Heiko Laux feiert mit seinem Label Kanzleramt den zwanzigsten Geburtstag. Die Clubtour dazu ist längst in vollem Gange. Gerade sind nun drei CDs erschienen, die zahlreiche Tracks aus dem großen Katalog des einst im hessischen Bad Nauheim gestarteten Imprints auf ganz besondere Weise würdigen. Doch mehr dazu und zur Labelgeschichte erfahrt ihr im folgenden ausführlichen Interview.
Hallo Heiko. In den Nullerjahren schien es ein paar Jahre lang extrem ruhig um Kanzleramt geworden zu sein. Woran lang das?
Der Vertrieb EFA ist 2004 in die Insolvenz gegangen. Aufgrund des Nachfolgeschadens, der für mich daraus entstanden ist, war ich gezwungen, eine Pause zu machen. Erst ging es noch ein wenig weiter, aber irgendwann musste ich mir dann als Label sagen: Nur noch bis hierhin. Deshalb kam eine Zeit lang nichts mehr auf Kanzleramt heraus. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass ich keine Lust dazu hatte, oder dass es keine Musik gegeben hätte. Andererseits muss ich schon sagen, dass in Folge der ganzen Sache die Musik schon sehr bitter war. Es hat sich ja nichts mehr rentiert für mich. Sobald ich irgendwo gespielt habe oder eine Platte irgendwo veröffentlicht habe und Geld rein kam, war das auch schon wieder weg.
Das klingt auf jeden Fall heftig, gerade wenn man bedenkt, wie viel Output Kanzeramt in der Zeit davor hatte…
Ja, Ende der Neunziger bis 2004 habe ich immer alles schön reinvestiert. In eine bessere Struktur, eine bessere Promo. Damit man sich breiter aufstellen und vielseitiger werden konnte, auch von der Artist- Basis her. Das musste ich dann alles gehen lassen. Das führte soweit, dass ich Kanzleramt jetzt als One-Man-Show betreibe. Früher haben fünf Leute für das Label gearbeitet.
Was war denn die wichtigste Lektion, die du in den 20 Jahren des Labelbestehens gelernt hast?
Dass es unterm Strich ein dreckiges Business ist. Es drehen und wenden sich immer die Sachen, die man nicht erwartet. Man ist auch immer verführt, denn man ist ja Idealist und glaubt daran, dass die Musik total geil ist, sonst würde man sie auch nicht herausbringen. Dadurch ist man ihrem Charme ein wenig unterlegen und neigt dazu, sich bei verschiedenen Dingen zu verschätzen. Nach dem Motto: Das muss doch gut laufen, denn die Musik ist geil. Das geht dann etwas an dem vorbei, was man wirklich absetzen kann. Heutzutage kann man sich nicht mehr so gut verschätzen. Im Online-Businnes ist der Stock unbegrenzt, ob man jetzt zwei Einheiten verkauft oder 2.000. Das ist da völlig egal. Die Copy wird in dem Moment gemacht, in dem sich der Kunde das herunterlädt. Man bekommt dann die Downloadzahlen und sieht, was Realität ist.
Ist bei dir vielleicht auch eine Art Ernüchterung eingetreten?
Eine Ernüchterung gab es sicherlich nach der EFA-Insolvenz, als sich auch die Musik nicht mehr gut anfühlte. Aber wenn ich jetzt an den Labelgeburtstag denke und an die Releases, mit denen ich jetzt wieder Fahrt aufgenommen habe, kann ich gefühlt keinen Unterschied zu den späten Neunzigern, wo es richtig abging, feststellen. Wenn positives Feedback hereinkommt, fühlt man sich immer geschmeichelt und bestätigt, dass man auf dem richtigen Weg ist. Und das Feedback zu den Anniversary-Releases war echt überwältigend aus meiner Sicht. Ich habe heute vielleicht etwas weniger jugendlichen Drive, aber dafür etwas mehr Erfahrung.
Wie hat sich denn der Umzug auf Berlin auf Kanzleramt ausgewirkt? Wie lange bist du überhaupt schon dort?
Ich bin 1999 nach Berlin gekommen und habe ein Jahr später mein Office hier bezogen. In Bad Nauheim gab es schon Grenzen. Mit Büro und Mitarbeitern von dort aus zu operieren, fand ich nicht so sensationell. Ich glaube, wenn ich nicht nach Berlin gegangen wäre, wäre es auch für Alexander Kowalski nicht wirklich interessant gewesen. Da wäre eine so enge Kooperation mit ihm wohl nicht passiert. Oder einfach mal Artists einzuladen, eine Woche oder einen ganzen Monat vorbeizukommen und reinzuschnuppern, was zusammen im Studio zu machen und so weiter. Da ist Berlin natürlich der wesentlich attraktivere Standort. Ich persönlich hatte auch gehofft, mich hier musikalisch etwas weiter zu entwickeln und ein paar Inspirationen im kreativen Bereich zu bekommen. In Bad Nauheim war alles schon sehr übersichtlich, daher war der Umzug schon richtig.
