ASCENDING – zurück zum Handwerk

ASCENDING – zurück zum Handwerk

In einer Branche, die oft von Algorithmen, Social-Media-Reichweite und Trends bestimmt wird, setzt Annina Frey ein bewusstes Zeichen gegen die Oberflächlichkeit. Mit ihrem noch jungen Label ASCENDING will die gebürtige Zürcherin, nun im Kanton Zug ansässig, nicht nur aufstrebenden Produzent*innen eine Bühne bieten, sondern auch an die Wurzeln der Technokultur erinnern: Authentizität, Tiefe, Handwerk.

„Als ich vor rund sieben Jahren selbst mit dem Produzieren begonnen hatte, wurde mir schnell klar: Die Musik allein ist nur ein Teil des Ganzen“, sagt Annina Frey. „Der kreative Prozess ist essenziell, aber drumherum gibt es viele Hürden – unpersönliche Antworten, endlose Submissions, wenig Rückhalt.“ Diese Erfahrung motivierte sie, ASCENDING ins Leben zu rufen – ein Label, das auf Augenhöhe agiert, sich um Qualität statt Klicks bemüht und Künstler*innen langfristig begleitet. „Unabhängig, authentisch und frei von standardisierten Strukturen.“ Ein erstes Ausrufezeichen setzt ASCENDING mit der Compilation „ASCENDING ARRANGED Vol. I“: zehn Tracks, acht davon aus der Schweiz, zwei internationale Beiträge – kuratiert mit Fingerspitzengefühl und Haltung. „Die Auswahl war mir extrem wichtig – nicht nur auf musikalischer Ebene, sondern auch, was die Persönlichkeiten betrifft. Ich wollte eine bunte Mischung, die trotzdem als Ganzes funktioniert.“

Besonderes Augenmerk legt Annina auf Acts, „die sich vielleicht nicht selbst ins Rampenlicht stellen, aber Großartiges schaffen“. So finden sich auf der VA versierte Live-Acts wie sanmon mit „King of the Modular“ und Monsieur Pluspetit neben Newcomer*innen wie Pandøra, die gemeinsam mit Annina den düsteren Track „Unleashed“ produzierte. Ihre eigene Rolle sieht sie dabei als Unterstützerin – nicht als kreative Lenkerin: „Ich halte mich aus dem kreativen Kernprozess bewusst heraus. Authentizität entsteht nur, wenn die Vision des Artists unangetastet bleibt.“ Trotzdem bringt sie sich dort ein, wo es Sinn ergibt – etwa im Arrangement oder im technischen Feinschliff. Möglich macht das auch ihr Netzwerk rund um das Zürcher Studio Solution of Sounds. Und ja, viele der Acts stammen aus Zürich. „Im Moment ist das noch so, da mein Netzwerk sich größtenteils dort befindet. Ich arbeite aber daran zu expandieren – schickt mir eure Tracks!“

Tracklist:
1. sanmon – submerge
2. Stanislav Lavskyy – Setsa
3. GCOD – Nosebleeds
4. Annina Frey – Hammering Man
5. Monsieur Pluspetit – Corrupt Men
6. Marcism – Let You Know
7. Pandora x Annina Frey – Unleashed
8. JCL – Receive It
9. James Vellacott – Dark Matter
10. PEGAH – Altered Identity

Dass ASCENDING nicht nur ein Local-Projekt bleibt, beweisen die Beiträge von Stanislav Lavskyy und PEGAH. Letztere stammt ursprünglich aus dem Iran und beeindruckt mit einem Track, der rund um ein in Lissabon aufgenommenes Vocal entstand. „Sie hat damit die Geschichte eines befreundeten Transmenschen erzählt, der sich einer Geschlechtsangleichung unterzogen hat und heute als Frau lebt. Solche Tracks tragen eine Tiefe in sich, die man nicht einfach nur hört – man spürt sie.“ Diese erzählerische Ebene ist Annina Frey besonders wichtig. „Storytelling ist für mich ein zentrales Element – nicht zuletzt, weil ich viele Jahre fürs Fernsehen gearbeitet habe. Ich weiß, wie kraftvoll Geschichten sein können.“ Gerade ihre journalistische Erfahrung helfe ihr dabei, Musiker*innen sichtbarer zu machen. „Ich arbeite aktuell an einer neuen Interviewreihe, in der ich die Menschen hinter der Musik in den Fokus rücken möchte.“

Ihre Leidenschaft für das Erzählerische geht einher mit einem klaren Soundverständnis: „Ich befinde mich bewusst in einer ‚Back to the Roots‘-Phase. Als Kind der 80er zieht es mich immer wieder zurück zu den analogen Ursprüngen – zu jenen Klängen und Sequenzen, mit denen Techno einst begonnen hat.“ Für sie bedeutet das: „Authentizität, Reduktion und ein tiefes Verständnis für das Handwerk.“ Ein Gegenentwurf zur „Plug-and-Play-Mentalität, Sample-Abos und vorgefertigten Presets“. Auch inhaltlich setzt ASCENDING klare Akzente – etwa beim Thema Gleichstellung. Annina setzt sich gezielt für weibliche und weiblich gelesene Produzent*innen ein: „Oft beginnt es schon beim fehlenden Selbstvertrauen, beim Mangel an Vorbildern oder einem unterstützenden Umfeld.“ Sie recherchiert, schreibt gezielt Künstlerinnen an, hilft beim Fertigstellen von Projekten. „Sichtbarkeit entsteht nicht von selbst – sie braucht Initiative, Offenheit und den festen Willen, bestehende Strukturen zu verändern.“

ASCENDING ist dabei längst mehr als nur ein Label – es ist ein wachsendes Ökosystem. Mit ASCENDING RADIO, Live-Streams, eigenen Partys und Künstler*innenporträts wird eine lebendige Plattform aufgebaut. „Alles davon“, sagt Annina. „Es ist noch ein weiter Weg, aber meine Vision ist es, mit meinen Künstler*innen gemeinsam zu wachsen. Ich setze mir dabei selbst keine Grenzen.“ Der nächste Schritt steht bereits bevor: Die „EP Number 6“ von GCOD erscheint am 4. Juni. „Eine 4-Track-Ode an hypnotische Rhythmen, präzise Perkussion und subtil arrangierte Klangtexturen“, schwärmt sie. Und auch das zweite Kapitel der Compilation-Reihe ist bereits in Arbeit: ASCENDING ARRANGED Vol. II soll im November erscheinen. Die Essenz ist ein Label mit Haltung, Handwerk – und viel Herz. Oder wie Annina Frey selbst es sagt: „It’s all about the music.“

Aus dem FAZEmag 160/06.2025
Text: Lisa Bonn
Web: www.instagram.com/ascending.ofc, www.instagram.com/anninafrey