Breakbot – Flucht durch den Bonbonladen

 

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Stille Wasser sind tief, besagt eine uralte Bauernweisheit. Ganz besonders still und tief scheinen die Wasser allerdings innerhalb der französischen Electroszene zu sein, die seit Jahren immer wieder die aufregendsten und innovativsten Acts hervorbringt. So wie den Pariser DJ und Musiker Thibaut Berland alias Breakbot, der nach seinem heftig gefeierten 2012er Debüt „By Your Side“ nun mit „Still Waters“ seinen ziemlich neugierig erwarteten Zweitling präsentiert.

Seine Geschichte liest sich wie ein modernes Clubmärchen: Während seines Kunsthochschulstudiums probierte sich der junge Thibaut in seiner Freizeit an Remixen für verschiedene Künstler aus. Nach seinem Remix für keine Geringeren als Justice unterschrieb er 2009 beim französischen Kultlabel Ed Banger, arbeitete für Big Player wie Metronomy, Digitalism, Sebastien Tellier oder Chromeo und releaste drei Jahre später schließlich mit „By Your Side“ seinen ersten eigenen Longplayer, mit dem er fast 24 Monate kreuz und quer über den Planeten tourte. Immer an seiner Seite: Gastsänger Christopher Irfane Khan-Acito, dessen soulige Vocals immerhin fünf der 13 Albumtracks veredelten. Auf Album Nr. 2 zeigen sich Thibaut und Irfane nun als gleichberechtigtes Duo, das sein kollektives Faible für moderne Beats aus analogen Vintage-Maschinen auf „Still Waters“ noch ein ganzes Stück weiter ausgebaut hat. Willkommen zum funky Retrofuturetechno von morgen!

Breakbot hat sich auf „Still Waters“ vom Soloprojekt zum dynamischen Duo entwickelt – wie sieht die Arbeitsteilung bei euch heute aus?

Thibaut: Es ist ein schöneres Gefühl, mit guten Freunden zu arbeiten, als ständig alleine in seiner dunklen Kammer vor sich hin zu brüten. Ich mag den Austausch. Auf der ersten Platte war unsere Arbeitsteilung noch strikt in Musik und Gesang aufgeteilt; diesmal war der Entstehungsprozess fließend. Ich hatte Ideen zu Irfanes Vocal-Harmonien, er gab mir Tipps für die Produktion. Alles sehr entspannt.

Wie würdet ihr eure Zusammenarbeit beschreiben?

Irfane: Wir sind Freunde, die auch musikalisch einfach sehr gut harmonieren. Thibaut besitzt ein großartiges Gespür für tolle Melodien. Wir ergänzen uns perfekt: Ich kümmere mich gern um das Programming für die Drums, er bevorzugt die Synthesizer. Es gibt nur sehr selten Momente, in denen wir unterschiedlicher Meinung sind. Wenn wir uns mal streiten, dann nur, weil wir gereizt sind, weil wir nicht genug geschlafen haben. Auf Tour kam es tatsächlich manchmal vor, dass wir uns gegenseitig angemotzt haben, weil wir beide vom Jetlag komplett im Eimer waren. Im Studio läuft aber alles reibungslos.

Würdet ihr euch als geborene Nachtmenschen bezeichnen oder ist die Nachtarbeit in euren Augen eher ein notwendiges Übel?

Thibaut: Dieser Job spielt sich nun mal zu einem Großteil bei Nacht ab. Man muss eine gewisse Affinität zur Nacht haben. Manchmal kann es schon ein wenig anstrengend sein, doch im Großen und Ganzen mögen wir es.

Irfane: Viel passiert auch phasenweise: Wenn wir auf Tour sind, beginnt unser Tag natürlich durch die Auftritte viel später, als wenn wir unser „normales“ Leben führen. Wenn wir wieder zu Hause sind und im Studio an neuem Material arbeiten, geschieht dies meistens zu relativ normalen Zeiten. Thibaut darf üblicherweise länger schlafen als ich. Ich bin vor eineinhalb Jahren Vater geworden – ich werde jeden Tag spätestens zwischen 08:00 Uhr und 08:30 Uhr geweckt …

Inwieweit stellt das nächtliche Paris einen Einfluss auf euren Sound dar? 

