Marc DePulse – aus dem Leben eines DJs: Allein im Wald
Über zwei Jahre haben wir uns diese Zeit herbeigesehnt: befreit feiern, reisen. Schlichtweg leben, als wäre es 2019. Doch die Realität zeigt gerade neue Probleme auf: Während die Reserven längst aufgebraucht sind, blicken wir einer lange nicht dagewesenen Rezession entgegen. In der Wirtschaft sowie in den Köpfen.
In den vergangenen zwei Jahren konnte man sich als selbständige Künstler*in immer irgendwie durchschlängeln: Stipendien und Fördermittel beantragen, Zuschüsse erhalten, hier und da bezahlte Streams spielen und sowieso die paar Gigs mitnehmen, die möglich waren. Hand aufs Herz: Selten war es so einfach, durchs Fast-nichts-tun so viele öffentliche Gelder abzuschöpfen. Doch das war einmal. Förderprogramme laufen aus. Kaum welche kommen hinzu. Dafür explodieren die Preise des täglichen Bedarfs. Grundlebensmittel werden zu Luxusgütern.
Davon bleibt auch die Veranstaltungsbranche nicht verschont. Der Markt reguliert Nachfrage und Angebot. Doch genau dieser Markt besteht aus Menschen, die gerade ihre Kröten hamstern und sich Speck für den Winter anfuttern, der in vielerlei Hinsicht recht eisig zu werden scheint. Sowieso fragen wir uns: Warum ist am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig?
Es sind viele Entwicklungen, die in den vergangenen Jahren parallel gelaufen sind. Der sich vollziehende Generationswechsel einhergehend mit neuen Trends. Dazu die sinnbildlich überfüllten Züge an DJs, wandelnde Interessen und Bedürfnisse von allen Seiten. Doch solch ein Wandel passiert freilich nicht von heute auf morgen.
Worin liegen also die Gründe? Kommt ein neuerlicher Covid-Lockdown durch die Hintertür dank Masken, Tests, Abstand, Sperrstunden? Vielleicht. Wäre es der Todesstoß für viele Betreiber? Ja. Darüber hinaus sorgen sich aber die Menschen gerade um andere Faktoren, zum Beispiel die Energiepreise. Dazu schrillen die Alarmglocken auf dem Kapitalmarkt: Zins und Inflation bewegen sich unkontrollierbar, machen Kurse und Währungen instabil und lassen das eigene Portemonnaie im Zweifel lieber zu. Und dann ist da noch die Sorge um das aktuelle Weltgeschehen, teils in unmittelbarer Nähe. Es sind zu viele Baustellen, die das Denken, Handeln und die allgemeine Stimmung stark beeinflussen. Was kommt, was bleibt? Kann ich meine Nebenkosten noch bezahlen? Kostet ein Liter Sprit bald so viel wie eine gute Flasche Wein? Drückt der Russe nun auf den Knopf? Zahle ich für meinen Döner bald 15 Euro? In zwei Worten: Ungewissheit, Angst.
Und so steht man als Künstler*in in diesen Tagen trotz starker Zahlen aus Charts und Streaming irgendwie allein im Wald. Natürlich nur gefühlt allein. Denn dieses Schicksal teilen gerade sehr viele von uns. Sogar große Agenturen schicken ihre Newsletter mit „free dates“ für ihre sonst so angesagten Acts raus, die plötzlich reihenweise freie Wochenenden haben. Zu viele Länder flogen uns dieses Jahr sprichwörtlich um die Ohren, zu viele potenzielle Märkte brachen urplötzlich weg.
Aus DJ- und Producer-Sicht stellen sich momentan grundlegende Fragen:
– Soll ich wieder kleinere Brötchen backen und für weniger Gage spielen?
– Soll ich aus der Panik heraus jetzt noch mehr Musik machen?
– Soll ich jetzt lieber dem Trend folgen, um stattzufinden?
Summa summarum: Natürlich nicht. Man sollte bei all den schlechten Nachrichten auf keinen Fall überhastet agieren und erst recht nicht den Fokus verlieren. Solche Phasen kommen und gehen. Dafür ist eine eigene Brand unabdingbar, die man in Hoch- wie in Krisenzeiten hegt und pflegt. Als Selbständiger kennt man solche Ups und Downs. Man wächst da raus, kostet es auch viel Kraft. Bei einer Aussage kann ich mich nur wiederholen: Lasst euch von all dem nicht die Stimmung vermiesen, schließlich geht das nur zu Lasten der Kreativität. Denn das, was bis letztens noch gut war, ist nicht plötzlich schlecht. Und liebe Musiknutzer*innen: Support your favorite artists! Konsumiert Kultur! Kauft und streamt Musik. Sie zahlt es euch zurück und löst so manche Blockaden.
Aus dem FAZEmag 129/11.2022
Text: Marc DePulse
www.marc-depulse.com
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