Plastik Funk – Aus dem Warehouse in die weite House-Welt

 

Jeder, der sich in Deutschland während der vergangenen 20 Jahre mit elektronischer Musik beschäftigt hat, kennt den Namen Plastik Funk und die Protagonisten hinter diesem griffigen Projektnamen: Mikio und Rafael. Seit zwei Jahren wird Plastik Funk nur noch von Rafael mit Leben gefüllt und wir haben uns gedacht, dass es einfach mal an der Zeit ist, diesen langjährigen Bestandteil unserer Szene zu würdigen – mit einem DJ-Mix. Es ist schön, mit einem richtigen DJ über einen DJ-Mix sprechen zu können. Mit jemandem, der es von der Pike auf gelernt hat. Mit jemandem, der weiß, wie es ist, vor 20 Leuten aufzulegen, und auch bei 20 000 Gästen die Demut vor dem Job nicht verliert. Dass so ein Gesprächspartner einen DJ-Führerschein fordert, verwundert ebenso wenig wie die Aussage, dass er sich sein DJing ohne die Pioneer-Loop-Funktion nicht mehr vorstellen könne. Vorhang auf für Plastik Funk.

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Plastik Funk ist vor knapp 20 Jahren als DJ-Duo gestartet. Mittlerweile reist du, Rafael, allein als Plastik Funk um die Welt und bespielst die größten Festivals aus dem Bereich der elektronischen Musik. Erzähl uns doch mal, wie alles begonnen hat mit Plastik Funk. Kannst du dich noch an euren ersten Gig erinnern?

Ja, ich kann mich noch sehr genau erinnern. Wir haben uns im alten Warehouse – das war ein Kultclub in Köln – bei einem Gig kennengelernt, bei dem wirklich fast gar nichts los war … Wir sollten beide an dem Abend auf dem House-Floor spielen und haben uns dann kurzerhand entschieden, das einfach b2b zu machen, damit keiner warten muss. Wir hatten sehr viele gleiche Platten im Koffer und es hat so super harmoniert … Na ja, die Idee zu einem Projekt war geboren.

Nicht nur die Club-Kultur hat sich im Laufe der vergangenen Dekaden geändert, es ist auch eine komplett neue Festival-Kultur entstanden. Flugreisen sind für jedermann erschwinglich geworden und Festivals haben das ganze Jahr über Saison. Wie siehst du diese Entwicklung? Was ist für dich positiv, was siehst du eher zwiespältig?

Es hat sich besonders in den letzten zehn Jahren sehr viel getan. Die Globalisierung der DJ-Welt ging verdammt schnell. Es macht mir großen Spaß, ein Teil davon zu sein, da ich seit Jahren die ganze Welt bespielen darf. Manchmal freitags noch in China und am Samstag ein Event in Deutschland … All das ist möglich. Es hat alles seine guten Seiten, es ist viel mehr in viel kürzerer Zeit möglich – auch wenn es um das Veröffentlichen von Musik geht. Manchmal ist oder war es auch gut, dass gewisse Dinge einfach mehr Zeit brauchen. Denn durch die enorme Geschwindigkeit des Internets sind Musik, Clubkultur, Clubs oder Events viel vergänglicher und wachsen oder schrumpfen in ganz anderen Geschwindigkeiten! Musik, manche Clubs und Festivals werden zu Fast Food und es muss für viele Partygänger immer schneller etwas Neues und Größeres geben. Das hat der Clublandschaft sehr geschadet, wird sich aber bestimmt auch bald wieder erholen.

Du bist gerade aus Mexiko und den USA zurückgekehrt. Wie gestaltet sich aktuell dein Tour-Leben und wo liegen die Unterschiede, wenn du Festivals in Übersee mit denen in Europa vergleichst?

