Andhim – Afterparty

Corona hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt und dabei zahlreiche, teils irreparable Schäden angerichtet. Viele Bereiche des alltäglichen Lebens werden in absehbarer Zeit nicht mehr zu gewohnter Normalität zurückkehren können, vielmehr ist eine wie von der Politik schon fast inflationär benannte „neue Normalität“ vorprogrammiert. Besonders die Kulturszene hat mit den geschlossenen Clubs extrem zu kämpfen. Inmitten des ganzen Dilemmas werden Kreativschaffende ihrem Ruf nun immer häufiger und origineller gerecht: so auch im Fall von Simon Haehnel vom Superhouse-Duo Andhim und Oliver Koletzki, seines Zeichens DJ, Produzent und Chef von Stil vor Talent. Gemeinsam haben die beiden während der Krise ihren Podcast „After Party“ gestartet und berichten nun seit fast drei Monaten im Wochentakt aus Koletzkis Studioräumen auf dem Holzmarkt in Berlin über das aktuelle Geschehen in ihrem Leben und der Szene im Allgemeinen. Dass es mitunter auch handfeste Skandale und unglaubliche Anekdoten aus dem DJ-Leben der beiden zu hören gibt, ist klar. Gründe genug für ein Interview über Corona, vorher und nachher, Podcast-Affinitäten und natürlich nicht zu vergessen für den offiziellen FAZE-Mix, für den Andhim in diesem Monat verantwortlich zeichnen.

 

2020 hat Halbzeit. Wie war das Jahr bislang für dich, Simon?

Sehr anders und sehr turbulent. Wir haben uns ja noch ganz gönnerhaft im Januar und Februar eine Auszeit genommen, um dann mit voller Kraft in den März zu starten. Da war dann aber auch schon alles abgesagt. Jetzt habe ich sehr viel Zeit, was ich gar nicht gewohnt bin. Das hat dann auch eine Weile gedauert, bis ich mich darauf eingestellt hatte. Ich war am Anfang schon ein bisschen verloren, weil wir ja normalerweise jedes Wochenende auf Tour sind. Da bricht dann ein Teil deiner Identität einfach weg. Das muss man erst mal begreifen und dann, im zweiten Schritt, verarbeiten. Aber mittlerweile habe ich einen guten Weg zwischen Kreativität und neu gewonnener Freizeit gefunden. Ich trinke auf jeden Fall sehr, sehr viel Bier momentan.

Wie bist du mit der Krise allgemein umgegangen?

Die ersten vier Wochen, als nach und nach alle Gigs abgesagt wurden und man absehen konnte, dass jetzt erst mal einige Zeit nichts in der Form passiert, war das sehr schlimm. Es rattert im Kopf, man hat viele Fragen und natürlich entstehen dabei auch viele Ängste. Wie geht es weiter? Und wenn es weitergeht, in welcher Form? Es war schwierig und ich würde sagen, ich bin da durch Etappen gegangen. Verunsicherung, Hilflosigkeit und auch Existenzangst – bis ich das alles letztlich akzeptiert habe. Dazu muss man natürlich erwähnen, dass ich in der sehr glücklichen Position bin, in der meine Existenz jetzt nicht sofort gravierend bedroht ist, was es mir natürlich leichter macht, mit der Situation umzugehen. Ich habe Geld gespart und davon kann ich jetzt eine Zeit lang leben. Aber viele meiner Freunde sind wirklich bedroht und es ist einfach nur schlimm, zu sehen, wie nach und nach unsere Szene zerbröselt und ums Überleben kämpft. Die allgemein fehlende Wertschätzung für uns Kunst- und Kulturschaffende macht mich wirklich sauer.

Hattest du anderweitige Pläne, die jetzt ebenfalls durchkreuzt wurden?

Die weggefallenen Shows und Touren sind mit Sicherheit der größte Faktor. Nicht zuletzt, weil Tobi und ich ja in der Szene als Maschinen gelten, die normalerweise das ganze Jahr touren. (lacht)

Inwieweit war es von Vorteil, in Berlin zu wohnen während dieser Zeit?

