Piratenpartei – Ein Gespräch mit Bruno Kramm über Urheberrecht und neue Chancen

„Es gibt kein Recht darauf, von Musik leben zu können“

Das bestehende Urheberrecht zu reformieren, ist eines der Ziele der Piratenpartei, fordert sie doch unter anderem  „Keine Beschränkung der Kopierbarkeit“, „Freies Kopieren und freie Nutzung“ oder den „Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Urheber und der Öffentlichkeit“. Um das Urheberrecht geht es neben Tierschutz, Drogenpolitik und Sozialem auch dem Piraten Bruno Kramm. Dieser ist zudem langjähriger Musiker, Produzent, Labelmacher (Danse Macabre Records) und Organisator des Greentunes Festivals. Für Aufsehen sorgte zuletzt seine deutsche Übersetzung des Anonymous-Videos zum geplanten ACTA Abkommen. Dieses spaltete durchaus die Meinungen. Die einen werfen Kramm Übertreibung und Verfälschung der Tatsachen zu Propagandazwecken vor, andere sind dankbar dafür, in kompakter Form informiert zu werden und sehen sich in ihrer Ansicht über ACTA bestätigt. Dass Bruno Kramm mit seinen Aussagen durchaus zu polarisieren versteht, demonstriert er auch im folgenden Interview mit FAZE.

Bruno, wie siehst du denn als Musiker und Pirat die momentan existierenden Rahmenbedingungen für das Urheberrechts?

Bruno Kramm: Das Urheberrecht in seiner jetzigen Form fußt auf Ideen, die 200 Jahre alt sind. Die also aus einer Zeit stammen, als es noch keine Schallplatten, kein Fernsehen, kein Radio gab. Es wurde immer moderat angepasst, vor allem von der Lobby der Verwerter. Deswegen finde ich den Begriff Urheberrecht auch sehr verfälschend, weil es häufig eher ein Nutzerrecht ist, ein Verwerterrecht. Es wurde eigentlich immer nur so angepasst, dass die Verwerter maximal daraus partizipieren konnten. Dadurch ist es zum Beispiel so schwer, eine Bearbeitung eines Tracks zu machen, und viele melden daher lieber als Coverversion an, weil man dann wenigstens noch die Lizenzen behalten kann und nur den GEMA-Anteil verliert. Ich habe kürzlich auch die „Everything is a Remix“-Videoserie synchronisiert. Die stellt ganz gut dar, inwieweit das Urheberrecht in dem Bereich begrenzt wird. Meiner Meinung nach braucht dieses spätestens jetzt eine massive Erneuerung. Du kannst es in der jetzigen Form nicht auf das Internet anwenden. Es richtet mehr Schaden an, als dass es etwas erreicht.

 

Was meinst du damit konkret?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der der unmittelbare Kontakt zwischen Urheber und User stattfindet, wo keine Mittler mehr dazwischen sind. Und das ist genau die große Chance, wohin das Urheberrecht sich ändern muss. Konkret meine ich damit zum einen die Schutzfristen. Nicht nur, weil unsere Zeit so eine schnelllebige ist und sich alles viel schneller wandelt als noch vor 100 Jahren. Dass Schutzrechte bis 50, 70 Jahre nach dem Tod laufen, das nützt im Prinzip nur den Branchenriesen und wurde auch entsprechend von Konzernen wie Disney vorangetrieben, weil die etwas davon hatten. Gerade Walt Disney hat sich ja Allgemeingüter wie Schneewitchen, Aschenputtel und so unter den Nagel gerissen und daraus Filme gemacht. Als er dann tot war, wollte der Konzern natürlich die Schutzrechte behalten und hat sie endlos ausgedehnt, nicht der Urheber. Du kannst mir aber nicht erzählen, dass 50 Jahre nach dem Tod immer noch eine Legitimation dafür besteht, dass eine Verwandtschaft im dritten Glied daran Anteil hat. Es ist doch auch gesamtgesellschaftlich so, dass geistiges Gut weiterentwickelt wird. Alles fußt heute auf dem, was vorher schon mal da war. Gerade in der Populärmusik wird das klar, wenn man sich die Struktur von Popsongs, die Akkorde anschaut. Da ist es lächerlich, wenn man Urheberrechte in dem Maße geltend macht. Es mag vielleicht etwas übertrieben sein, aber ich habe schon mal gesagt: Wenn die Griechen damals so ein restriktives Urheberrecht geprägt hätten, so wie wir es heute haben, würden wir jetzt vermutlich noch für all die Geistesleistungen der Mathematiker und großen Geister bezahlen. Die Schutzfristen müssen sich einfach ändern. Es müssen neue Schrankenregelungen her. Das Internet ist etwas ganz anderes. Es gehört uns allen.

