Matthias Roeingh ist unbestritten eine Legende und für viele Techno-Fans auf der ganzen Welt der Inbegriff für Techno made in Germany. Wie kein anderer hat er sich um die Außendarstellung der Loveparade in Berlin gekümmert, deren Miteigentümer und Organisator er bis 2006 war. Zwar ist das Thema Loveparade abgeschlossen – die Idee einer Parade als Demonstrationswerkzeug für Friede, Freude und Eierkuchen ist es definitiv nicht. Rave The Planet ist der Name der neuen Parade von Dr. Motte, die in diesem Jahr das erste Mal über die Straßen Berlins führen wird. Und auch wenn wir uns anlässlich seiner Geburtstagsnachparty im Wedding getroffen haben, konnte ich natürlich das Thema Rave The Planet nicht aussparen.
Du feierst in einem Monat deinen runden Geburtstag im Rahmen eines großartigen Raves in der Arena der Gärten der Welt nach. Welche Erinnerungen hast du an deinen ersten DJ-Auftritt? Wo fand dieser statt und was hast du damals dafür erhalten?
Mein Runder war ja schon 2020. Wir wollten damals schon feiern. Dann kam die Pandemie und wir mussten die Party zwei Jahre hintereinander verschieben. Meinen ersten DJ-Auftritt hatte ich gefühlt vor mehr als 40 Jahren. Damals habe ich von überall Musik auf Kassetten aufgenommen. Diese habe ich neu editiert, auch auf Kassetten, und diese dann verkauft. Viele Freunde und Bekannte mochten meine abwechslungsreiche Musiksammlung und haben mich dann auch eingeladen, z.B. auf privaten Partys zu spielen. Das war für mich also immer etwas ganz Normales. Spannend war und ist bis heute für mich, wie die Zuhörer darauf reagieren, was ich spiele.
Bevor du DJ geworden bist, hast du dich schon anderweitig in Sachen Musik aktiv gezeigt. Du hast in diversen Bands gespielt, u.a. bei D.P.A. und Die Toten Piloten. Wann und wie hast du gemerkt, dass du dich gut durch und mit Musik ausdrücken kannst?
In den 1970ern habe ich mich immer sehr gerne in Jugendheimen in Spandau, wenn dort Tanzabende waren, auf der Tanzfläche wiedergefunden. Ich liebe es, mich zur Musik zu bewegen. Das tue ich auch heute noch. Meine Mutter hatte mir, als ich 16 Jahre alt war, auch ein Schlagzeug geschenkt. Ich hatte immer ein gutes Rhythmusgefühl. Dann kam irgendwann das Pearl Syncussion dazu. Ein Percussion-Synthesizer, den ich mir bitter zusammengespart habe. Als ich den zum ersten Mal sah, musste ich den haben … Der konnte sogar sich selbst adcilieren und sehr tiefe Bässe erzeugen. Damit habe ich mir dann auch schön die Lautsprecher geschrottet, grins.
Als DJ im noch geteilten Berlin hast du den Mauerfall in der ersten Reihe miterlebt. Was waren deine Gedanken zur Zeit des Mauerfalls und wie kann man sich Berlin nach der „Vereinigung“ als Nicht-Berliner vorstellen?
Den Unterschied empfand ich gar nicht so krass am Anfang. Wobei, vorher war dort alles kontrolliert und verboten. Dann war plötzlich alles offen. Das war spannend und eröffnete uns eine Stadt, die man gefühlt nie betreten konnte – direkt nebenan. Das war spannend. Direkt 1990 wurde ja das Kunsthaus Tacheles von Künstlern besetzt. Im Keller des Hauses hatten ein Kanadier und ein Australier eine Kunstinstallation aufgebaut. Dort gab es einen Raum mit schäbigen Lautsprechern, feuchten, gekachelten Wänden und eine minimale Beleuchtung. Da habe ich kraftvollen Techno aufgelegt. Das war sehr erfolgreich und für viele sehr wichtig, dabei zu sein. Ich war ja zweimal in der Woche im Hardwax und habe dort immer die neuesten Platten aus der ganzen Welt eingekauft … Das war wirklich mega. Später haben wir dann den „Planet“ eröffnet. Das war 1991.
Weit über die deutschen und europäischen Grenzen hinaus hast du Bekanntheit als Erfinder der Loveparade erhalten. Die erste Loveparade fand noch im geteilten Berlin statt. Wie bist du damals auf die Idee gekommen, diese politische Demonstration mit Musik zu verbinden?
