FAZEmag-Jahrespoll 2023: Live-Act International – Reinier Zonneveld im Interview

Hallo, Reinier. Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung in der Kategorie „Live-Act International“. Was sind deine Gedanken?

Hey, Leute, wow! Das ist unglaublich, vielen Dank an alle, die für mich gestimmt haben! Ich fühle mich dadurch sehr geehrt. Meine Musik live auf der Bühne zu spielen, war immer mein Traum – und wenn es dann so klappt wie jetzt, dann ist es das beste Gefühl überhaupt.

Letztes Jahr im August hast du beim Karren Maar Festival den Weltrekord für das längste Live-Set aufgestellt. Wie hast du dich nach und während des Sets gefühlt? Wir können uns vorstellen, dass das unglaublich anstrengend war.

Es war ein unglaubliches Gefühl. Wir hatten ein tolles Bühnendesign und eine zusätzliche Filth-on-Acid-Stage mit einigen meiner Lieblingsacts von meinem Label: Speedy J, Gordo, Space92, Joyhauser, Kiki Solvej und Zeltak. Leider haben wir den Tag mit dem schlechtesten Wetter des ganzen Sommers erwischt. Wegen des Windes fing der Regen an, in die Kabine zu fliegen, und die Festival-Crew musste eine Plastikabschirmung für meine Synthesizer bauen. Für etwa zehn Minuten musste ich mit Handtüchern über meinem Setup spielen, was ziemlich stressig war, aber es funktionierte. Durch die positive Energie der Crowd konnte ich kreativ enorm profitieren und live neue Ideen umsetzen. Es klingt kitschig, aber die Zeit vergeht dann wie im Flug und es fühlt sich gar nicht wie elf+ Stunden an. Ich liebe lange Sets und werde das in Zukunft wiederholen.

Auch außerhalb deiner Aktivitäten als Live-Act gibt es spannende Neuigkeiten. Du hast ein neues KI-Modell entwickelt, mit dem du in Zukunft b2b spielen willst. Das klingt sehr aufregend. Was steckt dahinter?

Vielen Dank dafür. Ich habe mit einem sehr guten Freund von mir, der beruflich mit KI im Finanzbereich zu tun hat, an diesem Projekt gearbeitet. Er hat sich um den technischen Teil der Programmierung gekümmert. Ich hatte die Idee, KI so in die Musik einzubauen, dass sie den Künstler nicht ersetzt, sondern lediglich dabei hilft, sich inspirieren zu lassen, und mit dem Künstler arbeitet. Normalerweise wird Musik generierende KI auf Bibliotheken mit der Musik anderer Leute trainiert. R² hingegen, so der Name des Systems, ist ausschließlich auf meine eigene Musik trainiert. Das ist normalerweise nicht möglich, weil man dafür eine enorme Menge an Musik benötigt. Im Laufe meines Lebens habe ich alle meine Aufnahmen aufbewahrt, insgesamt über 80 Tage (mehr als 2.000 Stunden) Originalmusik. Außerdem habe ich Hunderte von Live-Aufnahmen (bei denen ich auch nur meine eigene Musik spiele). Diese beiden Datenbanken mit Musik von mir haben wir benutzt, um die KI zu trainieren, damit sie lernt, so zu spielen und zu komponieren wie ich. Das Ergebnis ist der Wahnsinn. Man kann der KI Voice-Befehle geben und mit ihr reden, so wie man es bei einer Zusammenarbeit im Studio oder bei einem b2b mit einem anderen Produzenten tun würde, und er kann in Echtzeit Musik machen, in Echtzeit von mir in meinem b2b übernehmen oder gleichzeitig mit mir live spielen. Es klingt wirklich gut und ich kann es kaum erwarten, das Projekt der Welt am 17. August auf meinem Festival R² in Spaarnwoude zu präsentieren.

Zurück zum Award: Gibt es andere Live-Produzent*innen, die du bewunderst? Für wen hättest du gestimmt?

Ich bewundere Speedy J. Er ist einer der Pioniere unter den Industrial-Techno-Produzenten. Er besitzt fast jedes obskure oder berühmte Musikgerät, das jemals hergestellt wurde. Und er weiß auch, wie alles funktioniert, er schließt es einfach an und fängt an, Musik zu machen. Er ist auch einer der wenigen, der tatsächlich live auftritt – das macht fast niemand. International gesehen wird er meiner Meinung nach wirklich unterschätzt. Einige andere große Inspirationen beim Live-Spielen sind Richie Hawtin (vor allem, wie er die technologischen Grenzen verschoben hat), Egbert, Gaiser, Kollektiv Turmstrasse, Kink und Sandwell District. Außerdem habe ich unglaublichen Respekt vor Carl Cox – meinem Lieblings-DJ aller Zeiten – und der Tatsache, dass er nach 40 Jahren als DJ angefangen hat, live zu spielen. Seine hybriden Sets sind sehr verspielt, haben den typischen Cox-Sound, sind technisch komplex und klingen sehr gut.

