Man kennt ihn in der Szene unter dem Namen Datacult, mit seinem psylastigen Sound durfte er schon überall auf der Welt auftreten. Doch Marco Scherer ist mehr als nur ein Produzent, der genau weiß, was gerade auf den Goa-Floors die Crowd zum exzessiven Tanzen bewegt. Neben der eigentlichen Studioarbeit für Datacult macht er Sounddesign für diverse Synthesizer-Firmen, ist Redakteur beim BEAT Magazin und betreibt zusammen mit seinem Freund Boom Shankar das Management von BMSS Records. Bei so viel Action dürfte sein Tag gerne mal mehr als 24 Stunden haben. Ein Gespräch über seine Liebe zur Musik, Inspiration, Müsli, gute Fehler beim Auflegen und Geheim-Plugins.
Marco, vielen Dank, dass du uns etwas von deiner Zeit widmest. Wie und wo hat all das bei dir seinen musikalischen Lauf genommen?
Hey, Jeanette, freue mich sehr, dabei zu sein! Musik hat mich schon immer angetrieben, deswegen fing ich bereits im zarten Alter von zwölf Jahren an, mit Tapedeck, Plattenspieler und Spielekonsole die ersten Mixe zu erstellen. Mit 16 bekam ich einen richtigen Plattenspieler, kaufte Platten und besuchte Techno-/Trance-Partys. Ich weiß noch genau, wie ich auf meiner ersten Mayday am Mainfloor saß und davon träumte, auch mal DJ zu werden. Und ja, auf einer Mayday habe ich zwar noch nicht gespielt, aber zum DJ hat es gereicht. (lacht) Ein paar Jahre später organisierte ich mit Freunden eigene Partys und dann kam plötzlich Psytrance.
Warum Psytrance? Was macht der Sound mit dir?
Bei dem Sound hat es einfach Klick gemacht. Ich mag das flotte Tempo, die Atmosphäre und vor allem das Publikum. So bunt und herzlich geht es in kaum einer anderen Szene zu. Du kommst auf ein Festival oder eine Party und fühlst dich wohl, bis du wieder gehst. Vor allem aber passt die Musik einfach zu mir, denn ich liebe einerseits stramme Beats und habe andererseits die Wahl, einen zuckersüßen melodiösen Track zu machen oder einen, der so richtig auf die Zwölf haut. Alles drin. (grinst)
Das ist ein gutes Stichwort, denn Datacult steht nicht unbedingt für Standard-Goa. Was macht dich und deinen Sound so besonders?
Prinzipiell bin ich im Progressive Psy zu Hause, allerdings muss es bei mir nach vorne gehen. Also, Flow statt langer Breaks. Und ich habe eine Vorliebe für frische, andersartige Sachen, die sich vom beliebigen Allerlei abgrenzen. Das schränkt die Auswahl der Musik zwar manchmal etwas ein, aber zum Glück lassen sich gekaufte Tracks heutzutage am Rechner ganz einfach schneiden und umbauen. Das ist viel Arbeit, am Ende habe ich dann aber Tracks, bei denen man nicht jede Minute stehen bleiben muss. (lacht)
Einen gemütlichen und hochmelodiösen Gang kann ich schon auch mal einlegen, aber am wohlsten fühle ich mich, wenn’s rumpelt und vor allem groovt wie Sau. Gern mit einer Portion Techno und mystisch sowieso! Zudem fahre ich eher auf Groove ab statt auf die meist relativ geraden Beats bei Full-on und ich mag dreckige Sounds, die richtig knarzen und rumpeln. Gerade beim aktuellen Psytrance sind viele Produktionen zu glattgebügelt und nach Schema F produziert, davon grenze ich mich bewusst ab. Sicherlich kostet diese Einstellung hier und da ein paar Fans, dafür lässt sich Datacult vom Sound anderer Acts unterscheiden.
Verrätst du uns deinen schönsten Moment auf der Bühne?
Oh, davon gab es glücklicherweise viele! Meistens sind das so Gänsehautmomente, wenn Publikum und DJ miteinander verschmelzen. Ich versuche während meiner Sets immer, das Befinden der Tänzer und auch Nichttänzer aufzuschnappen und darauf einzugehen. Deswegen bereite ich keine Sets vor, sondern höre die DJs vor mir an und überlege mir eine Viertelstunde vor meiner Playtime, mit welchen beiden Tracks ich anfangen könnte. Alles Weitere ergibt sich dann beim Auflegen.
Auf jeden Fall liebe ich es, einen musikalischen Bogen zu spannen und mit dem Publikum zusammen auf eine Reise zu gehen, statt nur einen Stil von Anfang bis Ende durchzuprügeln. So fange ich oft mit einem gemütlichen Track „für den Kopf“ an und gebe erst nach und nach mehr Gas. Oder umgekehrt, je nach Stimmung und Uhrzeit. Oder ich schwenke als Überraschungsmoment auch mal von knackigem Full-on rüber zu einem groovelastigen Track.
Manchmal sind es aber auch vermeintliche Fehler, die für besondere Momente sorgen. In einem konkreten Fall erwischte ich eine Nummer mit extra Schmachtfaktor. Da das Set bis dahin recht hart war, kam dieser Einfall von zuckersüßen Melodien für alle so überraschend rüber, dass plötzlich ein Knistern im Club zu spüren war, alle zu schreien anfingen und ich Gänsehaut bekam. Einfach geil.
