„Unperfektion“ – nicht dem Ideal entsprechen, aus der Masse hervorstechen. Mit Emmerich am Rhein verbinden die meisten wohl am ehesten den Formel-1-Rennfahrer Nico Hülkenberg. Auf ganz anderer Baustelle werkelt ein weiterer Einwohner der niederrheinischen Hansestadt und drängt sich Schritt für Schritt in den Fokus. Mit Vollgas und nahezu ungebremst schießt der Name Drumcomplex durch die Technoszene und mischt so ziemlich alle wichtigen Line-ups auf, die man sich nur denken kann. Von Nature One über Dockyard bis zum Space auf Ibiza – der Mann hat einen vollen Terminkalender, nimmt sich aber trotzdem jede Menge Zeit für Sport und Projekte wie das Shelterwood Festival, sein eigenes Label Complexed Records oder eben sein erstes Soloalbum. Wir haben mit Arnd Reichow über sein Label, sein Album und diverse andere Dinge gesprochen und gefragt, woher er all die Motivation nimmt.
Woher nimmst du nach einem langen und intensiven Wochenende die Energie fürs Sportstudio und wie findest du eine Balance zwischen Sport, Musik und Privatleben?
Sport war und ist für mich schon von Kindheit an absolut wichtig. Ich tanke aus dem Ganzen sehr viel mentale wie physische Energie, die ich für meine diversen Projekte auch benötige. Ich fühle mich einfach ausgeglichener und aktiver. Viele Freunde fragen mich auch des Öfteren, wo ich diesen Elan hernehme. Ich bin schon einfach hoch energetisch veranlagt.
Du hast am 16. August im legendären Space auf Ibiza gespielt und arbeitest auch ziemlich eng mit Carl Cox zusammen. Wie kam es zu eurer Begegnung und wie hast du dich auf diesen ganz speziellen Gig vorbereitet?
Roel Salemink, mit dem ich diverse Releases auf Carls und Jons Label Intec hatte – u. a. unser Album „Crossing Borders“ 2014 –, stand seit ein paar Jahren eng in Kontakt mit Eric Powell von Bush Records, der ein sehr guter Freund von Carl ist. Auf der Time Warp 2013 in Mannheim spielte Carl einen Remix von uns, der auf Bush erschienen ist, und so war das Interesse geweckt. Das erste Demo wurde direkt auf Intec gesignt und die Story nahm ihren Lauf. Wir haben Carl im Februar im Zuge unserer Tour in Australien besucht und unseren Kontakt verfestigt.
Wir haben das ganze Jahr an der Konzeptionierung und Umsetzung gefeilt und die letzten Wochen das Ganze ausgiebig im Studio eingespielt. Wir sind stolz und dankbar dafür, in Carls letzter Saison im Space gespielt haben zu dürfen – es war großartig.
Dein eigenes Label Complexed Records listet sehr bekannte Künstler wie Alexander Kowalski, Pierre Deutschmann oder Nikola Gala. Wie viel Arbeit steckt in dem Label und was erwartet uns da in naher Zukunft?
Die Entwicklung seit der Gründung des Labels im Jahr 2014 macht mich schon echt stolz und ich bin sehr froh, mit so vielen Künstlern, die ich sehr respektiere, zusammenzuarbeiten. Ganz besonders hervorheben möchte ich Kevin de Vries, den ich 2014 als unbekannten Act gesignt habe, der jetzt auf Drumcode releast und Support von diversen Größen wie Sven Väth oder Adam Beyer bekommt. Gemeinsam mit Kevin haben wir die letzten Monate massiv Aufbauarbeit betrieben und das Label etabliert. Zudem arbeiten wir in der Promotion eng mit PullProxy aus Berlin zusammen. Carola, Dina und das ganze Team machen einen Megajob. Ende des letzten Jahres haben wir uns auch entschieden, das Artwork zu ändern, um dem künstlerischen Anspruch auch im digitalen Zeitalter gerecht zu werden, und haben mit Theo Hillmann von Invitro Color aus Berlin einen festen Bestandteil unseres Gesamtkonzepts gefunden. Die nächsten Releases sind schon geplant und ich freue mich sehr auf geile EPs von Wex10 und Kevin de Vries sowie auf mein erstes Soloalbum, das im Oktober erscheinen wird.
Warum gerade jetzt dein erstes Soloalbum? Und hast du beim Produzieren ein bestimmtes Konzept verfolgt oder war dir eher die Clubtauglichkeit wichtig?