Also, momentan ist es echt verrückt, wie viel Zeit ich in Flugzeugen verbringe. Das ist zwar manchmal sehr anstrengend, aber die schönen Events und Erlebnisse rund um den Globus machen das alles schnell wieder gut. Es ist gerade mal Ende Februar und ich habe in diesem jungen Jahr bereits eine Asien-Tour, eine USA-/Mexiko-Tour, einige Deutschland-Shows und Gigs in Kasachstan, Österreich und Norwegen absolviert. Und so geht es auch in den nächsten Monaten weiter. Unterschiede gibt es bei den Festivals eigentlich wenige. Ich kann aber sagen, dass die Asiaten schon am meisten musikdurstig und partyverrückt sind momentan und auf Festivals einfach komplett durchdrehen. Europa hat aber auch wieder gute Seiten, sodass ich nichts missen möchte. Es gibt überall auf der Welt tolle Menschen, mit denen es einfach Spaß macht, über die Musik zusammen zu kommen.

Der Sound von Plastik Funk hat sich verändert. Wie ist das gekommen? Wie habt ihr angefangen, wie würdest du deinen aktuellen Sound beschreiben und was bringt die Zukunft? Wie sieht es aus mit kommenden Releases?

Es stimmt. Es gab einige musikalische Schwenker in unserer Musikgeschichte. Wir haben uns hier und da ausprobieren müssen, um herauszufinden, wohin wir eigentlich wollen. Angefangen haben wir mit „funk-y“ Housemusic, Vocal- und Disco-House, wurden dann etwas elektronischer und bigroomlastiger. Inzwischen habe ich mich an unsere Wurzeln erinnert, zurückorientiert und produziere House, Future-House. Es ist der Sound unserer Anfänge, jedoch auf dem 2019er-Level. Man hat uns mal gefragt, wie wir unseren Sound nennen würden. Wir dachten, es sollte dafür ein neues Genre kreiert werden. Wir kamen auf „Bliss House“. Es geht mir um fröhliche, positive, uplifting House-Tracks mit Vocals. Unsere Fans sollen dazu beim Festival springen können, aber auch im Club tanzen. Ich habe in den vergangenen vier Monaten sechs Tracks releast – Remixe und eigene Sachen. Es soll jetzt mal eine kleine Pause von einem Monat geben, bis es dann zur „Winter Music Conference“ in Miami mit der nächsten Nummer weitergeht, einer größeren Kollaboration auf einem großen Club-Label. Außerdem habe ich Ende 2018 einen Vertrag bei Sony Music unterschrieben, wo ebenfalls bald einige neue Sachen kommen werden.

Wie sieht die Arbeit im Studio aus? Mit wem sitzt du jetzt überhaupt im Studio? Dein ehemaliger Mitstreiter hat sich ja zurückgezogen.

Also, Plastik Funk bin seit zwei Jahren nur noch ich. Mikio hatte sich wegen seiner schlimmen Rückenprobleme komplett aus Plastik Funk herausgezogen und arbeitet jetzt bei einem Musiklabel. Im Studio arbeite ich mit meinem Team – und dieser Prozess ist einfach unglaublich stark, zuverlässig und kreativ. Ich bin sehr happy, dass wir seit Jahren ein so gutes Team sind im Studio.

EDM ist in Deutschland immer noch ein schwieriger Begriff, wobei nur ältere Musikfans Schwierigkeiten mit diesem Stil zu haben scheinen. Für junge Menschen ist EDM ein großartiger Türöffner, sozusagen der Beginn einer Freundschaft mit elektronischer Musik. Wie siehst du diesen musikalischen Trend bzw. Begriff und was verstehst du darunter? Wieso ist diese Art von Tanzmusik besonders auf großen Festivals so beliebt?

