Planet Xenbel – Urlaub mit Bossa Nova

xenbel_12-2014
Planet Xenbel von Xenia Beliayeva

Urlaub mit Bossa Nova
FAZEmag 034/12.2014

Kalt, grau, Regen, November. Freitagabend. Geschafft. Nach einem stundenlangen Stromer-Marathon packen wir unsere 48 Geschenke auf den Tisch und seufzen. Gleich basteln wir einen Adventskalender für unsere Freunde.

Bildschirmfoto 2015-01-07 um 17.17.47Während sich die Welt in Eile dreht und die Feiertage verplant, sitze ich mit meiner besten Freundin in der Küche. Wir haben keine Idee, was wir dieses Jahr zu Weihnachten und Silvester machen. Hier und da gibt es Streitigkeiten. Ihre Schwester hat ein Problem mit dem Freund von ihrer Mutter. Sie hat ein Problem mit der Schwester von ihrem Freund. Ich habe ein Problem mit der Freundin von meinem Bruder. Letztes Jahr war dies und das, jedes Jahr das Gleiche. Hauptsache Kekse backen. Wo wird gegessen? Jule Club oder individuelle Geschenke? Fragen über Fragen. Kerzen an, Wein auf, dann weiter schauen. Musik nicht zu vergessen. „Was möchtest du hören?“ – „Etwas Bossa Nova wäre schön!“ – „Bossa Nova, wie kommst du da rauf?“ – „Sonnenuntergang, Copacabana, Ipanema, Zuckerhut, Urlaub!“ Wir könnten uns vier Handtücher schnappen, in die Sauna gehen und uns danach in die Infrarotkabine legen, mehr Urlaub kann ich heute nicht anbieten. Der Vorschlag wird liebevoll abgelehnt. Meine Bossa Nova-Sammlung ist auf die Gilberto-Familie und ein paar Compilations beschränkt. Ich mache João Gilbertos „Amoroso Brasil“-Album an und gehe zurück in die Küche. Mache im Flur kehrt, rutsche mit meinen Antirutschsocken ein paar Schritte wie beim Schlittschuhlaufen über die Dielen zurück zur Anlange und drehe die Musik lauter. Zack, Boom, Bang, ein paar Töne und die Wohnung füllt sich mit Gelassenheit. Wie haben die Brasilianer das gemacht? Etwas Bossa Nova gepaart mit einem Glas Wein und das Leben wird zur Vernissage. Der Hund rollt sich vor der Anlage zu einer Brezel zusammen und seufzt. Die Kerzen knistern, der Regen schlägt gegen die Fenster. Diese tief schmerzliche Verstimmung in der Musik, hebt das Interesse für die Außenwelt auf und verwandelt die Küche zum gemütlichsten Ort, den ich mir vorstellen kann. Melancholie verformt sich zur Arroganz, Weihnachten und Silvester werden nicht mehr hinterfragt. Es wird sich schon fügen, easy!

Wörtlich übersetzt kann Bossa Nova so etwas wie neue Welle heißen und genau so fühlt sich dieser Gemütsumschwung gerade an. Texte von ewig verlorener Liebe. Zarte Stimmen singen über Suche, Sehnsucht, Heimweh und erschaffen ein merkwürdiges Verhältnis von Raum und Zeit. Entschleunigung. Ich habe mal gelesen, dass Bossa Nova in Fahrstühlen die Funktion hat, Panik in Gefahrensituationen zu vermeiden. Nicht, dass ich es nicht verstanden habe, aber heute wirkt der Satz für mich klarer. Vielleicht ist Bossa Nova als Vereinfachung zu verstehen. Bossa Nova hat elektronische Musik für diejenigen erträglich gemacht, die sie gehasst haben. Die Welt scheint sich sofort zu fügen, wenn typisch brasilianische Rhythmen und zarte Stimmen unterlegt sind. Die ewige Suche. Passend zum Endjahresblues und den Neujahrsvorsätzen. >>Ordem e progresso<< Dieser Satz von Auguste Comtes steht auf der brasilianischen Nationalflagge und bedeutet Ordnung und Fortschritt. Wie heißt es so schön, Dezember, der Monat der Besinnung? Also bitte, besinnen, ordnen und voranschreiten. Vanillekipferl nach Omas Rezept backen und Bossa Nova hören nicht vergessen. Ich wünsche euch Nussknacker, Lebkuchen, Leckereien und einen guten Rutsch ins Neue Jahr.

Eure Xeni

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