DEICHBRAND Festival 2020 – ein Interview mit Shootingstar Anahit Vardanyan

Vier Tage Musik. Vier Tage gute Musik. Musik aus den unterschiedlichsten Sparten. Techno? Ja. Alternative? Auch. Hip-Hop, Indie, Pop? Definitiv. Electro und Rock? Klar. DEICHBRAND lebt von seiner Vielfalt, von großartigen Acts, einer tollen Location und perfekten Organisation. Kein Wunder, dass alljährlich mehr als 60.000 Besucher aus Deutschland und der Welt in den hohen Norden reisen, um dort mit rund 100 Bands, DJs und Live Performing Artists auf fünf Floors zu feiern. Dieses Jahr übrigens vom 16. bis 19. Juli auf der altbewährten Lokalität: dem Seeflughafen Cuxhaven. Und zur mittlerweile 16. Ausgabe ist bereits ein Auszug an Namen bekannt, die ihr oben lesen könnt. Darunter Anahit Vardanyan – ihres Zeichens Newcomerin, aufstrebender Shootingstar und vielversprechender Neuankömmling. Nicht nur in der Szene, auch in Deutschland. Was für ein nettes und interessantes Gespräch es doch war … Aber: Lest selbst.

 

 

Hallo Anahit, für dein junges Alter hast du schon einen ganz schön langen Weg hinter dir. Von Armenien nach Hamburg. Seit wann lebst du in Deutschland und was war der Grund für den Umzug?
Hallo! Ich bin seit 2016 in Deutschland. Der Grund meines Umzugs waren mein angehendes Studium und, neue Wege für meine musikalische Entwicklung zu finden. Natürlich war es nicht einfach, meine Heimat zu verlassen, weit weg von allem, was mein bisheriges Leben erfüllt hatte. Aber die Musik in mir treibt mich voran und leitet mich. Seit meiner Kindheit spiele ich leidenschaftlich Klavier, hatte aber nie ein eigenes Instrument. In der Nähe von Hamburg fand ich in diversen Kirchen dann zunächst die Möglichkeit, Klavier zu spielen und mich so auf meine Aufnahmeprüfungen zum Musikstudium vorzubereiten. Im Studium habe ich mich dann schnell für digitale Musikproduktion interessiert und angefangen, selbst elektronische Musik zu produzieren.

 

 

Fühlst du dich wohl in Hamburg und wo waren deine ersten Berührungspunkte mit der deutschen Clubkultur?
Hamburg ist eine ganz besondere Stadt für mich – quasi mein zweiter Geburtsort. Hier habe ich ein ganz neues Leben gestartet, mich selbst neu entdeckt und auch schon viel erreicht. In den drei Jahren habe ich viele wertvolle Erinnerung gesammelt, die ich immer mit Hamburg in Verbindung bringe. In Hamburg fühle ich mich auch langsam richtig wohl, trotz des Gefühls, dass Armenien immer mein Zuhause bleiben wird. Mein Bauchgefühlt sagt mir: Die Zeit in Hamburg fühlt sich immer noch wie ein längerer Urlaub an. Die ersten Clubs, die ich in Hamburg besucht habe, waren Waagenbau, Pal, Fundbüro, Pudel und Ballsaal. Mittlerweile hatte ich in manchen dieser Clubs auch schon die Ehre, als DJ zu spielen.

 

 

Jeder große DJ hat einmal klein angefangen. Und noch steckt deine Karriere zwar in den Kinderschuhen, allerdings hast du letztes Jahr auf einigen der größten und bedeutendsten Festivals gespielt, wie beispielsweise beim DEICHBRAND. Wie war es?
DEICHBRAND war meine erste Erfahrung auf einer großen Bühne vor tausenden Menschen. Habe sehr interessante Künstler kennengelernt und Erfahrungen mit ihnen geteilt. Es war ein sehr wichtiger Schritt für meine weitere Entwicklung, und ich konnte mich als Newcomerin aus dem hohen Norden schon etwas etablieren. Es war ein tolles Gefühl, an diesem Tag mit Größen wie Charlotte de Witte, La Fleur und Dave Clarke die Electric Island Stage zu teilen.

 

Beschreib doch bitte mal, in welche musikalische Schublade man dich stecken könnte.
Da ich als Produzentin noch am Anfang bin, entwickelt sich mein Sound mit der Zeit und wird noch viele Veränderungen mit sich bringen. Die Richtung ist Techno. Obwohl ich einen relativ „harten“ Sound bei einer Geschwindigkeit von 128 bis 130 BPM produziere und auch auflege, ist mein Sound sehr melodisch und gefühlvoll, geprägt von Polyfonie und gefüllter Struktur mit vielen verschiedenen Elementen. Gern verwende ich charakterstarke Sounds, eben auch mein eigenes Klavierspiel.

 

 

Noch einmal kurz zurück zum DEICHBRAND, wo du auch dieses Jahr spielen wirst. Gibt es schon Details, die du verraten kannst? Und: Wie bereitest du dich auf so große und wichtige Sets vor?
Auf meine DJ-Sets bereite ich mich intensiv vor und hole mir natürlich laufend Inspirationen von neuen Tracks und anderen Künstlern. Wichtig ist mir aber, immer flexibel zu bleiben um beim Auflegen auf das Publikum eingehen und mit den Leuten live kommunizieren zu können. Auf dem Dancefloor versuche ich, immer eine bestimmte Atmosphäre zu kreieren. Und bisher gelingt mir das auch immer. Dies geht nicht mit vorgefertigten DJ-Sets, die man zwei Stunden lang abspielt. In diesem Jahr kann ich beim DEICHBRAND Festival in der Dunkelheit spielen, wurde mir verraten. Damit kann ich dann auch zu 100 Prozent meinen Sound spielen, der ja gerne etwas härter ist.

