Vermont – Fernweh durch Klanglandschaften

Vermont, einer der sechs Neuenglandstaaten im Nordosten der USA. Bekannt für seine idyllischen Berglandschaften und seinen prachtvollen Indian Summer. Aber auch der Name des neuen Projektes von Danilo Plessow – im Gespräch vor allem als Motor City Drum Ensemble – und Marcus Worgull. Beide liefern seit Jahren sehr geschmackvolles House-Futter für die Dancefloors rund um den Globus – Danilo, der auch schon eine Ausgabe der „DJ-Kicks“-Reihe abgeliefert hat, hauptsächlich über sein eigenes Label MCDE, Marcus als Teil der Innervisions-Crew. In Köln kreuzten sich vor gut vier Jahren eher zufällig die Wege der zwei, und ohne irgendwelche Hintergedanken landeten sie schließlich im Studio. Eine folgenschwere Entscheidung mit einem bemerkenswerten Ergebnis: Vor wenigen Tagen erschien ein gemeinsames Album. Im Interview erzählen die beiden, wie es dazu kam.

Am Anfang der Zusammenarbeit stand ein gemeinsamer Kneipenbesuch. Beide waren gerade nach Köln gezogen, und Danilo tauchte bei Groove Attack auf, einem Plattenladen, von dem Marcus Mitbetreiber ist. Man verabredete sich, trank ein, zwei Bier, freundete sich an und merkte, dass die Chemie stimmt. „Wir sind dann in mein Studio gegangen, weil ich Marcus zeigen wollte, was dort an Hardware steht, da er bis dahin mit den ganzen Gerätschaften wie Sequenzer oder Arp Odyssey noch nicht gearbeitet hatte, er aber großes Interesse daran zeigte. Am Anfang war das einfach nur viel Spinnerei und Spaß, was aber immerhin zu den ersten Vermont-Sachen führte“, erklärt Danilo, und Marcus ergänzt: „Ich kannte nichts davon. Irgendwann hatte ich auch mal kurzeitig einen Moog und eine MPC bei mir zu Hause stehen, aber das hatte mich damals nie wirklich interessiert.“ Das änderte sich nun, und man tauchte in erste Experimente ab, schraubte an Housetracks, bis dann Marcus die Idee hatte, einfach mal den Beat wegzulassen. Sie steuerten dann mit dem Maschinenparcours Richtung Klanglandschaften, die sich in den Bereichen Ambient und Krautrock ansiedelten.

„Wir hatten dann ziemlich schnell zwei, drei Stücke zusammen, das lief alles total entspannt. Danilo hat eine ganz andere Herangehensweise ans Musikmachen als ich, viel spielerischer und unverkrampfter. Wenn ich z.B. am Rechner an einem Remix sitze, dann ist das sehr gegliedert und strukturiert. Hier noch ein Break und dann 13 mal das Becken noch hin und her schieben. Für mich war das eine Befreiung, mal auf diese Art und Weise Musik zu machen. Bei Clubmusik ist das viel mehr Detailarbeit, als bei dem, was wir gemacht haben.“ – „Man agiert spontaner, intuitiver und ist viel mehr dran am klassischen Musikmachen“, ergänzt Danilo. Beide sind sich einig, dass der Prozess, wie sie ihn mit der Hardware durchlaufen haben, mit Software nicht funktioniert hätte, da es definitiv weniger Spaß gemacht hätte. Man wäre auch nie zu diesen Ergebnissen gekommen, wenn man immer nur auf einen Bildschirm gestarrt hätte, anstatt auf die ganze Bandbreite der Geräte. Wer möchte schon einen Tunnelblick haben, wenn er das ganze Panorama haben kann. „Klanglich gibt es kaum noch Unterscheide, aber die Herangehensweise ist komplett anders. Es ist was anderes, wenn du einfach einen Knopf drückst und direkt an den Reglern weitermachst. Es ist die Haptik, die dazu führt, dass du spontaner und kreativer arbeitest.“ Und so kamen Track für Track zusammen, die schließlich im Bekanntenkreis vorgespielt wurden und dann auch erste Abnehmer fanden. Anfang letzten Jahres landete „Onassis“ auf Gerd Jansons Compilation „Music For Autobahns“, ebenso wie „Yaiza“ auf der CD-Beilage des Groove Magazins.