 

Und es ist vermutlich auch eine große Chance?

Ja genau. Seltsamerweise benutzen es aber ganz viele für ihre kommerziellen Zwecke, was auch okay sein mag. Aber wenn Menschen das Internet als Teil ihrer Privatsphäre begreifen – und so müssen wir es heute begreifen – muss es auch die Möglichkeit geben, diese zu schützen. Nur weil jemand seine Nutzungsrechte wahrnehmen möchte und das Urheberrecht dafür vorschiebt, geht er dann zum Gericht und Staatsanwalt und sagt: „Hier liegt eine kommerzielle Verletzung von Eigentumsrechten vor, deswegen rückt mir die privaten Daten desjenigen raus, damit ich ihn verklagen kann.“ Und schon gibt es im Jahr eine halbe Million Abmahnung mit Forderungen zwischen 1.000 und 2.000 Euro pro Abmahnung. Das steht für mich in keinerlei Verhältnis mehr. Vor allem, wenn man es mal mit einem Diebstahl im Plattenladen vergleicht. Du klaust eine CD. Da entsteht wirklich ein Schaden. Der Laden, dem die CD gestohlen wurde, musste für sie bezahlen. Im Internet entsteht ja kein unmittelbarer Schaden. Die Industrie hat bis heute keinen Nachweis dafür erbringen können, dass erst illegal gedownloadete Titel nicht hinterher auch noch legal erworben werden.

 

Wie ließe sich so etwas denn überhaupt beweisen? Es kauft sich doch keiner hinterher nochmal die Musik, wenn er sie zuvor schon umsonst bekommen hat.

Es lässt sich nicht nachweisen. Aber ich würde dir widersprechen. Der illegale Download im Internet ist letztlich so etwas geworden wie das Vorhören früher im Plattenladen. Ich lade Stücke herunter, höre sie vor. Und wenn sie mir wirklich etwas bedeuten, wenn ich merke, dass diese Musik mein Leben ausfüllt und ich sie nicht nur einmal höre, dann kaufe ich sie mir auch.

 

Glaubst du denn, dass sich so auch die jüngere Generation verhält, die mit Filesharing aufgewachsen ist, also das Musikerwerben vielleicht gar nicht anders kennt, als auf dem illegalen und somit für sie einfachsten Weg?

Ich stelle zum Beispiel auf den Konzerten meiner Band fest, dass Leute, die durch Filesharing auf unsere Songs aufmerksam geworden sind und uns dann live anhören kommen, sich CDs und T-Shirts direkt vom Künstler kaufen.

 

Ja, aber das bedeutet doch eher nur ein Verlagern auf andere Einnahmequellen?

Du musst aber einen Aspekt berücksichtigen, den auch das Internet nicht ändert: Wir Menschen sind alle Jäger und Sammler. Auch die, die noch so vernetzt und netzaffin sind, haben daheim ihre Regale stehen mit Schätzen, die ihnen wichtig sind und die sie darstellen. Die eine Individualisierung und Identifikation bedeuten. Die Frage ist immer nur: Wie wichtig ist mir etwas, dass ich es kaufe. Das heißt, dass wir auch neue Aspekte entdecken und erkennen müssen, dass in dem Markt in dem wir übermäßig mit Kultur zugeschüttet werden, die Selektionsmechanismen andere geworden sind. Und jetzt kommt noch ein weiterer Aspekt, weil die Musikindustrie ja immer sagt „Uns sind aber die Verkäufe eingebrochen“: Man muss die Differenzierung berücksichtigen. Denn als ich früher Teenager war, gab es nur Musik und ab und zu ins Kino gehen. Wir hatten ein Budget an Geld, das wir im Monat ausgeben konnten, davon haben wir dann Musik gekauft. Heute hast du aber ein Handy mit Flatrate, du hast Internet, du kaufst Videospiele. Du musst für alle diese Bereiche etwas ausgeben. Das ist die erste Differenzierung. Den Markt auf dein Budget aufteilen. Hinzu kommt, dass früher der Massengeschmack von großen Konzernen kontrolliert war, wo die A&Rs bestimmt haben, was herauskam. Heutzutage gibt es glücklicherweise, seit Ende der 80er eine Diversifizierung der Subgenres.