Wie hat sich der Kanzleramt Sound im Laufe der Zeit verändert?
Heute ist mir die stilistische Vielfalt nicht mehr so wichtig. Früherhatte ich ja immer im Sinn, mit Kanzleramt eine komplette Clubnacht abzubilden, wie ich sie selbst klassischerweise im Omen in Frankfurt erlebt habe. Da wurden zum Anfang der Nacht housige Tunes gespielt. Damals war aber auch Techno noch richtig schnell. Heute sehe ich das alles was lockerer und entscheide aus dem Bauchgefühl heraus, was erscheint. Hauptsache es ist keine Scheiße dabei.
Kanzleramt ist also schon noch Techno?
Ja, das gerade sehr. Meine Intention ist momentan eher technoid. Aber das haut nicht so ganz hin bei mir, auch wenn ich nach Techno suche. Es kommen immer wieder Sachen mit Chords, Detroitgefühl und kleinem Kompositionsansatz dazu und dann fühle ich das sehr stark und es ist letzten Endes doch Kanzleramt. Mir ist Kanzleramt derzeit nicht wirklich Techno genug. Ich würde gerne mehr Technostrom liefern. Wenn ich dann Sachen von Künstlern bekomme oder auch selbst mache, haben die alle die gleiche „Krankheit“. Sie gehen mit energiegeladenem Techno-Drive nach vorne, aber es kommt, wenigstens angedeutet, eben auch dieser Kompositionsansatz dazu, der es etwas moody macht.
Welche Künstler waren in den ersten zehn Jahren wichtig für das Label und welche in der zweiten Hälfte bis heute?
Anfangs war sicherlich Johannes (Heil) der herausragende Artist. Seine Tracks waren voller Energie, was sich auch in seinen Sets widergespiegelt hat. Und er bekam das mit Abstand beste Cover für sein „Reality To Midi“-Album und hat nichts unversucht gelassen. Christian Morgenstern ist da noch zu erwähnen und auch Anthony Rother. Sein „Sex With The Machines“ war eine extreme Platte. Electro habe ich danach nicht mehr weiter verfolgt, denn mit der Platte konnte nichts mithalten. Im Abschnitt 2000 bis zur EFA-Insolvenz waren Alexander Kowalski und Diego Hostettler prägend. Diego deckt sehr viele Genres ab und leistete enorme Fleißarbeit. Der Style von Alexander hat sich nach wie vor nicht groß verändert, wie ich finde. Die Musik ist heute vielleicht etwas logischer und leichter zugänglich, aber nichtsdestotrotz energetisch. Er hat ja auch viel gemacht. Ich selbst bin natürlich auch eine Konstante auf Kanzleramt. (lacht) Ich bringe im zweiten Halbjahr ein neues Album heraus. Von Ray Kajioka kommt ebenfalls eins. Er hat schon viele 12Inches gemacht. Und ich habe immer versucht, ihn dazu zu bringen, ein Album zu machen. Schon vor über zehn Jahren. Aber er wechselt gerne mal den Style. Ich finde es aber eigentlich ganz gut, dass er sehr selektiv mit seinen Sachen ist. Ich kenne das von mir, ich muss auch immer dahingehen, wo der Flow mich hinträgt.
Arbeitest du denn generell lieber längerfristig mit Künstlern?
Das ist schon ein Kriterium, gerade auch bei neuen Sachen. Ich möchte an der Stelle auch mal sagen, dass ich mir die meisten Demos anhöre, aber nicht die Zeit habe, auf alles zu antworten. Aber es ist auch unglaublich, was für Schwierigkeiten es gibt, wenn man mal antwortet. Das reicht fast bis zu Morddrohungen. (lacht) Von wegen „Du kannst mir doch nicht sagen, dass meine Tracks scheiße sind!“ Da habe ich schon die tollsten Dinger erlebt. Ich melde mich deshalb nur noch, wenn ich etwas gut finde. Dann vermittele ich das auch. Und wenn ich etwas richtig geil finde und mehr als ein Track mich anspricht, dann bin ich für Kanzleramt interessiert. Man muss mich da schon mehr als einmal überzeugen, damit es zum Release führt. Da bestehe ich drauf. Man kann heute nicht einfach Tracks raushauen, man geht in der ganzen Beatport-Release-Suppe völlig unter.
