
Wenn es sich Björn Torwellen in seinem Studio im Oberbergischen Land bequem macht – umgeben von analogen Synthesizern, Bildschirmen und Modularsystemen – dann evoziert das trotz zahlloser Verkabelungen und blinkender Knöpfe einen strukturierten, ja, einen fast schon klinischen Anschein. Es ist das kontrollierte Chaos und Torwellen ist der alleinige Herrscher. Für ihn geht es bei Techno nicht nur um den nächtlichen Exzess, sondern vor allem um akribische Studioarbeit und das Managen der führenden E-Learning-Plattform SINEE, die sich in Deutschland seit 2018 als unangefochtene Instanz im Bereich von Tutorials und Masterclasses etabliert hat.
Aber auch ein Blick in seine umfassende Diskografie lohnt sich: Seinen von dunkler und grotesker Ästhetik inspirierten Techno-Sound hat Torwellen mittlerweile auf drei Nachtstrom-Alben und zigfachen EPs zum Ausdruck gebracht, deren Höhepunkt das 2024 erschienene und hochgelobte „10.000 Black Seeds“ markiert, das in unserem 2024er-Jahrespoll einen fantastischen siebten Platz in der Kategorie „Album“ abräumte.
Knapp neun Monate später, am 31. Januar dieses noch jungen Jahres, hat Torwellen nun mit „Binary Fate“ seinen ganz persönlichen Ritterschlag hinterhergeschoben – eine EP auf Chris Liebings CLR. Wir haben mit ihm über das heiß erwartete Release, oberkörperfreie Nächte im Studio und einiges mehr gesprochen.
Björn, wie geht es dir? Bist du gut ins neue Jahr gestartet?
Danke der Nachfrage, mir geht es bestens. Die letzten Jahre habe ich Silvester immer total ruhig mit meiner Familie verbracht. Zum Jahresende tauche ich außerdem oft in eine Mischung aus Reflexion und Planung ein. Also viele Video-Meetings, Tabellen und Brainstormings für SINEE. Das klingt für manche vielleicht langweilig, aber mir gibt es Struktur und Energie. Ich liebe es, mir vor Augen zu führen, was hinter mir liegt und welche Möglichkeiten vor mir stehen. Diese Klarheit motiviert mich dann total.
Viel besser als mit einem Release auf Chris Liebings CLR kann man 2025 eigentlich kaum starten. Magst du uns ein wenig über euren Draht erzählen und wie es letztendlich zur Zusammenarbeit kam?
Chris’ Musik hat mich in den 90ern auf eine Weise getroffen, die man nur als bahnbrechend bezeichnen kann. Ich war häufig im U60311 und habe ihn unzählige Male auflegen gehört. Seine Musik, seine Vision – das war superinspirierend für mich. Aber wir hatten keinen direkten Kontakt, bis er 2024 mein Album „10.000 Black Seeds“ entdeckt hat. Er spielte Tracks davon in seinen Sets, ohne zu wissen, dass ich auch dieser Typ bin, der diese Tutorials auf YouTube macht, die er öfter mal schaut. Er hat mich dann irgendwann mal angeschrieben. Ich schickte ihm ein paar Demos – er war begeistert, hat sie direkt bei der Street Parade gedroppt. Für mich war das ein surrealer Moment. Nach all den Jahren ein Release auf CLR zu haben, das hätte ich nicht mehr erwartet. Es war, als hätte sich ein Kreis geschlossen.
Sprechen wir über die EP. Wie lang hast du an der Scheibe gearbeitet und mit welcher Vision bist du an „Binary Fate“ herangegangen? Hat der Titel eine bestimmte Bedeutung?
Die EP entstand in etwa drei Monaten. Das war mitten im Sommer, ohne Klimaanlage im Studio – ich saß oberkörperfrei in Boxershorts bis tief in die Nacht an den Maschinen. Als klar war, dass ich auf CLR releasen kann, hatte ich direkt eine Vision. Der Sound war in mir. CLR war meine Schule – ich wusste also, wie es klingen muss. Der Titel „Binary Fate“ spielt auf künstliche Intelligenz an. Wir erleben gerade den Anfang von etwas, das größer ist, als wir begreifen. Es ist wie der Moment, als das erste Leben auf der Erde entstand. Nur dass es jetzt die erste Form von künstlichem Leben ist.
Wir nehmen an, dass du auch für „Binary Fate“ wieder ausgiebig mit Analoggeräten und Modular-Synths gearbeitet hast. Ein paar Insights? Hast du neue Experimente gewagt?