 

Die Indiekultur.

Genau. Gerade im Bereich der elektronischen Musik ist es doch uferlos, was es alles an Subgenres gibt.

 

Auf der anderen Seite fehlt aber oftmals der Filter, so dass täglich Massen an Musik auf den Markt geworfen werden.

Ja, aber das liegt doch in der Verantwortung des Konsumenten, der suchen muss, was er hören will. Das wurde dir natürlich früher abgenommen. Aber ich glaube nicht, dass das gut war. Denn heutzutage – und das ist auch so wundervoll am Internet – hat doch jeder in seinem digitalen Freundeskreis Menschen, die für ihn eine Instanz darstellen. Wo man weiß, was der hört, gefällt mir auch, also höre ich mal in den Link rein, den er postet. Was heute ebenso wichtig ist: Du kannst als Musiker und Label nicht einfach mehr eine nackte CD mit kleinem Booklet anbieten und erwarten, dass die sofort gekauft wird. Du musst dir etwas mehr überlegen, deine Produkte liebevoller, gestalterischer herstellen. Die Möglichkeit hast du heute, im Gegensatz zu früher.

 

Aber bekommen kleine Labels überhaupt das Geld, das sie für aufwändige Verpackungen der Tonträger ausgeben, wieder herein?

Du musst das natürlich mit anderen Produkten unterfüttern. Du kannst nicht erwarten, dass du alleine von deinen CD-Verkäufen leben kannst. Ich denke einfach, dass sich durch das Internet heute ein Großteil der Verwerter der großen Verlage obsolet gemacht hat. Was aber nach wie vor oder erst recht Sinn macht, ist es kleinteilig und nachhaltig zu arbeiten. Das sind Begriffe aus der Ökologie, die aber auch auf diesem Industriezweig wunderbaren funktionieren. Also wenn das kleine Künstlerkollektiv ein paar Kumpels hat, die ganz gut in Marketing sind und man sich zusammen als Firma coole Konzepte ausdenkt. Die haben dann das Vertriebsmedium Internet, das Marketingmedium Internet und das Promotionmedium Internet und können mit sehr kleinem Budget durch cleveres, virales Marketing die ganzen neuen Möglichkeiten im Netz nutzen und werden dann auch Erlöse generieren …

 

Wenn von den unzähligen Labels, die es gibt, die meisten auf diese Variante setzen, wird es dann nicht trotzdem sehr schwierig für den einzelnen Künstler, von der Musik zu leben?

