Die Anfänge der elektronischen Musik reichen bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück, als erste zukunftsweisende elektronische Instrumente erfunden wurden. Aber es war noch ein weiter Weg, bis zur der Musik, die wir heutzutage als elektronische Musik oder Techno bezeichnen – jedoch ein sehr facetten- und abwechslungsreicher Weg mit vielen Abzweigungen neuen Pfaden. Diese Geschichte wird nun im Düsseldorfer Kunstpalast mit der Ausstellung „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ präsentiert, wobei es hier nicht nur um die Vergangenheit geht, sondern auch um die Gegenwart, um den State of the Art: Was kann elektronische Musik und wohin geht sie?
In ihrer ursprünglichen Form war die Ausstellung bereits in Paris und London zu sehen, für Düsseldorf hat sich der Kurator Alain Bieber ihrer im Besonderen angenommen und sie weiterentwickelt. Über 500 Exponate umfasst die Schau, und natürlich sind auch die Lokalmatadoren Kraftwerk mit an Bord. Ebenso wie Jean-Michel Jarre, Andreas Gursky, Daft Punk, Marie Staggat, Agnes Dahan oder Mouse on Mars. Kurator Alain Bieber sowie Jan St. Werner von Mouse on Mars haben uns ein paar Fragen beantwortet.
Alain, wie hat die Ausstellung aus Paris ihren Weg nach Düsseldorf gefunden und was ist anders als in Paris?
Alain Bieber: Ralf Hütter hat uns die Ausstellung empfohlen. Und wir waren sofort begeistert. Die Ausstellung ist wunderbar kuratiert, sehr international, historisch umfassend, außerdem hat uns das Spektrum an Arbeiten begeistert – Instrumente, Maschinen, Fotografien, Musikvideos, Vinyl-Cover, Flyer, Skulpturen. In der Düsseldorfer Ausstellung gibt es jetzt natürlich einen großen Kraftwerk-Raum: Wir werden die Roboter zeigen. Dann präsentieren wir natürlich das audiovisuelle Werk: 3D-Videos mit 3D-Sound. Außerdem gibt es ihre spektakulären Lichtobjekte, die auf die Projektion reagieren. Zudem zeigen Kraftwerk einige seltene Bilder und Videos aus ihrem Archiv. Außerdem hat Andreas Gursky, als jahrelanger Begleiter der Szene, ein eigenes Kabinett mit Bildern seiner “May Day”-Serie und aus Sven Väths Cocoon Club. Außerdem gibt es das Computerspiel „gAAIme“, ein Remix des Albums „AAI“ von Mouse on Mars und Louis Chude-Sokei, das sich mit KI und elektronischer Komposition beschäftigt, zu sehen. Es gibt einige Aktualisierungen und neue Überraschungen.
Die Ausstellung umfasst über 500 Exponate, gibt es eins (oder eine Serie von Exponaten/bestimmten Zeitraum), das dich besonders bewegt hat?
Alain: Ich liebe natürlich alle Exponate. Persönlich berührt ist man ja meist, wenn man in Erinnerungen schwelgt. Bei Flat Eric von Mr. Oizo und der Berghain-Skulptur von Philip Topolovac muss ich an ein paar sehr gute Partys denken. Auch “Crowd” von Gisèle Vienne hat mich begeistert: Man sieht Tänzer*innen in zeitlupenhafter Techno-Ekstase.
Wie wichtig findest du es, dass elektronische Musik auch auf dieser Ebene – also im Museum mit einer Ausstellung – stattfindet?
Alain: Generell sollten Museen Abbilder unserer Welt und Lebensrealität sein. Und natürlich hat da die elektronische Musik ihren Platz verdient: Die Entstehungsgeschichte in den europäischen Studios von Köln bis Paris ist museal, die Erfindungen der Ingenieur*innen und Komponist*innen wie Daphne Oram, Karlheinz Stockhausen und Delia Derbyshire, auch der visuelle Kosmos der Platten, Poster und Flyer, dazu die Fotograf*innen, die die Szene seit Jahren dokumentiert haben, und natürlich war die elektronische Musik auch immer Inspirationsquelle für viele Künstler*innen.
Wie bist du mit elektronischer Musik verbunden? Welche zeitgenössischen Künstler*innen hörst du gerade?
Alain: Ich brauche unterschiedliche Musik für unterschiedliche Momente. Das kann mal deutscher Gangster-Rap sein und manchmal härterer Techno. Im Bereich elektronischer Musik höre ich zum Beispiel gerne Skrillex, Diplo, Modeselektor, Mouse on Mars, HGich.T, Aphex Twin, Deichkind, Fatboy Slim oder The Loco.
Wie groß war und ist der Einfluss elektronischer Musik auf unsere (Pop-)Kultur und unsere Gesellschaft?
