
In der deutschen Club-Landschaft folgt derzeit Paukenschlag auf Paukenschlag – von einer regelrechten Welle der Schließungen zu sprechen, ist alles andere als übertrieben. Spätestens seit dem überraschend verkündeten Aus des Watergate in Berlin dürfte auch dem letzten Clubgänger und der letzten Clubgängerin klargeworden sein, dass „Clubs in der Krise“ mehr als ein Pandemie-bedingtes, vorübergehendes Phänomen ist, sondern bittere Realität. Corona-Nachwirkungen, anhaltende Inflation und weltweites politisches Chaos haben längst ein neues Zeitalter der Angst und des Risikos eingeläutet – schon morgen könnte es den nächsten erwischen.
Um uns ein aktuelles Bild über die Situation der Clubs zu machen, haben wir mit Verantwortlichen aus der deutschen und der Schweizer Clubszene gesprochen und den Blick unter anderem nach Berlin gerichtet, wo nicht nur das drohende Aus der Renate und die bereits bestätigte Schließung des Watergate zum Jahresende für Schlagzeilen sorgen, sondern auch der Nahost-Konflikt, der das linke Lager der Berliner Subkultur auf aggressive Weise zu spalten scheint. Darüber hinaus schauen wir nach Frankfurt und nach München.
Vertreten sind Lutz Leichsenring von der Berliner Clubcommission, Zoe Uellendahl (Leiterin Management und Personal) und Jessica Schmidt (Pressesprecherin) von der Renate in Berlin , Tanzhaus-West-Geschäftsführer Matthias Morgenstern, Harry-Klein-Geschäftsführer Peter Fleming und Alexander Buecheli, Geschäftsführer der Schweizer Bar und Club Kommission (SBCK).
Zoe und Jessica, wir beginnen bei euch. Seit eurer Verkündung, die Renate Ende 2025 aller Voraussicht nach schließen zu müssen, sind mittlerweile über zwei Monate vergangen. Wir nehmen an, ihr habt anfangs viele Nachrichten erhalten. Waren die Leute sehr aufgebracht?
Jessica Schmidt: Ja, das waren sie tatsächlich. Irgendwie ist es auch schön, dass die Menschen sich noch so stark mit ihrem Lieblingsclub identifizieren und Empörung zeigen. Gerade in einer Stadt wie Berlin, wo es gefühlt täglich eine neue Clubschließung gibt, ist es fast schon ein Kompliment, dass die Renate den Leuten so am Herzen liegt. In Anbetracht der globalen Geschehnisse zeigt das auch, wie wichtig es ist, Räume zu haben, in denen Menschen zusammenkommen können. Wir haben viele Nachrichten erhalten und bekommen sie nach wie vor – die Solidarität berührt uns wirklich sehr.
Ist denn mittlerweile etwas Ruhe eingekehrt? Fällt es schwer, sich auf den regulären Clubbetrieb zu konzentrieren?
Zoe Uellendahl: Unsere Gäst*innen sprechen uns nach wie vor darauf an. Im Eingang hängt eine Discokugel, die den Countdown bis zur Schließung anzeigt.
Dass der Knackpunkt in der Diskussion mit eurem Vermieter, dem Immobilieninvestor Gijora Padovicz, nicht nur die Nutzung des Gebäudes ist, sondern auch das Außenareal des Clubs, wurde erst in einer zweiten Pressemitteilung eurerseits deutlich. Bei dem ein oder anderen mag das für Irritationen gesorgt haben. Könnt ihr die Problematik noch einmal für uns schildern?
Zoe Uellendahl: Unser Mietverhältnis läuft im Dezember 2025 aus. Um unseren Betrieb auch danach weiter gestalten zu können, benötigen wir weiterhin unseren Außenbereich. Dieser ist elementarer Bestandteil, ohne den ein Weiterbetrieb nicht möglich ist. Dabei geht es allerdings nicht „nur“ um den Garten als Aufenthaltsbereich, sondern darum, dass ein Wegfall auch Probleme für die Infrastruktur bedeutet. Betroffen wären zum Beispiel auch die Ein- und Ausgänge für An- und Zulieferungen.
