Dustin Zahn – Reinkarnation

Credit: Marie Staggat

Der Zahn ist gezogen. Nach seinem 2014er-Album “Monoliths” (erschienen auf Drumcode) kämpfte sich der Amerikaner Dustin Zahn durch eine schwere Zeit mit vielen Rückschlägen. Doch es scheint, als sei der Mann aus Minneapolis endgültig zurück zu alter Stärke gelangt, was er uns nun mit seinem Langspieler “Gain of Function” auf Rekids eindrucksvoll zur Schau stellt. Im Gespräch erzählt Dustin Zahn von der isolierten Underground-Szene in seiner Heimat, seinen denkwürdigen Marathon-Sets und natürlich “Gain of Function”.

Hallo, Dustin. Schön, dich bei uns begrüßen zu dürfen und herzlichen Glückwunsch zum neuen Album. Beschreib uns “Gain of Function” doch einmal – wie sagt man doch so schön – “in a nutshell”. Wie lässt es sich in den allgemeinen Techno-Kontext einordnen?

Ich würde es als “Party-Techno” bezeichnen. Das mag generisch klingen, aber so ist es nun einmal. Einflüsse stammen zwar insbesondere vom Detroit-Techno und aus der House-Musik, einordnen lässt sich das Album jedoch in keines dieser beiden Genres. Dafür klingt es einfach zu europäisch.

Auf der LP kanalisierst du den groovigen Techno der späten 90er- und frühen 00er-Jahre. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Zu dieser Zeit war ich hin und wieder in Europa auf Tour. In den USA konnte ich damals gelegentlich europäische Acts erleben, aber eher selten. Trotz der Anschläge vom 11. September 2001, die unsere Branche ein wenig zerstörten, war die Szene stets optimistisch. Vieles von diesem frühen tribalistischen Party-Techno hat mein Album inspiriert, aber um ehrlich zu sein, wurde dieser Sound schnell verfälscht. Einen Moment lang waren Leute wie Marco Carola, Jeff Mills und Ben Sims total angesagt, danach gab es einen riesigen Haufen Congo-Bongo-Primaten-Bullshit. Das war so übertrieben, dass ich glaube, dass dies ein Grund war, warum die Leute so schnell auf Minimal Techno umgeschwenkt sind.

Dein erstes Album “Monoliths” erschien 2014. Wie kommt es, dass du so lange für eine weitere LP benötigt hast?

Nach “Monoliths” war ich zwei Jahre ununterbrochen auf Tour, und als ich nach Hause kam, begann erst einmal eine schwere Zeit: Ich verließ Drumcode, hatte Steuerprobleme und trennte mich von meiner Freundin. Meine Mutter starb und mein Vermieter forderte meine Wohnung für seine Familie zurück. Die Folgen waren schwere Depressionen, wodurch meine Techno-Karriere sehr gelitten hatte und ich entsprechend keine Muße für ein weiteres Album aufbringen konnte. Heute geht es mir aber wieder viel besser und ich konnte meine Produktivität und Kreativität neu entfachen.

Wenn wir “Monoliths” mit “Gain of Function” vergleichen, was hat sich geändert?

“Monoliths” konzentrierte sich hauptsächlich auf Big-Room-Peaktime-Vibes. “Gain of Function” hingegen auf einen tieferen, groovigeren Sound, der viel wärmer und harmonischer ist … mit viel weniger Betonung auf Big Room. Bei “Gain of Function” sind die Tracks außerdem weitaus spontaner entstanden. Fast jedes Stück ist ein mit mehreren Spuren versehener Live-Jam, der komplett aus Hardware-Elementen besteht. Ich habe nur einige kleinere Edits und bessere Mixdowns in der Nachbearbeitung vorgenommen.

Hast du einen persönlichen Favoriten auf “Gain of Function”?

Vielleicht “Tangie Groove” oder “Smoking in Silence”. Beide sind supervibey und gerade “Smoking in Silence” erzeugt bei mir dieses wunderbare Bild im Kopf, wo man auf dem Dancefloor steht und gerade die Sonne aufgeht. Keiner redet und jeder ist komplett im Modus.

Was für ein Gear finden wir bei dir im Studio?

Ich benutze unter anderem den Novation Peak und eine Jomox-Drummachine. Darüber hinaus habe ich einige Dave-Smith-Synths (Pro2, Prophet 08, Evolver), einen Elektron RYTM, eine Midas-Konsole, diverse UAD-Hardware, weitere Synths und haufenweise Guitar-Pedals. Ich könnte die Liste jetzt noch weiterführen, aber das wäre zu viel.

