Eine Legende erhält ihren verdienten Tribut – Alva Noto über Ryuichi Sakamoto

Foto: Zakkubalan

Ryuichi Sakamoto! Die japanische Komponisten- und Produzentenlegende wird in diesem Jahr 70 Jahre alt und erhält in Form der Tributsammlung „A Tribute To Ryuichi Sakamoto – To The Moon And Back“ ein angemessenes Geschenk seitens des kalifornischen Labels Milan Records, das eine Sammlung von Songs aus seinem umfangreichen Schaffen – neu bearbeitet von langjährigen Weggefährt*innen der Koryphäe – auf den Markt bringt. Mit dabei sind unter anderem Reworks von Thundercat, Devonté Hynes, Hildur Guðnadóttir, The Cinematic Orchestra, David Sylvian und Carsten Nicolai alias Alva Noto, mit dem Sakamoto einst den ikonischen Soundtrack zum Oscar-prämierten Leonardo-Di-Caprio-Film „The Revenant“ komponierte. Wir haben Carsten Nicolai zu seiner Zusammenarbeit mit dem Großmeister befragt und erzählen euch mehr zum Rework-Album.

Hallo, Carsten. Erzähl uns doch etwas über deinen persönlichen Bezug zu Ryuichi Sakamoto. Woher kennt ihr euch?

Zum ersten Mal getroffen haben wir uns 1997, als ich meinen ersten Solo-Auftritt in Japan, Tokio, absolvierte. Er war offenbar sehr interessiert an meiner Musik und so wurde ich ihm im Anschluss an das Konzert vorgestellt. Sakamoto fragte mich, ob ich nicht einen Remix zu seinem Bossa-Nova-Album beisteuern wolle, das sich zu jenem Zeitpunkt in Produktion befand. Diese Offerte konnte ich natürlich nicht ablehnen, also machte ich mich an die Arbeit. Er war sehr angetan von der Art und Weise, wie ich seine Stücke behandelte und ließ mir dann im Laufe der Zeit immer wieder Material zukommen, dessen ich mich selbstverständlich annahm. Es folgten etliche Kollaborationen zwischen uns und schließlich eine wunderbare Freundschaft, die wir bis heute innig pflegen.

Was fasziniert dich an ihm?

Ich denke, seine größte Fähigkeit ist, dass er so unfassbar aufgeschlossen und weltoffen ist – natürlich allen voran in Bezug auf die Musik. Ryuichi hat keine Angst davor, neue Territorien zu betreten und sein künstlerisches Verständnis dort zu etablieren. Trotz der Emotionalität in seinen Werken, die einen wirklich tief in der Seele berühren, besitzt er eine unglaublich klare sowie fokussierte Sicht auf die Dinge und schafft es immer wieder, avantgardistische und innovative Ideen zu kreieren und umzusetzen. Ryuichi ist stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen – und das liebe ich an ihm.

Weltbekannt ist der gemeinsam von euch produzierte Soundtrack zu „The Revenant“. Wie ist die Komposition entstanden und welche Idee habt ihr hierfür verfolgt? Gab es Vorgaben?

Ich bin erst relativ spät in das Projekt eingestiegen. Die meisten Tracks waren zu diesem Zeitpunkt bereits komponiert, jedoch noch nicht aufgenommen worden. Ryuichi musste dann eine Weile pausieren, weil er Verpflichtungen in Japan hatte und sich zudem von seiner ersten Krebstherapie erholte. Er konnte also nicht persönlich mit dem Filmteam rund um Sound-Editor Martín Hernández und Regisseur Alejandro González Iñárritu interagieren, sodass ich schließlich in Los Angeles zu ihnen stieß. Seitens Iñárritu gab es eine klare Vision vom Score. Wir hatten lange und intensive Konversationen über die Verwirklichung des Spirits des Soundtracks. All das war eine sehr schöne und unglaublich spannende Zeit für mich und Ryuichi hat sich während dieser für ihn schwierigen Phase stark von uns supportet gefühlt.