Alain: Die elektronische Musik und ihr Lebensgefühl verbinden Menschen auf der ganzen Welt – ob an den Stränden von Goa, in den Clubs von Ibiza oder den Underground-Raves im Ruhrgebiet. In Ländern wie der Ukraine oder Georgien gehören Technoclubs zu den wenigen Orten, in denen man seine persönliche Freiheit ausleben kann. Elektronische Musik hat oft bewiesen, dass sie großes Potenzial zur gesellschaftlichen und kulturellen Veränderung hat. Insbesondere durch die LGBT-Bewegung wurde die Musik zu einem freien Ort, an dem Herkunft und sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielten. Es gibt wenige popkulturelle Phänomene, die Ekstase, Freiheits- und Glücksgefühle so miteinander vereinen. Deshalb: Der Einfluss war und ist noch immer sehr groß.
Hallo, Jan, Mouse on Mars sind auch ein Teil dieser Ausstellung. Wie kam es dazu und was dürfen wir von eurer Seite aus erwarten?
Jan St. Werner: Das musst Du mich nicht fragen, warum wir dabei sind (lacht). Aber historisch macht es wohl Sinn. Wir haben ja einen ganz anderen Weg eingeschlagen als die meisten im Bereich Techno: Mouse on Mars als ein kontinuierlicher Prozess und keine Band, die sich verortet oder verorten lassen möchte. Wir suchen immer noch nach etwas Neuem.
Bei der Ausstellung jetzt geht es natürlich schon um eine Art Rückblick und Konstituierung und Verortung – wer hat was zu welcher Zeit gemacht. Aber ich glaube, wir sind so exponiert in der Ausstellung, weil wir immer noch eine Öffnung nach vorne haben. Wir verändern uns, bewegen uns weiter, verzweigen uns. Das war ja auch immer unser Thema, unvorhersehbar zu sein, auch für uns, dass wir zum Beispiel auch nicht wissen, was da rauskommt. Unser aktuelles Album „AAI“ spielt beispielsweise mit KI und zwar in die Richtung, dass KI auch Dialekt sprechen können müsste und Absurdes produzieren sollte. Von dieser Überlegung aus sind wir mit unserem Album-Mitstreiter Louis Chude-Sokei dahin gekommen, dass wir eine KI gebaut haben, die spricht wie Louis, die aber auch ganz abstrakt und völlig sinnloses Zeug sprechen kann oder changieren kann zwischen Louis’ Stimme und dem Abstrakten. Und um das noch abzurunden, haben wir zu diesem Thema noch, dem Album und der KI, auch eine Art Spiel gebaut, eine Kooperation mit dem CTM Festival in Berlin. Mit dezenter Visualisierung und einer virtuellen Raumerfahrung mit den Klängen und Sounds des Albums. In der Ausstellung gibt es dann eine Installation dieses AAI-Games, namentlich gAAIme, die sich immer bewegt, und mit Texten und Verweisen zur Kultur.
Wie siehst du die Verortung von Mouse on Mars im Museum allgemein?
Jan: Wir hatten mit Museen nie ein Problem, weil wir schon immer sehr kunstaffin waren. 2004 gab es eine große Ausstellung – „doku/fiction“ – in der Düsseldorfer Kunsthalle. Da ging es auch schon um Vorstellungen, Ableitungen und Interpretationen von dem, was Mouse on Mars ist und im weitesten Sinne, was Klang ist. Es war ein Aufeinandertreffen vieler bildender Künstlerinnen und Künstler, dabei waren auch ein einige, die eher wissenschaftlich gearbeitet haben. Es gab Performances, Lectures etc. Und auch da waren wir schon im Museum, ohne uns retrospektiv oder museal zu verorten, sondern einfach, um das Museum als Veranstaltungsort, Treffpunkt und freien Raum, den du gestalten kannst, zu nutzen.
Im kommenden Jahr startet im Münchner Lenbachhaus unsere Ausstellung „Spatial Jitter“, eine Klanginstallation, die du durchwandern und in der du Zeit verbringen kannst. Es wird dir immer eine andere Perspektive eröffnet, weil es keinen zentralen Punkt gibt. Aber um nochmal zurück auf den Punkt zu kommen: Wir haben Museen eigentlich immer als Erfahrungsorte verstanden, die quicklebendig sind und in denen es auch gerade spannend ist, Akustisches zu verhandeln, weil man’s dort auch nicht so erwartet und weil Museen per se eigentlich stille Orte sind.
Aus dem FAZEmag 118/12.21
Text: Tassilo Dicke
Credit Kraftwerk: © Peter Boettcher, Courtesy Sprüth Magers
Credit Jarre: © Gil Lefauconnier, Courtesy Musée de la musique, Philharmonie de Paris
Credit May Day: © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn, 2021, Courtesy Sprüth Magers
www.kunstpalast.de