Aus der Underground-Dance-Szene ist der in Amsterdam lebende Dave Clarke nicht mehr wegzudenken. Mit seinen Alben „Archive One“ aus dem Jahr 1995 und „Devil’s Advocate“, das 2003 erschien, oder seiner über 600-mal ausgestrahlten Radioshow „White Noise“ hat er tiefe Wurzeln in der elektronischen Musikwelt geschlagen. Darüber hinaus remixte er bereits Depeche Mode, Chemical Brothers oder Placebo – ein Fachmann eben. Nun erschien sein neues Album, das auch seine tiefe Verbundenheit zu Punk, New Wave, Noise und Industrial zum Ausdruck bringt.
Nach einem schier endlosen Break von 14 Jahren bist du mit einem brandneuen Album zurück, das den Namen „The Desecration Of Desire“ trägt. Dieses Album stellt ein Gesamtkunstwerk dar, an das du herangegangen bist wie an ein Buch.
Ich habe das Album tatsächlich von Grund auf neu produziert, ohne irgendwelche bereits existierende Singles, die nur auf ein Release warteten, oder Ähnliches. „The Desecration Of Desire“ entstand wie ein Buch, das Kapitel für Kapitel wuchs, in ebendieser Track-Reihenfolge entstand und so in die Welt geschickt wird. Ganz der digitalen Welt zum Trotz; eine Herangehensweise wie bei einem Vinylalbum.
In den Presseblättern war die Rede von einem großen Druck, der auf dir lastete, was den Langspieler betrifft. Worauf lässt sich dieser Druck zurückführen? Das Label, die breite Öffentlichkeit, die ein neues Album des Technobarons sehnsüchtig erwartete, oder war er aufgrund der hohen musikalischen und künstlerischen Ansprüche, die du an dich selbst hast, gar hausgemacht?
Von Seiten des Labels kam bei „The Desecration Of Desire“ überhaupt kein Druck und ehrlich gesagt muss ich zugeben, dass das ganze Projekt wirklich entspannt und reibungslos verlief. Da ich jedoch alle Zügel selbst in der Hand hatte, frei entscheiden konnte und in den ganzen Prozess von Anfang bis Ende involviert war, arbeitete ich äußerst genau und penibel. Ich war selbst mein größter Kritiker. Und wenn es dann doch mal etwas stressiger zuging, dann war das in der Tat hausgemacht.
Das neue Album ist kein durchgängiges Soloprojekt. Andere Künstler und Musiker wie Louisahhh, Mt. Sims, Anika und Mark Lanegan haben ihren Teil zur Vollendung von „The Desecration Of Desire“ beigetragen. Wie kam es zu diesen Kollaborationen?
Nun, alles, was ich dazu sagen kann, aber auch sagen möchte, ist, dass jede Einzelne dieser Persönlichkeiten, dieser Musiker und Künstler, mich auf verschiedene Art und Weise inspiriert hat. Nicht nur auf musikalischer Ebene, auch durch ihren Intellekt, ihr Charisma. Nach meiner Zusammenarbeit mit ihnen fühlte ich mich beflügelt. Als sei ich plötzlich ein besserer Mensch geworden.
Das hört sich nach beeindruckenden Menschen und einer tollen Entstehungszeit des Albums an. Hast du dein Studio nach wie vor auf dem Hausboot in Amsterdam?
Ja, das gibt es noch und dort habe ich auch das gesamte Album produziert, abgesehen von einer kleinen Ausnahme; die Gitarre von Keith Tenniswood aka Radioactive Man wurde im Studio in Großbritannien aufgenommen. Alles andere jedoch bei mir auf dem Boot.
Nun produzierst du ja mittlerweile schon seit vielen, vielen Jahren. Dass die Pause bis zum jetzt erschienenen Album „The Desecration Of Desire“ 14 Jahre betrug, spricht Bände. Was hat sich denn in deinem Studio technisch so getan, was hat sich verändert im Vergleich zu früheren Produktionen und was spielte in der Albumproduktion eine wichtige Rolle?
Viel verändert hat sich eigentlich nicht. In meinem alten Studio jedoch passierte alles digital und war verbunden via Midi. Der Computer diente als Sequenzer. Heute verbinde ich beide Welten, beziehe mehr analoge Geräte ein und habe Spaß daran, diese zu spielen. Ich genieße aber gleichzeitig auch die Vorteile der Flexibilität, die ein Computer bietet.
In einem deiner vorherigen Interviews mit dem FAZEmag hast du erzählt, dass es in der Tech-House-Szene, verglichen mit der Techno-Szene, weniger um Musik als vielmehr um Marketing, Promotion und Selbstinszenierung geht. Sicher lässt sich das in Teilen kaum bestreiten, doch rückt auch die Technoszene immer mehr in den Fokus der Massen – aufgrund ähnlicher Mechanismen. Wie denkst du über diese Entwicklung?
In der Regel ist das bei genau den „Techno“-Artists so, die mit ihrer Musik eine unglaubliche Nähe zum Tech-House aufweisen. Da wundert es dann auch nicht mehr großartig, dass sie sich in diesem Stil präsentieren. Mit Techno hat das meiner Meinung nach überhaupt nichts zu tun, auch wenn sich das gerade jeder auf die Fahne schreiben möchte. Mehr habe ich da nicht hinzuzufügen.
Dann lass uns noch mal auf dein Album zurückkommen. Wie steht es um Remixe im Anschluss an die Veröffentlichung von „The Desecration Of Desire“? Wird es welche geben und wenn ja, wen hättest du hier gerne an Bord?
Oh ja, es wird Remixe zu den Tracks geben und einer davon stammt aus der Schmiede von Terence Fixmer. Er hat bereits einen großartigen Remix zur Single „Charcoal Eyes (Glass Tears) feat. Mark Lanegan“ abgeliefert. Auch Surgeon und The Hacker arbeiten an Neuinterpretationen. Ich halte es mit der Auswahl der Remixer übrigens genauso wie mit der Auswahl der Künstler für meine Stage auf dem Mysteryland. Ich frage also nur diejenigen an, die mich mit ihrer Kunst wirklich begeistern. Ich handle und entscheide aus der Sicht des Musik-Fans. Von einer Art Vetternwirtschaft halte ich überhaupt nichts, nicht im Geringsten!
Wie steht es um deine Gigs, Dave? Was hat dich hier in letzter Zeit begeistert?
Vor wenigen Tagen erst war das Amsterdam Dance Event. Mit zwei Events war auch ich dort wieder vertreten, mit einer der beiden Partys bin ich mittlerweile schon im dreizehnten Jahr! Eine wirklich großartige Sache.
Aus dem FAZEmag 069/11.2017
Text: Julian Haussmann