Endgültig scheint das Aus dieser Tage noch nicht beschlossen. Ihr befindet euch derzeit weiterhin in Verhandlungen, oder? Wie ist der Stand der Dinge?
Jessica Schmidt: Derzeit können wir keine Auskunft über den Stand von Verhandlungen geben, wir hoffen aber weiterhin, dass sich eine Einigung finden lässt.

Lutz, als Clubcommission ist es natürlich eure Aufgabe, die Clubs in solchen Situationen zu unterstützen. Was ist hinter euren Kulissen passiert, als die Meldung der Renate – und später auch die des Watergate – bekanntgegeben wurden?
Lutz Leichsenring: Ja, wenn solch ikonische Clubs wie die Renate und das Watergate ihr Ende ankündigen, setzen wir natürlich alle Hebel in Bewegung. Es wurde eine Task Force eingerichtet, um die Situation genau zu analysieren und verschiedene Szenarien durchzuspielen. Dabei geht es zum einen darum, ob es Interesse seitens der Betreiber gibt, an einem anderen Standort weiterzumachen. Zum anderen diskutieren wir, unter welchen Umständen sie den Betrieb in den bestehenden Flächen fortsetzen könnten. Ein zentraler Faktor ist hierbei die Rolle des Vermieters sowie die Mietkonditionen – wir prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, diese nachzuverhandeln. Unser Einfluss bei Gewerbemieten ist allerdings leider sehr begrenzt, da es sich um einen weitgehend unregulierten Markt handelt. Daher setzen wir in diesen Fällen auf politischen Druck oder bemühen uns, Ersatzräume oder neue Eigentümer zu finden. Das ist in den letzten Jahren einige Male gelungen, wie beim Yaam, Zukunft am Ostkreuz, Schokoladen oder der Griessmuehle (RSO). Es sieht auch ganz gut aus, dass der Remise Club und das Sage Beach neue Mietverträge erhalten. Zusätzlich findet auf Einladung von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey ein Treffen mit einem kleinen Kreis von Clubbetreibern statt, um generell über die aktuelle Lage der Clubs in Berlin zu sprechen.
Drastisch formuliert brennt es in der Berliner Clubszene gerade an allen Ecken und Enden. Nicht nur die Schließungen drücken aufs Gemüt, sondern auch der polarisierende Nahost-Konflikt, der viele Involvierte in zwei Lager spaltet. Womit heiterst du dich dieser Tage auf?
Lutz Leichsenring: Ja, ich hatte auch die Tendenz, gerade nur negative Schlagzeilen zu lesen. Kürzlich war ich allerdings beim Bar Convent Berlin (BCB) und dem Amsterdam Dance Event (ADE), wo ich viele sehr positiv gestimmte Berliner Bar- und Clubbetreiber, DJs und Veranstalter getroffen habe. Beide Veranstaltungen waren gut besucht und die Stimmung war durchaus optimistisch. Berlin hat weltweit nach wie vor die größte und vielfältigste Clubkultur. Damit das so bleibt, steht in Kürze das erste Treffen im Rahmen unserer „Nighttime Strategy“ an, die wir für das Land Berlin entwickelt haben. Dabei kommen alle wichtigen Stakeholder zusammen – von der BVG über den Senat und die Immobilienwirtschaft bis hin zur Polizei – um über die 30 Handlungsempfehlungen des Strategiepapiers zu sprechen. Meine Hoffnung ist, dass wir durch eine engere Zusammenarbeit den vielfältigen Krisen trotzen und resilienter aus ihnen hervorgehen.
Nehmen wir den Nahost-Konflikt einmal in den Fokus. Der daraus resultierende Disput innerhalb der Berliner Clubkultur wird wohl kaum deutlicher als am Beispiel des ://about blank, das sich bekanntermaßen mit Israel solidarisiert. Der Club wurde in letzter Zeit Opfer von Vandalismus, Schmierereien, verbalen Attacken und Boykottaufrufen. Das ist schon ziemlich heftig, oder?
