
„Dìa“ – das ist das spanische Wort für den Tag und der Titel des kommenden, zweiten Longplayers von Ela Minus. Ihre Tage hat die kolumbianische Songwriterin, Produzentin und DJ, in den letzten Jahren an den verschiedensten Orten verbracht. Ob im Studio, in einer Berghütte auf dem Land, in europäischen Airbnb-Unterkünften oder im Hotelzimmer in Los Angeles – alle diese Orte hatten einen Einfluss auf das neue Werk. Das musikalische Resultat hält die Selbstentdeckungsreise von Ela Minus fest, während der sie physische Orte äußerlich auf der Suche nach ihrem Inneren durchdrungen hat. Von einem Akt des Nichtwissens, der Verwirrung und der Entwurzelung, hin zur Selbstfindung und der Erleuchtung des Tages – von einer authentischen Musikerin und einem ehrlichen Album mit hohen künstlerischen Ansprüchen.
Es ist zwar schon wieder etwas her, aber du bist beim Amsterdam Dance Event als Support-Act von Floating Points aufgetreten. Wie war es in Amsterdam und beim Auftritt? Wie war die Resonanz des Publikums?
Es war ein DJ-Set, keine Live-Performance, daher konnte ich nicht viel vom Album präsentieren. Dennoch habe ich ein paar Titel daraus gespielt und war positiv überrascht, wie gut das Publikum darauf reagierte. Normalerweise lege ich meine eigenen Tracks in DJ-Sets nicht auf, aber für diesen Anlass war es passend. Ich habe definitiv die Liebe im Raum gespürt.
Ela Minus live in Action:
@ela_minus BROKEN live in NYC last month #electronicmusic #ontour
Wen hast du beim ADE kennenlernen dürfen? Könnten daraus eventuell Kooperationen oder Kollaborationen entstehen?
Um ehrlich zu sein, war es sehr intensiv und ging unglaublich schnell vorbei. Ich habe viel Zeit mit Pressearbeit verbracht und einen Vortrag über das Abmischen von Schallplatten gehalten, den ich sehr genossen habe. Außerdem habe ich eine Adobe-Atmos-Präsentation meines kommenden Longplayers gegeben – eine komplett ausverkaufte Hörveranstaltung, die sehr bewegend war. Dazu kam eine Frage- und Antwortrunde, in der ich erläutert habe, wie ich die Platte gemeinsam mit meiner Tontechnikerin Marta Salogni in Atmos abgemischt habe. Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass es viele spannende Aktivitäten und wertvolle Verbindungen gab. Leider blieb kaum Zeit, um Shows zu besuchen oder andere Künstler zu treffen, da mein Zeitplan komplett durchgetaktet war. Aber ich konnte Zeit mit Freunden wie Floating Points verbringen, was immer sehr inspirierend ist.
Dein neues Album Dià steht in den Startlöchern und erscheint im Januar 2025 bei Domino Recording. Seit der Veröffentlichung deines Debütalbums Acts of Rebellion sind über vier Jahre vergangen, in denen du durch Nord- und Südamerika sowie Europa gereist bist, um dich selbst neu zu entdecken. Wie haben diese Aufenthalte und Reisen dein künstlerisches Schaffen beeinflusst?
Diese Platte ist der Beweis für meine Reisen und die damit verbundenen Herausforderungen. Sie zeigt, wie ich versucht habe, mir einen Reim darauf zu machen, dass ich oft nicht wusste, wohin ich als Nächstes gehen würde, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Sie spiegelt wider, wie ich mich verwirrt und entwurzelt fühlte. Ich habe mein Bestes gegeben, all diese Gefühle in Songs zu verarbeiten, sie niederzuschreiben und mich mit ihnen auseinanderzusetzen – mit der Ungewissheit, der Angst und dem Schmerz des Nichtwissens. Es ging darum, diese Emotionen in Musik zu verwandeln und eine Platte daraus zu machen.
Für mich fühlt sich diese Platte so an, als wäre ich einfach nur präsent gewesen – an jedem Ort, an den ich kam. Egal ob Airbnb, Studio, Land oder Stadt: Es war, als würde ich hineingehen, das Licht anschalten und aufschreiben, was ich gesehen habe – sowohl um mich herum als auch in meinem Inneren. Deshalb habe ich die Platte „Dìa“ genannt: weil der Tag eine Zeitspanne ist, die durch das Licht definiert wird.