Kannst du dich an dein erstes Live-Set erinnern? Wann und wo war das?

Mein erstes offizielles Live-Set war im Jahr 2011. Ich hatte es minutiös geplant, hatte eine Wagenladung Equipment dabei und einen weiteren sehr wichtigen Gegenstand – eine externe Festplatte mit all den Sample-Dateien, die ich während meines Auftritts verwenden wollte. Ich war superaufgeregt und freute mich schon seit Monaten darauf. Ich fange also endlich an zu spielen, mache ein kleines Intro, und die externe Festplatte stürzt ab, weil sie natürlich die Bässe des riesigen Subwoofers, der unter der DJ-Booth stand, nicht verkraften konnte. Plötzlich waren 80 Prozent meines Sets weg und ich musste improvisieren. Das Resultat war eine meiner besten Live-Erfahrungen, die ich jemals hatte.

Ich würde mich auch heute nicht scheuen, dieses Set zu spielen. Es war sogar viel besser als einige derjenigen, die ich später gespielt habe. Das Ganze hat mich gelehrt, dass die Vorbereitung für ein Live-Set nicht darin bestehen sollte, es von Minute zu Minute zu planen. Stattdessen sollte man eine musikalische Umgebung schaffen, in der man die Freiheit hat, auf logische und unmittelbare Weise zu improvisieren. Außerdem lehrte es mich, so oft wie möglich ins Studio zu gehen, sodass man, wenn die Zeit kommt, auf der Bühne zu stehen, die nötige Routine vorweisen kann, um Sequenzen und Sounds spontan zu erzeugen, ohne darüber nachzudenken.

Der Ausdruck „Karren Maar!“ ist in den letzten Jahren zu deinem Markenzeichen geworden. Was bedeutet er und wie bist du darauf gekommen?

Es begann eigentlich als Scherz, vor drei oder vier Jahren, während des Lockdowns. Im Sommer trafen wir uns mit einer Gruppe von Freund*innen mitten im Nirgendwo in Friesland und möglicherweise waren wir nicht ganz nüchtern. Im Grunde ist „Karren Maar“ korrektes Niederländisch, aber es ist eine ungewöhnliche Ausdrucksweise, die normalerweise niemand sagen würde. Nachdem ich den Ausdruck zwölfmal wiederholt hatte, sagten meine Freund*innen, wenn du nicht mit deinem „Karren Maar“ aufhörst, sperren wir dich aus (lacht). Also habe ich aufgehört. Anschließend dachte ich daran, wie lustig es wäre, den Ausdruck in den sozialen Medien zu verbreiten. Das habe ich dann getan, und es geriet völlig außer Kontrolle, dass sogar Profisportler*innen und Fernsehkommentator*innen den Ausdruck mittlerweile regelmäßig verwenden.

Ein kurzer Blick in die Zukunft? Was steht dieses Jahr an?

Ich freue mich sehr, mein brandneues KI-Projekt für Live-Musik, R², am 17. August in Spaarnwoude vorzustellen. Ich bin der erste Künstler der Welt, der mit einer KI live auf der Bühne auftritt (b2b). Ich kann es kaum erwarten, das vor einem Publik zu tun und die Reaktion zu sehen. Das wird sicherlich mein Highlight des Jahres sein. Im Januar und Februar habe ich fünf oder sechs Wochen ohne Auftritte, in denen ich jeden Tag im Studio an neuer Musik arbeiten möchte. Ich freue mich, mich endlich nur auf das Produzieren konzentrieren zu können, aber ich muss auch sagen, dass ich es kaum erwarten kann, meine neue Musik zu spielen und mit euch zu teilen. 2024 ist für mich mein bisher größtes Jahr, in dem ich auf vielen großartigen Festivals und in tollen Clubs spielen werde. Im März spiele ich wieder beim Ultra Festival in Miami und im April gebe ich mein Debüt beim Coachella. Ich kann es kaum erwarten!

Aus dem FAZEmag 144/02.2024
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