Lutz Leichsenring: Absolut. Die verheerende Situation in Israel, Palästina und dem Libanon erschüttert die Welt mit einer neuen Qualität, und die Auswirkungen des Kriegs sind in Berlin deutlich spürbar. Berlins Club- und Musikszene ist geprägt von tiefer Trauer und Enttäuschung, Solidarität und Entsolidarisierung – und nicht zuletzt einem beklemmenden Gefühl von Ohnmacht und Unsicherheit, dem sich kaum jemand entziehen kann. Eines bleibt für uns aber klar: Keine Kontextualisierung rechtfertigt Gewalt. Wir sind solidarisch mit den Mitarbeitenden, Kollektiven und Künstler*innen des ://about blank und verurteilen gewaltsame Angriffe und Shitstorms. Obwohl die Clubcommission nur sehr begrenzt über Erfahrungen, Ressourcen oder Expertise zum Krieg in Nahost verfügt, setzen wir uns dennoch intensiv und auf verschiedenen Ebenen mit dem Thema auseinander. Wir sind eine plurale Organisation – sowohl in Bezug auf unsere Mitglieder als auch auf unseren Vorstand und unser Team. Als Berliner Netzwerk für Clubkultur ist es uns wichtig, aus den verschiedenen Perspektiven zu lernen und unsere Energie dort zu investieren, wo es einen positiven Impact auf die Berliner Clubkultur gibt.
Welche Lösungsansätze wurden für das Problem besprochen? Wie kann man den Club vor weiteren Attacken bewahren?
Lutz Leichsenring: Einige der Vorfälle, die sich ereignet haben, sind strafrechtlich zu verfolgen, was sich unserem direkten Einfluss entzieht. Wo wir jedoch unterstützen können, ist, innerhalb der Szene Brücken zu bauen und denjenigen, die Gewalt erfahren haben, eine Stimme zu geben. Seit Anfang des Jahres führen wir ein mehrteiliges Dialogformat durch, in dem wir gemeinsam mit Vertreter*innen der Clubkultur aus verschiedenen Perspektiven herausarbeiten, was es braucht, um solidarisch und mitfühlend miteinander umzugehen. Wir stellen uns die Frage, wie Berliner Clubs, gerade in Krisenzeiten, Sicherheit für Menschen aus unterschiedlichen Communities gewährleisten können. Durch Projekte wie die Awareness-Akademie, das Programm für Diversity-gerechtes Ausgehen in Berlin und unser „Mental Health in Clubs“-Projekt bringen wir wertvolle Erfahrungen mit.
Diese Projekte bieten Einzelberatungen sowie Weiterbildungen, unter anderem zu Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus, an. Die Clubcommission ist meines Wissens der einzige Kulturverband in Berlin, der solche nachhaltigen Prozesse auf Augenhöhe angestoßen hat und begleitet, in denen unterschiedliche Perspektiven Gehör finden und wo der Dialog nicht bereits an der Tür endet. Dafür werden zentrale Themen wie Booking, Türpolitik und die Rolle von DJs und Performer*innen angesprochen. Diese Veranstaltungen werden von erfahrenen Mediator*innen aus der diskriminierungssensiblen und ideologiekritischen Bildungsarbeit begleitet. Das Ziel ist es, voneinander zu lernen und konkrete Maßnahmen und Aktionen zu erarbeiten, damit sich alle an den clubkulturellen Orten wieder offener, wohler und sicherer fühlen können.
Der Konflikt hat mittlerweile auch Einzug in die Clubcommission gehalten. Gründer Sascha Disselkamp hat den Verein aufgrund einer angeblichen Nichtpositionierung zur Thematik verlassen.
