FAZEmag-Jahrespoll 2019: Track

Euer Track des Jahres und an der Spitze finden sich zwei Acts, die wir in unserer Poll-Geschichte noch nicht dort oben hatten. Eine französische-brasilianische Koproduktion auf einem deutschen Label.

1. Anna & Kittin – Forever Ravers (Kompakt Extra)
2. Roberto Surace – Joys (Defected)
3. Flug & Klaudia Gawlas – The Matrix (Second State Audio)
4. Chris Liebing & Charlotte de Witte – Liquid Slow (KNTXT)
5. Ben Böhmer – Breathing (Anjunadeep)
6. Drumcomplex – Joy (Terminal M)
7. Trettmann – Stolpersteine (Soulforce)
8. Schacke – Kisloty People (Клуб)
9. Roberto Capuano – Segment (Drumcode)
10. Mike Opani – Closer (Insectum)

11. Markus Weigelt – Transit System (Wasted)
12. Klangkuenstler – Hexenmeister (Outworld)
13. Meduza – Piece Of Your Heart (Virgin)
14. Floating Points – LesAlpx (NinjaTune)
15. Rikhter – Phiom Enhah (R Label Group)
16. Hidden Empire – Cashmere (Octopus)
17. Peggy Gou – Starry Night (Gudu)
18. I AM BAM  – Acid Trip (Quartz)
19. Adam Beyer & Layton Giordani & Green Velvet – Space Date (Drumcode)

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FAZEmag-Jahrespoll 2018: Track

 

 

ANNA & Kittin – das Interview

Ana und Caroline, wie geht es euch?

Caroline: Mir geht es sehr gut, danke. Ich genieße die Zeit im Januar, der Monat ist ja traditionell etwas entspannter. Das war auch dringend notwendig. Tage zu Hause in der Natur zu verbringen und jeden Tag zu reiten, das ist meine Vorstellung von „Urlaub“. Ich bin in meinem Leben so viel gereist – zu Hause zu sein ist für mich der ultimative Luxus.

Ana: Mir geht es ebenfalls großartig, danke. Ich habe das Jahr etwas turbulenter begonnen und war nur unterwegs. Aber nach dem kommenden Wochenende habe ich ganze drei Wochen frei. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich in den letzten sechs Jahren so lange am Stück frei hatte.

Euer Jahr beginnt auch mit dem Gewinn in unserem Poll: Ihr führt mit „Forever Ravers“ die Kategorie „Track“ an. Glückwunsch!

Ana: Oh, das macht mich sehr, sehr glücklich. „Forever Ravers“ war ein Geschenk des Universums. Die ganze Geschichte dahinter macht mich noch immer etwas sprachlos. So viele Menschen fühlen sich mit der Message des Tracks verbunden. Ich habe manchmal sogar das Gefühl, der Track ist größer als Miss Kittin und ich zusammen. Die Leute drucken Poster, Shirts, kreieren Hashtags rund um die Lyrics. Das war eine richtige Bewegung seither.

Caroline: Total. Der Song ist per se schon eine eigene Geschichte. Zumal Ana und ich uns zuvor gar nicht gekannt und auch nie getroffen hatten. Ich habe damals die meisten Anfragen zu Kooperationen abgelehnt, aber hier habe ich etwas Besonderes gespürt und die Lyrics sehr schnell lieben gelernt. Keith Flint von The Prodigy starb kurz zuvor und das Rave-Hymnen-Potenzial des Tracks inspirierte mich sofort. Ich wollte die Rave-Kultur, die mein Leben verändert hat, zum Ausdruck bringen und meine Stimme auf ungewöhnliche Weise einsetzen. Ich war mir überhaupt nicht sicher, ob Ana das gefallen würde. Als wir uns schließlich trafen, war es, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich habe schon mit vielen Leuten zusammengearbeitet, aber dieses Feature war auf emotionaler Ebene absolut einzigartig, darauf bin ich besonders stolz. Wir haben eine starke und moderne Botschaft vermittelt, die zugleich unsere beiden Seelen widerspiegelt. Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, dass der Track so einen Hype ausgelöst hat.