Aber das war es doch schon immer. Das ist doch der Witz, dass die Industrie uns immer sagt: Jetzt können die Künstler gar nicht mehr von der Musik leben. Es konnte aber auch früher immer nur eine kleine Spitze davon leben, die wie eine Horde Affen gehalten wurde. Heutzutage ist natürlich auch die Schar der Musiker größer geworden. Es ist durch das Internet und die Technik viel leichter geworden. Schon mit Programmen wie Garage Band kann man Songs machen. Früher hat die Industrie immer den Finger auf den großen Studios gehabt. Als ich mein Label Ende der 80er gegründet habe, wurde dir noch der Zugang zu den Vertriebswegen erschwert. Man konnte nichts herausbringen, wenn man keinen Labelcode hatte. Den Code hat man aber nur bekommen, wenn man schon eine Veröffentlichung vorweisen konnte. Wie sollte das aber gehen? Das hat alles unglaublich schwer gemacht. Erst die ersten Indievetriebe haben den Markt geöffnet. Die hatten dabei unglaublich zu kämpfen, denn die Industrie hat versucht das Nadelöhr, durch das Musik herauskam, zu behalten. Heute aber gibt es mannigfaltige Möglichkeiten, sich selbst darzustellen. Jetzt komme ich zu einem Satz, den gerade viele Urheber hassen, der aber, wenn man darüber nachdenkt, gar nicht so verkehrt ist: Es gibt kein Recht darauf, von Musik leben zu können. Aber es gibt ein Recht auf Freiheit. Damit meine ich, es hat nicht jeder das Recht mit seiner x-beliebigen Band, die überhaupt nicht das Potenzial hat, davon leben zu können. Er hat aber das Recht, veröffentlichen zu können. Die Freiheit zu nutzen. Es zu versuchen. Diese Freiheit gibt dir auch das Recht, im Internet eine Privatsphäre zu haben und die Daten nicht an jeden fuckin’ Abmahnanwalt herausgeben zu müssen. Wenn man sich demgegenüber anschaut, wie sich die Musikindustrie, allen voran so Leute wie Dieter Gorny verhalten. Der hat letztens noch in einer Veröffentlichung des Bundesverband Musikindustrie (BMVI) ganz laut getönt, dass es nicht nur darum geht, Three Strikes wie in Frankreich zu etablieren, sie müssen auch noch von weiteren Schutzmethoden für das geistige Eigentum flankiert werden. Die merken also, sie können das Internet nicht kontrollieren, würden es aber gerne.

Lassen sich denn solche Methoden überhaupt durchsetzen? Gibt es denn keine Maßnahmen zur Verbesserung des Urheberrechts, die nicht gleich den Untergang der ganzen Branche heraufbeschwören?

Die Majorlabels werden über kurz oder lang am Boden liegen, weil sich jeder Künstler, der es geschafft hat, groß und etabliert zu sein, aus dem Deal lösen und seine eigene Firma aufmachen wird. Dadurch hat die große Industrie letztendlich komplett ihre Daseinsberechtigung verloren. Denn die war ja immer, große Künstler und große Repertoires zu haben. Wenn sie dann Schutzgebühren fordert und ihre Rechte behalten will, um damit Geschäfte zu machen und weiß Gott was einklagt, um Entwicklungen Einhalt zu gebieten, dann wird die Masse von dem, was die Industrie am Leben gehalten hat, automatisch immer kleiner. Und damit verschwindet irgendwann auch die Industrie. Man merkt auf der anderen Seite aber auch, dass sie so clever ist, dass sie neue Vermarktungsstrategien entwickelt. Und ich bin auch davon überzeugt, dass ein, zwei große Konzerne überleben werden, weil sie klug genug sind, genau das den Künstlern anzubieten, was diese brauchen, um ihre Sachen selbst zu vermarkten. Daher denke ich, dass das Geschrei viel lauter ist als die Wirklichkeit. Natürlich ist es normal, dass Anwälte und Leute in der Industrie versuchen, alles, was möglich ist, in die Waagschale zu werfen, um an alten Erlösmodellen festzuhalten.

 

Um noch mal auf die Musik zu kommen: Manche Labels setzen nur auf Vinyl und erschweren somit automatisch das illegale Hochladen etwas, da der Uploader die Musik erst einmal digitalisieren muss.

Es gibt ja auch neue Wachstumszahlen bei Vinyl. Dass man die Musik dann trotzdem digital im Netz finden kann, sehe ich als zusätzliche Promotion. Ich sehe es sowohl bei meiner Band, als auch den vielen Bands, die bei mir unter Vertrag sind, dass es effektiv etwas bringt. Jedes digitale Werk im Internet ist ein Werbemedium, und ich gewinne dadurch mehr Fans, als dass ich sie durch illegale Downloads verliere. Aber um noch mal auf das Urheberrecht zurückzukommen: Das muss sich ändern. Vor allem solange es nur als Alibi dient, um Musiker und Urheber zu instrumentalisieren. Und das in einem Kampf, in dem letztlich nur die eigenen Nutzungs- und Verwertungsrechte wahrgenommen werden und gar nicht so sehr das Urheberrecht. Doch die Industrie war schon immer so fadenscheinig und hat das Interesse des Urhebers vorgegaukelt, aber eigentlich nur die eigenen Verwertungsmodelle im Sinne gehabt. Das blitzt auch in den ACTA-Demonstrationen durch. Wo man heutzutage mit einem intransparenten Handelsabkommen extrem kontraproduktiv arbeitet.

