Am ersten Aprilwochenende feierte die Time Warp in Mannheim ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre Techno mit tausenden Besuchern aus aller Welt und der Crème de la Crème der nationalen und internationalen DJ-Elite elektronischer Musik. Noch müssen die Eindrücke verarbeitet werden, doch nach den ausgreifenden Lobeshymnen, die auch letztes Jahr wieder auf das Mega-Event folgten, ist mit nichts als Begeisterung zu rechnen. Oder gibt es etwa doch auch andere Meinungen? Zumindest werden die Stimmen lauter, die nostalgisch auf den Techno der 80er und 90er Jahre schauen und den Status Quo kritisieren. Damals war die elektronische Musik und die Szene eben noch anders, keine Frage.
Die Geburt des Techno
In den 80er Jahren ging es los: Für Synth-Pop/New Wave- und Electro-Funk-orientierte Musikproduktionen wurde, als mehr Vertreter hinzukamen und sich eine Art neuer Sound herauskristallisierte, der Begriff „Techno“ geschaffen. Bis in die 90er Jahre übernahm und vertrat dieser Begriff im Grunde jedes elektronische Musikstück. Und er stand gleichzeitig für eine bestimmte Szene: Die Technoszene eben, die Szene auf die heute viele damalige Jünger mit einem weinenden und einem nostalgisch lachenden Auge zurückschauen. Eine Szene, die sie sich vor allem deshalb zurückwünschen, weil der Lifestyle, der in ihr gepflegt wurde, nicht als Lifestyle angesehen wurde. Man war Techno und trug das nicht unbedingt zu Schau.
Alle, die damals nicht dabei waren und vielleicht sogar in einer Zeit aufwachsen, in der elektronische Musik viele Radiosender sowie die Festivalkultur dominiert, können in Zeitdokumenten versuchen nachzufühlen, wie es damals so war. Und warum einige Ältergewordene die Zeit damals in Augen jüngerer Technohörer so verklären und den Status Quo kritisieren. Liest man etwa in Rainald Goetz „Rave“ so wird schnell klar: Techno war damals eher wie Punk – er verkörperte ein Leben als unsittlicher Rebell unter Rebellen.
Der „Lifestyle“ von früher: Techno und Rebellion
Als das mit dem Techno und den vorwiegend jungen Leuten anfing, war die Musik und das Drumherum noch einer Minderheit vorbehalten. Nicht, weil es nach und nach nicht immer mehr Möglichkeiten gab, sich zur elektronischen Musik auszuleben, sondern weil die Szene einfach nichts für jeden war.
Denn wer Techno hörte und in die angesagten Clubs ging, war Teil einer Rebellion. So rebellierte man schon alleine deshalb, weil man mitunter nicht nur eine Nacht, sondern vielleicht sogar zwei oder drei Nächte hintereinander wach blieb und durchfeierte. Das war etwas Neues. Man rebellierte weiterhin, weil man sich nicht um die Welt außerhalb der Party, des Clubs kümmerte und mit teilweise abgedrehten, schrägen und mitunter auch kaputten Leuten zusammen die neue Musik und die ganz eigene Familie, die sich um sie herum gebildet hatte, zelebrierte. Und unter „Normalen“ am helllichten Tag plötzlich nicht mehr so gut zurechtkam. Weil die komisch geworden waren.
Techno war ein Ausbruch. Damals noch weniger als Lifestyle verstanden und mehr als Chance bejubelt, war die Musik eine Möglichkeit, miteinander frei zu sein. Sich zu bewegen, wie man wollte ohne dumm angeschaut zu werden, Hemmungen fallenzulassen, Haut zu zeigen, sich auf menschliche Art und Weise näherzukommen und gegenseitige Akzeptanz und Respekt hochzuhalten.
Das alles als normaler Mensch aus- und durchzuhalten – vor allem das lange Wachbleiben – erforderte Kompromisse. Diese wurden schnell in Form von Drogen gemacht. Schnell war die Szene, völlig zurecht, auch dafür bekannt: Ohne Drogen geht nichts. Drogen, Drogen und noch mehr Drogen.
Rainald Goetz, so scheint es gegen Ende seiner Erzählung „Rave“ hin, gibt auch dieser Schattenseite des Techno, den Substanzen, eine Mitschuld daran, dass die Szene sich bald veränderte. Wie die Genres immer mehr wurden, die Drogen immer stärker und der Konsum unreflektierter, so wurde auch die Szene ungreifbarer und schwammiger. Der Anfangszauber verflog und Techno und die elektronischen Genres, die er gebar, wurden langsam Mainstream. Und damit veränderte sich natürlich alles, irgendwie.
Elektronische Musik heute
Während die elektronische Musik in den 80ern und 90ern vorwiegend noch in Deutschland seine große Geburt feierte und somit auch hierzulande am ausschweifendsten und härtesten gefeiert wurde, ist sie heute mit all ihren Untergenres über die ganze Welt verteilt.