Wirklich ins Rollen kam die Geschichte wenige Monate später auf dem Sónar Festival. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie sieben oder acht Tracks zusammen, die eine gute Einheit als Album bildeten. Marcus traf Michael Mayer von Kompakt Records, erzählte ihm von dem Projekt und schickte per E-Mail einen Link zur Musik. „Das war ein sehr cooler Moment, als mich Michael schon eine Stunde nach Erhalt der Mail anrief und uns anbot, ein Album zu veröffentlichen.“ Ein Angebot, das die beiden nicht ablehnen konnten und wollten. Kompakt pflegt eine große Ambient-Tradition, die vor allem Wolfgang Voigt mit seinem Gas-Projekt und seiner „Pop Ambient“-Reihe vorangetrieben hat. „Für mich, der mit seinem Hauptprojekt Black Music als Haupteinfluss hat, ist es sehr befriedigend, dass wir mit diesem deutschen Projekt – der Kraut-Einfluss ist für mich sehr groß – bei diesem Label zu landen, das diese Ausrichtung total verkörpert, das passt perfekt“, ergänzt Danilo.

Letztlich sind es 14 Stücke geworden, und ein paar Gastmusiker sind auch mit an Bord. Der irische Violinist Dermot O’Mahony, Lena Willikens mit einem Theremin* sowie die beiden Kölner Krautrock- Koryphäen Dominik von Senger (Gitarre) und Jaki Liebezeit (Drums). Letzteren brachte Danilo ins Spiel, und Marcus ging dann mit ihm uns Studio: „Wir kannten uns ja nicht, das war schon etwas seltsam, mit so einer Legende zusammenarbeiten. Aber wir sind sehr schnell warm geworden, hatten eine schöne Zeit, in der er viele Anekdoten erzählt hat.“

Wie es mit der gemeinsamen Arbeit weitergeht, ist noch ungewiss. Auch eine Live-Umsetzung steht derzeit nicht auf dem Plan, da diese ganz andere Aufmerksamkeit und Übung verlangt – bei den vollgepackten Terminkalendern der beiden kein einfaches Handling. Hinzu kommt, dass Danilo mittlerweile in Utrecht in den Niederlanden wohnt. Keine große Distanz, aber mit spontanen Verabredungen wird es schon schwieriger. „Das Album muss jetzt auch erstmal erscheinen. Mir ist derzeit gar nicht danach zu sagen ‘Hey, lass uns mal den Kalender checken und schauen, wann wir wieder ins Studio gehen‘. Ich vermisse das schon, die Zeit war echt gut, aber ich kann unmöglich das gleiche Schema nochmal machen“, und Danilo fügt schmunzelnd hinzu: „Wenn wir uns wieder treffen, dann wie am Anfang, mit einem Kneipenbesuch.“ Keine schlechte Idee, denn aus einer Bierlaune heraus entstehen oft großartige Sachen, und immerhin gibt es noch 49 weitere Bundesstaaten. Aber jetzt ist erstmal „Vermont“ an der Reihe, ein Album, das wie sein Namensgeber Fernweh schüren kann, dem wir uns sehr gerne hingeben.

Alle Instrumente & Geräte:
Arp Odyssey, Fender Rhodes, String Ensemble, Roland Jupiter 4, Doepfer Modular, Roland Juno 6, Sequential Prophet VS, Kurzweil K 2000, Drums (Jaki), Gitarre (Dominik), Theremin (Lena) & Violine (Dermot)

*Das Theremin ist ein 1919 erfundenes elektronisches Musikinstrument. Es ist das einzige verbreitete Musikinstrument,
das berührungslos gespielt wird und dabei direkt Töne erzeugt. (Quelle: Wikipedia)

 

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