Zum Remix-Album steuerst du ein Alva-Noto-Remodel zu „The Sheltering Sky“ bei. Wie kam es zu dieser Auswahl und welche Herangehensweise hast du für das Rework gewählt?

„The Sheltering Sky“ war für mich schon immer ein ganz besonderes, wunderschönes Stück, das mich sehr berührt und mit dem ich mich beispielsweise auch während unserer Live-Improvisationen viel beschäftigte. Für das Rework habe ich quasi alles über den Haufen geworfen und habe bei Null angefangen. Ich war sehr auf die kleinen Details fokussiert, sodass meine Version eine sehr persönliche Angelegenheit wurde.

Soviel also zu Carsten Nicolai alias Alva Noto und seinem Beitrag zu diesem fantastischen Rework-Album, das Künstler*innen verschiedener Generationen und Genres vereint, mit denen Sakamoto seinen 1978 (mit seinem Debütalbum „A Thousand Knives“) angetretenen Karrierepfad seither glorreich beschreitet. Den Titeltrack eben jener Debüt-LP nahm sich etwa der amerikanische Bassist und Produzent Thundercat zur Brust, um das Synthpop-Instrumentalstück kurzerhand in eine sanfte Funk-Soul-Ballade mit R&B-Vocals zu verwandeln. Mit von der Partie sind außerdem der Singer-Songwriter Devonté Hynes, die isländische Cellistin und Komponistin Hildur Guðnadóttir sowie einige von Sakamotos persönlichen Lieblingsmusiker*innen, wie etwa Lim Giong, Gabrial Wek und 404.zero, der übrigens ein sensationelles Remodel zum „The Revenant“-Main-Theme fabriziert hat.

Die Besonderheit von „Tribute To The Moon“ macht aber nicht nur die hochqualitative Bandbreite an mitwirkenden Künstlern und Künstlerinnen aus, sondern auch der Fakt, dass jeder Artist seinen ganz persönlichen Wunschtrack aus Sakamotos umfangreichem Werkkatalog wählen durfte, sodass eine Sammlung entstand, die die zahlreichen Aspekte seiner unvergleichlichen Laufbahn umfänglich und angemessen widerspiegelt – von der erstaunlichen Klangvielfalt seines Repertoires bis zum anhaltenden Einfluss seines Oeuvres auf zeitgenössische Interpret*innen mit unterschiedlichstem Background. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag, Ryuichi Sakamoto – und auf viele weitere Jahre mit Ihnen!

Über Ryuichi Sakamoto: Ryuichi Sakamoto, geboren 1952 in Tokio, ist ein Komponist, Produzent, Künstler und Umweltaktivist. Er bewegt sich zwischen den verschiedensten musikalischen Stilrichtungen – von Jazz bis hin zu Neo-Klassik und (Avantgarde-)Pop – und komponierte darüber hinaus eine Vielzahl bahnbrechender elektronischer Stücke, die er mit der legendären Techno-Gruppe Yellow Magic Orchestra schuf. Parallel ist Sakamoto zudem in der Filmmusik aktiv, wo er fast 40 Soundtracks zu Filmen von Bernardo Bertolucci, Pedro Almodóvar, Brian De Palma, Alejandro González Iñárritu und weiteren weltweit renommierten Regisseur*innen produzierte. Für seine Filmmusik ist er mehrfach prämiert worden, unter anderem mit einem Academy Award und zwei Golden Globes. Sakamoto gilt als engagierter Umweltaktivist und setzt sich für verschiedene Naturschutzprojekte, Anti-Atom-Initiativen und den Weltfrieden ein.

„A Tribute To Ryuichi Sakamoto – To The Moon And Back“ ist am 2. Dezember via Milan Records erschienen.

 

Aus dem FAZEmag 130/12.2022
Text: Hugo Slawien
Foto: Zakkubalan
www.sitesakamoto.com