Das war Mysteryland 2017

Das war Mysteryland 2017
Das war Mysteryland 2017

Das Festival aller Festivals. Das behaupten nicht nur die Veranstalter oder die Fans von Mysteryland sondern jeder, der einmal das Vergnügen hatte, am Haarlemmermeer bei Amsterdam Mysteryland beizuwohnen. Unser Redakteur Torsten Widua hat sich inmitten der 55.000 Gäste verlustiert.

General HardFacts:
Wann: 26. und 27. August 2017 (Samstag und Sonntag), Camping von Freitag (14:00) bis Montag (12:00)
Set-Times: Samstag 11:00 bis 23:00 Uhr und Sonntag 12:00 bis 23:00 Uhr

Wo: Floriade Terrain (ehem. Gelände der int. Gartenschau 2002), Haarlemmermeer bei Amsterdam
findet statt seit: 1994

Besucherzahlen: pro Tag ca. 55.000 (seit Jahren ausverkauft)
Alltime Motto: „Yesterday is History. Today is a Gift. Tomorrow is Mystery.“

Floors & Styles: Alle nur denkbaren Facetten der elektronischen Musik sowie Exkurse in die Tiefen des R’n’B, D’n’B, HipHop, TripHop, Experimental

Eintrittspreis: VVK 109 Euro (Standard-Festivalticket), VVK 149 Euro (Standard-Festivalticket inkl. Camping)

Wie hieß doch gleich das Festival, auf das man im Bademantel, Einhorn-Kostüm oder Narkoseschwestern-Outfit gehen kann, ohne aufzufallen? Wohin gehen Muddi und Vaddi mit ihren gerade mal volljährigen Söhnen und feiern generationsübergreifend eine Familienfete zusammen mit Onkel Ruben und Tunte Maarten, pardon Tante Rieke? Wie heißt der skurrile Ort, an dem die flippige Mädelstruppe aus Eindhoven mit den drei tätowierten und gepiercten Jungs im Kilt aus Schottland und dem künstlerisch angehauchten Pärchen aus Madeira feiert?
Auf die Fragen kann es nur eine Antwort geben: MysteryLand.

Das Festival, das Jahr für Jahr am letzten August-Wochenende rund 25 Kilometer von Amsterdam entfernt stattfindet und den Subtitel „Music & Art Festival“ tragen könnte, war auch 2017 wieder ausverkauft. Kein Wunder. Bei dem LineUp: Sven „The Babba of German Techno“ Väth hatte mit seinem Cocoon eine eigene Stage gehostet, der kanadische Discotecher und Live P.A. Deadmau5 gab sich die Ehre und spielte eins von seinen gefühlt zwei Live-Sets pro Jahr in Europa, und auch die holländischen Lokalmatadoren wie Sander van Doorn, Showtek und Wildstylez waren natürlich on Location – nebst einer groß aufgefahrenen EDM-Fraktion (für die „Kleinen“…) und Adult-Techno mit Dubfire, Carl Cox und Extrawelt (für die, die auf richtig gute Musik abfahren).
Ach so, Holland wäre nicht Holland, wenn es nicht Platz für eine Q-Dance-Stage geben würde, vor der sich zig-tausende Bämm-Bämm-Bämm-Freaks versammelten und zu 180+ bpm gabberten. Sehr nice anzusehen und (wer darauf steht) sehr nice anzuhören.
Wer es etwas intimer mochte, gesellte sich vor den Thunderdome. Hier war „nur“ Platz für rund 3.000 Leute unter freiem Himmel. Die Gay-Area mit dem (wie ich finde) sehr treffenden Namen „Milkshake“ (…) befand sich on top: Auf dem Hügel des ehemaligen Floriade-Geländes. Minuspunkt: Um 20 Uhr lief hier der letzte Beat. Macht aber nix! Dann geht man halt einfach rüber zu Annie, die zu ihrer Fiesta eingeladen hatte. Gastgeber waren unter anderem David Ghetto (nein, kein Rechtschreibfehler!) oder Daisy´s DJ Team (nein, keine Artverwandten von Rudolph Moshammers Hündin Daisy).