Das Album ist auf Radio Slaves Rekids-Imprint erschienen, wo du bereits 2018 die “Take The Throne”-EP releast hast. Wie ist es zur erneuten Kollabo gekommen und wie ist deine Connection zu Matt?

2007 oder 2008 habe ich ihn mal für einen Gig gebucht und ihm eine Demo mitgegeben. Seither ist eine Freundschaft entstanden, die sich durch meinen Umzug nach Berlin gefestigt hat. Rekids hat mir etwa zur gleichen Zeit wie Drumcode einen Plattenvertrag angeboten, aber ich hatte damals nicht das Gefühl, dass meine Musik zu Rekids passt. Ganz anders jetzt: “Gain of Function” kann ich mir auf keinem anderen Label als Rekids vorstellen.

Du hast immer noch einen großen Einfluss auf die Underground-Szene von Minneapolis – der Stadt, die dich großgezogen hat. Erzähl uns doch etwas darüber.

Durch Rave-Partys in den 90er-Jahren bin ich zum ersten Mal in Kontakt mit der Szene der Stadt getreten. Durch die Ungenauigkeit der Mainstream-Medien und Geschichtsrevision wird den Leuten dort oft weisgemacht, dass elektronische Musik erst in den späten 00er-Jahren aufkam, als EDM zum Trend wurde. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Es gab früher jedes Wochenende haufenweise elektronische Partys, auf denen Tausende Kids mit herausquellenden Augäpfeln herumliefen, mit Leuchtstäben herumfuchtelten und Kicks für Jesus austeilten.

Minneapolis liegt umgangssprachlich am Arsch der Welt, was Vor- und Nachteile hat. Die Stadt kann ihren Musikgeschmack ohne allzu große Einflüsse aus der Außenwelt entwickeln, wodurch ihr eine Menge an unschönen Trends erspart bleibt. Gleichzeitig verpasst man dadurch aber auch viele coole Sachen.
Meine Connection zu Minneapolis ist immer noch sehr stark, weil dort viele meiner Freund*innen leben. Entsprechend veranstalte ich auch noch regelmäßig Events. Witzig ist, dass ich die Stadt damals aus karrieretechnischen Gründen verließ und jetzt das Gefühl habe, dass Berlins Industriepolitik meine Entwicklung eher hemmt als fördert, während Minneapolis sich zu einem künstlerischen Zentrum entwickelt, das mich mehr inspiriert als die deutsche Hauptstadt.

2005/2006 ging es dann also nach Berlin. Wie ist es dir dort anfangs ergangen? Kannst du dich noch an deinen ersten Gig erinnern?

Als ich in Berlin ankam, war ich aufgrund des 2000er-Minimal-Techno zunächst etwas desillusioniert, da ich den hedonistischen Vibe der 90er-Jahre vermisste. Abhilfe schaffte dann mein Freund Gabe Palomo, der sagte: “Ich kenne dich zu gut. Du musst dir das Berghain ansehen. Das ist ein neuer Club, der unglaublich ist. Das Problem ist nur, dass es schwer ist, da reinzukommen, und die Taxis finden es nicht so leicht. Ich zeichne dir eine Karte.” Kein Scherz!

Aber wie auch immer, ich kam rein und Steve Rachmad spielte. Mehr werde ich nicht sagen, denn ich befolge die Regel, keine Geschichten aus dem Club zu erzählen. Ich kann aber sagen, dass es alles war, wonach ich gesucht hatte. Das hat mir den Glauben gegeben, dass ich weitermachen muss und dass andere Leute das Gleiche fühlen. Meinen ersten Gig hatte ich in einem alten Club namens Maria. Die Party wurde damals von Beroshima organisiert. Joris Voorn war auch dabei. Es war spitze.

Minneapolis im Bundesstaat Minnesota … Ich muss da immer an das Film-Meisterwerk “Fargo” und die gleichnamige Serie denken, einfach großartig. Sind die Menschen dort wirklich so stereotyp, wie in “Fargo” dargestellt?

Der Film war unglaublich, und die Serie ist auch klasse. Natürlich wird dort alles noch ein wenig überspitzter dargestellt, aber im Kern ist das schon zutreffend. Ich bin in dieser Region aufgewachsen, und mein Stiefvater war Anwalt. Dort gibt es keine schlauen Verbrecher. Mord oder schwere Verbrechen sind in dieser Gegend sehr selten, aber wenn es passiert, ist es genauso lächerlich wie im Film oder in der ersten Staffel der Serie. Und jetzt kommt die Ironie: In Minnesota spricht eigentlich niemand mit diesem Akzent. Er stammt aus Ober-Michigan, wo ich ursprünglich herkomme. Nach meinem Umzug nach Minneapolis habe ich hart daran gearbeitet, ihn loszuwerden. Ich dachte, es sei mir ganz gut gelungen, bis ich nach Europa zog und mich alle wegen meines Akzents fragten, woher ich stamme. Sie nahmen an, ich käme aus Kanada oder – wegen Drumcode – aus Stockholm.