Lutz Leichsenring: Mein Eindruck ist, dass es bei nahezu jedem Club, Festival und Kollektiv in Berlin zu diesem Thema Diskussionen gibt. Während es bei der Clubcommission eine sehr klare Haltung für Solidarität und Mitgefühl mit der palästinensischen und israelischen Zivilbevölkerung gibt, entstanden immer wieder Diskussionen darüber, wie man sich in der Öffentlichkeit dazu positionieren sollte. Dass wir uns gar nicht geäußert haben, stimmt nicht. Wer allerdings die Kommentarspalten auf Instagram verfolgt, kann sicherlich nachvollziehen, wie emotional aufgeladen dieses Thema ist und dass wir mit weiteren Statements kaum etwas zur Verbesserung der Situation beitragen können. Unser Fokus liegt darauf, unsere Ressourcen in Sensibilisierungsarbeit, Weiterbildung und in den Austausch innerhalb der Berliner Clubszene zu investieren. Wir verstehen uns als Plattform, auf der verschiedene Perspektiven Gehör finden können, mit dem Ziel, dass es in Berlin wieder mehr Miteinander statt Gegeneinander gibt. Sascha hatte den Wunsch, dass die Clubcommission weitere Statements veröffentlicht und Position bezieht. Das ist legitim, allerdings unterschätzt er meiner Ansicht nach die daraus folgenden Konsequenzen, da er selbst auf keiner Social-Media-Plattform aktiv ist … Ich glaube nach wie vor, dass unser Ansatz, den Dialog zu fördern und Aus- und Weiterbildungsangebote zu schaffen, der richtige Weg ist, um langfristig einen positiven Beitrag zu leisten.
Kommen wir noch einmal auf die Renate zu sprechen. Mal angenommen, der Mietvertrag der Renate sollte tatsächlich nicht verlängert werden und der Ausbau der A100 würde nicht gestoppt. Das würde bedeuten, dass ihr nicht nur die Renate und das M01 verlieren würdet, sondern auch die ELSE an den Treptowers, die ebenfalls zur Renate zugehörig ist. Setzt ihr euch mit diesem Worst-Case-Szenario aktiv auseinander?
Zoe Uellendahl: Ja, der Gedanke, dass so viele Orte – nicht nur unsere – und damit auch Arbeitsplätze durch den Ausbau der A100 verloren gehen könnten, ist definitiv belastend. Das M01 gehört ja zum Haus der Renate, und Clubs wie die Neue Zukunft und das Blank sind ebenfalls betroffen. Wir setzen uns aktiv damit auseinander, sind im Austausch mit den anderen betroffenen Betrieben und versuchen, trotz dieser Unsicherheit optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Die besonderen Umstände mal außer Acht gelassen, wie ist das Jahr bisher für euch gelaufen?
Zoe Uellendahl: Seit der Pandemie hat sich die Szene maßgeblich verändert. Probleme mit Besucher*innenzahlen und steigenden Kosten, hohe Mieten und Inflation sind nur einige Sorgen, die für viele Club bestehen und in letzter Zeit ja schon öfter auch öffentlich beklagt wurden. Auch andere Clubs wie das Watergate haben sich deshalb für die Schließung entschlossen. Auch wenn wir insgesamt zufrieden mit unserem Jahr sind, sind alle diese Herausforderungen nur schwer zu überwinden.
Wenden wir uns fürs Erste von Geschehnissen in der Hauptstadt ab und wechseln in den westlichen und südlichen Teil der Republik. Matthias und Peter, gilt dieses Resümee auch für das Tanzhaus West in Frankfurt und das Harry Klein, das nach seiner Schließung mittlerweile nur noch extern veranstaltet?
Matthias Morgenstern: 2024 war auch für uns ein schwieriges Jahr. Umsatzeinbußen bei einigen Veranstaltungsformaten von ca. 40 Prozent bei gleichzeitig gestiegenen Kosten sind auch für uns eine existenzbedrohende Belastung. Es ist u.a. spürbar, dass die Leute weniger Geld in der Tasche haben und somit weniger oder gezielter ausgehen. Das Ausgehverhalten des Publikums insgesamt hat sich nach Corona geändert. Die Verweildauer auf Partys ist kürzer geworden, Partyhopping von Club zu Club findet fast nicht mehr statt. Auf diese Herausforderungen müssen wir mit Konzept- und Strukturanpassungen reagieren.
Peter Fleming: Die Party-Nachfrage ist nach dem anfänglichen Post-Corona-Hype wieder zurückgegangen. Jedoch sehe ich auch, dass einige Clubkonzepte gut funktionieren. Man muss eben kämpfen und innovativ bleiben.

Welche Strategien habt ihr entwickelt, um das Problem mit den steigenden Miet- und Energiekosten zu bewältigen?
