Baloo – Creative Officer einer Revolution

Die Entwicklungen sowie Veränderungen der vergangenen Jahre in Saudi-Arabien sind zweifelsfrei historisch. Gehören Kunst, Tanz und Musik für westliche Staaten zum Alltag, galten diese Kulturgüter im Wüstenstaat unter der Diktatur der Wahhabiten entweder gänzlich verboten oder als reine Männersache. Mit „Vision 2030“ hat Saudi-Arabiens Kronprinz Mohamed bin Salman nun eine Art Revolution angestoßen. Teil davon ist es ebenfalls, öffentliche Dienstleistungssektoren wie Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Erholung und Tourismus zu entwickeln. Das 2019 erstmals stattfindende Soundstorm Festival bot nicht nur die bekanntesten Gesichter der elektronischen Szene, sondern zählte unglaubliche 400.000 Besucher*innen. Und das nach nur siebenwöchiger Planung. Ein wichtiger Protagonist bei den Verantwortlichen von MDLBEAST ist Ahmad Alammary, besser bekannt als Baloo. Seines Zeichens saudischer DJ und Chief Creative Officer im Team.

Auf Ibiza treffen wir ihn im Rahmen des International Music Summit, kurz IMS, bei dem er freudestrahlend über die neuen Rahmenbedingungen in seiner Heimat sowie das Festival zu berichten beginnt: „Soundstorm ist das Ergebnis einer Community, die elektronische Musik in all ihren Facetten liebt. Doch um bei der Geschichte des Festivals anzufangen, bedarf es etwas Erklärung zu den sozialen Veränderungen in Saudi-Arabien im Allgemeinen, die kürzlich passiert sind. Wir sind generell sehr musikalische Menschen, Musik ist ein großer Bestandteil unserer Kultur und wir lieben es, zu tanzen. Rhythmus und Drums sind ein fester Teil unserer eigenen Musik und strukturell ähnelt unsere traditionelle Musik sehr der elektronischen. Es gibt in unserem Land eine Menge Talente, ich selbst bin seit 1997 als DJ unterwegs. Diese Subkultur gab es schon wirklich lange, aber aus bekannten Gründen nicht in der Öffentlichkeit.“ So wurde sich über Jahrzehnte hinweg privat getroffen, meist nur mit Leuten, die man gut bis sehr gut kennt. Eine Community und Szene, die völlig unter dem Radar der vermeintlichen Religionspolizei lief, die durch den jetzigen Kronprinzen entmachtet wurde. „Nun verlagert sich diese Szene von zu Hause in die Öffentlichkeit. Öffentliche Vorführungen bzw. Musik in der Öffentlichkeit sind nun erlaubt, auf einmal läuft also in Cafés oder in Restaurants Musik. Lokale Musiker haben also plötzlich die Chance, auch vor unbekanntem Publikum aufzutreten.“

Er selbst tat dies bereits mehrfach, jedoch fast ausschließlich in Ländern wie Beirut, Bahrain, in Europa oder in den Staaten, wo er als Teenager studierte: „Irgendwann wurde ich vom Team von MDLBEAST für das Soundstorm Festival angefragt. Es war ein unglaubliches Gefühl und Fragen poppten auf wie ,Wow, ist das wirklich wahr?‘. Ich hatte schon immer das große Glück im Leben, viel zu reisen und daher viele Kulturen kennenlernen zu dürfen, auch die westliche. Daher hatte ich einen recht einfachen Zugang zu elektronischer Musik, seitdem ich zehn Jahre alt war. Aber unzählige Leute in Saudi-Arabien haben bzw. hatten diese nicht. Und plötzlich gab es diese unglaubliche Möglichkeit, den Menschen vor Ort einen Zugang zu verschaffen, diese Musik zu hören. Von solch einer Gelegenheit haben wir nachts geträumt – über Jahrzehnte hinweg. Die Vorbereitungszeit betrug nicht einmal ganze zwei Monate. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, um eine Wahnsinnsproduktion abzuliefern.“ Das Ergebnis: 400.000 Besucher*innen: „Die Resonanz war absolut unglaublich, es schien, als wäre diese Szene über Nacht explodiert und zum Leben erwacht. Natürlich haben wir das Festival inklusive Booking und auch die Bühnen groß aufgezogen, aber dabei irgendwie immer im Dunklen getappt. Mit solch einem Feedback hätten wir niemals gerechnet. Diese unzähligen tanzenden und lächelnden Menschen haben uns komplett sprachlos gemacht.“

