennoch gab es ein persönliches Treffen, denn Raymond legte zur närrischen Zeit in Köln auf, zusammen mit Agoria und so hatte ich das Vergnügen mit beiden zu sprechen, was auch durchaus sinnvoll und schlüssig war, hatte Agoria doch in der Entstehung des Albums maßgeblich seine Finger im Spiel. Es kam zu einem äußerst legeren und interessanten Plausch im Hotel, kurz bevor es gen Alter Wartesaal ging.

Die beiden kennen sich schon viele Jahre und legen auch hin und wieder zusammen auf. Agoria, bürgerlich Sébastien Devaud, lebt in Lyon, gut 100 Kilometer entfernt von Grenoble. Er war es schließlich, der Oxia überredete für InFiné ein Album zu produzieren. „Ich weiß gar nicht, warum es so lange gedauert, denn eigentlich wollte ich auch ein Jahr nach meinem Debütalbum „24 Heures“ (2004) direkt mit dem Nachfolger anfangen. Aber dann kam immer wieder was dazwischen. Hier ein Remix, da eine EP – so ging das immer weiter. Ich war in alle möglichen Richtungen unterwegs, aber nicht auf ein Album fokussiert,“ erklärt Raymond. Vor zwei Jahren entstanden die ersten Skizzen, aber erst in den letzten Monaten kristallisierte sich daraus das endgültige Format. „Dieses Album reflektiert meinen musikalischen Background. Ich höre viele verschiedene Arten von Musik, nicht nur elektronische: Jazz, Folk, Klassik oder Black Music.“ Und Sébastien ergänzt: „Ich kenne Raymond ziemlich gut und als ich das erste Mal das gesamte Album gehört habe, wusste ich, dass er die Musik eingebaut hat, die jetzt er wirklich selbst mag, wie die Tracks mit Scalde oder Mesparrow. Vor fünf, sechs Jahren hätte er so was auch gar nicht veröffentlicht.“ Der Track mit Scalde ist vor drei, vier Jahren entstanden und anfangs wollte das Oxia gar nicht unter seinem Namen veröffentlichen. Aber mittlerweile hat einen Wandel hinter sich, der sich nun in „Tides Of Mind“ manifestiert. Die Freiheiten, die er bei InFiné genießt, das Label veröffentlicht genreübergreifend zwischen Techno, House, Pop, experimenteller Klassik und Electronica, haben den ganzen Prozess angefeuert. Erstmals bringt er Musik mit Vocals raus, hat das Albumformat auch wirklich ernst genommen und hervorragend umgesetzt mit Dramaturgie und Abwechslung. Agoria: „Auch wenn’s klischeemäßig klingt, aber Ihm ist ein richtiges Artist-Album gelungen. Keine Revolution, aber ein großer Schritt. Zum ersten Mal machst du genau das, was du wirklich machen wolltest. So sehe ich das.“ Und der Angesprochene nickt zustimmend. Die Studio-Sessions waren geprägt von einer fast besessenen Akribie, mit der Raymond alle Elemente zusammengefügt und immer wenn er ein paar Zweifel hatte, schickte er Sébastien die Tracks, um eine zweite Meinung zu bekommen. Der wiederum kommentiert dessen fast manische Präzision folgendermaßen: „Stunden hat er gebraucht, um eine Entscheidung über eine Snare zu fällen. Aber letztlich ist alles perfekt ausbalanciert und das ist genau sein Ding.“

Und genau das Ding steht nun kurz vor Veröffentlichung, die Oxia mit Spannung erwartet, während Agoria mittendrin in weiteren diversen Projekten steckt. „Gerade habe ich die Produktion des neuen Kid A Albums abgeschlossen. Sie hat ja schon für mich auf ‚Impermance’ gesungen und ich bin sehr gespannt auf die Reaktionen ihres Debüts.“ Des weiteren arbeitet er gerade mit den Video-Künstlern Scale an einem Projekt namens „Forms“, das auf einigen Festivals in diesem Jahr aufgeführt wird. „Und schließlich übernehme die musikalische Federführung für das Modelabel Courrèges. Natürlich finde ich es auf der einen Seite sehr zweifelhaft, wenn Image und andere Sachen immer mehr im Vordergrund stehen und nicht die Musik. Auf der anderen Seite habe ich aber hier die Chance ganz neue Leute für Musik zu gewinnen und die Marke  zu prägen. Eine große Herausforderung.“ Neue Aufgaben, die aber leider auch Opfer fordern, denn aus der Labelführung und –verwaltung von InFiné scheidet er nun aus. Dennoch bleibt er aber in Kontakt zu den Künstlern und schließt auch nicht aus weiterhin selbst auf dem Label zu veröffentlichen. Da er aber erst im November wieder Zeit hat selbst ins Studio zu gehen, bleibt abzuwarten wie und wann es dann weitergeht.

So endete ein sehr amüsantes Treffen mit zwei gut aufgelegten und offenen DJs, die sich dann vergnügt in kölsche Karnevalstreiben gestürzt haben, das auch vor den Toren des edlen 5-Sterne-Hotels keinen Halt gemacht hatte. In der Lobby und der bar waren die Angestellten nicht die einzigen, die mit einer Art Uniform bekleidet waren. Aber wie erklärt man zwei Franzosen Weiberfastnacht?

Und schließlich kündigt Oxia auch noch vollmundig an, dass er im September mit dem neuen Album anfange. „Alles klar, dann wohl eher in fünf, sechs Jahren“

Alaaf und Tusch!

www.oxia-dj.com
www.infine-music.com
www.bastille-grenoble.fr

Foto: Tassilo Dicke