Matthias Morgenstern: Steigende Gewerbemieten in urbanen Gebieten sind sicherlich ein Hauptfaktor für die aktuelle Sterbewelle von Clubs. Das Tanzhaus West ist in der privilegierten Lage, von steigenden Mietpreisen nicht betroffen zu sein. Wir hatten schon 2018 längerfristige Mietverträge zu für uns sehr günstigen Konditionen ausgehandelt, die uns auch schützten, als 2020 ein Verkauf des Geländes vollzogen wurde. Mit diesen guten Mietverträgen ausgestattet waren wir ein schwer verdaulicher, unappetitlicher Happen für private Investoren. Letztlich wurde das Grundstück von einem städtischen Tochterunternehmen gekauft. Und ähnliche Lösungen zu finden, kann eine politische Strategie sein. Clubs müssen als Kulturorte durch die öffentliche Hand vom Immobilienmarkt genommen werden.
Ein ständiger Blick auf die Einnahmen- und Kostenstruktur ist immer sinnvoll. Gleichzeitig muss sich ein Club ständig weiterentwickeln, dabei gewohnte Qualitätsstandards halten, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren. Konzepte, die vor ein bis zwei Jahren noch funktioniert haben, können heute schon an Zugkraft verloren haben. Die „Laborarbeit“ des sich Ausprobierens kostet aber wieder Geld, das wiederum in Krisenzeiten nicht verfügbar ist. Ein Teufelskreis ist die Folge.
Peter Fleming: Wir haben ein neues Ticketing eingeführt, das darauf beruht, dass die Gäste im VVK zwischen drei Preisen wählen können: social, mid oder fair. Die Gäste kaufen die Tickets je nachdem, wie viel Geld sie zur Verfügung haben. Das Ergebnis ist meist fair. Natürlich wurden aber auch bei uns die Ticketpreise angepasst.
Eine weitere Herausforderung für Clubbetreiber*innen sind die gestiegenen Gagen. Wie handhabt ihr das? Bis zu welchem Grad geht man da mit?
Matthias Morgenstern: Leider sind Gagenentwicklungen für Headliner auch nach Corona ungebremst. Hier herrscht bei den Bookingagenturen nach wie vor ungezügelte Goldgräberstimmung. Die „Festivalisierung“ von Events verstärkt noch diesen Trend. Diese Entwicklung können und wollen wir 2025 nicht mehr mitgehen. Clubabende müssen für Gäste bezahlbar bleiben. Wir werden in Zukunft verstärkt sowohl auf Markenentwicklung, die Weiterentwicklung des Cluberlebnisses für den Gast als auch die Förderung von jungen Nachwuchskünstler*innen setzen.
Peter Fleming: Ich habe in der Pandemie ein neues Gagen-Bezahlsystem eingeführt. Das richtet sich zum Teil auch nach den Ticketverkäufen. 99 Prozent der Künstler*innen waren glücklich damit. Mit Agenturen, die das nicht verstanden haben, haben wir die Zusammenarbeit beendet.
Zoe Uellendahl: Auch Künstler*innen sind betroffen von höheren Kosten, das spiegelt sich natürlich in den Gagen wider. Natürlich müssen wir da auch eine Balance finden und zum Beispiel mehr lokal buchen, um extra Kosten zu vermeiden.

Matthias, du sprachst auch von einem veränderten Ausgehverhalten der Besucher*innen. Welche Trends ließen sich 2024 noch feststellen und wie habt ihr auf sie reagiert? Gerade auch im Hinblick auf das Musikalische.
Matthias Morgenstern: 2024 bleibt schnellere Musik weiterhin im Trend. Hardgroove und Trance bestimmen mehr und mehr den Clubsound. Natürlich werden wir diesen Musiktrends in Zukunft eine Bühne bieten, aber parallel wie gewohnt weiterhin ein breites Spektrum verschiedener musikalischer Genres anbieten.
Peter Fleming: Unsere Residents sind dafür verantwortlich. Ich schreite nur ein, wenn ich fühle, dass es schlechte Musik ist.