Und so bespielten Acts wie Tiësto, David Guetta, Marco Carola, Black Coffee sowie zahlreiche lokale Stars die Mainstage: „,Downbeast‘ hingegen war auf kleinere Acts im Downbeat-Bereich fokussiert. In der ,Underground-Zone‘ mit drei Stages hatten wir Acts wie Jamie Jones, Bedouin und Co. Es war ein Potpourri aus allen Genres, für jeden war etwas dabei und die Qualität war, gepaart mit Acts aus dem eigenen Land, immens hoch. Bei der zweiten Ausgabe, die Corona-bedingt erst 2021 stattfand, wurden Fehler aus dem Debütjahr ausgemerzt, ein paar weitere Stages hinzugefügt und generell alles etwas weiterentwickelt. Wir haben lokale Street-Art-Künstler eingeladen, die Shipping-Container zwischen den einzelnen Bühnen designt haben und die lokale Community wurde viel mehr eingebunden.“

Und das Line-up hatte es in sich – von Adam Beyer, Amelie Lens, Armin van Buuren, Bob Moses, Carl Cox, Charlotte de Witte bis hin zu Deadmau5, Nina Kraviz, Paul Kalkbrenner, Steve Aoki, Sven Väth und Tale of Us spielten hochkarätige Acts für 700.000 Besucher*innen: „Ich fühle mich noch immer als Teil einer Art Fallstudie in diesem Fall. Für Europäer mag das ziemlich schwierig nachzuvollziehen sein, aber solch ein Erlebnis vor der eigenen Haustüre war für uns etwas völlig Neues. Diese Veränderung mit den neuen Gegebenheiten hat sich durch die gesamte Gesellschaft gezogen. Leute fühlen sich auf einmal weniger kontrolliert, wirken gelassener und können eher sie selbst sein. Die Stimmung ist grundlegend anders. Und mit Musik ist ja bekanntlich alles etwas einfacher und schöner. Einer meiner Leitsätze ist ,Next is more‘. Ich glaube, das beschreibt unseren Ehrgeiz bzw. unsere Ambitionen ganz gut. Wir bei MDLBEAST lieben es, Freude und Spaß zu kreieren. Und wir freuen uns wahnsinnig, in den nächsten Jahren unsere unzähligen Ideen umzusetzen und die Szene in Saudi-Arabien voranzutreiben.“

Und natürlich ist auch der westliche Shitstorm an den Festlichkeiten sowie an den auftretenden Künstler*innen nicht an Baloo vorbeigegangen: „Das Ganze habe ich ehrlich gesagt sehr emotional wahrgenommen. Für uns hat sich unser Leben grundlegend verändert. Wir dürfen tanzen. Wir dürfen fröhlich sein. Ohne dafür bestraft zu werden. Nochmal, was für viele die normalste Sache der Welt darstellt, Dinge wie z.B. ausgehen – teilweise von Freitag bis Montag in zig verschiedenen Clubs – war uns unser ganzes Leben bis dato verwehrt. Das ist eine ziemlich große Sache für uns. Daher war es schade, dass westliche Medien ohne tiefere Einblicke so verurteilend waren. Die Hauptschuld daran liegt aber definitiv auf unserer Seite, wie ich finde. Wir waren bzw. sind noch immer ein großes Mysterium für die Leute. Nicht nur für den Westen, sondern auch für uns selbst, sind wir noch immer ein großes Fragezeichen. Dieser Wandel, offen sein dürfen, muss sich erst in unserem Unterbewusstsein verankern. Und ich bin ziemlich sicher, dass sich dies dann auch international bemerkbar macht.“

Die diesjährige Ausgabe ist vom 1. bis zum 3. Dezember geplant: „Durch seinen Fokus auf Künstler und Talente baut MDLBEAST eine Infrastruktur für Talente auf und bietet ihnen Möglichkeiten, die sie auf globale Bühnen bringen. Durch eigene Veranstaltungen und Erlebnisse, Inhalte, Gespräche, Mode und vieles mehr trägt MDLBEAST dazu bei, eine florierende und wirtschaftlich nachhaltige Musikgemeinschaft in und für die Region aufzubauen. Im Vorfeld des Festivals ist die zweite Ausgabe der LOUDEST WEEK in Riad geplant, ein Engagement von MDLBEAST für die Förderung von Talenten, den Aufbau der regionalen Szene und die Entwicklung der Kreativwirtschaft in Saudi-Arabien und im gesamten Nahen Osten. Von Fachleuten aus der Musikbranche über Kreative, die nach Inspiration und Professionalisierung suchen, bis hin zu Musik-Tech-Start-ups und Regierungsstellen werden alle zu Workshops, Podiumsdiskussionen, Networking-Möglichkeiten und Nachtleben-Aktivitäten zusammenkommen, um auf den Erfolgen des ersten Jahres der XP im Jahr 2021 aufzubauen.“

 

Aus dem FAZEmag 124/06.22
Text: Cengiz Celik
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