Was machst du sonst gerne in deiner Freizeit? Irgendwelche besonderen Aktivitäten?

Durch die Pandemie konnte ich meine Kochkünste verbessern. Außerdem interessiere ich mich nun viel mehr für sozialen Aktivismus. Als meine Freundin und ich während des Lockdowns in Berlin festsaßen, entschieden wir uns, einen Roadtrip abseits von Städten zu machen. Das war eine tolle Erfahrung und obwohl keiner von uns versucht hat, sich umzubringen, wären wir ein paar Mal fast gestorben. Vermeidet auf jeden Fall streunende Hunderudel und schlechtes Wetter in den Bergen. 

So langsam kehrt das kulturelle Leben zur Normalität zurück, wenn auch mit angezogener Handbremse und einem mulmigen Gefühl im Magen aufgrund der wieder einmal ansteigenden Zahlen. Wie sieht dein Terminkalender derzeit aus?

Ich muss sagen, dass ich mich schon vor der Pandemie ausgebrannt fühlte und zeitweise sogar überlegte, das DJing an den Nagel zu hängen. Seit Sommer habe ich wieder ein paar Auftritte gehabt, ohne jedoch vollständig überzeugt gewesen zu sein. Für das Auflegen bezahlt zu werden, ist schön und gut, aber all die damit verknüpfte Arbeit bringt diese Zen-Stimmung, für die ich so hart gearbeitet habe, durcheinander. Ich habe keinen Manager und bin deshalb auf mich allein gestellt, was nicht selten zu Existenzkrisen führt. Um in der heutigen Branche einen vollen Terminkalender aufrechterhalten zu können, muss man fast immer ein zwanghaftes Ego haben, und nach 20 Jahren des Auflegens evaluiere ich nun, ob ich einen Weg finden kann, damit mental zu koexistieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das die Art Mensch ist, die ich sein möchte. Wenn ich auf Tour gehen kann, ohne ein “Konkurrent” sein zu müssen, dann könnte ich ewig weitermachen. Ich liebe das Abenteuer, aber ich liebe nicht die egoistische Person, die ich dadurch bin.

So manch eine und einer von uns kann sich sicherlich noch an deine ikonischen Marathon-Sets, beispielsweise im Berghain, erinnern. Was war die längste Zeit, die du am Stück hinter den Playern standest und wie bereitet man sich für so ein Marathon-Set vor?

Ganz genau weiß ich das nicht mehr, aber ich schätze, es müssten so zwölf bis 14 Stunden gewesen sein. Die einzige spezielle Vorbereitung, die ich treffe, ist die Wahl eines übergreifenden Themas für jedes Set. Das kann sehr variabel sein. Mal ist so ein Set von schonungslosem puristischem Techno geprägt, mal experimentiere ich mit drastischen Tempowechseln und mal versuche ich, einen melancholischen Traumzustand-Vibe zu erreichen. Meist bin ich nach ein paar Stunden komplett im Film und wähle die Tracks nicht einmal mehr bewusst aus. Ich merke, dass ich alle vier Decks am Laufen habe und im Kopf schon ein paar Tracks weiter bin. Es scheint auf einer unterbewussten Ebene zu passieren und ich kann stundenlang in diesem Zustand bleiben. Wie verrückt ist das denn?

Wie sehen die Pläne mit deinem eigenen Label Enemy Records aus?

Der Plan ist, das Feuer am Brennen zu halten. Das Label war schon immer darauf bedacht, neue Künstler*innen zu supporten und 2022 wird es nicht anders sein. Ich habe seit fast zwei Jahren eine Platte von Rene Wise vorliegen, die durch die Entwicklungshölle gegangen ist (Covid, Verzögerungen beim Pressen etc.). Das ist als Nächstes dran, zusammen mit Musik von Marcal, einer ZAHN & Z.I.P.P.O-EP und auch VIL steht mit einem Release bereit. Dazu gesellen sich Biemsix, Nastia Reigel und weitere. Es ist alles sehr aufregend. Zusammen mit meinen Partnern bei Intellephunk habe ich das Label auch genutzt, um ein neues Anti-Festival namens „The Great Beyond“ zu starten, das sich auf die psychedelische Seite von House und Techno konzentriert.

“Gain of Function” ist am 26. November auf Rekids erschienen.

Aus dem FAZEmag 118/12.21
Text: Milan Trame
Credit: Marie Staggat
www.enemyrecords.com