Ana, wie entstand die Idee zu dem Stück?

Ana: Als ich angefangen habe, an diesem Track zu arbeiten, war mir irgendwie noch nicht ganz klar, wie er am Ende mal klingen soll. Ich habe mich Stück für Stück vorangearbeitet. Nachdem die ersten Beats fertig waren, habe ich die Bassline gemacht. Der Sound und die Sequenzen erinnerten mich an die Oldschool-Sachen von The Hacker und David Carreta und so kam mir die Idee, Kittin für die Vocals einzuladen. Sie sagte, sie liebe den Track, und hat sofort zugesagt. Das Ergebnis könnte nicht besser sein. Es geht insgesamt um die Euphorie und das Gefühl, das wir haben, wenn wir auf dem Dancefloor unser Lieblingslied hören und dabei völlig loslassen – unsere Gedanken, unsere Probleme und unseren Frust lassen wir hinter uns und werden eins mit dem Moment.

Caroline: Ja, es geht um Freiheit, Einheit und die Akzeptanz, die es in unserer Dance-Community gibt. Ich mochte die Rauheit, den EBM-Vibe des Stücks. Ich habe Ana sofort gebeten, die Skizze möglichst so zu belassen, um eine „Überproduktion“ zu vermeiden. Ich ging direkt in mein Studio, habe mich recht weit vom Mikro weggestellt und die Zeilen herausgeschrien. Es gab, glaube ich, nur zwei Takes. Es war mir wichtig, dass Emotion und Spontaneität beibehalten werden. Dann ging es in die Bearbeitung, das war wohl der längste Teil. Ich wollte den Rhythmus der Stimme an den Beat anpassen, so in etwa wie „Ra-a-vers“.

Ana: Alles verlief so unfassbar reibungslos. Ich bin seit vielen Jahren ein großer Fan von Caroline und habe viele ihrer Platten, sowohl aus ihrer Anfangszeit als auch von heute. Ich erinnere mich, als sie vor etwa 15 Jahren nach Brasilien kam, um hier in einem der damals beliebtesten Clubs namens Lov.e. zu spielen. Ich konnte nicht dabei sein, aber ich sah sie im Fernsehen, als sie ein Interview bei einem der größten Sender des Landes gab. Ich erinnere mich daran, dass ich meine ganze Familie angerufen habe, damit es jeder sehen kann – ich bewunderte sie, ihre Musik, ihren Stil und einfach alles an ihr sehr. Und das tue ich noch immer! Ich war damals 17 Jahre alt und lebte auf dem Land in Brasilien. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass wir eines Tages zusammen einen Song machen würden.

Für alle Interessierten: Welche Soft- bzw. Hardware habt ihr beiden benutzt?

Ana: Das Hauptelement, in diesem Fall die Bassline, habe ich mit Reaktor gemacht. Der Sub-Layer stammt vom Instant Phaser von Eventide. Die Beats wurden auf dem TR08 von Roland sowie dem Analog Rytm von Electron gemacht. Die Vocals habe ich durch den Paul Stretch laufen lassen, ein granulares Plugin, mit dem man die Sounds so weit dehnen kann, wie man möchte. Es erzeugt einige schöne Vibes, die ich beim Breakdown und vor allem auch beim Dub-Mix verwendet habe. Ich habe den Gesang durch einige Chorus, Delays und EQs laufen lassen, damit er sich gut in den Mix einfügt, denn ich wollte den ursprünglichen Vibe und das rohe Timbre der Kittin-Stimme beibehalten.

Caroline: Ich habe einen speziellen Vorverstärker verwendet und ein Mikrofon, das nicht zu empfindlich ist, um die Roughness zu erhalten.

Die Lyrics sind eine Hommage an den Rave. Was bedeutet Rave für euch?