2017-08-26 20.19.48

Während man zum Betreten des Geländes der internationalen Gartenausstellung 2002 nur 17 Euro auf den Tisch legen musste, kostet der Eintritt bei ML etwas mehr. Eins haben aber beide Veranstaltungen gemein: Das Motto damals lautete „Feel the Art of Nature“ und würde auch noch heute, also 15 Jahre später, perfekt passen. Denn bei MysteryLand gibt es viel Art und viel Nature. Und noch mehr Musik! Zum Beispiel mit R´n´B-Kanone Craig David, der mit seinem neuen Projekt TS5 ein Comeback feiern wird – äh, will. Wird auch Zeit, denn seine Peaktime und seine somit größten Hits hatte der Brite in den Anfängen der 2000er, unter anderem mit „What´s your Flava“, „7 Days“ und „Rise & fall“ – für all diejenigen, die sich noch erinnern können…
Erinnern können – ein gutes Stichwort. Mich würde mal interessieren, ob sich Deadmau5 einen Tag später an seine Performance erinnern kann. Der liebe Herr Zimmerman aus Kanada hat ja ganz schön Gas gegeben. Also, in Sachen Bierchen. Nach vier Fläschchen habe ich aufgehört zu zählen. Vielleicht hat er noch mal auf die kürzliche Heirat seiner Langzeitfreundin Kelly Fedoni angestoßen. Bevor jetzt allerdings Buhrufe kommen: Für mich war das Live-Set der Höhepunkt des Samstags. Eine großartige Zusammenstellung vieler eigener und weniger fremder Tracks bei wirklich (!) vorzüglicher Klangqualität.
Ich bin zwar sonst eher ein Freund der Surround-Beschallung, doch hier haben die Veranstalter ID&T alles richtig gemacht: Ein brillant ausgesteuerter Klang auf der Mainstage, der über die Köpfe von schätzungsweise 13.000 Leuten fegte.
Deadmau5 erlebte ich bisher nur einmal: Bei Nature One im Jahre 2009 – damals während des ganzen Sets mit dem Mau5head, der Mausmaske über dem Kopf. Umso verwunderter war ich dann doch am Samstag, als der Live-Künstler in natura die Bühne betrat und nur im Mittelteil seiner Performance sein Mützchen aufsetzte. Vielleicht ist er mit 36 mittlerweile zu alt für so etwas geworden. Von mir gibt´s dafür ein „I like“: Für das Outfit und für den grandiosen Sound.
Generell – mein Sound-Fazit nach 6x MysteryLand: Chapeau, was den Klang angeht. Egal auf welcher Area man sich befand – da konnte selbst das best-geschulte Ohr nicht motzen.
Beim Sound-Stuff hingegen… gut, der ist ja immer Geschmackssache und EDM gehört für mich eher in den Kindergarten als auf ein erwachsenes Festival, aber nun gut. So isses halt. Und so soll es wohl auch bleiben, dass die Hands geclappt und in the Air geputtet werden.
Hatte KSHMR vielleicht deshalb Kopfschmerzen? Von seinem eigenen Sound? Und musste er deshalb vertreten werden und konnte sein Set erst kurz vor 21 Uhr beginnen? Lassen wir die Gerüchteküche doch mal brodeln…
Dass God nicht immer a DJ ist, bewies eventuell ein gewisser (mir bis dato namentlich völlig unbekannter) Tony Junior. Ich fragte mich: Was ist die Intention eines DJs, eine EDM-Version von „Was wollen wir trinken, 7 Tage lang?“ zu spielen? Wenn einer von euch die Lösung hat, bitte mailen.