Das Thema schwirrte mir schon seit der Gründung von Drumcomplex im Jahr 2003 im Kopf herum und, ich denke, für viele Künstler ist ein Album auch ein gewisser Meilenstein. Die erste Erfahrung mit einem „Full length“-Album hatten wir vor zwei Jahren, als wir als Drumcomplex & Roel Salemink „Crossing Borders“ auf Intec releast haben. Jetzt war auch die Zeit da, das umzusetzen, da ich mich Ende 2015 dazu entschieden habe, meinen Job als Disponent an den Nagel zu hängen und mich komplett der Musik zu widmen. Zusammen mit meinem Bruder Daniel haben wir das Ganze in sechs Monaten verwirklicht. Daniel ist meine bessere Hälfte, der aber immer im Hintergrund bleiben möchte. Vom Workflow sah es so aus, dass ich die meisten Tracks in meinem Homestudio entstehen ließ und wir danach zum Abmischen alles in Daniels Studio umgesetzt haben. Meist haben wir gleichzeitig gearbeitet. Er mischte und ich schrieb die Titel und arrangierte alles. Clubtauglichkeit war uns absolut wichtig, wobei für uns auch ein gewisser Facettenreichtum an technoider Musik wichtig war.
Warum veröffentlichst du das Album auf deinem eigenen Label und wie wird es vertrieben?
Mir war von Anfang an klar: Das Projekt machst du auf deinem Label. Klar, man trägt alle Investitionskosten, aber ich brauche auch niemanden zu fragen, wenn ich Dinge umsetzen oder lenken will. Mit Warner Music/Zebralution haben wir einen der weltweit besten Vertriebe gefunden und sind echt stolz drauf, einen so starken Partner zu haben. Das Album wird auf Vinyl und digital zu haben sein. Meine Booking-Agentur Blakksheep arbeitet gerade an der Album-Tour und wir haben schon einen ordentlichen Tourplan erarbeitet, wozu ich aber im Moment noch nichts Näheres sagen kann und möchte.
Wie kam es zum Album-Titel und zu den Namen der einzelnen Tracks? Und haben diese eine spezielle Bedeutung?
„Perfection Is In The Imperfection“ basiert auf dem japanischen Konzept Wabi-Sabi, welches die Wahrnehmung von Schönheit widerspiegelt. Ich bin sehr verbunden mit der alten japanischen Tradition und auch ein spiritueller Mensch. Die einzelnen Tracktitel stammen aus verschiedenen Mythologien.
Wie kann man sich Drumcomplex im Studio vorstellen? Entstehen die Tracks eher durch zufälliges Probieren oder hast du Ideen im Kopf, die du gezielt umsetzt?
Es kommt selten vor, dass ich eine Idee habe, wenn ich loslege. Alles entsteht durch Ausprobieren und oft zufällig. Alle Tracks entstehen bei mir auf MacBook und Monitoren von Yamaha. Als Software benutze ich Ableton. Ich habe mich über die Jahre sehr damit angefreundet und kann Ideen und Arrangements sehr schnell umsetzen. Ich arbeite viel mit VST-Synths wie dem Arturia und dem Native Instrument Bundle. Im Effekt-Bereich habe ich mir das Soundtoys Bundle zugelegt – gerade der Echo Boy hat es mir angetan. Alles wird somit digital entworfen. Wenn der Track steht, rendere ich alle Parts einzeln über die Masterspur und wir importieren sie bei meinem Bruder im Studio in Cubase, wo dann der Mix entsteht. Da arbeiten wir dann mit diversen Hardware-Geräten wie dem Distressor, SSL Compressor (Clone) und einem Tube Warmer, also einem Gerät mit echter Röhre, um den Sound analoger und cremiger zu gestalten. Unser Studio liegt in einem Außenbezirk meiner Heimatstadt Emmerich. Wir haben dort vor Jahren einen alten Pferdestall umgebaut und auf ca. 80 qm ordentlich Platz gefunden. Regieraum, Aufnahmeraum für Gesang, Küche und WC – alles ist vorhanden, um lange Studio-Sessions so komfortabel wie möglich zu machen.
Was können wir in absehbarer Zeit von dir erwarten?
Releasetechnisch werde ich jetzt erst einmal runterfahren, damit wir das Album wirken lassen können. Kevin de Vries und ich werden Ende des Jahres zusammen ins Studio gehen und unsere erste gemeinsame EP produzieren. Des Weiteren wird es 2017 wieder Releases als Drumcomplex & Roel Salemink auf Intec und Bush Records geben. Und, wie schon angesprochen, laufen die Vorbereitungen für die Album-Tour, auf die ich mich sehr freue.
Aus dem FAZEmag 055
Text: Michael Schwarz
Foto: Daniel Reichow
www.drumcomplex.de