EDM ist ja nur der Oberbegriff für „Electronic Dance Music“, was ja eigentlich alle Genres von Dancemusic beinhaltet. Aber EDM wird halt abgestempelt als der uncoole, laute Festivallärm, den einige Leute in der Szene komplett verachten … Ich finde, Musik ist und bleibt Geschmackssache, darüber lässt sich einfach nicht streiten und man sollte nichts verachten oder ein ganzes Genre als schlecht abstempeln. Es gibt viele „EDM“-Tracks, die mir nicht gefallen! Aber wenn es andere tun, dann ist das doch gut so und hat seine Daseinsberechtigung. Ich glaube, viele Leute sollten sich einfach mehr auf das konzentrieren, was ihnen Spaß macht, und jedem das lassen, was ihm gefällt. Leben und leben lassen … Als der große EDM-Hype losging vor einigen Jahren, war es genau dieser „EDM“-Style, der viele Kids zur elektronischen Tanzmusik gebracht hat. Es lief im Radio und erreichte eine viel größere Zielgruppe. Viele von diesen Kids hören heute Underground-House oder Techno – also schließt sich der Kreis (lacht). Und EDM ist definitiv Festivalmusik. Es ist die Energie, die viele auf den Festivals spüren wollen. Ich gebe vielen Kritikern Recht, die sagen, es könnte manchmal etwas kreativer sein, vieles höre sich gleich an, die Mikro-Durchsagen würden alle gleich klingen etc. Doch es ist, wie es ist. Und genau deshalb habe ich immer versucht, ein Zwischending zu finden bzw. selbst zu kreieren. Ich komme aus der Housemusic-Richtung, aber ich liebe die Energie der EDM-Festivals! Ich finde es gut, wenn nicht nur Jungs zu den Drops springen können, sondern auch Mädels zu schönen Vocals mitsingen oder grooven können. Die Antwort ist: Bliss House.

Plastik Funk ist dafür bekannt, dass es sich hier um DJs handelt, die ihr Handwerk verstehen. Sei es mit Vinyl oder CDs oder Sticks. Wie siehst du die aktuelle Entwicklung im DJing? Es gibt ja neue DJ-Player und immer neue DJ-Technik.

Ich komme noch aus der Zeit des Vinyls und bin sehr, sehr froh, dass ich das genauso gelernt habe! Man darf sich zwar vor neuen Trends nicht verschließen und ich bin jeden Tag auf der Suche nach neuen technischen Fortschritten, die das DJing noch interessanter und kreativer gestalten. Ich könnte mir heute ein DJ-Set ohne den Pioneer-Player mit einer Loop-Funktion nicht mehr vorstellen. Jedoch nutzen viele Leute diese ganzen tollen, neuen technischen Features gar nicht, sondern nehmen sich einen Laptop und machen es sich einfach – ohne jedes Gefühl für Musik und das eigentliche DJ-Handwerk! Es gibt Leute, denen sind die Moves und ihre Drop-Ansagen wichtiger als ein echtes DJ-Set, wo wir wieder beim Thema Fast Food wären. Ich denke, jeder Fortschritt ist gut, wenn man die Kunst und das Handwerk respektiert und das DJing wirklich erlernt. Viele Kids wollen schnell auf die großen Bühnen und können nicht einen richtigen Übergang mixen … Laptop her, Sync-Taste und die Charts und DJ-Sets ihrer Idole geladen, auf geht’s. Und dann wundern sie sich, dass alles gleich klingt und sie nicht weiter kommen. Um hervorzustechen, musst du einen eigenen Style und einen Sound entwickeln! Ich sage es öfter mal, wenn ich einige Warm-ups höre … Es sollte einen DJ-Führerschein geben mit zwei Auflagen: Der- oder diejenige muss mindestens 30 Minuten lang mit Platten und CDs aufgelegt haben und ein Musikwissen von mindestens fünf bis sechs Jahren vorweisen können.

Auf welchen Festivals und Events kann man dich 2019 erleben?

Also, wir haben schon über 20 Festival-Gigs für dieses Jahr bestätigt – ich war sprachlos, als ich vor einigen Tagen mit meinem Booker durch den 2019-Plan gegangen bin. Es ist einiges dabei wie World Club Dome, Luft & Liebe, Tropical Mountain, Elements Festival, NATURE ONE, Medusa Festival, Ultra Europe und viele, viele mehr!

Welche drei Tracks funktionieren immer in deinem Set?

  1. Robin Schulz – Unforgettable (Plastik Funk Remix)
  2. Marshmello & Bastille vs. Deekey x Cosmo Skoro – Way Too Happier (PLASTIKFUNK Mashup)
  3. Wuki – Pon De Time (Original Mix)

 

Aus dem FAZEmag 085/03.2019

 

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