Caroline: Rave hat mein Leben verändert. Ich bin nach meinem ersten Rave als andere Person heimgekommen. Die Freiheit, die ich dort empfand, war eine absolute Offenbarung. Ich habe schon früh gewusst, dass ich hart arbeiten muss, um mir meinen Weg zu ebnen, denn ich würde niemals in ein herkömmliches Leben passen. Ich habe damals nicht geplant, geschweige denn einmal daran gedacht, Musik zu machen oder aufzulegen. Ich wusste nur, dass es etwas Künstlerisches sein muss. Die Rave-Kultur öffnete meinen Geist und zeigte mir, dass alles möglich ist, dass ich sein kann, wer ich sein will. Zunächst fanden die Raves außerhalb von Clubs statt, in Lagerhallen oder inmitten der Natur. Man konnte dabei tragen, was man wollte, man konnte das Zeitgefühl verlieren, sich in der Musik verlieren, gemeinsam mit Fremden, mit denen man sich dennoch verbunden fühlte. Es war bzw. ist eine Art Stammestreffen. Und es resoniert extrem mit der Welt von heute. Eine Welt, die so geteilt ist mit ihren Wirtschafts- und Umweltkrisen und uns dazu drängt, unsere Art des Denkens und des Lebens neu zu definieren. Wir brauchen genau diese Energie, um voranzukommen. Und wenn es mein Leben verändert hat, kann das auch anderen Menschen passieren.

Ana: Das kann ich nur unterschreiben. Ich denke, ein Rave lässt einen Euphorie verspüren und damit einhergehend absolute Freiheit und Glückseligkeit.

„Forever Ravers“ ist auf Speicher erschienen, einer in der Szene legendären Brand. Erzählt uns von eurer Connection zum Kölner Label.

Ana: Meine Musik auf Kompakt zu veröffentlichen, war ein Ziel, das ich viele Jahre lang hatte. Im Jahr 2017 konnte ich mir diesen Traum endlich erfüllen. Meine erste Veröffentlichung dort war „Hidden Beauties“ und es war, würde ich sagen, das bis dato größte und wichtigste Release meiner Karriere. Seitdem sind wir Freunde geworden und „Forever Ravers“ ist meine dritte EP mit bzw. auf Kompakt. Es ist eines der besten Labels, mit denen ich bislang gearbeitet habe. Sehr professionell und superleidenschaftlich.

Caroline: Ich kenne die Kompakt-Familie schon sehr lange und spiele seit rund 20 Jahren auf ihren Partys in Köln. Wir teilen die gleichen Werte, die gleiche Neugier, das gleiche musikalische Wissen und – das ist besonders wichtig – „wir nehmen uns alle nicht so ernst, sondern meinen es ernst damit, Spaß zu haben“, wie Michael Mayer immer so schön sagt. Da ich trotz der Verbundenheit zuvor nie etwas bei ihnen veröffentlicht hatte, war es hier naheliegend. Sie waren sofort verrückt nach dem Titel und das Label-Team hat einen fantastischen Job gemacht.

Was steht für 2020 auf eurer Agenda?

Ana: Ich schätze, das wird für mich das bislang intensivste und schönste Jahr in Sachen Shows. Viele Festivals sind bereits bestätigt, von denen ich schon immer geträumt habe, einige davon sind Awakenings – an beiden Tagen –, Coachella sowie Sonus. Ich habe wichtige EPs und Remixe in der Pipeline, aber ich bin nicht sicher, ob ich schon darüber sprechen kann. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich ziemlich bereit bin für das Jahr. (lacht)

Caroline: Ich habe etwas in der Pipeline mit The Hacker, woran wir eine Zeit lang heimlich gearbeitet haben. Dabei geht es auch um einige Shows. Aber mehr kann ich dazu nicht sagen – das ist auch der Grund dafür, dass ich zu Kooperationen seit einiger Zeit meist Nein sage. Ana war die einzige Ausnahme.

 

Text: Triple P
Foto:
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