Ich glaube, Berlin ist in dieser Angelegenheit im Vergleich recht gut weggekommen. Es gab verhältnismäßig wenige Infizierte und damit einhergehend wenige Auflagen neben den üblichen Abstands- und Hygiene-Vorschriften, an die sich in den ersten Wochen auch alle vorbildlich gehalten haben. Ich war sehr erstaunt, zu sehen, dass selbst Berlin mit seinem wilden, chaotischen Image in der Lage ist, mit dem Soft-Lockdown umzugehen und alle Regeln einzuhalten. Jetzt ist der Sommer ausgebrochen, alle tummeln sich auf der Straße und man genießt ein Bier in der Sonne. Ich bin sehr froh, während dieser Zeit hier in dieser Stadt sein zu dürfen. Bis auf Events fehlt es uns hier an fast nichts.

Für viele war bzw. ist diese Pause Fluch und Segen zugleich. Wie schätzt du das ein?

Definitiv ist Corona und alles, was damit zu tun hat, ein riesiger Fluch, der leider unglaublich viele Leute und ihre Existenzen bedroht. Die Arbeitslosigkeit steigt rasant, immer mehr Leute sind gezwungen, Hartz IV zu beziehen, und das ist natürlich der absolute Horror für Leute, die vor wenigen Wochen noch mitten im Leben standen. Auf der anderen Seite sehe ich diese Situation auch als Chance, sich wieder auf die wesentlichen Werte zu besinnen. Man merkt, wie wenig man eigentlich benötigt und dass Konsum meist nur um des Konsums willen geschieht. Wir brauchen unsere Liebsten um uns herum, ein Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit im Bauch. Damit bin ich glücklich. Ich merke gerade auch, dass sehr viel Druck von uns abfällt, weil ja alle in derselben Situation sind. Man steht nicht mehr in dieser permanenten Konkurrenz zueinander, auch wenn diese meist nur eingebildet ist. Man kann sich ohne Druck und frei von jeglichen Zwängen ausprobieren, ohne groß nachzudenken. Es kehrt also wieder eine Leichtigkeit ein, die über die Jahre etwas verloren gegangen ist. In unserem Fall ist es so, dass wir Zeit hatten, uns neuen Projekten zu widmen wie z. B. dem Podcast, den wir ohne Corona wahrscheinlich niemals gestartet hätten. Das macht mir unheimlich viel Spaß und da gibt es gar keine große Idee dahinter. Wir haben das einfach gemacht, ohne finanzielle oder anderweitige Ziele zu verfolgen. Ich glaube mittlerweile, dass sowohl auf privater als auch auf beruflicher bzw. kreativer Ebene sehr viel entstehen kann durch diese Situation.

Das ist wohl wahr. Wie könnte sich deiner Meinung nach die Szene bzw. das Ausgehen durch Corona langfristig verändern?

Na ja, man merkt ja schon jetzt gravierende Änderungen. Alle Festivals, Promoter und anderweitig beteiligte Personen haben mit den Folgen zu kämpfen und aktuell stellt sich ja die Frage, wer diese Durststrecke überstehen wird bzw. wen es danach noch geben wird. Viele werden es leider nicht schaffen und die Wahrscheinlichkeit, dass von uns geliebte Orte, Clubs und Events komplett verschwinden, ist leider sehr hoch. Die gesamte Szene wird noch lange mit den Folgen leben müssen, glaube ich. Altbewährtes wird unter Umständen gehen müssen, aber dadurch kann vielleicht auch tolles Neues entstehen.

Hast du in dieser Zeit neue Hobbys entdeckt bzw. alte reaktiviert?

Ich habe mein Skateboard vor einiger Zeit aus dem Keller geholt und entstaubt. Ich fahre hin und wieder, nicht sonderlich professionell und ansehnlich. Aber auch hier überwiegen einfach die Freude und der Spaß. Ansonsten grille ich sehr viel auf meiner Terrasse. Ich koche ja generell sehr gerne und lerne da ein bisschen dazu.