Was macht es für dich insgesamt heute noch spannend, ein Label zu betreiben?
Ich bin immer motiviert, wenn es für mich als DJ nichts zu finden gibt und ich mich durch hunderte Tracks und Promos sowie auf Portalen durchgekämpft und auch geschaut habe, was an Vinyl rauskam und ob mir etwas entgangen ist. Wenn ich dann nicht zufrieden bin und nur wenige Stücke finde, dann bin ich motiviert, ins Studio zu gehen, und nehme mir auch noch mal die Tracks vor, die ich von dem einen oder anderen als Demo bekommen habe. Dann muss der Menschheit geholfen werden.
Gibt es etwas, was du rückblickend bei Kanzleramt heute anders machen würdest?
Natürlich, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Sachen zu verhindern gewesen wären. Die Business-Realität ist beim Labelmachen mit Vertrieb hart. Denn selbst wenn man rational weiß, was passiert, gibt dieses Wissen kein Feedback auf den ganzen Ablauf des Business, da die Musik oben drüber schwebt. Sie ist der dominante Faktor, sie beeinflusst mich in der Hauptsache. Auch wenn ich Groß- und Außenhandelskaufmann gelernt habe und die Zahlen eigentlich kann, ändere ich sie nicht. Wenn man in der Musik aufgeht, ist das Business Lethargie. Man driftet lethargisch dahin. Man sieht so eine EFA-Insolvenz kommen und hätte viel drastischer reagieren müssen. Und auf dem Papier verkaufst du 10.000 Alben und 5.000 CDs obendrauf. Das ist ein Bild, das nicht zu verarbeiten ist in dem Moment, da man auf dem Papier mega-erfolgreich ist. Aber hintenrum kommen gerade 100.000 Euro nicht rein. Das passt nicht zusammen. Deshalb hat mir die Pause gutgetan. In dieser habe ich alles so umgestellt, dass ich das Label ohne Risiko und mit viel Spaß betreiben kann, ohne mir groß Gedanken machen zu müssen.
Vor Kurzem hast du auch dein Sublabel Label U-Turn wiederbelebt, oder?
Ja, das hat aber nicht so gut geklappt, da der Kanzleramt Geburtstag all meine Zeit gefressen hat. Es gibt so viele angefangene U-Turn Projekte, an die ich mich dringend setzen müsste. Aber ich habe festgestellt, dass wenn ich das ganze als One-Man-Show betreibe, kommen viele Sachen immer wieder auf mich zurück. Alles, was im März erschienen ist, habe ich Anfang Dezember schon fertig gehabt. Die ganzen Druckdaten waren da, die Masters. Ich habe die CDs gemacht und so weiter. Und dachte dann, dass ich das abgeschlossen hätte und mich um andere Sachen kümmern kann. Doch jetzt, zum Zeitpunkt unseres Interviews, gebe ich immer noch Interviews zum Jubiläum und die CD ist gerade erst erschienen. Ich wollte aber auch keine Facebookseite zu U-Turn aufmachen wo ich verkünde, dass wir 2013 zurück sind und dann gibt es ein Jahr lang nichts. Das ist zu wenig.
Hattest du denn schon länger den Plan, zum 20-jährigen Jubiläum von Kanzleramt etwas zu machen?
Oh ja. Die Auswahl für die „k-dubs“ war relativ easy. Das sind Sachen, die ich mir selbst gerne noch mal angehört habe, beim Blättern durch den Backkatalog. Die die Zeit ganz locker bestehen konnten und eigentlich unverwüstlich sind. Da war mir auch schnell klar, dass ich dafür nicht einfach die bestverkauften Sachen nehme, also „Greatest Hits“ und so. Das war stattdessen musikalische Freiheit, das sind meine Favourites. Bei den Tracks, die ich für die „k-themes“ ausgesucht habe, dachte ich oft, dass da Fehler vom Mastering drin sind, oder manche Harmonien waren zu sehr von Drums überlagert. Oder die Orchestrierung war im Original oft wenig zu erkennen. Die Stücke wurden dann freigestellt von der Energie der Vierviertel-Drum. Da zeige ich auch Elemente mit auf, die im Original nur im Hintergrund zu hören waren. Die „kremixes“ haben dann fast die Remixer entschieden. Ich hatte grob eine Auswahl an Leute geschickt, aber die wollten die Tracks remixen, die sie letzen Endes dann auch geremixt haben. Ich halte auch nichts davon, den angefragten Künstlern so etwas aufzudoktrinieren, wenn sie vielleicht bereits schon eine Idee zu einem Remix haben.