Musik ist immer Experiment. Ich schraube an den Maschinen, bis ich etwas spüre. Dieser eine Moment, in dem ein Sound oder eine Sequenz eine Idee zu formen beginnt – das ist der Start. Dann bringe ich das in einen Kontext, der mit Techno und meiner Vision kohärent ist. Ich arbeite dann in drei klaren Phasen: zuerst Ideen sammeln. Das passiert rein mit Hardware. Dann sortiere ich das Material und baue daraus Arrangements. Zum Schluss mische ich alles mit meiner analogen Hardware ab. Diese Struktur hilft mir, fokussiert zu bleiben. Kreativität braucht immer einen Rahmen, um dann wirklich frei zu sein.
An den Club-Decks sieht man dich bekanntlich eher selten – das Studio ist dein Hoheitsgebiet. War das mal anders? Wonach selektierst du die Gigs, die du spielst?
Bis 2020 war ich fast jedes Wochenende unterwegs. Aber mit der Geburt meines Sohnes und dem unglaublichen Wachstum von SINEE hat sich mein Fokus verschoben. Die Pause vom Nachtleben hat mir sogar gut getan. Als die Clubs wieder öffneten, hatte ich keine klare Vision mehr. Ich brauchte Zeit, um mich neu zu orientieren. Seit 2024 spiele ich wieder, aber sehr selektiv. Es muss passen. Der Club, das Event, das Line-up. Ich mache kein Hard-Techno oder Neo-Rave. Ich will nicht mit 140 BPM spielen, nachdem vorher jemand 160 BPM abgeliefert hat. Mein Fokus liegt auf meiner Arbeit im Studio. Die Gigs kommen, wenn sie kommen. Ich stresse mich da nicht mehr.
Wie bewertest du als Kölner die Entwicklung der Szene? Vom Clubsterben bleibt Köln ja zurzeit weitestgehend verschont … ganz im Gegenteil zu Leipzig, Berlin oder auch Hamburg. Irgendwie bemerkenswert, oder?
Ich bin nicht mehr so tief in der Kölner Szene wie vor Corona, aber ich sehe, dass das Clubsterben eventuell auch mit den Erwartungen der jungen Szene zusammenhängt. Viele wollen so richtig krasse Spektakel: Lichtshows, Visuals, Drops im Sekundentakt. Musik wird zum TikTok-Scrollen – ein Kick nach dem anderen. Kleine Clubs können das nicht bieten. Und dann sind noch die Preise explodiert. Wo früher ein Abend 15 Euro gekostet hat, sind es heute 40 Euro. Ich hoffe, dass es wieder mehr Leute gibt, die den entschleunigten Charme der alten Clubkultur entdecken. Clubs sind Orte, an denen Gemeinschaft entsteht – abseits des digitalen Dauer-High.
Du bist nach wie vor sehr aktiv mit deiner Plattform SINEE und kommst dort mit einem unglaublichen Input unterschiedlichster Couleur in Kontakt. Kann man da selbst als erfahrener Producer, wie du es bist, noch etwas dazulernen?
Definitiv! Lernen hat kein Ende. Musikproduktion ist wie ein Buch, das sich ständig erweitert. Es gibt immer neue Plug-ins, Workflows oder kreative Ansätze zu entdecken. Ich betrachte mich als fortgeschrittenen Anfänger. Bei unseren Masterclasses lerne ich auch ständig dazu. Manchmal sind es kleine Dinge, die sofort einen Unterschied machen, manchmal neue Perspektiven. Wer aufhört zu lernen, stagniert.
Wie geht es in naher Zukunft bei dir weiter? Stehen weitere Releases in den Startlöchern? Sieht man dich bald mal wieder auf der Stage?
Ich bin im Studio weiter superaktiv. Meine zweite EP auf CLR, „Codebreaker“, kommt bald, und mit meinem Projekt TWCOR erscheint eine neue EP auf Nachtstrom. Auf der Stage? Klar, sobald eine Party da ist, die ich fühle, bin ich dabei. Mein neues Hybrid-Live-DJ-Set steht in den Startlöchern. Ich freue mich darauf, aber keine Hektik, das muss alles von allein kommen. Mir ist es gerade wichtig, meine Hausaufgaben zu machen und im Studio abzuliefern.
Die „Binary Fate EP“ von Björn Torwellen ist am 31. Januar via CLR erschienen.