 

 

Wie hast du persönlich das DEICHBRAND 2019 erlebt?
Das DEICHBRAND Festival ist das erste große Festival, das ich besucht habe. Hier war es spannend, auch mal hinter die Kulissen zu schauen. Es war alles perfekt und sehr liebevoll organisiert und ich wurde herzlich empfangen. Ich habe viele wichtige Menschen aus der Musikbranche kennengelernt und mein Management-Team ausbauen können.

 

 

Das DEICHBRAND zählt zu den vielfältigsten Festivals Europas. Hier werden sämtliche Musikgenres geboten. Wenn du nicht gerade auflegst: Welche Musik hörst du privat gerne?
Es ist cool, dass hier neben den Stars der elektronischen Szene auch die angesagtesten Hip-Hopper oder eben auch viele Rock- oder Punkbands spielen. Eine spektakuläre Mischung, auch menschlich sehr spannend und bereichernd. Als Musikerin interessiere ich mich für nahezu alle Richtungen qualitativ guter Musik. Der Blick über den Tellerrand ist für mich sehr wichtig. Was mich aber vor allem inspiriert, ist klassische und ethnische Musik. Mir ist es wichtig zu wissen, woher die Wurzeln meiner Musik kommen, hier anzuknüpfen und meinen eigenen Stil zu finden.

 

 

Den Sprung vom kleinen Club zum großen Festival zu schaffen, ist enorm. Hut ab! Wie war es so für einen Shootingstar wie dich, zum ersten Mal vor so vielen Menschen zu spielen?
Ich bin froh, dass ich schon lange mit der Bühne vertraut bin. Mein erstes Konzert hatte ich mit sieben Jahren und ich fühlte mich sehr wohl dabei – auch heute als DJ ist das so. Meine erste Klavierprofessorin meinte zu meiner Mutter: „Anahit liebt die Bühne – und die Bühne liebt sie.“ Jetzt realisiere ich, dass es sehr wichtig ist, den Kontakt zwischen mir und der Bühne im Einklang zu halten. Musizieren, von der künstlerischen Seite aus, hat viel mit Konzentration zu tun, deswegen nimmst du nicht alles wahr, was auf der Tanzfläche passiert. Dabei machen ja gerade die Kommunikation und die echten Reaktionen des Publikums die Gigs aus.

 

 

Jetzt bist du aber nicht nur als DJ aktiv, sondern auch als Produzentin. Was gibt es diesbezüglich Neues zu berichten, was upcoming Releases angeht?
Meine ersten beiden Tracks habe ich auf Kitchen Recordings veröffentlicht, dem Label von Freunden in meiner Heimatstadt Jerewan. Das war mir wichtig – eben wegen meiner Roots. Jetzt habe ich bald acht gute Tracks im Kasten und will auf Akquise-Tour gehen, um die richtigen Labelpartner zu finden. Im zweiten Halbjahr 2020 will ich dann auch an meinem Live-Set arbeiten. So gerne ich auch DJ-Sets spiele, so denke ich eben auch daran, meine eigene Musik live auf die Bühne zu bringen. Um generell mehr Zeit für die Musik zu haben, habe ich gerade erst meinen eigentlich wundervollen Job im Pianohaus in der Schanze in Hamburg gekündigt und produziere nun täglich.

 

Wenn du dir jemanden wünschen könntest: Mit wem würdest du gerne mal ein b2b-Set spielen?
Ich habe noch kein b2b-Set in meiner Laufbahn gespielt, bin aber natürlich bereit, wenn es sich ergibt. Es gibt ansonsten sehr viele Produzenten, mit denen ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen kann, oder die mich einfach interessieren. Mir fallen spontan Namen wie Stephan Bodzin oder David August ein. Aber ich bin da ganz offen und lasse das alles einfach auf mich zukommen.

 

Das DEICHBRAND Festival wird auch in den nächsten beiden FAZEmag-Ausgaben im Event-Teil vertreten sein. Jeweils inklusive eines Interviews mit einem Shootingstar der „Electronic Selection“. Im März machen wir ein nettes Frage- & Antwortspiel mit Lilly Palmer.

DEICHBRAND Festival // 16.-19.07.2020 // Seeflughafen, Cuxhaven/Nordholz

www.deichbrand.de

Bisher bestätigte Acts des Floors „Electronic Selection”: Oliver Huntemann, Anahit Vardanyan, Lilly Palmer, Steve Aoki, Drunken Masters
Bisher bestätigte Acts allgemein (Auszug): Sven Väth, Beatsteaks, Nightwish, Sido, Flogging Molly, Clueso, Bosse, Bilderbuch, Capital Bra, Trettmann, Bausa, Milky Chance, 257ers, Passenger, Maximo Park, Querbeat, Guano Apes, H-Blockx, Muff Potter, Afrob, Tonbandgerät

 

 

Festivalfoto 1: Frank Embacher, Festivalfoto 2: Ulf Duda, Artistfoto: RCUX