Carl Clarks – auf Konfrontationskurs mit der Realität

Carl Clarks – auf Konfrontationskurs mit der Realität

Alles begann mit zwei DDR-Kassettendecks und einem gefälschten Ausweis. Carl Clarks‘ elektronische Musikkarriere war schon früh vorauszusehen. Inspiriert von Trance-Größen wie Dune, Commander Tom oder Marusha produzierte er schon im Teenageralter seine ersten Beats und spielte sich von Rave zu Rave. Dann: zwei herbe Schicksalsschläge, die Clarks zu einer langen Pause veranlassten, aus der er Jahre später wie Phoenix aus der Asche zurückkehren sollte. Wir haben mit ihm über harte Zeiten, die Gründe zu seiner Anonymität und seinen großen Durchbruch gesprochen.

Carl, wie geht es dir? Was macht das Leben?

Danke, mir geht es gut. Ich arbeite derzeit an zwei LPs und bin daher viel beschäftigt. Das erste Album wird eher leicht und zugänglich sein, während das zweite ein reines Future-Rave-Album sein wird.

Beginnen wir mit deinem auffälligsten Merkmal – zumindest aus optischer Sicht: deiner Anonymität! Wieso hast du dich für ein solch geheimnisvolles Erscheinungsbild entschieden? Gab es einen Auslöser oder jemanden, der dich dazu inspiriert hat?

Meine Entscheidung, anonym zu bleiben, beruht auf dem Wunsch, dass die Menschen mich nicht nach meinem Aussehen oder meiner Herkunft beurteilen sollen, sondern allein nach meiner Musik. Leider sind viele schnell dabei, Urteile zu fällen und Menschen aufgrund oberflächlicher Merkmale zu kategorisieren. Mit meiner Musik möchte ich Freude bereiten, inspirieren und Unterstützung bieten. Gleichzeitig ist es mir wichtig, ein Statement zur Inklusion abzugeben: In meiner Welt ist jeder willkommen, unabhängig von seiner Kleidung, seinen körperlichen Fähigkeiten oder seinem Verhalten. In meiner Musik und in meinem Umfeld spielt es keine Rolle, ob jemand Gucci oder Aldi-Sandalen trägt – jeder Mensch ist willkommen und wird respektiert.

Du bist schon lange im Musikproduktionsgeschäft tätig. Begonnen hat damals alles in den 90ern, richtig? Gib uns ein paar Einblicke in die alten Zeiten.

Meine Reise begann in einem Kinderzimmer mit zwei DDR-Kassettendecks und einem Mischpult. Mit einem gefälschten Ausweis besuchte ich erstmals einen Nachtclub und landete später in einem echten Techno-Club, obwohl ich noch minderjährig war. Das Phänomen des DJings fesselte mich, und ich begann mit dem Auflegen von Vinyl. Mit 15 Jahren entdeckte ich DAWs wie Reason und Cubase 2, produzierte selbst Musik und spielte schließlich meinen ersten Gig vor 3.000 Leuten auf einem Rave. Fasziniert haben mich damals Künstler wie Gary D, Dune, Marusha, Carl Cox oder Commander Tom.

Einflüsse, die man in deiner heutigen Musik eher weniger vernimmt, oder?

Musikalisch hat sich viel verändert: Früher habe ich vor allem Trance gespielt, heute konzentriere ich mich auf Future-House, Deep-House und Festival-Sounds. Außerdem hat sich die Technik stark weiterentwickelt – von der Vinyl-Schallplatte zu modernen Pioneers.

Dein großer Durchbruch erfolgte im Jahr 2018. Was ist in all den Jahren dazwischen passiert? Hast du kontinuierlich Musik gemacht?

Von 2009 bis 2017 befand ich mich in einem schwierigen Lebensabschnitt und legte eine längere Pause ein. In dieser Zeit verlor ich meinen Großvater durch eine Krebserkrankung sowie meine Schwester, die sich das Leben nahm. Diese Ereignisse waren unglaublich schwierig, aber letztendlich half mir meine Musik, aus diesem tiefen Tief herauszukommen.