 

Vielleicht erklärst du in deinen eigenen Worten noch mal, was genau ACTA bedeutet.

ACTA ist ein Handelsabkommen, das, wie schon viele andere, die zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben, extrem intransparent ist. Es baut auf dem TRIPS-Abkommen auf, dass es schon länger gibt und das sich mit geistigen Schutzrechten beschäftigt, also Urheberrecht, Patentrecht, Markenschutz und solchen Dingen. Es möchte neue Richtlinien zu einer Harmonisierung des Handels der Länder, die ACTA mit unterschrieben haben, vorgeben. Bei TRIPS war das Vorgehen ähnlich. Es gab eine Blacklist der Länder, die nicht unterschrieben haben, die wurden dann durch große Staaten zur Unterschrift gezwungen oder eben mit Handels- und Zollsanktionen belegt. Bei ACTA wird es ähnlich laufen. Dabei ist dort nicht wahnsinnig viel neu. Es lässt aber viele wichtige Punkte offen, die schon in TRIPS drinstehen, also zum Beispiel wie weit der Schutz der Rechte derer, die angeklagt sind, gewährleistet sein muss. ACTA macht es etwas leichter, geistigen Schutzrechten mehr beizugehen auch schon privatwirtschaftlich.

Es soll zum Beispiel der Verbreiter, also der Provider, in die Pflicht genommen werden, zu überprüfen, wo Schutzrechtsverletzungen stattgefunden haben. Es ist schon ein Eingriff zu sagen: Wir wollen das privatwirtschaftlich klären. Das betrifft aber ebenso den Bereich Generika im Ausland, in den Schwellenländern. Deshalb hat Indien jetzt auch geklagt, dass sie die medizinische Versorgung nicht mehr gewährleisten können, wenn ACTA in Kraft tritt. Weil es viel leichter wird, Hersteller von Generika im Ausland zu verklagen. Gerade in Indien, wo Menschen von zwei Dollar am Tag leben müssen, kann sich dann jemand, der AIDS hat, die Medikamente nicht leisten. Man braucht einfach Generika. Es geht aber noch weiter, denn es gibt ja auch Patente auf Inhaltsstoffe und Großkonzerne, die sich einzelne Bestandteile schützen lassen. ACTA betrifft auch solche Dinge, das ist pervers und kann nicht sein. Und sie greifen dann auch viel schneller, etwa beim Zoll. Es wird schneller möglich sein, Produkte direkt vernichten zu lassen.

 

Was heißt das denn übertragen auf die Unterhaltungsindustrie?

Die Unterhaltungsmedien laufen natürlich über das Internet. Dort herrscht allerdings ein Klimawandel hin zu mehr Kontrolle des Nutzers. ACTA fordert nichts Unmittelbares. Es zeigt aber eine Tendenz, eine Marschrichtung, die unsere Regierung sowieso schon einschlägt. Gerade ist eine vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie zu Three Strikes erschienen. Das würde man gerne als nächstes etablieren, was man auch daran hört, wie laut der BMVI schreit. Durch solche Handelsabkommen wie ACTA wird ja nichts unmittelbar etabliert, aber es wird eine Klima vorbereitet. In Kommissionen aus Lobbyisten und Politikern wird über Gesetzgebungen verhandelt. So schleicht man sich ran.

 

Deine Partei hat bekanntlich klare Forderungen an eine Netzpolitik gestellt. Sie fordert etwa eine Kostenloskultur, die jedoch nicht das Ende des Künstlers bedeutet, sondern vielmehr als eine Chance beschrieben wird.