Licht in seiner reinsten Form – weder wertend noch verfälschend, sondern schlicht erhellend. Im Akt des Lichts, das einfach erleuchtet, liegt die Grundlage: Man beobachtet, was man sieht. Genau das habe ich während der Entstehung dieser Platte gemacht. Die Songs sind mein Ausdruck dessen, was ich wahrgenommen habe – sowohl, als ich das Licht an den vielen Orten, die ich besucht habe, eingeschaltet habe, als auch in mir selbst. Denn wenn man reist, lernt man sich auf eine ganz andere Weise kennen als in seinem gewohnten Kontext.
Als du mit den Arbeiten für dein Werk angefangen hast, war die Covid-19-Pandemie ein großes Thema. Hat die Pandemie dich eher eingeschränkt als Künstlerin oder beflügelt?
Nun, ich denke, es ist beides. Ich weiß noch nicht genau, ob es mich mehr eingeschränkt oder inspiriert hat, aber es hat mich definitiv tiefgreifend beeinflusst – emotional, mental und auch praktisch. Es hat nicht nur meine geistige Gesundheit und mein Leben nachhaltig verändert, sondern auch ganz konkrete Auswirkungen gehabt. Zum Beispiel musste ich Ende 2020 meine Wohnung in New York verlassen, in der sich auch mein Heimstudio befand. Genau deshalb war ich während der Produktion von „Dìa“ gezwungen, ständig zu reisen – weil ich kein Zuhause mehr hatte. Die Pandemie war der ausschlaggebende Grund dafür, dass ich mich entwurzelt fühlte und gezwungen war, in verschiedene Städte und Länder zu ziehen, um ein Album fertigzustellen, das ich unter diesen Umständen quasi obdachlos machen musste.
Diese Situation hatte sowohl einschränkende als auch inspirierende Auswirkungen auf mich. Einerseits schränkte sie mich künstlerisch ein, andererseits ermöglichte sie mir, eine Platte an den unterschiedlichsten Orten zu schaffen. Ich denke, man kann in den Texten Verzweiflung und Verwirrung spüren – vieles davon stammt aus der Erfahrung, eine Pandemie zu durchleben. Natürlich haben auch andere Dinge dazu beigetragen, aber die Pandemie bildet einen wesentlichen Teil des Albums.

Wie kann man sich deinen „Arbeitsalltag“ im Entstehungsprozess von „Dìa“ vorstellen, etwa in einer Berghütte in Mexiko oder in einem Hotelzimmer in Los Angeles? Hattest du feste Abläufe?
Nicht wirklich. Meine Routine bestand einfach darin, aufzuwachen, Kaffee zu trinken, zu lesen und dann ins Studio zu gehen oder den Laptop einzuschalten. Als ich zum Beispiel von meinem Haus in Mexiko-Stadt aus arbeitete, war ich sehr, sehr unorganisiert. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine feste Routine.
Ich war darauf bedacht, sanft mit mir selbst umzugehen und mich nicht zu sehr unter Druck zu setzen – besonders, da ich mich ohnehin in einer Art Extremsituation befand. Ich hatte immer ein Zeitlimit, weil ich meist an gemieteten Orten oder in gemieteten Studios arbeitete und ständig entscheiden musste, wohin ich als Nächstes gehen würde. Mir war der Stress, den ich mir damit gemacht habe, vollkommen bewusst. Und ich wusste, dass ich handlungsunfähig werden könnte, wenn ich bei kleinen Dingen wie meiner täglichen Routine nicht nachsichtig mit mir gewesen wäre.
Manchmal war es in solchen Situationen – besonders bei dieser Platte – am produktivsten, den ganzen Tag zu lesen und dann nur zwei Stunden lang zu arbeiten. An anderen Tagen war ich wirklich inspiriert oder hatte technische Aufgaben wie das Editieren zu erledigen, und dann arbeitete ich acht Stunden im Studio und las danach eine Stunde, weißt du? Ich war sehr flexibel und nachsichtig mit mir selbst, was meine Routine anging.
Was hat dich während deiner Aufenthalte am meisten inspiriert?