Jessica Schmidt: Nach der Pandemie haben wir definitiv einige Veränderungen im musikalischen Bereich bemerkt, die sich auch im Booking widerspiegeln. Plattformen wie Twitch und TikTok haben enorm an Bedeutung gewonnen, und das Streaming ist für viele Künstler*innen zur Haupteinnahmequelle geworden. Besonders in Genres wie Deutschrap fällt mir auf, dass die Musik oft so kurz wie ein Reel ist und sich dadurch die Struktur verändert – gefühlt ist jedes Wort ein Filler bei einer Tracklänge von 1:30 Minuten. Das hat auch in der elektronischen Musik seine Spuren hinterlassen, wobei die Qualität meiner persönlichen Meinung nach darunter gelitten hat. Aber das ist natürlich meine subjektive Wahrnehmung, und eine 16-Jährige würde das vermutlich alles anders bewerten.
Sind die schnellen, harten Sounds auch in der Schweiz auf dem Vormarsch, Alex?
Alexander Buecheli: Natürlich wird auch in der Schweiz wieder vermehrt zu hartem Techno getanzt. In der Französischen Schweiz spielen Musikrichtungen wie Afro-House und Amapiano eine wichtige Rolle. Schweizweit kann auch von einem Drum ’n‘ Bass-Revival gesprochen werden. Es macht Spaß zu sehen, dass junge Schweizer DJs nachziehen und z.B. AÏSHA DEVI oder Dasstudach den internationalen Karrieresprung schaffen.
Stichwort Social Media und digitale Vermarktung. Wird es auf Dauer ein Ding der Unmöglichkeit, den Spagat zwischen Underground-Kultur und kommerzieller Nachhaltigkeit aufrechtzuerhalten?
Alexander Buecheli: Auch der „undergroundigste“ Club kann ohne Gäste nicht existieren. Es geht hier also um die Frage, wie ich meine Zielgruppe erreiche. Das Problem von Social Media ist die Fragmentierung, man muss Teil einer Community sein, um mitzubekommen, was passiert. Es überrascht somit nicht, dass es derzeit in Lausanne und Zürich Bestrebungen gibt, wieder einen Eventkalender aufzubauen, der eine Übersicht aller Veranstaltungen bieten soll.
Matthias Morgenstern: Falsche Frage, falscher Spagat. Ein voll konzessionierter Club mit kuratiertem Programm benötigt ein professionelles Marketing, sonst geht er noch schneller unter. Als etablierter, regulierter Kulturort ist der normale Club kein kultureller Underground. Kultureller Underground benötigt unregulierte Freiräume, die immer wieder erkämpft werden müssen.
Peter Fleming: Welchen Unterschied macht es, ob man damals Flyer händisch verteilte oder heute als Storys postet? Kreativ sein musste man immer. Und ich denke, jeder Club oder jede*r Veranstalter*in sollte selbst wissen, wo man sich einordnet. Auf dem Land ist man beispielsweise froh um jeden Ort, an dem Musik gespielt wird. Das ist für mich ebenfalls Kultur.
Ein Stück weit geht mit Social Media auch der Aspekt der Awareness einher. Ein Kölner Veranstalter erklärte kürzlich, er würde eine strengere Selektion an der Tür begrüßen. Hat sich eure Türpolitik in den letzten Jahren verändert?
Matthias Morgenstern: Eindeutig ja. Awareness beginnt bereits an der Tür, sowohl beim Einlass als auch beim Verlassen des Clubs. Im Tanzhaus West wurde schon immer Wert daraufgelegt, dass aware gearbeitet wird. Es war uns schon immer wichtig, dass sich unsere Gäste und unser Personal in unseren Räumen sicher und wohl fühlen. Das setzt geschultes Personal, gute Kommunikation, Sichtbarkeit und Erreichbarkeit voraus, ein umfassendes Konzept also. Heute sind viel mehr Gäste und das Personal für das Thema Awareness sensibilisiert, fordern dies ein – und das ist auch gut so.
Peter Fleming: Die Tür ist seit jeher ein neuralgischer Punkt. Ich glaube nicht, dass wir je aufhören, darüber zu sprechen. Ich bin froh darüber, dass wir sie heute mehr in den Fokus nehmen als früher. Es geht ja um die Wertschätzung unseres Publikums. Dieses lässt sich übrigens auch sehr gut einbinden. Die Bystander sollten wir unbedingt mehr fördern.