Ich war inspiriert von Geschichten, die Freunde von mir aus England mitbrachten. Auch von Partys, die von der Polizei aufgelöst wurden. Es gab ja damals einen Anti-Rave-Act. Dann standen die Leute da, vor der Location, und begannen eine spontane Streetparty. Dieses Trotzige, diese RAVEolution, fand ich so inspirierend, das wollte ich damals nach (West-)Berlin bringen. Die Situation war ja hier total anders. Nach ein paar Tagen der Kontemplation kam ich dann auf einer Party, bei der ich spielte, auf die Idee. Quasi als kosmische Eingabe. Warum nicht einfach eine Demonstration anmelden und mit unserer Musik demonstrieren, für eine bessere Welt. Damals war das noch Acid-House. Ich hatte Erfahrungen von Demos, an denen ich teilgenommen hatte und daraus die Erkenntnis, dass es nichts bringt, immer nur gegen Missstände zu sein. Deswegen formulierten wir unsere Forderungen positiv. Friede, Freude, Eierkuchen: Friede, für Abrüstung auf allen Ebenen (auch zwischenmenschlich), Freude, für Musik als Mittel der Verständigung, und Eierkuchen, für eine gerechte Nahrungsmittelverteilung. Das war der Spirit. Alle, die das hörten, waren sofort Feuer und Flamme. Sechs Wochen später, am 1. Juli 1989, demonstrierten wir tanzend auf der ersten Loveparade. Das war wirklich etwas Besonderes, das ich nie vergessen werde. Danke an alle, die mitgeholfen haben und dabei gewesen sind.
In diesem Sommer findet zum ersten Mal deine neue eigene Parade namens Rave The Planet statt. Gib uns doch mal bitte einen Überblick. Wie sieht es aus mit der Planung, woher verläuft die Route, wer wird auflegen und so weiter?
Inzwischen ist die letzte echte Loveparade ja schon fast 20 Jahre her. Wir werden am zweiten Samstag im Juli, also dem 9. Juli 2022, die Geschichte des Loveparade-Spirits als Rave The Planet Parade, mit dem Motto „Together Again“ fortsetzen. Zurzeit mitten in der Vorbereitung, und reden mit sehr vielen Künstler*innen und Float-Anmelder*innen. Die Bewerbungsphase endet am 30. April. Danach werden wir uns alle Anmeldungen anschauen und die Bewerbungen gemeinsam mit einem Kulturbeirat bewerten. Diesmal haben wir uns ein Limit von 20 Trucks gesetzt, denn wir wollen erstmal etwas kleiner starten – back to the roots. Vieles hat sich geändert, seit der letzten Loveparade in Berlin, und natürlich auch nach Duisburg. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind andere und auch die Auflagen der Versammlungsbehörde. Das ist wirklich spannend. Da wir eine Demonstration angemeldet haben, müssen wir uns den Anforderungen und Auflagen anpassen. Die Versammlungsfreiheit ist zwar ein Grundrecht in Deutschland, doch das Versammlungsfreiheitsgesetz des Landes Berlins definiert Aufzüge und Kundgebungen genauer und schließt damit z.B. Kulturveranstaltungen erstmal aus. Eine Musikdemonstration ist aber mehr als das, und deshalb haben wir einen Forderungskatalog erarbeitet, der hier z.B. eine Gesetzesänderung einleiten soll.
Die Erwartungshaltung an die neue Parade ist sehr hoch. Wir haben feststellen können, dass sich wirklich nahezu alle unserer Leser freuen. Was kann man denn schon über die Route der Rave The Planet-Parade verraten?
Wir haben die Rave The Planet Parade als Demonstration angemeldet, für „Anerkennung und Erhalt der elektronischen Musikkultur als kulturelle Leistung“. Das Motto der Demo lautet „Together again“. Das ist uns sehr wichtig, weil es auch ein Gefühl ausdrückt, das viele haben. Außerdem ist uns der Aspekt des Friedens der Parade sehr wichtig, gerade jetzt. Wir haben es früher schon bewiesen und wollen das wieder: Alle Menschen können Freunde sein, wenn wir friedlich zusammen tanzen. Unsere Idee zur Route der Demo war, die beiden historischen Loveparade-Strecken miteinander zu verbinden. Deshalb starten wir am Ku’damm und enden an der Siegessäule, mit einer Abschlusskundgebung. Wir freuen uns auf eine wunderbare, bunte und vielfältige Parade.
Bei der Loveparade gab es immer eine Hymne, die recht programmatisch auf das jeweilige Motto zugeschnitten war. Wird es zu Rave The Planet auch eine Hymne geben und wenn ja, wann erscheint sie und von wem wurde sie produziert?
Wir haben ja schon letztes Jahr regelmäßig Musik mit unserer „Supporter Series“ veröffentlicht. Dafür haben Künstler*innen Tracks an uns gespendet. Unsere Vorgabe war: „Wenn es nur einen einzigen Titel von dir gäbe, der auf der Parade laufen dürfte, wie würde er klingen?“ Dann haben wir eben die Tracks erhalten, z.B. von Juliet Fox, von Ken Ishii, DJ Rush, Nakadia, Jam El Mar, Westbam, Paula Cazenave und noch so einigen. Dann haben wir aber einen Track erhalten, der uns so dermaßen umgehauen hat, dass uns allen sofort klar war, dass das Ding das Potenzial zur Hymne hat. Es heißt „Rave The Planet“ und wird, glaub ich, Ende Mai veröffentlicht. Die beiden Künstler, die ihn uns gespendet haben, sind schon lange Supporter, aber wer sie sind, das werde ich jetzt hier noch nicht verraten. Lasst euch überraschen.