Ich glaube, ich war überhaupt nicht inspiriert, wenn ich ehrlich bin. Rückblickend spürte ich eher eine Art Dringlichkeit, diese Musik aus mir herauszuholen – vielleicht sogar ein wenig Verzweiflung. Ich weiß nicht warum, aber ich erinnere mich deutlich an dieses Gefühl und daran, dass ich dachte, nicht inspiriert zu sein. Stattdessen war ich einfach präsent, konzentriert und entschlossen, die Platte fertigzustellen. Es war, als hätte ich ein Feuer in mir, das diese Musik aus meinem Körper und Geist drängen musste – aber es fühlte sich wirklich nicht wie ein Moment der Inspiration an. Vielmehr war es eine innere Spannung, die herausbrechen musste, um endlich gelöst zu werden.
Jeder Ort, den ich besuchte, fühlte sich so an, als hätte ich mich einfach entschieden, genau dort präsent zu sein und diesen Moment in Musik zu verwandeln.
Was war das Verrückteste, was du auf deinen Reisen oder auf deinen Aufenthalten erlebt hast?
Ich denke, es war vielleicht schon ungewöhnlich, die Innenstadt von LA in einem Hotel zu verlassen und dann zu versuchen, von dort zum Studio in Pico Union zu laufen. Wenn man LA kennt, mag das auf einer Karte betrachtet wirklich nah erscheinen, aber LA ist meiner Meinung nach eine sehr seltsame Stadt. Vom Hotel in der Innenstadt aus zu wohnen und dann zu versuchen, ein Leben in LA zu führen – vom Hotel zum Studio, das nur 20 Minuten entfernt ist – war in jeder Hinsicht extrem ungewöhnlich.
Jeder einzelne Tag war eine neue, ungewöhnliche Erfahrung, und dabei möchte ich es belassen. Ich denke, wenn man einmal nach Downtown LA fährt und sich vorstellt, dort einen Monat lang zu leben und zu versuchen, überall hin zu laufen, wird man vielleicht verstehen, was ich meine.
Was dürfen wir musikalisch auf „Dìa“ erwarten? Inwiefern hat sich der Sound gegenüber deinem Erstwerk „Acts of Rebellion“ verändert?
Das ist für mich schwer zu sagen. Ich produziere alles selbst und mache alles selbst, daher ist meine Perspektive nicht die gleiche wie die von jemandem, der meine erste Platte gehört hat, dann aber nicht Teil des Prozesses war und sich jetzt „Dìa“ anhört. Ich denke, das ist eine Frage, die du mir als Interviewer beantworten kannst, aber ich kann dir sagen, wie sich der Prozess verändert hat. Der Prozess war in jeder Hinsicht anders. Ich war sehr bewegt von der Reaktion des Publikums auf „Acts of Rebellion“ und zu Beginn der Arbeit am zweiten Album ein wenig besorgt, weil ich nicht zweimal dasselbe Album machen wollte. Ich wusste ganz pragmatisch, dass ich ein sehr technischer Mensch bin und dass ich aus der Perspektive des Songwritings keine Antworten darauf hatte, wie ich „Dìa“ von „Acts of Rebellion“ unterscheiden konnte. Was ich tun musste, war, den Prozess so zu verändern, dass er ganz natürlich andere Dinge in mir weckte. Ich änderte den Prozess und ich änderte das Ergebnis – das war etwas, von dem ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte, weißt du? Das war die goldene Regel von „Dìa“ – so habe ich viel darüber nachgedacht. Dann hat mir das Universum sozusagen ein Geschenk gemacht – es fühlte sich nicht wie ein Geschenk an, aber im Nachhinein war es eines.
Denn ich musste mein Haus und mein Heimstudio verlassen, was den Prozess drastisch veränderte. Während ich „Acts of Rebellion“ ganz allein in meiner Wohnung mit meiner eigenen Ausrüstung, meinen eigenen Düften, sehr wenigen Düften, weil das alles war, was ich im Moment besaß, und der grenzenlosen Zeit und dem grenzenlosen Raum, weil es mein Haus war, usw. gemacht hatte, war ich nun auf ganz andere Umstände angewiesen.
