Pig & Dan – Modulare Wurzeln

Pig&Dan Side by Side5
Mit ihrem 2014 veröffentlichten Langspieler „Destination Unknown“ siedelten sich Igor Tchkotoua und Dan Duncan alias Pig & Dan in eher ambientesken Gefilden an. Mit großem Erfolg, denn in den Beatport Charts waren sie mit einigen Stücken daraus über vier Monate vertreten. In ihrer Karriere remixten sie bereits Künstler wie Underworld, DEADMAU5, John Digweed und Innercity. Nun bringt das Duo, das seit über zehn Jahren gemeinsam Musik macht und in den vergangenen Monaten auf Imprints wie Cocoon, Suara, Terminal M, Herzblut und auch Bedrock signte, mit „Modular Baptism“ sein viertes Album heraus. Während sie sich dabei erneut auf ihre modularen Wurzeln fokussieren, formen sie zeitgleich ein Cross-over zwischen „Oldschoolness and some modern touch“. Erschienen ist das Werk am 25. März auf dem 2012 von ihnen gegründeten Label ELEVATE.

Igor und Dan, wie ist die Lage?

Dan: Guten Morgen. Wir sind vor wenigen Augenblicken wieder auf Mallorca angekommen. Die letzten Tage waren mal wieder sehr hektisch in Sachen Reisen, Interviews, Musikmachen, Musikauflegen und allem weiteren. Letztes Wochenende waren wir in Amsterdam beim ,Into The Woods’-Festival sowie in London im The Egg. Beide Gigs waren super und haben definitiv Spaß gemacht. Die Crowd und auch der Vibe in Amsterdam waren außergewöhnlich, da wirklich alles nach Wald aussah bzw. so dekoriert war. In London fühlen wir uns quasi eh wie zu Hause. Und da es zu Hause ja bekanntlich immer am schönsten ist, haben wir in dem Club immer eine gute Zeit.

Du hast es gerade angesprochen – ihr lebt beide auf Mallorca. Dort gibt es nahezu keine Szene für elektronische Musik. Welche Vor- bzw. Nachteile bietet dieser Standort für euch als Künstler?

Igor: Ich glaube, heutzutage ist es fast egal, wo du bist, um Musik zu produzieren. Nimmt man aber den Faktor der Szeneaktivitäten vor Ort als Kriterium, sind wir sogar ganz froh darüber, dass es hier nichts gibt. So werden wir einfach weniger beeinflusst und abgelenkt, können uns auf das Wesentliche konzentrieren und dabei unseren Style und unseren Sound viel besser entfalten. Es geht uns weder um Equipment, den Ort des Schaffens oder sonst etwas Externes. Wir legen den Fokus auf unsere Ideen und die Art und Weise, wie diese umgesetzt werden. Du könntest einen Hit auch mit einem Topf, einer Pfanne, einem Löffel plus Vocal machen, wenn du ein musikalisches Genie bist oder zur richtigen Zeit die richtige Inspiration hast. Unsere erfolgreichsten Tracks wurden tatsächlich im Flieger mit Kopfhörern auf dem Weg zu ein paar Gigs geschrieben – einzig mit einem Laptop und ein paar wenigen virtuellen Synths.

Wie sieht denn euer aktuelles Studio-Setup aus bzw. was sind eure favorisierten Tools?