Das muss eine unglaublich harte Zeit für dich gewesen sein. Umso beeindruckender, dass du es geschafft hast, dich durch deine Musik zurückzukämpfen. Nach einer längeren Zeit bei Spinnin‘ Records und einem weiteren niederländischen Label bist du vor Kurzem bei Zyx Music gelandet. Du fühlst dich dort sehr wohl, richtig?

Dieses Label ist das erste, bei dem ich mich wirklich zugehörig fühle. Das gesamte Team von ZYX Music ist sehr engagiert und unterstützt mich in jeder erdenklichen Weise als Künstler. Mein besonderer Dank geht an Christa M., Sigi F., Tom F., Natalie, Sabine H., Kerstin B., Mario, Timo, Oleg, Manuela und Hedhli.

Auf Spinnin‘ Records war das nicht der Fall?

Die Zeit dort war sicherlich ein Durchbruch, aber ich hatte andere Ziele. Ein niederländischer Künstler hatte dort eine Demo von mir eingeschickt. Der Track wurde erst akzeptiert, als einige Änderungen vorgenommen wurden, von denen manche nicht die Musik selbst betrafen. Das führte zu einigen schwierigen Entscheidungen und Diskussionen, aber ich willigte schließlich ein. Ich wünsche allen Produzenten viel Glück mit Spinnin‘ Records. Übrigens, in den Niederlanden gibt es auch leckeren Käse mit Löchern.

Mittlerweile blickst du auf eine ganze Reihe erfolgreicher Songs zurück, die in den internationalen Charts für Aufsehen sorgten. Gibt es einen Track, zu dem du eine ganz besondere Verbindung pflegst?

Sicherlich zu meiner Neuinterpretation von Coolios Klassiker „Gangsta’s Paradise“. Ich habe für dieses Projekt mit sieben Sängern zusammengearbeitet – aus Jamaika, aus der Bronx, aus Deutschland, aus Kenia und aus Australien. Hierzu noch eine kleine Anekdote: Als ich den Track veröffentlichen wollte, stellte ich fest, dass ZYX Music bereits eine identische Version veröffentlicht hatte, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt keine Verbindung zu dem Label hatte. Daraufhin beschloss ich, einen Remix zu veröffentlichen, und ZYX Music tat dasselbe. Später habe ich dann erfahren, dass wir das gleiche Veröffentlichungsdatum geplant hatten, das sie dann aber um eine Woche verschoben hatten – was für ein Zufall!

Carl Clarks‘ Interpretation von „Gangsta’s Paradise“:

Es ist kein Geheimnis, dass du in deinen Songs auch Gefühle und Erinnerungen verarbeitest. Erlebnisse aus deiner Kindheit zum Beispiel. Magst du mit uns über diese Episode deines Lebens sprechen?

Die Musik hat mir Schutz und Halt gegeben. Es ist wichtig, sich der Realität zu stellen und nicht einer idealisierten Welt nachzujagen. Meine Erfahrungen in einer Pflegefamilie und auf der Straße machen mich nicht automatisch zu einem schlechteren Menschen oder zu jemandem, der in Verbrechen verwickelt ist. Solche Vorurteile treffen oft nicht die Realität. Viele Menschen, die ähnlichen Herausforderungen begegneten, haben beeindruckende Erfolge erzielt. Heute bin ich ein ganz normaler Mensch, der gerne kocht und Witze macht. Trotz meiner schwierigen Vergangenheit habe ich das Beste daraus gemacht. Meine Botschaft ist: Sei authentisch und zeige dein wahres Ich.

Wie geht es bei dir weiter? Hast du langfristige Ziele?

Neben den beiden Alben arbeite ich an Merchandise und möchte mich musikalisch auf Ibiza etablieren. Ein weiterer Traum, den ich mir 2024 erfüllen möchte, ist es, Kindern zu helfen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie ich, als ich jung war. Ich möchte ihnen etwas zurückgeben und sie unterstützen. Kürzlich habe ich meinen neuen Track „Rockstar“ veröffentlicht, und für 2025 plane ich die Rückkehr auf die Bühne.

Hier könnt ihr die aktuelle Single „Rockstar“ von Carl Clarks streamen:

„Rockstar“ von Carl Clarks ist am 9. August 2024 via Zyx Music erschienen.
Text: M.T.