Irfane: Natürlich hat die Umgebung immer einen Einfluss auf die Musik. In unserem Fall spiegelt sich der Einfluss eher in der Produktionsweise wider. Ich glaube, man kann deutlich heraushören, dass wir große Fans französischer Musik, insbesondere natürlich der französischen Electroszene sind. Einerseits benutzen wir sehr viele moderne Elemente, sind aber ganz klar vom Sound der 80er inspiriert. Die Szene in Paris ist eng vernetzt – fast könnte man von einer kleinen Familie sprechen. Ich finde das extrem anregend. Und nicht zuletzt wohnen Thibaut und ich nur 500 Meter voneinander entfernt. Das macht vieles sehr einfach, gerade in einer riesigen Stadt wie Paris. Wir können uns ganz unkompliziert treffen und über neue Ideen sprechen.

In Teilen klingt das Album nach einer entspannten Urlaubsplatte, die statt in Paris irgendwo in einem kalifornischen Strandhaus aufgenommen worden sein könnte! Scheinbar ein kleiner Trend, nachdem die letzten Releases von Grimes oder eurer französischen Kollegin SoKo schon sehr beachy wirkten.

Irfane: Ursprünglich wollten wir das Album tatsächlich auch in Kalifornien produzieren! Wir kamen von dieser langen Worldtour und der Winter stand vor der Tür. Darauf hatten wir absolut keinen Bock. Leider hat es dann doch aus verschiedenen Gründen nicht geklappt – also haben wir uns im Geiste an die warme Westcoast versetzt …

Thibaut: Wir denken von Zeit zu Zeit darüber nach, für ein Jahr oder länger nach Los Angeles zu ziehen. Wir mögen diese besonderen kalifornischen Vibes. Alles ist dort so entspannt und man trifft überall die interessantesten Menschen. Diese Stimmung spiegelt sich auch im Albumtitel „Still Waters“ wider: Wir hatten einen Pool vor Augen, der ganz ruhig in der Sonne liegt, während nebenan der Ozean tobt. Dieser Titel fasst irgendwie alles zusammen. Das Album besitzt in unseren Augen auch einen gewissen nostalgischen Touch.

Ein nostalgischer Touch, der sich auch in der Klangästhetik wiederfindet!

Irfane: Wir wollten diesmal einen organischeren Sound. Einen Sound, der weniger metallisch als auf dem ersten Album ist. Wir haben mit viel cooleren Instrumenten gearbeitet: Thibauts älterer Bruder David besitzt ein Studio, in dem viele alte Analog-Schätzchen rumstehen, die man sonst kaum noch findet. Zumindest für mich haben sich während der Aufnahmen ein paar lang gehegte Träume erfüllt. Wir kamen uns teilweise wie Kinder vor, die im Bonbonladen freie Auswahl hatten.

Mit „Still Waters“ legt ihr ein positives Gute-Laune-Tanzalbum für lange Clubnächte vor – eine gewollte oder ungewollte Gegenreaktion auf das, was gerade Schreckliches in der Welt vor sich geht? 

Thibaut: Breakbot war für mich schon immer ein Werkzeug, um mich in meine eigene Welt zu flüchten und die Realität für eine gewisse Zeit auszusperren. Es geht in den Songs oft um Träume oder andere Fantasien. Wir haben beide vor dem Rechner begonnen, an dem wir unsere Tracks bastelten. Man kann sich dabei ganz gut in dem verlieren, was man gerade tut. Wir kommunizieren mit der Außenwelt durch unsere Musik. Das versuchen wir auch während unserer Konzerte darzustellen. Wir bauen mit unseren Songs kleine Fluchttunnel für unser Publikum.

Irfane: Tunnel für die Flucht vor den Eltern, vor der Schule, vor dem Job, vor der Freundin … Und vor allem anderen, was einen sonst noch so im Alltag quält. Wir sind die perfekten Fluchthelfer! / Klaus Wieland

Aus dem FAZEmag 048/02.2016