Ein kürzlich vom Bundeskabinett beschlossener Entwurf sieht nun endlich eine eigene Kategorisierung für Musikclubs vor. Sie sollen fortan nicht mehr unter den Begriff der Vergnügungsstätten fallen. Was erhofft ihr euch davon?
Lutz Leichsenring: Durch diese Novelle ist Deutschland das erste Land weltweit, das Musikclubs baurechtlich als kulturell bedeutsam anerkennt. Dieser Schritt wird nicht nur die Stadtentwicklungspolitik in Deutschland beeinflussen, sondern auch in Europa und darüber hinaus. Entscheidend wird jedoch sein, wie diese Änderungen in der Verwaltungspraxis auf Bezirksebene tatsächlich umgesetzt werden. Aufgrund der Dringlichkeit, die viele Berliner Clubs aktuell betrifft, wird sich die Clubcommission zeitnah mit den zuständigen Senator*innen darüber austauschen, wie die beschlossenen Neuerungen zum Schutz der Clubkultur in Berlin genutzt werden können.
Matthias Morgenstern: Ein längst überfälliger Schritt, allerdings bisher nur halbherzig vollzogen. Weder schützt es die Clubs vor herannahender Wohnbebauung und damit vor möglichen Konflikten mit Anwohner*innen, noch gibt es notwendige Anpassungen der Lärmschutzbestimmungen, die in der TA Lärm geregelt werden (Technische Anleitung zum Lärmschutz). Hier werden von Clubs ausgehende Emissionen immer noch gleich behandelt wie Industrielärm. Die Einführung eines Kulturschallwerts wäre hier eine zeitgemäße Anpassung.
Peter Fleming: Ich bin nicht sicher, ob die eigene Kategorie wirklich hilfreich ist. Anstatt einer echten Anerkennung wurden wir zu einem Sonderfall. Ich fürchte, dass dieser Prozess nicht hilfreich war. Ein klares Bekenntnis wäre besser gewesen.
Jessica Schmidt: Natürlich erhofft man sich durch diese neue Kategorisierung Schutz vor Themen wie der A100 oder Unterstützung bei der Erschließung neuer Flächen und Locations. Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass solche Regelungen oft theoretisch gut gemeint sind, aber in der Praxis wenig ändern. Wenn keine konkreten Maßnahmen folgen, bleibt es nur eine Definitionsfrage, die kaum Einfluss auf die tatsächlichen Probleme hat.
Alex, den letzten Teil möchten wir gerne den Strukturen der Clubkultur in der Schweiz widmen. Dort lassen sich viele Parallelen, aber auch Differenzen, zur deutschen Clubkultur finden. Ein Überblick?
Alexander Buecheli: Als Co-Kurator der „NIGHTS – Stadt nach Acht“-Konferenz in Berlin habe ich einen gewissen Einblick in die deutsche Clubkultur. Es gibt viele Gemeinsamkeiten, doch ich nehme die Schweizer Clubkultur als pragmatischer wahr, vor allem, was die ganze Diskussion rund um Underground und Kommerz betrifft. Dazu hat sicher auch die Arbeit der SBCK mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten zu erkennen und die Kräfte zu bündeln, beigetragen. Generell was die Politik betrifft, sind die Schweizer Bars und Musikclubs neutraler, sachpolitischer eingestellt.

Der Nahost-Konflikt ist bei euch beispielsweise kein großes Thema?
Alexander Buecheli: Interessanterweise gibt es in der Schweiz keine Erwartungshaltung, dass sich Nachtkulturunternehmen zu diesem Thema äußern. Und wenn dies einzelne Betriebe tun, dann führt es nicht gleich zu einem Shitstorm. Das Engagement der Kultur der Nacht fokussiert sich dabei auf Benefizveranstaltungen für die unschuldigen Opfer auf beiden Seiten des Konflikts, oder wie es gerade im Rahmen der „Nightlife in Solidarity“-Aktion geschieht, um die generelle Unterstützung von Menschen auf der Flucht.
Dass Schreckgespenst der Clubschließungen geht längst auch in der Schweiz umher. Wie ist die Lage der Dinge? Wo sieht es finster aus, was macht Hoffnung?
