Quentin Lichtblau aka San Quentin legt nun seit etwa 16 Jahren als DJ auf und kann etliche Gigs in Clubs und auf Festivals verbuchen, sowie eigene Veröffentlichungen. „Zu wenig für einen Lebensunterhalt, zu viel, um es nur Hobby zu nennen“, wie er selbst sagt.
Grundsätzlich sei er niemand, dem schnell etwas peinlich sei. „Wo andere bei bestimmten Themen die Stimme senken, rede ich fröhlich drauflos. Sollen halt alle mithören, wenn ich über meinen Kontostand (niedrig) oder meine Geheimratsecken (immer größer) spreche.“
Bei dem Satz „Ich bin DJ“ sei das allerdings seit einiger Zeit anders. Aus diesen Gedanken heraus resultiert ein längerer Text für die ZEIT, in dem Lichtblau erläutert, warum er so denke.
„Nicht nur mir geht es so“, so San Quentin. Benjamin Fröhlich, ein befreundeter DJ, der auf der ganzen Welt aufgelegt hat, stelle sich mittlerweile lieber als „DJ, Produzent und Labelbetreiber“ und wird zitiert: „Wenn ich sage, dass ich DJ bin, denke ich immer: Was hat mein Gegenüber jetzt für ein Bild im Kopf?“
Dabei verweist er auch auf einen Tweet von Techno-DJ Matrixxman, der kürzlich auf X (ehem. Twitter) mit einem Würge-Emoji schrieb: „›Hallo, ich bin professioneller DJ‹ Ich muss mal wieder meine Gitarre auspacken oder so was. Diese Scheiße ist echt peinlich geworden.“
San Quentin macht dieses Phänomen an drei verschiedenen DJ-Typen fest:
Der Hüne: stark tätowiert, muskulös, liebt riesige Bühnen
„Links und rechts schießt Feuerwerk in den Himmel. Der Hüne dreht an den Reglern, als wären sie heiß wie Herdplatten, was an der Musik aber exakt nichts ändert. Er hebt seinen Arm und zählt herunter, drei, zwei, eins – dann setzt der Bass ein, ein Technotrack mit 140 beats per minute und dem Gesangspart eines Mainstream-Hits von 2005.“
Der Planlos-DJ: wohnt in einer WG in Berlin-Kreuzkölln, fragwürdige Hygiene
„Er ist vor vier Jahren aus einer Kleinstadt hergezogen. Seit er vor ein paar Monaten auf einer After Hour einen semiohnmächtigen Ketamin-Junkie zum Kopfnicken gebracht hat, setzt er ganz aufs Auflegen. Jedes Mal, wenn er in der Kneipe um die Ecke ein paar Tracks spielen darf, kündigt er das auf Instagram an, als wäre es die Panoramabar.“
Der Auch-DJ: eigentlich Schauspieler, Influencer oder Model
„Aber das reicht ihm nicht. Da seine Social-Media-Kanäle frischen Content brauchen, verwirklicht er sich zusätzlich als DJ. Gerne legt er vor shoppender Kundschaft in Flagship-Stores auf, auf Sommerfesten von Kulturinstitutionen oder der Berlinale. Er mixt ohne jeden Übergang Jay-Z auf Daft Punk und nennt es ‚eklektisch‘“
2006 habe Lichtblau selbst mit dem Auflegen angefangen. Damals sei vieles noch anders gewesen. „Das Auflegen machte mich zum Teil einer kleinen Gruppe von Nerds im Plattenladen, die bereit waren, ihre Ersparnisse für schwarze Plastikscheiben auf den Kopf zu hauen. Von denen wollte ich gemocht werden. Was uns verband, war eine Art Understatement.“
Es hätte ungeschriebene Regeln gegeben: keine Releases bei großen Labels, keine Werbedeals und „bei aller DJ-Arroganz oft auch eine Verschleierung der eigenen Identität“, ein „Lass die Musik für sich selbst sprechen“-Ethos.
„Nach dem Ausverkauf Ende der Neunziger, als selbst die Schlümpfe mit Tekkno ist cool in den Charts landeten, hatten sich Teile der Szene zurückgezogen“, meint Lichtblau. Heute sei Techno wieder überall, aber „leider auf eine ähnlich dämliche, Meme-artige Weise.“
Modelabels würden „Sadomaso-Karnevalskostüme“ verkaufen, Lifestyle-Magazine Tipps geben, wie man angeblich ins Berghain kommt und ständig kämen neue Techno-Remixe in die Charts, in denen Kinderlieder mit einer stumpfen Vierviertel-Bassdrum versehen werden.
Dann holt er aus: „Fotoshootings, Videosnippets von Auftritten, Kooperationen, schablonenhafte Danksagungen an die Clubgäste vom Vorabend („What a night, still processing all the emotions!“). Gern auch Privates, manchmal Schleichwerbung, wirre Gedanken zum Nahostkonflikt, Bilder vom Müllsammeln am Strand von Bali. Es geht meist eher um die Selbstinszenierung als um die Musik.“
Er selbst sei zu jung, um alles in den 90ern miterlebt zu haben, aber Fotos von frühen Raves würden ihm zeigen, wie damals alle zusammen tanzten. „Heute gleichen viele Clubs Aerobic-Studios; die Gäste stehen wackelnd vor dem DJ-Pult, jeder für sich, beschäftigt damit, gut auszusehen.“
Damit steht San Quentin nicht allein. Ganz im Gegenteil. Vor allem in den letzten Jahren häufen sich prominente Kritiker. Einer von ihnen ist Dave Clarke, wie u.a. Steve Aoki, Timmy Trumpet und Deadmau5 kritiserte und als „Cakeman“, „TrumpetDude“ und „Mousehead Man“ abstempelte. (FAZEmag berichtete)
Am Ende des Kommentars richtet San Quentin ähnlich frustrierte Worte an seine Booker und Gäste: „Manchmal frage ich mich, wenn mich all die Leute so anschauen: Was erwartet ihr von mir? Soll ich mit brennenden USB-Sticks jonglieren?“
Quelle: ZEIT
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