2017-08-26 21.05.01

Einen ehrfürchtigen Knicks mache ich gerne, wenn ich an das „Paradise“ denke. Paradiesisch war hier nicht nur Sound & LineUp, sondern auch die Lichtgestaltung des beachtlichen Zeltes: LED-Streifen, die von der Decke hingen. Sharpys, die mit Licht nur so um sich warfen. Und Videowalls mit imposanten Visuals. Namentlich erwähnen möchte ich vor allem Dubfire, ein iranisch-US-amerikanischer Techno-DJ, der einer großen Masse als Teil von Deep Dish bekannt sein dürfte. Dort war / ist er eine Hälfte des Produzenten-Duos. Kommerziell ging es im pickepackevollen Zirkuszelt aber mal so gar nicht zu. Im Gegenteil: Techno vom Feinsten gab es zu hören. Mal „auf die Zwölf!“, mal „stompin´ forward“. Ein großes Dankeschön geht auch an Joseph Capriati, der im Anschluss „am draajen“ war, wie man in Holland sagt. Fette, fette Beats.
Nicht ganz so fett war, dass wir – als wir kurz nach 21 Uhr erneut das Paradise aufsuchen wollten – nicht mehr reinkamen. Hinweise auf den LED-Tafeln des Geländes verrieten uns „Paradise area / Carl Cox is too crowded and not accessibel for your own safety“. Da half uns nicht mal unser Backstage- und Bühnenzugang weiter. Für uns hieß es „Wegen Überfüllung geschlossen“ und „Du kummst hier net rein“!
Was haben wir gemacht? Das haben wir gemacht: Auf zu Q-Dance. In dem Bereich, in dem die letzten Stunden Publikumsmagneten Atmozfears und Adrenalize das Trommelfell vieler Hardstyler getestet haben, war es zwar auch voll – aber vom sogenannten „Spotted Hill“ aus (dem Hügel) hatte man eine tolle Sicht auf das bunte Treiben und Geschehen der Amok-Fraktion.
Meine Lieblings-Area (nicht in puncto Musik (weil eher HipHop-lastig), aber in Bezug auf das Design) war: Die Area mit den vielen „aufeinandergestapelten“ Wohnwagen. Ich finde auf meinem Zettelsammelsurium nur gerade den Namen der Area nicht… Dumdidum.
Witzig war auch, dass ein gewisser Hersteller aus dem koreanischen Raum (der vor allem für seine Smartphones bekannt ist und auch dessen Name mir partout nicht einfallen will…) eine Teststation für virtuelle Brillen hatte. Man konnte sich auf eine Art „Plastikpferdgerüst“ legen und in die Spielewelt eintauchen. Allerdings war hier um 20 Uhr „Game over“ und der Stand für heute geschlossen.

Thema DJ und Sound: Haken dran!
Thema Location und Decoration: Da gab es keinen Haken! Will man das Gelände in einem Wort beschreiben, dann mit: Bunt.
Große Stehlampen aus Oma Gertrudes Wohnzimmer … knarzende Retro-Sofas in allen Farben und Formen … Luftmatratzen im Kroko-, Delfin- und Dildo-Design … ein zehn Meter hoher Teddybär im grünen Borat-Kostüm … Plastiktischdecken mit Blümchen-Motiven … Euro-Paletten mit Kunstrasen als Chillout-Area … Schaukeln, die von großen, dicken Ästen herabhingen … Schaufenster-Puppen mit LED-Kopfschmuck … Porzellanhunde als Schirmständer getarnt … eine XXL-Toilettenrolle als Hinweisgeber für „Hier sind die Dixiklos“ … in Butterbrotpapier eingewickelte Baumstämme … beleuchtete Sträucher … unzählige Girlanden in den unterschiedlichsten Farben … Geranien auf Balkonen, mitten im Wald … überdimensional große Schwäne als Boote … ein 55 Meter hohes Kettenkarussell … Teppiche, Betten, Yoga-Matten.
Noch mehr gefällig? Dann ab in den „Healing Garden“. In diesem Bereich konnte man die Seele baumeln lassen. Hier bekam man 20-minütige Massagen für 15 Euro – mit happy end? Wäre interessant zu wissen gewesen. Hier gab es Klangschale-Therapien und Massagen (10 Minuten für 5 Euro) und hier gab es ein kleines Zelt, in dem Leute auf Isomatten lagen und chillten. Zu sanfter Musik – sollte man meinen. Doch als der Fader plötzlich von indischem Jodeldeid-Gedudele zu monsterartigem Hardtrance geswitcht wurde, war es vorbei mit „Omm…“.

Wir hingegen konnten im Hotel entspannen. Nach einem langen und kilometerreichen Tag. Ob mit oder ohne Happy-End-Massage – das bleibt das Geheimnis des Autors.

Text und Bild: Torsten Widua