Igor: Zuerst einmal benutzen wir Logic als Sequenzer. Wir beide haben auf Logic angefangen und es ist eben die Software, bei der wir uns wohlfühlen. Die Maschine ist super für Percussion, weil sie extrem schnell und intuitiv arbeitet und darüber hinaus eine sehr weite Range an Sounds besitzt. Besonders wenn man unterwegs ist, ist der Workflow sehr komfortabel. Auch lieben wir den Roland TR, weil er dir dieses Live-Gefühl gibt. Du kannst mit dem Pitch und dem Delay an den Hi-Hats und Claps herumspielen, um das Repetitive in den Tracks zu unterbrechen. Der Roland System ist ebenfalls Teil unseres Setups, weil er sich super einfach mit dem Rest verbindet. Absolut keine Pannen, man startet den Rechner und kann unmittelbar loslegen. Überzeugt sind wir auch vom Moog Sub 37. Der Sound klingt sehr rund und die Filter sind sehr grazil, sodass du wunderbare Sounds darauf kreieren kannst. Für uns der Bentley unter den Synthies. In Sachen Plug-ins lieben wir das Audio Damage Kombinat, weil es zu lupenreinen Sound etwas entstellt – und das auf eine sonderbare Weise. Beim Track ,Growler’ haben wir es z. B. beim Main-Riff verwendet. Auch der EOS Reverb ist super für uns, den verwenden wir wirklich sehr oft. Ein massiver Reverb, mit dem du dennoch nicht die Klarheit der Synths beeinträchtigst. Die Plug-ins von Waves sind ebenfalls fantastisch. Der Pitch Shifter ist sicherlich einer der besten, die es gibt. Der kleine Synth, der mitgeliefert wird, hat ebenfalls ein paar sehr schöne Sounds intus. Aber lange Rede, kurzer Sinn: Was auch immer du benutzt – wir können uns nur wiederholen –, das Wichtigste ist die Idee dahinter. Am Ende interessiert es nur die Wenigsten, was bzw. wie du was benutzt hast.

Auf „Modular Baptism“ vereint ihr Oldschool-Sounds mit modernem Zeitgeist. Was genau ist für euch Oldschool und welche Sounds sind für euch zeitgenössisch?

Dan: Ich würde sagen, sämtlicher analoger Kram aus den 80er-Jahren wie die 808, 909 oder die Synthies wie der Juno 106, gepaart mit den ganzen 80er- und 90er-Vocals, die sehr einfach gesamplet waren, gelten für uns und auch für viele andere als Oldschool. Heutzutage klingt natürlich alles fetter, runder und klarer. Sämtliche Masterings und die Art und Weise, wie du mit Sounds herumspielen kannst – kaum mit früher zu vergleichen. Die Möglichkeiten sind fast endlos. Ricardo Villalobos hat aber einmal etwas gesagt, das wir nicht vergessen werden. Er sagte, dass im Prinzip alles ein Remix von allem sei. Es gab im Endeffekt alles schon mindestens einmal, es wird nur immer wieder upgedatet und jeder Einzelne versieht die Sounds mit seinem persönlichen Touch.

Nachdem euer Album aus 2014 eher im Ambient-Genre seinen Platz fand, kehrt auf dem neuen Longplayer wieder wesentlich mehr Techno ein. Wie war eure Idee dahinter?

Igor: Um ehrlich zu sein, hatten wir nie eine spezielle Idee, als wir uns entschieden haben, ein neues Album herauszubringen. Wir produzieren immer genau das, wonach uns gerade ist. Wir lassen uns im Studio von unseren Gefühlen treiben und arbeiten ohne genaues Ziel. Es gibt Tage, da merkst du recht schnell, dass du einfach nicht inspiriert bist. Da schraubt man also ein paar Stunden sinnlos herum, entscheidet sich aber dann doch, das Projekt lieber ruhen zu lassen und etwas anderes zu tun, was dir und im Umkehrschluss auch der Musik neues Leben einhaucht. Wann wir das Projekt wieder aufnehmen – ob am nächsten Tag oder in der nächsten Woche –, das wissen wir nie, aber das ist okay so. Musik ist ein natürlicher Teil von uns, deshalb gehen wir da gänzlich ohne Druck heran. Sie ist vielmehr ein Ausdruck unserer Persönlichkeit und Seele. Demnach kann das Ergebnis mal ruhig oder eben auch technoid werden.

Wann genau war der Punkt, an dem ihr euch entschieden habt, ein Album zu machen? Für zahlreiche Künstler ist das Format nicht mehr aktuell bzw. interessant.

Dan: Das ist nun unser viertes Album und bei keinem gab es einen Punkt, wo wir explizit im Vorfeld gesagt haben, dass wir eines machen. Es klingt immer total bekloppt, aber es ist eher ein natürlicher Prozess. Wir produzieren ja permanent Musik, weil es unsere Leidenschaft ist und wir aus genau dieser glücklicherweise einen Job gemacht haben. Für uns gibt es absolut kein schöneres Gefühl, als im Studio einen Track fertig zu machen und ihn dann abends im Club zu spielen und die Reaktionen des Dancefloors abzuwarten. Dieses Gefühl, dass nur du diesen Track hast und ihn so oft spielen kannst, wie du willst, und niemand wird ihn erkennen, weil die Leute ihn in der Regel zum ersten Mal hören – sensationell. ,Modular Baptism’ ist einfach passiert. Wir haben in einer Zeitspanne von rund drei Monaten ungefähr 15 Tracks aufgenommen. Irgendwann haben wir dann festgestellt, dass sie wunderbar zusammen harmonieren. Erst da haben wir den Entschluss gefasst, ein Album zu veröffentlichen.

