Doctors On Decks – Parallelwelten

Foto: Stefan Haider

Das Trio rund um Severin Su, Martin und Miller aka Doctors On Decks richtet dieser Tage mit seiner Kombination aus Liveact und visuellem Ansatz zahlreiche Scheinwerfer auf sein Projekt. Das Konzeptalbum „The Minus“ basiert dabei auf einer Science-Fiction-Geschichte über ein mysteriöses schwarzes Loch inmitten einer Megacity und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft. Es ist eine epische Erzählung über das Menschsein am Scheideweg des Wandels. Sie wirft einen Blick darauf, was das Menschsein ausmacht, auf den Kampf um eben dieses, und darauf, wie Entwicklungen aussehen können: große philosophische und zeitlose Themen verpackt in einem Mikrokosmos von vier herrschenden Gesellschaften. Dabei entstehen Audio und Video bei Doctors On Decks meist parallel, wobei das eine das andere maßgeblich beeinflusst. Auf dem Werk hat das Trio mit Acts wie Chris #2 von Anti-Flag, Anna Heimrath, Nhoah und Tube & Berger kooperiert. Veröffentlicht wurde das Werk, das einen Mix aus treibender, melodischer Techno-Oper mit Einflüssen aus Artrock, Punk, Pop und klassischer Musik darstellt, kürzlich auf ZEHN Records.

Jungs, welchen Background habt ihr drei jeweils und wie seid ihr zur Musik gekommen?

Miller: Meine Mutter ist ein riesiger Elvis-Fan – der King war also so etwas wie mein zweiter Vater. Von ihm habe ich auch die Liebe zur „Good Show“. Mich hat immer schon die Verbindung zwischen Musik und Bild interessiert. Als Regisseur habe ich deshalb auch mit Musikvideos begonnen – die ich mit meiner Company Super+ sogar zum Teil selbst finanziert habe. Alles aus Liebe zu Musik und Film.

Martin: Ich bin der Kopf eines transdisziplinären Kreativstudios im Bereich Architektur, Produkt und Sounddesign. „The Synthesis of the arts“, also die Verbindung unterschiedlicher Kunst und Ausdrucksformen zu einem großen Ganzen, war seit jeher mein Ding.

Severin: Ich habe meine Kindheit und Jugend im Musikstudio meines Vaters verbracht. Im Gegensatz zu Millers Mutter ist mein Dad ein großer Fan von Pink Floyd. Sein Gitarren-Sound hat mich genauso geprägt wie meine Ausbildung in klassischer Musik und Gesang. In meiner Heimat Bosnien hört und sieht man immer noch Lieder aus meinen zwei Solo-Alben im Radio und TV. Und das nach 25 Jahren, das ist völlig verrückt. Seitdem ich mit sechs Jahren zum ersten mal Vangelis gehört hatte, wusste ich, dass meine Zukunft die elektronische Musik ist.

Wie habt ihr euch kennengelernt bzw. wie ist DOD entstanden?

Miller: Ich weiß, man sieht es Martin und mir nicht an. Aber wir zwei waren schon in den 00er-Jahren als Doctors On Decks recht erfolgreich on Tour. Dann hatten wir unseren ganz persönlichen „Yoko-Ono-Moment“ mit einem letzten gemeinsamen Gig am Broadway in New York, von dem wir schon getrennt abgereist sind. Aber wir haben etwas geschafft, was die Beatles leider nie geschafft haben: Wir haben uns vor drei Jahren wieder zusammengetan und sind mit Severin Su jetzt nicht nur um einen Vollblutmusiker reicher, sondern können auch musikalisch und inhaltlich das umsetzen, was wir eigentlich schon immer wollten, aber was damals, schon rein technisch, noch nicht möglich gewesen wäre.

Wer ist bei euch für welchen Part verantwortlich?

Martin: Miller ist der Storyteller und Visual Artist, Severin der musikalische Genius und ich als Generalist und Konzeptionist versuche, alles zusammenzuführen und zu verbinden.

Eure Idee beschreibt ihr als „The Alchemy Of Sound + Vision“.

Miller: Durch unsere Backgrounds und unseren ganz eigenen Zugang möchten wir die Kombination aus Audio und Video immer weiterdenken. „Doctor“ sein, heißt, eine Art von Heilung zu verschaffen, aber nicht im klassisch medizinischen Sinn, sondern auf einer geistig-emotionalen Ebene, eben mit Sound und Vision. Nach einer unserer Shows gab es mal das Posting „Last night the Doctors saved my life“ – so etwas freut uns natürlich besonders (lacht).

Worum geht es beim „THE MINUS“-Projekt?

Miller: THE MINUS ist eine Science-Fiction-Geschichte über ein mysteriöses schwarzes Loch inmitten einer Megacity – und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft. Es geht dabei um aktuell relevante Themen unserer Zeit – die ein Stück weit in die Zukunft gedacht sind. Im Grunde ist THE MINUS auch ein multimediales Gesamtkunstwerk, an dem ich jetzt schon seit über zehn Jahren arbeite. Inzwischen sind es über 40 Künstler*innen aus den unterschiedlichsten Medien und Bereichen, die an dem Projekt mitgewirkt haben. Es ist eine Geschichte aus tausend Geschichten und eine ganz besondere davon wird mit unserem Konzeptalbum erzählt.