Ja, wir haben auch auf unserem Parteitag mit dem PA149 den Vorschlag eines neues Urheberrecht beschlossen, der moderater ist, als der der Grünen. Es gibt aber natürlich auch innerhalb der Partei Diskussionen und Gegenstimmen, die eine Verschärfung fordern. Ein grundlegender Punkt ist jedoch, dass wir wegkommen wollen vom reinen Schutz einzelner Werke. Diese unterliegen im Internet keinem Knappheitsprinzip mehr. Man kann sie unendlich oft kopieren. Dadurch geht nichts verloren. Was wir aber beschützen müssen, ist Schöpfergeist. Die Industrie- und Handelskammer oder die Handwerkskammer bieten permanent Förderseminare dazu an, wie sich die Leute besser vermarkten können. So etwas gibt es in der Musikbranche nicht, auch weil es eine große, starke Musikindustrielobby gibt, die gar nicht will, dass Musiker sich selbst vermarken. Darum wird so etwas klein gehalten. Doch wir müssen den Musikern helfen. Wir müssen hin zu einer kleinteiligen, nachhaltigen Urheberschaft, die unmittelbar dort gefördert wird, wo es nicht darum geht, Rechte massiv Großkonzernen, Verlagen und Verwertern der Industrie zuzuschieben, sondern wo den Künstlern die Möglichkeiten gegeben werden, sich selbst zu vermarkten. Dadurch kann man genug Erlös erwirtschaften, es bedeutet aber nicht automatisch, dass jeder davon leben können muss. Gerade in der Vielfalt von heute ist auch inbegriffen, das vieles dabei ist, was so sehr Nische ist, dass davon keiner, egal zu welcher Zeit, leben kann. Aber wie ich schon meinte, muss die Freiheit für jeden da sein. Für den Urheber, wie auch für den Konsumenten. Der schöpferische Geist muss also gefördert, aber nicht das einzelne Werk mit Stacheldraht beschützt werden. Daraus entsteht Wertschätzung. Durch eine Reformation des Urheberrechts werden wir auch eine neue Schöpferkultur entwickeln. Weil Menschen dann gar nicht mehr solche Angst haben, mit alten Gütern etwas Neues zu erschaffen, wenn Schutzfristen verkürzt sind. Heutzutage haben viele Urheber regelrecht Angst, etwas aus dem Baukasten musikalischer Stile zu nutzen, weil sie vielleicht verklagt werden könnten. Und auf den unzähligen Anwaltsseminaren werden junge Yuppie-Abmahn-Anwälte ausgebildet und lernen Mechanismen, wie man effektiv und schnell abmahnt. Das ist eine kriminelle Schattenwirtschaft. Ein Urteil des Oberlandesgericht Köln hat jetzt die Sache etwas erschwert. Momentan ist es ja so, dass man nur dann eine IP-Adresse ausgeliefert bekommt, wenn man nachweisen kann, dass die Vergehen gewerbliche Ausmaße haben. Das Problem aber ist, dass es bisher schon ein „gewerbliches Ausmaß“ bedeutete, wenn jemand nur ein Album heruntergeladen hat. Das Oberlandesgericht hat jetzt verabschiedet, dass man nicht so schnell sagen kann, das ist gewerblich. Es ist natürlich nur ein ganz kleiner Schritt. Wir haben zwar gehört, dass die Regierung plant, die Abmahnungen billiger zu machen. Aber ganz ehrlich, diese sind doch nur kopierte Briefe, wo an einer Stelle etwas eingefügt wird.

 

Wie schwierig ist es denn generell für euch als Partei, im heutigen Politikbetrieb die Reform des Urheberrechts durchzusetzen?

Ich glaube, wir haben mittlerweile alle viel gelernt. Dass wir durch die Proteste schon viel erreichen können, also außerparlamentarisch. Der zweite Punkt ist, dass wir als Piraten in die Parlamente müssen, um dort Themen nach vorne zu bringen, eine Öffentlichkeit für diese zu schaffen. Viele Dinge kriegt man doch gar nicht mit, weil sie in versteckten Verhandlungen stattfinden. Wir müssen diese Prozesse offenlegen, transparent machen. Dann lässt sich bei Themen, die die Rechte beschneiden eine große Mehrheit schaffen, die auf die Straße geht und die der regierenden Politik klarmacht: So nicht mit uns. Ich sehe deswegen für uns als Piraten die große Chance darin, außerparlamentarisch viel zu erreichen, aber auch durch die Transparenz in den Parlamenten die Themen soweit aufzubereiten, dass die Menschen sie verstehen. Die anderen Parteien ziehen da ja jetzt alle nach. / Benedikt Schmidt

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