Du bist jetzt unter die Podcaster gegangen und hast mit Oliver Koletzki „After Party“ gestartet. Wie ist die Idee entstanden?

Die Idee selbst entstand tatsächlich – wie könnte es anders bei uns sein – aus einer Bierlaune heraus. Ich wollte schon länger einen Podcast aufnehmen und habe bereits in den letzten ein bis zwei Jahren mit dem Gedanken gespielt. Wie das aber immer so ist: Wenn man viele Ideen hat, verwirft man auch viele davon oder verfolgt sie nicht. Irgendwann kamen wir auf die Idee, gemeinsam einen zu machen und dabei den ein oder anderen Schwank aus unserem Leben zu erzählen. Ein paar Tage später haben wir losgelegt, ohne großartig darüber nachzudenken.

Wie entstand überhaupt die Freundschaft zu Oliver und was schätzt du besonders an seiner Person?

Wie bei vielen Leuten aus der Szene entstand die Freundschaft zu Oliver in erster Linie durch die Musik. Wir waren schon oft auf den gleichen Festivals oder in denselben Clubs gebucht und hatten eine gute Zeit zusammen. Auch gab es schon den ein oder anderen Remix auf Stil vor Talent, z. B. für HVOB, Jake The Rapper oder auch für Oli selbst. Ich schätze besonders seine Loyalität. Er gibt unheimlich viel für seine Freunde und für die Leute, die mit und für ihn arbeiten. Das schätze und respektiere ich sehr. Außerdem arbeitet er wirklich hart und versucht, seine Visionen immer umzusetzen. Und man kann richtig gut mit ihm feiern. (lacht) Liebe Grüße an dieser Stelle!

Wie fühlst du dich nach den ersten Episoden?

Aktuell ist die neunte Folge erschienen, es fühlt sich super an und macht großen Spaß. Die Resonanz und das Feedback sind tatsächlich durchweg positiv, was uns natürlich sehr freut, zumal wir wie gesagt keinerlei Konzept oder Ähnliches dafür entwickelt haben. Wir wussten vorher ja nicht mal, ob das überhaupt jemanden interessieren würde, was wir da ins Mikro labern. Aber bislang sind wir megahappy und ich gewöhne mich immer mehr daran, einmal pro Woche ins Studio zu gehen und mit Oli aufzunehmen. Wir haben sogar schon eine Anfrage, den Podcast live aufzuführen vor Publikum, aber da sind wir noch etwas unentschlossen.

Welche Ideen habt ihr für die kommenden Wochen und Monate?

Unser Podcast ist superspontan und auch tagesaktuell, daher planen wir nahezu gar nichts im Voraus, sondern versuchen, so viel Aktuelles wie möglich zu integrieren. Ein paar Sachen wie die Anekdoten sind natürlich geplant, mit denen wir aus recht skurrilen Momenten unseres DJ-Lebens berichten. Das ist auch ganz klar die beliebteste Rubrik für die Hörer.

Wer wäre euer absoluter Traumgast?

Für die zweite Staffel überlegen wir tatsächlich, ob wir Gäste einladen oder nicht. Da sind wir uns aber noch nicht ganz sicher. Eigentlich genügen wir beide uns auch einfach.

Ihr thematisiert auch häufig Skandal und Eskapaden. Wie schafft ihr die Gratwanderung zwischen Backstage-Talk und Shitstorm-Vermeidung?

Wir sind schon sehr darauf bedacht, nicht allzu viel zu erzählen. Besonders nicht über andere Leute. Wir möchten da niemanden in Bedrängnis bringen und überlegen natürlich, in welcher Form wir da über etwas berichten bzw. reden. Wir möchten auch in keiner Weise Drogen- oder Alkohol-Exzesse verherrlichen, das wäre uns in der Tat etwas zu plump. Und deshalb achten wir da schon drauf, dass unsere Themen zwar authentisch und lustig sind, aber nicht zu reißerisch. Und wenn wir einen Kollegen in irgendeiner Art und Weise erwähnen, ist es meist so etwas wie eine Analyse einer bestimmten Situation. Es ist jetzt nicht so, dass wir jemanden diffamieren möchten. Wir schauen einfach, was gerade in unserer Szene passiert, und sprechen dann darüber. Meist machen sich die Leute ja selbst zum Clown. Wir unterhalten uns nur darüber.