Riesige Veranstaltungen und Festivals mit zehn- oder gar hunderttausenden Besuchern nur rund um elektronische Musik finden in den USA, in Belgien, Portugal oder sonst wo statt. Und die Feiernden leben sich zur elektronischen Musik oftmals anders aus, als noch vor 20 oder 30 Jahren.
So steht, ohne Zweifel, gerade für viele junge Festivalbesucher etwa das „Tomorrowland“ mit jährlich über 150.000 Besuchern, das Mit-dabei-Sein beim Teilen eines ganz bestimmten Lifestyles im Vordergrund. Anders als in den 90ern geht es dabei weniger um Individualität und Grenzerfahrungen zu interessanter Musik, die sich immer wieder veränderte. Es geht stattdessen eher darum, einen Hedonismus auszuleben, Spaß zu haben, laut zu sein, Haut zu zeigen.
Während das Hautzeigen und der Sex damals wie heute wichtiger Bestandteil der Kultur sind, werden, zumindest etwa von vielen EDM-Hörern, Drogen auch anders konsumiert. Aus rein gesundheitlicher Sicht kann hier nur von einer positiven Entwicklung gesprochen werden. Viele konsumieren gar nichts außer Red Bull und vielleicht ein wenig Alkohol. Die, die sich doch einmal eine Pille einwerfen, schauen, dass sie am nächsten Tag wieder auf den Beinen sind und funktionieren. Denn dann muss Sport gemacht, bzw. ins Fitness Studio gegangen werden. Wer heute als Mann auf renommierten Festivals auftaucht, sollte vorher gezielt und effektiv Masse aufgebaut haben, um mit seinen Muskeln nicht unterzugehen. Und die Mädels sollten knackige Beine in ihren Hotpants haben und bitte doch auch einen straffen Bauch.
Andernfalls lebt man einen anderen Lifestyle als die anderen und das sollte ja vermieden werden. Zumindest, wenn man die doch oft recht simple EDM-Musik einfach aufgrund ihres Potenzials, dazu lange und in Gesellschaft tausender Begeisterter abzutanzen, feiert. Wenn man auf bauchfreie Tops oder Tanktops, Instagram und auf Turnbeutel mit coolen Sprüchen steht. Und wenn man die Digitalisierung und das File-Zeitalter vor allem auch als positive Entwicklung für die elektronische Musik sieht.
Das mag nun alles ein wenig sarkastisch klingen. Sicherlich: Als jemand, der die alte Schule noch ein wenig mitbekommen hat, neigt man zu derlei Wertung. Doch muss bei aller Kritik am Mainstream-Techno doch auch ehrlich festgestellt werden: Tot ist diese Musik nicht und dass es mehrere Szenen gibt, ist doch eigentlich zu begrüßen.
Die Szenen leben!
Was Techno und was elektronische Musik ist und sein sollte, da gehen die Meinungen sicherlich auseinander. Seitdem der Sound im Mainstream angekommen ist, sind neue Untergenres und Artists hinzugekommen und mit ihnen hat sich auch die Hörerschaft um ein Vielfaches vergrößert. Wo auf dem Fusion Festival in der nähe von Berlin im Jahr 2004 noch 15.000 Besucher feierten, sind es inzwischen seit einigen Jahren 70.000. Die Nachfrage nach Tickets übersteigt das Kontingent bei Weitem. Und heute trifft man dort eben nicht nur noch verträumte und verpeilte, sich in den Armen liegende Technojünger.
Man trifft dort nun auch Raver in Tanktop und mit Muskeln, die auf und ab hüpfen und auf Mädels, die lieber das DJ-Pult filmen und Selfies machen, als die Musik zu genießen. Man trifft aber auch auf Familien mit Kindern, die sich das „Kunstfestival“ anschauen möchten und man trifft auf Aktivisten und auf Freigeister. Man trifft dort alles und jeden und eine solche Varianz im Publikum ist im Grunde nur produktiv: Fordert sie doch jeden auf, sich mit den anderen anzufreunden und sie neben sich zu akzeptieren. Und sich nicht in einer Szene und mit einem Lifestyle abzukapseln und sich irgendwann zu ärgern, dass die Abkapselung an irgendetwas scheitert.
Wenn vor allem von älteren Technofans und aus Untergrundmedien immer wieder mal die Kunde laut wird, Techno sei tot, dann kann hier nur mit „Jein“ zugestimmt werden. Wer unter Techno die (seit der Katastrophe in Duisburg abgesetzte) Loveparade versteht, wer damit immer zwangsweise harten Drogenkonsum, grelle Outfits, gefärbte Haare und einzig und alleine Clubs wie das Berghain verbindet, der könnte Recht haben. Alles das gibt es auch noch und ja, das Berghain ist immer noch DER Club. Aber Techno ist eben mehr geworden, als das. Damit sollte man sich abfinden können.
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