Jetzt hatte ich im Grunde keine Ausrüstung mehr, weil ich nicht mit allem reisen konnte, sondern nur noch meinen Laptop – und immer den Zeitdruck. Ich musste eine Menge verschiedener Düfte aus den Studios verwenden, die ich gemietet hatte. Die Klangpalette hat sich also drastisch verändert, weil ich viele Synthesizer benutzt habe, die ich vorher noch nie verwendet hatte. Ich habe viel freier experimentiert, als ich es getan hätte, wenn ich nur mein eigenes Equipment benutzt hätte.
Außerdem habe ich aktiv eine Menge Verzerrung eingesetzt. Ich glaube, Verzerrung ist ein wichtiges Produktionselement, das ich bei „Acts of Rebellion“ überhaupt nicht erforscht habe.
„Acts of Rebellion“, das Erstwerk von Ela Minus:
Dein Lieblings-Track auf dem Album?
Wow! Ich habe ein paar! Ich mag „Idols“ sehr. Ich mag „IDK“ wirklich gerne. Ich mag „Abril Monte“ und „The Kombat“ ebenfalls sehr.
Zuletzt erschien die Single „UPWARDS“ als Auskopplung aus „Dìa“:
Nächstes Jahr erscheint eine Dokumentationsreihe von Synth History über dich. Erzähl uns bitte mehr darüber, wir sind neugierig!
Ich danke euch, ich bin auch fasziniert. Ich bin schon seit langem ein Fan von Synth History und war sehr bescheiden, als sie sagten, sie wollten das mit mir machen. Wir haben gerade ein paar Tage zusammen in L.A. verbracht, wo ich gearbeitet habe. Wir sind meinen Prozess für diese Platte durchgegangen – die Beziehung zu Synthesizern, zur Musik, zum Reisen und zum Plattenmachen. Ich bin sehr aufgeregt und kann es kaum erwarten, dass ihr es zu sehen bekommt.
Im Dezember trittst du anlässlich von Ólafur Arnalds‘ Opia Presents im Berliner Silent Green auf und im Februar 2025 als Support-Act für Caribou in der Max-Schmeling-Halle (Velodrom). Was können die Besucher*innen erwarten?
Ich lade jeden ein, zu kommen, weil sie eine Person erwarten können, die mit ihnen da ist – eine musikalische Erfahrung, die wir gemeinsam teilen werden.
Was steht sonst noch so als nächstes an? Was ist bis zum Release des Albums im Januar 2025 geplant und was steht im neuen Jahr 2025 an?
Nun, das Album kommt wirklich bald heraus und wir haben in der Zwischenzeit eine Menge vor. Eine Menge visuelle Magie, ein weiteres Video, eine weitere Single. Ich veranstalte Hörsessions in fünf Städten. Gerade war ich in Bogotá, wo ich mit einem Publikum zusammen Zeit verbrachte.
Wir haben uns die Platte angehört, eine Fragerunde gemacht und über Musik gesprochen. Es war magisch, und ich werde es noch einmal in Medellín, einer anderen Stadt in Kolumbien, machen, dann in Mexiko-Stadt und danach in London. Nächstes Jahr werden wir mehr davon umsetzen.
Es waren lebensverändernde Erlebnisse, Musik mit Menschen in einer kleinen Umgebung zu teilen, in der wir alle anwesend und zusammen sind und einfach nur der Musik zuhören. Das nächste Jahr wird mit der Veröffentlichung der Tour beginnen, die mich rund um die Welt führen wird: Europa, die USA, Kolumbien, wieder Mexiko-Stadt, Australien, und dann werden wir sehen, was als Nächstes kommt. Ich freue mich sehr darauf, in etwa sechs Monaten mit euch zu sprechen, um weitere schöne Fragen zu beantworten und mehr Musik mit euch zu teilen.

Danke dir für das Interview!
Hier könnt ihr in das Album „Dìa“ von Ela Minus reinhören und dieses digital oder als Vinyl erwerben:
Tracklist „Dìa“:
1. ABRIR MONTE
2. BROKEN
3. IDOLS
4. IDK
5. QQQQ
6. I WANT TO BE BETTER
7. ONWARDS
8. AND
9. UPWARDS
10. COMBAT

„Dìa“ erscheint am 17. Januar 2025 via Domino Recording.
Aus dem FAZEmag 155/01.2025
Text: David Fuchs
Credit: Alvaro Arisó
Web: www.elaminus.com