Hast du schon Dinge erzählt und es anschließend bereut?

Nein, auf keinen Fall. Dafür sind wir bislang wirklich noch zu brav gewesen. Mit dem Rahmen, in dem wir uns bislang bewegen, kann ich sehr gut leben.

Was sagt eigentlich Tobi zu der ganzen Nummer?

Gute Frage! Ich glaube, der hat noch keine einzige Folge gehört. Er lässt mich einfach machen und denkt da gar nicht so viel drüber nach, glaube ich. (lacht)

Hörst du auch gerne andere Podcasts?

Das ist eine interessante Frage, denn ich habe noch nie einen Podcast regelmäßig gehört. Ich habe mal drei Folgen „Fest & Flauschig“ gehört von Jan Böhmermann und Olli Schulz, aber das war es bislang. Ich liebe Hörspiele, aber was Podcasts angeht, sind sowohl ich als auch Oli tatsächlich total unbeschriebene Blätter. Vielleicht sogar ein positiver Punkt für „After Party“.

Du mixt in diesem Monat den offiziellen FAZEmag Download-Mix.

In der Tat. Die Hörer erwartet wie immer ein gut kuratierter und abwechslungsreicher Mix aus Tracks bzw. Künstlern, die wir sehr gerne hören und mögen. Und es sind auch einige neue Titel von uns dabei, die bislang noch nicht veröffentlicht wurden. Also sind die FAZE-Leser auch automatisch die Ersten, die sie zu hören bekommen.

Corona-Zeit ist für viele Künstler Studio-Zeit. Wie sieht das bei euch aus?

Ja, total. Wir haben in diesem Jahr schon einige Remixe veröffentlicht, weil wir einfach die freie Zeit dafür hatten. Da gab es unseren „Opals“-Remix für Catching Flies oder auch unseren Remix für Agorias „3 Letters“. Wir sind sehr oft im Studio und freuen uns auf das Release unserer neuen Platte, die ganze sechs Titel beinhalten wird. Die EP heißt „Toy Toy“ und kommt Mitte August auf unserem Label Superfriends Records raus. Es ist sehr elektronisch geworden, allerdings in einem etwas neuen Gewand, das man vielleicht nicht unbedingt erwarten würde. Zwei Nummern, die ich besonders gerne habe, sind auch recht langsam und auch gar nicht für den Dancefloor gemacht, sondern eher zum Träumen und Genießen. Die Platte erscheint zeitgleich mit einer kleinen Tour-Doku von uns aus Tokio und Südkorea, wo wir Ende letzten Jahres waren. Wir haben uns sehr von dieser Zeit inspirieren lassen. Sowohl im Sound als auch auf dem Cover finden sich ein paar asiatische Elemente bzw. Einflüsse. Es wird also ein sehr rundes und durchdachtes Release.

Was ist darüber hinaus geplant?

Wir werden immer weiter Musik machen. Und insbesondere weil wir gerade nicht die Nähe zu den Fans auf dem Dancefloor haben, möchten wir so viel Output wie möglich generieren, um den Leuten trotzdem Freude zu bereiten. Wir halten daher auch nichts zurück bzw. warten nicht, bis die Clubs wieder öffnen. Stattdessen arbeiten wir schon jetzt an den nächsten Sachen.

Sobald Corona vorbei ist …?

… werden wir definitiv auf Tour gehen. Wir vermissen es unglaublich, in andere Länder zu reisen, Freunde auf der ganzen Welt zu treffen und dort unsere Musik zu spielen. Darauf freue ich mich mit Abstand am meisten.

 

 

Aus dem FAZEmag 101/07.2020
Text: Triple P
Foto: Privat
www.facebook.com/andhimmusic