Du gehörst ja schon seit Jahren fest zum Repertoire von BMSS Records. Warst du von Anfang an beim Label dabei?
Nein, das Label gab es schon einige Jahre, als ich dazu kam. Anfangs war ich nur als Artist dort – erst über die Jahre übernahm ich diverse Tätigkeiten. Mittlerweile kümmere ich mich um das, was eine A&R-Abteilung typischerweise so macht, also Demos anhören und Promos versenden, aber auch andere Dinge, die so anfallen. Etwa unseren Podcast bei Radiozora, Kontakt mit den Vertrieben halten, Social Media und Webseiten pflegen und vieles mehr. Das teilen „Label-Baba“ Boom Shankar und ich uns immer je nach Bedarf und Situation auf. Auf dem Papier klingt das recht trocken, aber es macht riesigen Spaß, permanent mit anderen Artists im Austausch zu sein. Vor allem höre ich dadurch viel neue Musik, und das kann wiederum sehr inspirierend sein.
Du darfst bei deiner Arbeit für das BEAT Magazin quasi im Überfluss die neuste Sound-Software testen. Hast du ein favorisiertes Programm, wenn du selbst produzierst?
Ja, ich bin absoluter Fanboy von Ableton Live und ohne eine MPC kann ich auch nicht. Hin und wieder muss ich einfach irgendwo draufhauen und weg vom Rechner. In Sachen Plugins ist Loom von AIR Music eine meiner Geheimwaffen. Das Teil ist unglaublich schwierig zu programmieren und definitiv kein Synth für alle Fälle, aber es klingt so wahnsinnig knackig und bratzelig, dass es letztlich in jedem meiner Tracks zu hören ist, meist sogar in der Hauptrolle als Bass. Aber auch der Ableton Operator ist eine Wucht! Ich kann jedem Besitzer nur empfehlen, sich eingehend damit zu beschäftigen – der Synth kann einfach alles und klingt immer gut. Ein weiteres Plugin, das ich jedem nur nahelegen kann, ist Magnetic II von Nomad Factory. Offiziell ein Tape-Sättiger, für mich ein „Mach’s fett“-Knopf. Alles, was da rein geht, klingt danach dick und rund.
Ich fasse mal kurz zusammen: Du legst auf und produzierst, hast Familie, einen Job beim BEAT Magazin, betreibst Label-Arbeit für BMSS Records, machst Sounddesign für große Synthesizer-Hersteller – wie kriegst du das alles unter einen Hut?
Müsli, Red Bull und Schokolade. (lacht) Okay, ernsthaft, vermutlich ist es ähnlich wie bei der Musik: Auf den Flow kommt’s an. Eine große Rolle spielt wohl die Tatsache, dass ich zeitlich nicht festgelegt bin. Zwar fange ich jeden Morgen damit an, Mails und News zu lesen, aber der weitere Tagesverlauf ergibt sich abhängig davon, was ansteht. Was am dringendsten ist, wird zuerst erledigt. Und wenn ich an einer Stelle, zum Beispiel bei einem Workshop für die BEAT, gerade nicht weiterkomme, mache ich eben eine Stunde Musik, weil es da gerade vorwärts geht. Oder ich gehe mit meiner Tochter joggen oder setze mich zu unseren Hühnern in den Garten. Oder ich höre neue Demos für BMSS an, baue ein paar Sounds zusammen, jamme an einem Beat herum oder, oder, oder. Irgendwas geht immer voran und oft bedingt auch das eine Standbein das andere. Dabei fällt mir noch mein Lieblings-Credo ein: Machen ist wie wollen, nur krasser. Manchmal ist das Geheimnis nur, dass man einfach etwas macht, statt lange nachzudenken. Und wenn es nur fünf Minuten sind. In diesen fünf Minuten kann durchaus die entscheidende Idee kommen.
Was sind die weiteren Pläne für dieses Jahr?
Heiraten, zweiter Gig in Russland, zweiter Nachwuchs, ein Track mit Waveform und die nächste Datacult-EP auf BMSS. In dieser Reihenfolge. (lacht) Nein, ernsthaft, es stehen jede Menge Dinge an für dieses Jahr, aber die genannten sind jetzt schon meine persönlichen Highlights. Natürlich kommen dazu weitere BEAT-Artikel, neue Tracks mit weiteren meiner favorisierten Artists, diverse Auftritte und auch einige Soundpacks. Ach ja, ich arbeite auch an meiner zweiten Promo-CD. Die erste – „Black Noise“ – gibt es nach wie vor kostenlos auf meiner SoundCloud-Seite, also am besten mal reinhören. Die Liste für das Jahr ist also schon relativ lang und irgendwie hat 2019 wieder viel zu wenige Tage.
Möchtest du deinen Fans noch etwas mit auf den Weg geben?
Auf jeden Fall! Ein riesiges Dankeschön für den bisherigen Support für Datacult sowie für jedes Lob und auch jede Kritik an meinem Sound, an Artikeln, Workshops und sonstigen Dingen, die ich so tue. Bitte weiterhin immer her damit und keine Scheu. Freue mich über jeden Kontakt!
Aus dem FAZEmag 087/05.2019
Text: Jeanette Leiendecker
Foto: Bukowski
www.datacult.net
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