
Bereits seit 1999 ist das US-amerikanische Quartett Animal Collective auf den internationalen Bühnen aktiv und verwandelt sie seitdem in eigene Spielwiesen, auf denen sich die vier Kindheitsfreunde mit neuen Ideen und Einflüssen regelmäßig austoben können. Ihrem ungebrochenen Hang zur Freigeistigkeit lässt die Band, die zwischen experimenteller Pop- und Rockmusik, Indie und Electronica balanciert, natürlich nicht nur in Konzertsälen freien Lauf, sondern auch im Studio, wo David Portner (Avey Tare), Noah Lennox (Panda Bear), Josh Dibb (Deakin) und Brian Weitz (Geologist) vor Kurzem in enger Zusammenarbeit mit dem Grammy-gekrönten Produzenten Russell Elevado ihr nunmehr zwölftes Full-Length-Album aufgenommen haben, das auf den Namen „Isn’t It Now?“ hört. Josh Dibb hat uns mehr über die LP verraten.
Künstlerische Freiheit und Individualismus waren schon immer ein wichtiger Part der Animal-Collective-Philosophie, das belegen nicht nur die Spitznamen der Mitglieder. Josh Dibb nimmt uns mit auf einen kleinen Exkurs: „Wir wollten von Anfang an keine traditionelle Band mit statischen Bandmitgliederrollen gründen. Wir erkannten früh, dass es zwischen uns vieren so viele verschiedene Ausdrucksformen und Kombinationen der Zusammenarbeit gab, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen würden. Aus diesem Grund veröffentlichten wir unsere Musik lange Zeit unter einzigartigen Identitäten und Namen, die entweder auf den beteiligten Personen oder einfach dem Geist des Projekts beruhten.“
Für Animal Collective war es stets von zentraler Bedeutung, Raum für Soloprojekte und externe Kollaborationen zu lassen, um individuelle Horizonte zu erweitern. „Jedes Mal, wenn wir nach einer gewissen Zeit der Trennung wieder zusammenkommen, haben die Leute neue Dinge entdeckt und wollen neue Ideen in der Gruppe ausprobieren.“ Geschehen ist dies nun auch im Vorfeld zu „Isn’t It Now?“. Die Band versuchte, sich auf vergleichsweise traditionelle Arrangements zu konzentrieren und so fokussierte sich David Portner im Rahmen seines Soloprojekts auf die E-Gitarre, Brian Weitz widmete sich der Drehleier, Josh Dibb spielte auf dem Klavier in einem nie dagewesenen Umfang und Noah Lennox studierte neue Schlagzeugtechniken.
Mit dem Grammy-nominierten Produzenten Russel Elevado hat allerdings noch ein fünfter kreativer Kopf an „Isn’t It Now?“ mitgewirkt, den die Gruppe aufgrund seiner erfolgreichen Zusammenarbeit mit D’Angelo akquirierte. Josh Dibb schwärmt: „Er ist ein Purist in Sachen Analogtechnik. Er weigert sich, Plug-ins zu verwenden, und er weiß, welchen Einfluss ausgewählte analoge Wege auf den Sound haben. Beim Abhören der Aufnahmen habe ich die wahre Kraft des reinen Analog-Recordings auf eine Art und Weise gespürt, wie ich es zuvor selten erlebt hatte. Mehr als ein paar Mal wurde ich emotional und hatte Tränen in den Augen, spürte, wie meine Haut kribbelte, oder fing einfach an zu grinsen und zu lachen, als Reaktion darauf, wie die Dinge klangen.“
Um die Magie der Zusammenarbeit zwischen Animal Collective und Russel Elevado zu verdeutlichen, reicht ein einfacher Blick auf das Stück „Defeat“, den wohl imposantesten Track des Albums, der fast ein Drittel der Gesamtspielzeit einnimmt. Das 22-minütige Epos, an dem mehrere Gastmusiker*innen (Violine, Cello, Saxophon) mitwirkten, ist die wunderschöne und erlösende Saga des Animal Collective, deren emotionale Bedeutung wohl am besten Josh Dibb erklärt: „Die Lyrics sind für mich unglaublich ergreifend. Für mich wecken sie so viele Emotionen rund um das Altern und das Loslassen von dem, was war, während ich immer noch darüber nachdenke und mich auch daran erinnere, im Jetzt verwurzelt zu bleiben, und an die Schönheit, die uns umgibt, selbst, wenn wir mit Verfall und Veränderung zu kämpfen haben. Die Anstrengung, die es braucht, um im Angesicht des Verfalls weiterzumachen. Der Ruf und die Antwort, mit dem das Lied endet: ‚Isn’t It Now? Oh no, not now.‘“
„Isn’t It Now?“ ist am 29. September via Domino erschienen.
Aus dem FAZEmag 140/10.2023
www.myanimalhome.net
Text: Hugo Slawien
Foto: Hisham Akira Bharoocha