Alexander Buecheli: Aktuelle Zahlen der Bar & Club Kommission Zürich zeigen, dass der Pro-Kopf-Umsatz zwischen 2018 und 2023 um bis zu 40 Prozent abgenommen hat. Im gleichen Zeitraum sind die Kosten in allen Bereichen, vom Personal über die Sach- und Warenkosten bis hin zu den DJ-Gagen, gestiegen. Die Gefahr ist groß, dass immer mehr Nachtkulturunternehmen ein strukturelles Defizit aufweisen und es somit zu Schließungen kommt. Die Gründe für die sinkenden Einnahmen liegen in der Inflation, die Menschen haben weniger Geld zur Verfügung, und im gestiegenen Gesundheitsbewusstsein. Der Konsum von Alkohol ist rückläufig, was nicht einfach mit alkoholfreien Alternativen aufgefangen werden kann. Bemerkbar macht sich auch ein verändertes Ausgangsverhalten, die Jungen gehen weniger häufig und gezielter tanzen.
Das Aus der „Zukunft“ in Zürich steht ja schon länger fest, rückt nun aber immer näher und dadurch auch ins Bewusstsein der Szene. Welche Clubs mussten in jüngster Vergangenheit noch dichtmachen, welche sind akut bedroht?
Alexander Buecheli: Es gibt ein schleichendes Clubsterben in der Schweiz. Der Grund dafür war bis jetzt das Auslaufen von Zwischennutzungen, wie z.B. beim Club Zukunft und die damit verbundene Schwierigkeit, neue geeignete Räumlichkeiten zu finden. Nun kommen noch die finanziellen Herausforderungen hinzu. In Biel schließt nun der Duo Club, in Bern ist das Kapital am Kämpfen. Klar ist, die finanziellen Herausforderungen werden in den nächsten Jahren nicht kleiner, die Reserven sind Pandemie-bedingt bei null, ohne gezielte Förderung besteht die Gefahr eines Clubsterbens.

In Deutschland herrscht Einigkeit, dass die Clubkultur seitens der Politik nicht ausreichend gefördert und unterstützt wird. Wie sieht das in der Schweiz aus?
Alexander Buecheli: In einzelnen Regionen wie Zürich, Basel und Bern existieren parlamentarische Gruppen, deren Mitglieder nachtinteressierte Politiker*innen aller Parteien sind. Dank diesen Gruppen gelingt es, Einfluss auf die kommunale Politik zu nehmen und Rahmenbedingungen zu verändern. Ein gutes Beispiel dafür sind die Mediterranen Nächte in Zürich, die dank der politischen Tätigkeit der Bar & Club Kommission Zürich umgesetzt werden. Natürlich profitieren auch wir vom demokratischen System der Schweiz, z.B. basiert die Basler Clubförderung auf einer Volksinitiative. Da immer alle gewählten Parteien gemeinsam regieren, sind wir auch nicht abhängig von Koalitionsverhandlungen. Das Zauberwort heißt Sachpolitik, und es muss uns gelingen, Argumente für alle Regierungsparteien zu entwickeln.
Mit welchen Ambitionen und Hoffnungen, aber auch Sorgen und Ängsten blickst du speziell dem Jahr 2025 entgegen?
Alexander Buecheli: Die Krankenkassenprämien werden in der Schweiz nächstes Jahr nochmals steigen, das heißt, unsere Gäste werden nochmals weniger Geld zur Verfügung haben. Der Trend zu weniger Alkohol wird sicher weitergehen. Es wird also für die Clubkultur ein schwieriges Jahr bevorstehen. Hoffnung macht mir, dass wir es mit einer flexiblen, innovativen und lösungsorientierten Szene zu tun haben. Neue Formate werden entstehen. Positiv stimmt mich auch, dass die politische Sensibilität für die Anliegen der Clubkultur in der Schweiz gestiegen ist. Basel hat schon eine Clubförderung. In Bern, Luzern und Zürich finden gerade Diskussionen statt, wie eine solche aussehen könnte.
Aus dem FAZEmag 153/11.2024
Text: M.T.
Credits: Sebastian Valbuena, Christian Schuller
Web: www.harrykleinclub.de, www.tanzhaus-west.de, www.clubcommission.de, www.renate.cc, www.sbck.ch