Lasst uns bei diesem natürlichen Prozess bleiben. Wie hat sich – aus dieser Perspektive – euer Sound eurer Meinung nach in den letzten Monaten und Jahren verändert?

Igor: Ich persönlich glaube, unser Sound ist über die Zeit hinweg erwachsener geworden – wie alles im Leben. Mit der Zeit verbessert man seine Fähigkeiten und entwickelt mehr Möglichkeiten. Je länger du etwas tust, desto besser kannst du es. Auch wird man wesentlich kritischer mit der Zeit, man gibt sich nicht mehr so schnell zufrieden und der Drang, sich selbst immer wieder zu toppen, nimmt zu.

Dan: Dadurch verlängert sich natürlich die Dauer einer Produktion. Denn die Zeit, die du durch deine Fähigkeiten einsparst, kannst du locker aufgrund deiner Ansprüche hinten draufpacken.

Igor: Man lernt allerdings auch, dass weniger oftmals mehr ist. Man benutzt lieber weniger, aber dafür hochklassig produzierte Sounds, als den ganzen Bildschirm vollzuklatschen. Das Publikum dort draußen wird nicht einfacher und anspruchsloser, aus diesem Grund ist es wichtig, immer am Ball zu bleiben, nach neuen Möglichkeiten zu suchen und sich selbst zu überraschen. Unterm Strich machen wir Musik für den Club, und genau das ist auch die Perspektive, aus der wir unsere Tracks produzieren. Ich glaube, unser Sound ist über die letzten Jahre hinweg qualitativer geworden, weil die Möglichkeiten – wie bereits besprochen – andere sind als früher. Und Pig & Dan ist dreckiger und roher geworden (lacht). Wir stecken auch viel mehr im Live-Act-Ding drin als noch vor ein paar Monaten. Während früher alles von Seiten des Sequenzers perfekt und glatt programmiert bzw. durchgetaktet war, hast du heute durch Filter und Effekte eine gänzlich höhere Interaktivität, die auch mal Fehler erzeugen kann. Diese sehen wir aber eher als Feature, die den Dancefloor am Leben halten.

Seit über zehn Jahren macht ihr mittlerweile gemeinsam Musik. Gibt es Dinge, die ihr aus den alten Tagen vermisst?

Dan: Als wir noch jünger waren, ging es mehr um die Musik als um irgendwelche Brands. Leute gehen heute auf eine Party, weil das Label gerade hochgejubelt wird oder der Künstler ein gewisses Label vertritt. Es interessiert heute weniger Leute, was für Musik läuft. Ich erinnere mich noch an einen Moment, wo wir in einem Aufzug standen mit ein paar Leuten, die zu einer Party von Tiesto gegangen sind. Ich fragte sie, ob sie seine Musik kennen. Sie haben tatsächlich verneint und nur gehört, dass Tiesto gerade voll abgehen soll und die Show – das Feuerwerk etc. – super sein soll. Versteht mich nicht falsch, es geht mir hier nicht um Tiesto und ich weiß auch, dass wir im Entertainment-Business arbeiten. Aber wir bedauern es, dass der Fokus nun eher auf Spektakel als auf Musik liegt. Und natürlich – wie könnte es für alte Hasen, wie wir es sind, anders sein – vermissen wir die Stunden in den Plattenläden. Früher ist man um die Welt geflogen und konnte Vinyl finden, das kein anderer hatte. Heute hat jeder Zugriff auf alles, Playlists werden zwei Minuten, nachdem der DJ die Kopfhörer aus dem Mixer gesteckt hat, gepostet. Man hat nur noch selten das Gefühl, einen absoluten Schatz gefunden zu haben. Aus diesem Grund machen wir so gut wie nie Tracklists bei unseren Mixen.

Kommen wir auf euer Label zu sprechen, auf dem das neue Album erscheinen wird. Wie hat sich ELEVATE für euch entwickelt seit dem Start vor drei Jahren?