Am 4. Juni feierst du deinen 60. Geburtstag im Rahmen eines großartig besetzten Raves nach. Wieso hast du dir genau diese DJs als Begleitung ausgesucht?
Mein Team und ich haben uns zusammengesetzt und diskutiert, wie wir es machen wollen und wen wir als Live-Acts und DJs dabei haben wollen. Ich habe mir natürlich auch ein paar langjährige Begleiter*innen eingeladen, wie z.B. Gabriel Le Mar, Industrialyzer und Rush. Dann sind auch Artists dabei, die ich erst in den letzten Jahren persönlich kennen- und schätzen gelernt habe, wie z.B. Nakadia, Franca und Saytek. Vielfalt und auch Internationalität waren nebenbei auch zwei Kriterien. Ich denke, das haben wir ganz gut hingekriegt.
Worauf dürfen sich die Gäste deiner Geburtstagsparty freuen?
Ich finde alle Acts toll und auch musikalisch abwechslungsreich. Ich werde natürlich das Final-Set spielen. Wir sind außerdem Fans der Gärten der Welt Berlin und fanden die schöne Open-Air-Arena schon immer einen guten Ort, an dem wir mal was machen wollten. Dort meinen Geburtstag endlich feiern zu können, finde ich einfach toll. Auch freu ich mich auf die Deko von Stellmacher&Jensen. Die kennt man ja gut in der Szene, z.B. von Festivals wie SonneMondSterne, Echelon, Nature One oder auch aus Kult-Clubs wie dem Omen in Frankfurt oder dem Stammheim in Kassel. Nicht zuletzt natürlich auch von der Loveparade. Ach, das wird ein schöner Tag an einem wunderschönen Ort. Kommt vorbei und lasst uns in der Sonne tanzen.
Vor Kurzem wurde in Frankfurt am Main das MOMEM eröffnet. Was ist deine Meinung dazu? Die Reaktionen waren ja sehr geteilt.
Von der Kritik bekomme ich hier nichts mit. Ich kenne Alex und Talla ja schon sehr lange. Sie haben Ausdauer bewiesen und ein Konzept, trotz aller Schwierigkeiten, umgesetzt. Das sollte unbedingt anerkannt und gewürdigt werden. Schön, dass das MOMEM jetzt eröffnet hat. Herzlichen Glückwunsch! Ich finde auch die Idee, dass es ein lebendiger Ort sein soll, der auch für Veranstaltungen zur Verfügung steht, sehr gut. Es ist wichtig, dass wir das, was wir als elektronische Musikkultur aufgebaut haben, an die folgenden Generationen weitergeben. Denn das ist es, was wir als guten Spirit weitergeben. Love, Peace, Unity, Respect, Diversity und Togetherness.
Wir hoffen alle, dass die Rave The Planet Parade ein großer Erfolg wird. Wenn es so kommt, wie sieht dann der Plan für die kommenden Jahre aus?
Eins nach dem anderen. Wir werden jetzt erst einmal diese erste Rave The Planet Parade „Together Again“ am 9. Juli in Berlin umsetzen. Wir stellen uns eine nachhaltige Parade vor, mit wunderbaren Floats (so nennen wir die Musiktrucks) und Leuten, die sich auf der Parade wohl fühlen. Danach gehen wir in die Nachbereitung und schauen, was es für Learnings gibt und wie wir weitermachen. Es liegt ja am Ende an jedem und jeder einzelnen Person, die an der Parade teilnimmt, was daraus wird. Wir bieten nur die Plattform und organisieren die Demo. Was die Kulturschaffenden und die Teilnehmenden daraus machen, für sich mitnehmen und sie weiterentwickeln, das können und wollen wir nicht bestimmen. Dann kommt für 2023 genug Arbeit auf uns zu. Vor allem die Finanzierung wird eine Herausforderung bleiben, denn Rave The Planet ist eine gemeinnützige Organisation, die sich derzeit fast ausschließlich durch Spenden finanziert. Unsere Geschäftsführer arbeiten sogar ehrenamtlich. Deshalb auch an dieser Stelle nochmal ein Spendenaufruf: Wenn ihr gut findet, was wir tun und wir das auch in Zukunft weiter tun sollen, dann unterstützt uns bitte mit einer Spende. Gerne auch regelmäßig, z.B. als monatliche Zuwendung. Alle Infos dazu findet ihr auf unserer Website: www.ravetheplanet.com
Vielen Dank für eure Unterstützung und auch ein großes Dankeschön an die FAZE-Redaktion, die uns als Medienpartner bei der Parade supportet. Let’s rave the planet – TOGETHER AGAIN!
Aus dem FAZEmag 123/05.22
Text: Sven Schäfer
Credit: Petrov Ahner