Wie lange habt ihr am Album gearbeitet und welche Momente habt ihr dabei durchlebt?

Miller: Blut, Schweiß und Tränen – wobei die Tränen Freudentränen waren – zumindest von meiner Seite.

Severin: Wir haben die letzten zwei Jahre schon sehr intensiv daran gearbeitet. Die musikalischen Kompositionen orientieren sich stark an der jeweiligen Handlung der Kurzgeschichten, deshalb ist das Ergebnis auch sehr vielschichtig.

Martin: Die Herausforderung war sicher, drei kreative Köpfe mit unterschiedlichen Zugängen unter einen Hut zu bringen. Das Highlight ist, denke ich, dass es als Gesamtkunstwerk auch mit dem Musikfilm „THE MINUS – A MUSIC MOTION PICTURE“ funktioniert und eigenständig ist.

Auf der LP gab es zahlreiche Kollaborationen, erzählt uns mehr dazu.

Martin: Der transdisziplinäre Gedanke ist sowohl im MINUS-Projekt als auch im Album Programm. Daher sind Kollaborationen die natürliche Folge.

Severin: Es war für mich sehr besonders, meinen Vater, der ja auch Musiker und Produzent ist, bei einem Track („Devil’s Door“) als Gitarristen dabei zu haben. Vor allem, weil er sich als Rock ’n‘ Roller mit elektronischer Musik eher schwertut. Anna Heimrath aka Anjosef ist eine Singer-Songwriterin mit einer wunderbar charakteristischen Stimme, die sich auch aus ihrem angestammten Genre hinausgewagt hat. Herausragend war aber auch die Kollaboration mit Chris#2 von der Pittsburgher Punkrock-Band Anti-Flag, den wir für den Protestsong „Rats“ gewinnen konnten und der Folgendes dazu geschrieben hat: “The ability for music to cross borders, languages, and culture is no shock to anyone … the exploitation of the poor, underprivileged and working class by the powerful is a universal truth as well. This collaboration with Doctors On Decks is a testament to both. People with varied backgrounds, from different cultures, thousands of miles of separation between them coming together to challenge the scapegoating, violence and that very same exploitation in song. We come from different places, have clearly different musical influences and backgrounds, but we sure as fuck can agree upon the power of art and music to change and shape people; armed with the belief that these people can tear down these structures of power and build a better world. We are the rats!”

Eure Live-Show ist ebenso beeindruckend wie das Konzept und euer Storytelling.

Miller: Es ist immer eine Reise – unsere Shows sind mehr wie ein Live-Konzert und haben mit einem klassischen DJ-Set eigentlich nichts mehr zu tun. Wir sind wie eine Band – wobei Martin hier so etwas wie die Rolle des Schlagzeugers übernimmt. Aber er ist auch gleichzeitig der Band-Leader, weil bei ihm alles zusammenläuft und er die Dramaturgie des Abends übernimmt. Ich versuche, die passende Geschichte dazu zu erzählen – über Video-Samples, die mit Audiospuren verbunden sind. Was man sieht, ist auch, was man hört. Severin performt alle Songs live mit seinem unvergleichlichen Falsetto-Gesang und spielt Synths. Keine Show gleicht der anderen – das macht es so spannend – auch für uns.

Das Album erscheint auf ZEHN, einem Label von Tube & Berger.

Martin: Marko Berger hat ein Preview unseres Albums bekommen und war sofort Feuer und Flamme. Man sagt, er habe es in der Badewanne lautstark gehört und mitgesungen. Für uns ist es wichtig, Menschen zu finden, die das Werk inhaltlich verstehen und emotional spüren können. Bei Marko und seinem Team bei ZEHN Records ist beides der Fall und war für uns genauso wichtig wie die menschliche Komponente, die ebenfalls passt.

Was ist für die kommenden Wochen und Monate geplant?

Miller: Wer sofort etwas von uns hören und sehen will, kann sich auf YouTube „THE MINUS – A MOTION MUSIC PICTURE“ ansehen, unser Konzeptalbum als durchgängigen 50-minütigen Film. Eine wilde Collage aus Arthouse meets Blockbuster. Neben Robert Finster, dem Hauptdarsteller aus der Netflix-Serie „Freud“ spielt unter anderem auch Stoya mit. Ein Adult-Film-Star aus New York. Nur leider musste ich für die YouTube-Version zwei Szenen mit ihr verpixeln (lacht).

Severin: Als Nächstes steht noch eine Album-Release-Show in New York auf dem Programm. Darauf freuen wir uns. Die Release-Shows in Düsseldorf und in Wien waren absolute Highlights in diesem Jahr. Dann sollte man die Augen und Ohren offen halten, für die alchemistischen Künste und heilende Wirkung der Doctors live on stage.

Aus dem FAZEmag 129/11.2022
Text: Triple P
Foto: Stefan Haider
www.instagram.com/doctorsondecks