Dan: Na ja, ELEVATE ist ja nicht unser erstes Label – vielmehr das fünfte oder sechste. Demnach läuft es recht gut, da wir bereits eine Menge Erfahrung sammeln konnten. Bei unseren Labels ging es bislang immer darum, eigene Musik zu veröffentlichen oder die von Künstlern, die wir sehr schätzen. Das Prozedere, um bei uns zu veröffentlichen, ist recht einfach: Wenn der Track es in unsere Record-Bag schafft und wir ihn gerne spielen, bringen wir ihn gewöhnlich heraus. Wir möchten der Industrie dort draußen die Chance geben, die uns gegeben wurde, als uns noch kein Schwein kannte – wie damals bei Cocoon zum Beispiel. ELEVATE wächst gesund und wir sind sehr stolz darauf, dass das Imprint Anklang findet und Leute es supporten.

Igor: Wir freuen uns wahnsinnig auf die Releases in diesem Jahr. Es gibt eine Menge in der Pipeline von extrem talentierten Acts. Auch wird es von uns einiges geben, darunter eine Kollaboration mit Monika Kruse und Mark Reeve. Auch planen wir gerade unsere eigene Party beim ADE in Amsterdam im Oktober. Und eine T-Shirt-Serie ist auch noch auf unserer To-do-Liste …

Es scheint, als würdet ihr eine Menge selbst erledigen. Wie hat sich die Arbeit als Label-Chefs für euch mit der Zeit verändert?

Dan: Die wichtigste Tatsache, die wir gelernt haben, ist die, dass wenn du willst, dass etwas richtig gut wird, du es selbst machen musst. Der Moment, in dem du Dinge abgibst oder ihnen weniger Beachtung schenkst, ist auch der Moment, in dem Dinge extrem schnell den Bach runtergehen können. Außer du findest natürlich Leute, denen du zu 100 Prozent vertraust und die deinen Ansprüchen gerecht werden, weil sie die gleiche Sprache sprechen. Leider sind Leute dieser Art aber extrem schwer zu finden.

Igor: Wir sagen das, weil gewisse Partnerschaften in der Vergangenheit oftmals nach hinten losgegangen sind. Nahezu jedes Mal, wenn wir uns auf jemanden neu eingelassen haben, waren wir am Ende alles andere als zufrieden. Das war der Hauptgrund dafür, dass wir uns entschlossen haben, bei ELEVATE ausschließlich autark zu arbeiten. Aufgrund dieser Entscheidung haben wir auf der einen Seite natürlich wesentlich mehr Arbeit, dafür aber Gewissheit und Kontrolle. Wir haben auch einige tolle Menschen kennengelernt. Der Moment, in dem du einen neuen Künstler signst und er dir kurz darauf schreibt, dass du sein Leben verändert hast, berührt und gibt dir Antrieb.

Wenn wir gerade bei anderen Künstlern sind – wird es Remixe von „Modular Baptism“ geben?

Dan: Definitiv, wir sind aber gerade noch in der Entscheidungsphase, wer sich welchem Track widmet. Es gibt auch noch kein Release-Date für irgendwas, aber wir lieben es, wenn andere Künstler unsere Sounds zerstückeln, verändern und neu konstruieren. Es ist super interessant, das Resultat zu hören, das auch durchaus mal besser als das Original klingen kann. Dann stellt man sich natürlich die Frage, warum man nicht selbst auf die eine oder andere Idee gekommen ist. So war es zum Beispiel, als Julian Jeweil diesen unfassbaren Killer-Remix zu ,Lizard King’ gemacht hat.

Der Sommer steht bevor. Was sind eure Highlights für die kommenden Wochen und Monate?

Igor: Da gibt es tatsächlich einige. Wir haben gerade erst einen Podcast fertig gemacht, der bei Pete Tongs Essential Mix gefeaturet wird. Außerdem wird es ein Release von uns auf Drumcode geben. Wir verstehen uns super mit Adam, er hat uns und unsere Musik immer supportet und wir freuen uns, dass es nun auch ein Release bei ihm geben wird. Dann steht auch noch ein Gig mit Solomun in Madrid an und eine Show beim Space Opening auf Ibiza ist ebenfalls bestätigt. / Rafael Da Cruz

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